Sektion FORUM hat seine Filme - wilder Ritt durch die Zeiten und Orte

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Foto: © Internationale Filmfestspiele Berlin
Das Forum ist in diesem Jahr sehr früh dran. Während in vergangenen Jahren das Programm manchmal erst zum Start der Festspiele gedruckt war, ist in diesem Jahr drei Wochen vorher alles klar.

Werke meist junger Filmemacher aus Osteuropa bilden einen geografischen Schwerpunkt des diesjährigen Programms. Der Este Veiko Õunpuu porträtiert in dem komisch-melancholischen Spielfilm FREE RANGE – BALLAAD MAAILMA HEAKSKIITMISEST einen jungen Mann, der zwischen dem Traum, für die Kunst zu leben, und den Anforderungen des Alltags nach einem Zustand der Schwerelosigkeit strebt.
Eine ungewöhnliche Form hat der bekannte rumänische Regisseur Corneliu Porumboiu für seinen Film AL DOILEA JOC (THE SECOND GAME) gefunden: Gemeinsam mit seinem Vater, der zur Zeit des Ceaușescu-Regimes Fußball-Schiedsrichter war, kommentiert er die verrauschte VHS-Kassette einer Partie zwischen den Top-Mannschaften Dinamo und Steaua.

Im Mittelpunkt des polnischen Dokumentarspielfilms HUBA (PARASITE) von Anka und Wilhelm Sasnal steht ein alter Mann, gezeichnet von der lebenslangen Arbeit in der Fabrik. Seine Tochter, allein mit ihrem Säugling, zieht bei ihm ein. Der Film erzählt von Enge, Fremdheit, Nähe und von Körpern.

Ein Spielfilmdebüt ist CHILLA (40 DAYS OF SILENCE) von Saodat Ismailova. Die junge usbekische Regisseurin erzählt von Bibicha, die sich ins Haus ihrer Großmutter zurückzieht, um dem traditionellen Schweigegelübde zu folgen. Zwischen der kargen Landschaft und farbenfrohen Innenräumen schildert der Film ihren Weg in die Selbstbestimmung.

Zu den Themen, die sich in Filmen des Forumsprogramms 2014 finden, gehören die in vielen Ländern spürbar verschärften Klassenverhältnisse.
So erzählt Athanasios Karanikolas in seinem Spielfilm STO SPITI (AT HOME) in eleganten Bildkompositionen von einer georgischen Haushälterin, die von ihren langjährigen Arbeitgebern in einer sonnigen Villa in Griechenland ins Abseits gedrängt wird, als deren Geschäfte nicht mehr gut gehen und bei ihr plötzlich eine schwere Krankheit diagnostiziert wird.

In dem japanischen Spielfilmdebüt FORMA von Ayumi Sakamoto geht es um zwei Schulfreundinnen, die getrennte Wege gegangen sind. Ayako, die Karriere in ihrer Firma gemacht hat, bietet Yukari, welche sich mit Gelegenheitsarbeiten durchgeschlagen hat, eine Stelle an. Fortan spielen die Freundinnen Chefin und Untergebene, und ihre Unterschiede treten immer stärker zu Tage.

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Foto: © Internationale Filmfestspiele Berlin

Ein originelles Doppel ist der Schauspielerin Josephine Decker gelungen, die im Forum nicht nur ihr Regiedebüt BUTTER ON THE LATCH zeigt, in dem zwei Freundinnen in den kalifornischen Wäldern unheimliche Grenzerfahrungen machen, sondern auch ihren zweiten Spielfilm THOU WAST MILD AND LOVELY, eine düstere Liebesgeschichte auf einer Farm im ländlichen Kentucky, die in einer Katastrophe mündet.

In einem Dorf in Mexiko spielt die deutsche Produktion LOS ANGELES von Damian John Harper. Das Regiedebüt erzählt von einem jungen Mann, dessen Ziel Los Angeles in immer weitere Ferne rückt, als er sich mit lokalen Gangstern anlegt.

Ein weiteres Regiedebüt ist der ausgefallene US-Spielfilm SHE'S LOST CONTROL der deutschen Regisseurin Anja Marquardt, in dessen Mittelpunkt eine Therapeutin steht, die ihren Kunden beizubringen sucht, was diese am meisten fürchten – den Körperkontakt. Ihre Beziehung zu einem Patienten stellt die Abgrenzung von professioneller und privater Intimität in Frage.

Und es gibt offenbar sogar so etwas wie Komödien auf dem Forum, - das ist auch neu:
In Max Linz' Spielfilmdebüt ICH WILL MICH NICHT KÜNSTLICH AUFREGEN kämpft eine junge Berliner Kuratorin mit Stil, Charme und Theorie für ihr neues Projekt, gerät durch ein Interview jedoch in Schwierigkeiten. Vergnüglich reflektiert der Film aktuelle Diskurse und Formen von der Fernsehsoap bis zur Videoinstallation.

