BEZIEHUNGSWEISEN von Calle Overweg

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Sechs Schauspieler, drei echte Paartherapeuten, kein fest vorgegebenes Drehbuch, ein einziger Raum und kaum Requisiten, das sind die spärlichen Zutaten, aus denen Calle Overweg einen sogenannten "gespielten Dokumentarfilm" kreiert hat. Die Schauspieler stellen dabei drei Paare dar, die sich in verschiedenen Beziehungs- und Lebensstadien befinden und die alle in einer handfesten Krise feststecken. Ihre Probleme miteinander sind bekannt und alltäglich, erscheinen aber zugleich auch fast unlösbar für die Beteiligten. Es geht um Untreue und um Sprachlosigkeit, um allgemeinen Lebensfrust, um die Schwierigkeiten der Elternschaft und vor allem um die stets untergründig mitklingende Frage, ob dieser Partner denn nun wirklich der richtige ist. Als Konterpart wird jedem Schauspielerpaar ein echter Paartherapeut an die Seite gestellt. Dieser ist zwar in die Künstlichkeit der Versuchsanordnung eingeweiht, bemüht sich aber in den nun folgenden Paartherapiegesprächen dennoch nach allen Regeln der Therapeutenkunst um die in Stocken geratenen Beziehungen.

Geht es in den Dreiergesprächen zunächst noch um die ganz konkreten Probleme des jeweiligen Paares wandelt sich die Handlung auf einer Metaebene nach und nach zu einem allgemeinen Diskurs darüber, was Menschen überhaupt langfristig zusammenhält und ob es gelingen kann, auch nach Jahren des Zusammenlebens noch gemeinsam glücklich zu sein. Der Film stellt dabei nicht nur sehr kluge und zugleich schmerzhafte Fragen über die Liebe, sondern er zwingt den Zuschauer durch die permanenten Unterbrechungen der Spielhandlung auch dazu, die gewohnte voyeuristische Passivität des Kinobesuchers zu verlassen und eine wie auch immer geartete Stellung zum Gezeigten zu beziehen. Ganz in bester Tradition des epischen Theaters wird deutlich gemacht, dass hier nicht die Illusion von Realität erzeugt werden soll. Immer wieder wird die Filmhandlung unterbrochen, das Kamerateam und der Regisseur werden eingeblendet und es gibt Fragen direkt an die Paartherapeuten zu ihrer Arbeit. Neben den eigentlichen Therapiegesprächen finden sich zudem auch kurze Spielszenen, in denen die Paare mit wenigen Requisiten wichtige Schlüsselmomente aus ihrem Beziehungsleben nachstellen. Nicht Mitgefühl mit den Akteuren ist das Ziel des Regisseurs sondern ihm geht es in einem übergeordneten Sinne um die Frage danach, ob die heutige Form der Liebesbeziehung wirklich funktionieren kann.

Obwohl die Schauspieler kein festgelegtes Drehbuch hatten und lediglich die Eckpunkte ihrer Rollen kannten, entwickelt sich schnell ein dynamischer Sog zwischen den Akteuren und ihren jeweiligen Therapeuten, der die Künstlichkeit des Gezeigten immer wieder vergessen lässt. Es scheint fast so, als würden die eigenen Beziehungserfahrungen der Schauspieler mehr als ausreichen, um die kargen Regieanweisungen mit Leben zu füllen. Die Verzweiflung, die Wut und die Verletzungen der Paare kommen nahezu ungefiltert beim Betrachter an und es wird zunehmend schwerer, sich dem Gezeigten zu entziehen. Es wäre ein interessanter Versuch, diesen Film einmal statt der üblichen Rosamunde Pilcher Verfilmungen zur besten Sendezeit im Fernsehen auszustrahlen. Zumindestens kurzfristig dürfte es danach in vielen deutschen Wohnzimmern schwer fallen, wieder zur Beziehungstagesordnung überzugehen.

Kommentare ( 1 )

Super gut beschrieben; macht richtig Lust sich den Film anzusehen..

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Titel

Orignaltitel

Beziehungsweisen

Englischer Titel

Negotiating Love

Credits

Regisseur

Calle Overweg

Land

Flagge DeutschlandDeutschland

Jahr

2011

Dauer

85 min.

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