"Little Joe" von Nicole Haeusser

Joe Dallesandro war der erste Schauspieler, der sich in den Kunstfilmen von Warhols Factory auszog und "full-frontal“ vor der Kamera agierte. Nach drei Filmen ("The Loves of Ondine“, "Lonesome Cowboys“, "Flesh“) war er 1968 eine Sex-Ikone und spukte fürderhin durch die Köpfe von Männern und Frauen des Underground. Dallesandro – wegen seines Tattoos auf dem rechten Oberarm nur "Little Joe“ genannt – sah und sieht das alles mit erfrischender Gelassenheit. "So? Das war also Kunst?“, fragt er im Dokumentarfilm von Nicole Häusser. "Meine frühen Aktfotos waren Pornographie und im Film ist es Kunst? Na gut.“

Der Film erzählt die Kindheit und Jugend von Joe in sehr ungewöhnlichen und wirkungsvollen Animationen, die Schauspielerkarriere ist mit Filmausschnitten, privaten Filmaufnahmen und ausführlichen Interviews dokumentiert. Dallesandro selbst ist mit seiner Tochter Vedra Co-Produzent und hat auch das Drehbuch geschrieben. Damit ist klar, dass er den Film als Medium nutzt, um seine Person und seine 40 Jahre auf der Leinwand auch einmal aus der eigenen Sicht zu beleuchten. Das endet zum Glück nicht in eitler Selbstbeweihräucherung, im Gegenteil Dallesandros selbstironische Distanz und sein trockener Humor sind die große Stärke von "Little Joe“. Die Kunstfilme im Factory Stil halte er nicht für Kunst, auch Warhol habe das nicht getan, sagt Dallesandro im Film. Morrissey habe hart daran gearbeitet und es habe auch interessante Momente gegeben. Aber so etwas wie ein echtes Drehbuch habe es nie gegeben: "It was hard, because first of all we had to pretend, we were actors“.

Insgesamt hat Dallesandro mehr als 50 Filme gemacht. Auf die erste Morrisey-Trilogie „Flesh“, "Trash“, "Heat“ folgten noch zwei Morrissey-Filme "Flesh for Frankenstein“ (in 3-D!) und "Blood for Dracula“ jeweils mit Udo Kier. Dann drehte er drei Filme in Italien, die alle etwas Sex, viel Gewalt und krude Stories gemeinsam hatten, bevor ihn schließlich Mitte der Siebziger Louis Malle für seinen Märchenfilm "Black Moon“ und Serge Gainsbourg für "Je t’aime moi non plus“ (den man ab und zu bei Arte im Spätprogramm sehen kann – mit Joe und wichtig Jane Birkin, Handlung ist nicht so wichtig) engagierten. Weitere Dallesandro-Filme dieses Jahrzehnts trugen so erstaunliche Titel wie "Killer Nun“ und "Ferien und ein Massaker“. In den Achtziger riefen auf einmal die USA: Joe war Lucky Luciano in Coppolas "Cotton Club“, spielte in mehreren Folgen von Miami Vice und in Blake Edwards "Sunset“. Die Neunziger begann er in John Waters "Cry Baby“ und schloss sie mit Steven Soderbergh The Limey“ ab.

Dallesandro redet im Film offen über seine Rolle als Sexsymbol, "schwul was ist das? Packt mich doch nicht in eine Schublade“; sein Status als Star, "Stars waren wir nur in Deutschland“; und die Planlosigkeit seiner Karriere, "ich machte viele Filme, weil ich immer Geld brauchte“. Als Schauspieler sieht sich Dallesandro immer noch nicht, das nimmt man ihm allerdings nicht ganz ab. Mit diesem Gesicht und dieser Leinwandpräsenz kann man nichts Anderes als Schauspieler sein. Im Interview nach dem Film wiegelte er ab: "I just was lucky one day to like Campbell’s Soup“. Eine gute No-Budget-Doku über einen sympathischen Mann, der den Kontroll-Freak Paul Morrissey und den Warhol-Factory-Irrsinn mit Hilfe von gesundem Menschenverstand und Ironie besser überstanden hat als viele seiner Zeitgenossen. Auf dieser Berlinale erhält er Ehrenteddy für sein Lebenswerk.

Kommentare ( 1 )

toll...kaum schaut mal einmal weg schon steht ein neuer artikel drin : )

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Titel

Orignaltitel

Little Joe

Credits

Regisseur

Nicole Haeusser

Schauspieler

Joe Dallesandro

Land

Flagge Vereinigte StaatenVereinigte Staaten

Jahr

2009

Dauer

87 min.

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