Der französische Regisseur Guillaume Nicloux wiederum lässt in L'ENLEVEMENT DE MICHEL HOUELLEBECQ (THE KIDNAPPING OF MICHEL HOUELLEBECQ) den kontroversen Schriftsteller Michel Houellebecq von bulligen Gangstern kidnappen und in der Hoffnung auf Lösegeld tagelang in einem Haus im Pariser Umland festhalten. Doch statt Widerstand zu leisten, scheint dieser über den Zwangsurlaub vom arbeitsreichen Prominentendasein nicht unglücklich und freundet sich schnell mit seinen treuherzigen Entführern an.

Und dann noch die Kunst:
Ein besonderes Ereignis dürfte die Aufführung von Ken Jacobs' THE GUESTS werden. Er hat einen einminütigen Film aus der Frühzeit des Kinos zum vermutlich ersten schwarzweißen Stummfilm in 3D-Technik digital nachbearbeitet. Auf 70 Minuten gedehnt, und damit an den Klassiker von Douglas Gordon 24 HOURS PSYCHO erinnernd, sehen wir einer Gruppe von Pariser Kirchgängern und wieder lässt sich etwas lernen über die Komplexität des Augenblicks.

Die Filme des 44. Forums:
(WP=Weltpremiere / IP=Internationale Premiere)
The Airstrip von Heinz Emigholz, Deutschland - WP
Al doilea joc (The Second Game) von Corneliu Porumboiu, Rumänien - WP
Le beau danger von René Frölke, Deutschland / Italien - WP
Butter on the Latch von Josephine Decker, USA - WP
Casse (Scrap Yard) von Nadège Trebal, Frankreich - IP
Castanha von Davi Pretto, Brasilien - WP
Cheol-ae-kum (A Dream of Iron) von Kelvin Kyung Kun Park, Republik Korea / USA - WP
Chilla (40 Days of Silence) von Saodat Ismailova, Usbekistan / Tadschikistan / Niederlande / Deutschland / Frankreich - WP
The Darkside von Warwick Thornton, Australien - IP
L’enlèvement de Michel Houellebecq (The Kidnapping of Michel Houellebecq) von Guillaume Nicloux, Frankreich - WP
Forma von Ayumi Sakamoto, Japan - IP
Free Range – Ballaad maailma heakskiitmisest (Free Range) von Veiko Õunpuu, Estland - IP
Das große Museum von Johannes Holzhausen, Österreich - WP
The Guests von Ken Jacobs, USA - WP
Gui ri zi (Shadow Days) von Zhao Dayong, China / Hongkong - WP
Huba (Parasite) von Anka Sasnal, Wilhelm Sasnal, Polen / Großbritannien - WP
Ich will mich nicht künstlich aufregen von Max Linz, Deutschland - WP
Iranien (Iranian) von Mehran Tamadon, Frankreich / Schweiz - WP
Kumiko, the Treasure Hunter von David Zellner, USA - IP
Kumun tadı (Seaburners) von Melisa Önel, Türkei - WP
Lajwanti (The Honour Keeper) von Pushpendra Singh, Indien - WP
Los Ángeles von Damian John Harper, Deutschland / Mexiko - WP
La marche à suivre (Guidelines) von Jean-François Caissy, Kanada - WP
N - The Madness of Reason von Peter Krüger, Belgien / Deutschland / Niederlande - WP
Nagima von Zhanna Issabayeva, Kasachstan
Non-fiction Diary von Jung Yoon-suk, Republik Korea - IP
Pădurea e ca muntele, vezi? (The Forest is Like the Mountains) von Christiane Schmidt, Didier Guillian, Rumänien / Deutschland - WP
Que ta joie demeure (Joy of Man’s Desiring) von Denis Côté, Kanada - WP
Shemtkhveviti paemnebi (Blind Dates) von Levan Koguashvili, Georgien
She’s Lost Control von Anja Marquardt, USA - WP
Ship bun (10 Minutes) von Lee Yong-seung, Republik Korea - IP
Souvenir von André Siegers, Deutschland - WP
Sto spiti (At Home) von Athanasios Karanikolas, Griechenland / Deutschland - WP
Thou Wast Mild and Lovely von Josephine Decker, USA - WP
To Singapore, With Love von Tan Pin Pin, Singapur
Töchter von Maria Speth Deutschland - WP
Top Girl oder la déformation professionnelle von Tatjana Turanskyj, Deutschland - WP
Und in der Mitte, da sind wir von Sebastian Brameshuber, Österreich - WP
Zamatoví teroristi (Velvet Terrorists) von Ivan Ostrochovský, Pavol Pekarčík, Peter Kerekes, Slowakei / Tschechien / Kroatien - IP

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