Howl von Rob Epstein und Jeffrey Friedman

Beat it!

Das Gedicht „Howl“ (Geheul) und sein Vortrag in einer kleinen Galerie in San Francisco Mitte der 50er Jahre war wohl der „defining moment“, in dem das Phänomen Beat Generation geboren wurde. Wirklich dabei waren an diesem Abend vielleicht dreißig Leute, die meisten davon selbst Autoren und Künstler. Aber durch einen Prozess wegen Obszönität einer viel breiteten Öffentlichkeit bekannt geworden, wurde Allen Ginsberg und sein Gedicht zu einer Art Manifest all der verlorenen Seelen, der nach Hoffnung und Liebe Suchenden jungen Leute. Der Film ist ein Re-Enactment der Lesung an jenem Abend in San Francisco sowie diverser Interviews mit Ginsberg. Dazu hat man die Gerichtsakten zu Leben erweckt, was voller bizarrer Momente ist, wenn die „Relevanz“ von Dichtung durch Anwälte erörtert wird. Den Vortrag des wilden Poems bebildern immer wieder animierte Sequenzen, die aber eher zu den Schwächen des Films zählen, der ansonsten voll und ganz der Kraft der Ginsberg Texte, Interviews und Gerichtsakten vertraut.

Im Fahrwasser von Ginsbergs „Howl“ wurden Autoren wie Jack Kerouac mit „On the road“, Amiri Baraka, William Burroughs, Michael McCLure und andere weltberühmt.
Ginsberg wurde in den folgenden Jahrzehnten so nicht nur zum Vorkämpfer der Schwulen, sondern verbrüderte sich mit allen Ausformungen der Gegenkultur von Hippies bis Anti-Atomkraft, war mit Bob Dylan auf Tour, kämpfte für die Freigabe von Marihuana und für alles was man links-alternative Gegenkultur nennen könnte.
Er schrieb zwar nur noch wenige große Gedichte seit den 60er Jahren, aber war DER Community-Organisator und wurde zusammen mit Jack Kerouac zum Vorbild vieler junger Menschen, die sich fremd und anders fühlen in einem Land, das Konformität liebt, auch wenn es sich Individualität und Freiheit als Ideale auf die Fahne geschrieben hat.

Der im Film nachgespielte Gerichtsprozess ist dabei der fast surreal anmutende Versuch des Staates juristisch gesellschaftliche Formen für Kunst und damit ja auch gewisse Lebensweisen, sexuelle Praktiken festzuschreiben. Das alles in einer Zeit als Literatur und Film wegen des Wortes „Schwanz“ oder „Ficken“ verboten wurde und Homosexualität nicht nur den Ausschluss aus der Gesellschaft bedeutete, sondern einen wie Allen Ginsberg für Monate ins Irrenhaus brachte, wo man ihn von den Vorteilen der Heterosexualität überzeugen wollte.

Dieser moralische Putzfimmel hat in den USA lange Tradition von den Puritanern über die Prohibition bis zur heutigen Verklemmung im Umgang mit Nacktszenen oder den F-Wörtern in Musik und Film. Doch der Richter schlug sich damals auf die Seite der Kunst und der Freiheit der Meinung, was Ginsbergs Howl noch heute zum meistverkauften Gedicht des City Lights Verlages von Lawrence Ferlingetti macht.
Der Film zeigt aber auch: Ginsbergs Text ist in seiner expliziten Form auch heute noch ein Schock für den Zuhörer oder Leser, der sich ja über die Jahrzehnte, was drastische Darstellung angeht, an einiges gewöhnt haben dürfte. Diese Mischung aus alttestamentarischem Klagelied und Gebet, lyrischer Apokalypse und sexuellem Schlachtruf sowie Szene- und Zeitportrait ist wohl einmalig in der Poesie und hat auch 55 Jahre später nicht an Kraft verloren.

Die Beat Literatur gehört inzwischen zum Kanon der amerikanischen Literaturgeschichte. Die Romane und Gedichte voller Abenteuer, nächtlicher Autofahrten, Drogen, Sex und verzweifelter Sinnsuche bieten dabei viel Stoff für Drehbücher - sollte man annehmen. Auch die Biographien der Beats laden eigentlich zu einem Biopic ein. Aber doch gibt es keinen einzigen guten Film über diese Männer und (wenigen) Frauen, lediglich eine Handvoll Dokumentationen gemischter Qualität sowie misslungene Spielfilme wie Heart Beat (mit Nick Nolte). Ansonsten alles Machwerke aus den späten 50er Jahren, die das Beat-Milieu aus Drogen, Jazz, Baskenmützen und Bärten denunzieren wollte.

Howl ist kein Spielfilm, sondern eine Art Dokufiction, die den Versuch unternimmt, die damalige Zeit durch die Texte zu erfassen und die Fackel dieser romantisch-abenteuerlichen, damals jedenfalls experimentellen und dabei sehr amerikanischen Literatur an die nächste Generation weiterzureichen.
The Beat goes on - sozusagen.

Hier noch ein kleines Bonbon, ein Auschnitt aus einer Doku über Ginsberg John Turturro spricht Howl.

Kommentare ( 2 )

Die Kraft des Films kommt wirklich aus dem Gedicht selbst - und das muss man hören. Der Rhythmus erschließt sich nicht einfach so beim Lesen.
Was mich etwas enttäuscht hat, war die weichgespülte Version von Künstler- und Schwulenidyll, die hier evoziert wird (wahrlich nicht in Ginsbergs Text, aber in den Reenactments seiner Erinnerungen). Muss doch nicht sein, dass alle wie liebe Bubis aussehen, die auch noch allesamt wie Unterhosenmodels daherkommen...
James Franco als Ginsberg macht seine Sache toll; aber ein herausragendes Merkmal auch des jungen Ginsberg war nunmal sein etwas seltsames Aussehen. Das hier so auszublenden finde ich schade.
Aber ansonsten: Schicke Männer, immer gerne;-)

Das Beste an dem Film war das Gedicht selbst, keine Frage. Mir haben auch die Animationen gut gefallen. Schade fand ich, dass der Rest des Films so konventionell war. Das passt nicht zu Ginsberg und den anderen Beats Irgendwie fühlte sich das Ganze wie Fernseh-Doku-Drama und nicht wie Kino an. Nur James Franco und David Strathairn stachen hervor.
Meiner Vorschreiberin muss ich entgegnen: Die Fotos in diversen Bücher zeigen, dass besonders Kerouac und Cassady aussahen wie Stars (und zwar echte Filmstars) und auch einen Peter Orlovsky hätte die geschätzte Kollegin vermutlich nicht von der Bettkante geschubst, auch wenn eine weibliche Bettkante auf der Präferenzliste von Peter O. mit Sicherheit ziemlich weit unten rangierte bzw. rangiert.
Wie dem auch sei. Der Film ist wegen der Gedichtpassagen auf jeden Fall hörenswert. Im Gedächtnis geblieben ist mir folgende großartige Zeile aus dem im Film zitierten "Footnote to Howl": Holy the Cocks of the Grandfathers of Kansas!

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Titel

Orignaltitel

Howl

Credits

Regisseur

Rob Epstein

Jeffrey Friedman

Schauspieler

Jeff Daniels

James Franco

Jon Hamm

Mary-Louise Parker

David Strathairn

Land

Flagge Vereinigte StaatenVereinigte Staaten

Jahr

2009

Dauer

90 min.

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