20 CIGARETTES von James Benning

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Raucher leben besser. Noch besser leben Menschen, die Rauchern zusehen

Angesichts des Erregungspotentials, das ein Lob aufs Rauchen oder auch nur die Erwähnung geeigneter Rauchorte hier im Blog auslösten, ist es schön auf der Berlinale einen Film zu finden, der nur davon und von nichts anderem handelt. Vom Rauchen eben und jenen offenbar geistesgestörten Wesen, die das tun.

Das erste Erstaunen: das große Cinemaxx Kino ist fast voll. Das zweite Erstaunen: etwa 30 Leute gehen schon nach ersten bis dritten Zigarette. Entweder sie haben das Programm nicht gelesen, in dem genau steht, wovon dieser Film handelt, oder sie mögen die Gedanken nicht, die sie sich beim Schauen machen. Oder sie fanden es langweilig. Was mich überrascht. Wir stehen mit 20 unbekannten, schweigend rauchenden Personen in der Raucherecke und machen uns so unsere Gedanken. Das ist der Film von James Benning. Und Gedanken machen ist per se gut und selten langweilig.
Es passiert viel. Man denkt nach: wer ist das wohl, was macht der oder die wohl beruflich, wie lang raucht sie wohl schon, was denkt er in der Zeit, die er raucht, was die die Länge ihrer Einstellung bestimmt, was hat er davor gemacht, was wird sie danach tun.

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Die Aufmerksamkeit richtet sich auch auf den Hintergrund und vor allem die Hintergrundgeräusche, Züge, Zwitschern, Verkehrsrauschen oder Stille und man erfindet allmählich zu den Biographien noch eine Umwelt dazu. Und auch weil das Rauchen ja so schädlich ist, wie so vieles was Menschen aber trotzdem gern tun, ist der Film auch ein Vanitas Bild, ein Memento Mori, das uns die Vergänglichkeit vorführt. Und gleich noch die Einsteinsche Relativitätsformel mit: denn Zeit ist relativ in diesem Film, in dem zwar immer genau eine Kippe geraucht wird, aber von unterschiedlichen Menschen. Und das kann mal länger, mal kürzer erscheinen. Bei manchen möchte man noch mehr sehen, mehr erfahren, andere sollten schnell aufrauchen. Im Rauchen verliert sich das Zeitgefühl, aber man hört dann mit einem mal im Hintergrund eine Uhr, oder ein Zug fährt vorbei und das gibt uns Hinweis über das Verstreichen der Zeit. Sekunde um Sekunde. Während jemand seine Zeit mit dieser sinnlosen, ungesunden Tätigkeit verbringt und wir ihm - noch sinnloser könnte man denken - dabei zusehen.

Früher war mehr

Wie selten heute im Film geraucht wird, bemerkt man erst bei Serien wie MAD MEN oder einem Film wie George Clooneys GOOD NIGHT AND GOOD LUCK, wo eigentlich immer irgendwo einen Kippe qualmt, mal lässig im Mundwinkel, mal hektisch, mal in der hohlen Hand. Ja und James Dean und Camus und Jörg Fauser und wie sie alle heißen, taten ihr Übriges für den Ruf der Zigarette.
Auch in Bennings Film passt die Zigarette zu mancher Figur unheimlich gut, andere wirken unbeholfen und fast lächerlich damit. Überhaupt: manche Leute sagen dir, wer jemand ist, weil der die und die Schuhe trägt. Aber ich glaube man kann Erkenntnisse daraus ableiten, wie jemand raucht (nicht unbedingt ob jemand raucht, denn eine Qualität an sich stellt das Rauchen nicht dar).

Der inwendige Film

Der Film weckt Gedanken, ist irgendwann, ja, spannend: man studiert die Gesichter, versucht anhand ihrer Kleidung und ihres Schmucks, ihrer Schminke oder Falten, ihrer Frisur und ihres Rauchstils herauszufinden, was das wohl für Menschen sind. Mit wem würde man gern mal eine schmoken, wer könnte eine spannenden Begegnung zur Rauchpause vor einer Kneipe sein? Wer kommt wohl als nächstes?
Wie bei den vielen anderen Benning Projekten beginnt eine eigene Geschichte, ein eigenes Script für den zunächst handlungslosen Film.
Und wenn man zur Ruhe gekommen ist und den Geist wandern lässt, kann das aufschlussreicher sein, als manch narrativer Film, in dem man aus irgendeinem Grund an den falschen Stellen lacht oder an erstaunlichen weint.

Diese Leute auf der Leinwand und man selbst, Raucher oder nicht, sind im Zwiegespräch ohne Worte. Wer da mitrauchen möchte, muss leider erst auf das Ende des Films warten und dann raus in den kalten Berliner Winter gehen. Kein Wunder, dass so viele Filmleute von den 60er und 70er Jahren schwärmen.

Kommentare ( 1 )

Klingt sehr hübsch! Medidationen über das Rauchen. Schön, dass man eben auch sowas auf der Berlinale sehen kann;-)

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Titel

Orignaltitel

Twenty Cigarettes

Credits

Regisseur

James Benning

Land

Flagge Vereinigte StaatenVereinigte Staaten

Jahr

2011

Dauer

97 min.

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