Das Geräusch des Schlüsselbundes
Wie auch ein leiser Film ohne große Effekte nachhaltig beeindrucken kann, das zeigt Phillippe Claudel mit "Il y a longtemps que...". Erzählt wird die Geschichte von Juliette, die fünfzehn Jahre im Gefängnis verbracht hat. Während dieser Zeit hatte sie keinen Kontakt zu ihrer Familie, die nichts mehr mit ihr zu tun haben wollte. Dennoch wird sie sofort nach ihrer Entlassung von ihrer jüngeren Schwester Leà abgeholt und in deren Familie aufgenommen. Obwohl sich beide Frauen eigentlich fremd sind, versucht Leà mit aller Kraft, eine neue Beziehung zu ihrer Schwester aufzubauen. Zwar bemüht sich auch Juliette allmählich um eine Annäherung, für sie ist aber der Gedanke unerträglich, das während ihrer gesamten Zeit im Gefängsnis alle anderen draussen ein normales Leben geführt haben, in dem sie in keiner Weise vorkam. Trotz dieses Geflechts aus Verletzungen und verdrängten Schuldgefühlen kommt es zu einer langsamen Annäherung der Schwestern.
Die Qualität des Films liegt vor allem an seiner Hauptdarstellerin Kristin Scott Thomas, die man in dieser Rolle zunächst kaum wiederkennt. Schon wenn die Kamera das erste Mal auf das Gesicht von Juliette schwenkt und dort verweilt, lassen sich alle Grundmotive der folgenden Geschichte in diesen Gesichtszügen ablesen: Einsamkeit, Enttäuschung und Verbitterung. Kristin Scott Thomas glaubt man jeden einzelnen Moment ihrer 15jährigen Zeit im Gefängnis. Sie trägt ihre vermeintliche Schuld wie eine zweite Haut am Körper und macht durch jede Geste spürbar, dass das Eingesperrtsein trotz des Endes ihrer Haftzeit für sie immer weiter geht. Über allem schwebt eine unterschwellig spürbare Bedrohung, die sich durch das stets selbstkontrollierte Auftreten von Juliette immer weiter verstärkt
Meisterhaft versteht es Phillipe Claudel, die Handlung nach und nach zu verdichten und den Betrachter immer tiefer in die Geschichte hineinzuziehen. Schade nur, dass er gegen Ende dem Drang erlegen ist, all das, was bisher nur höchst reizvoll angedeutet worden war, bis ins letzte Detail auszuleuchten und zu erklären. Er hätte hier mehr auf die Phantasie der Zuschauer und auf ihre Fähigkeit zu eigenen Schlussfolgerungen vertrauen sollen. Insgesamt ist "Il y a longtemps que..." aber dennoch ein sehenswerter Film über den Umgang mit Schuld und traumatischen Erlebnissen, dessen Hauptdarstellerin Kristin Scott Thomas für ihre herausragende Leistung in jedem Fall einen Preis verdient hat.