"A Jihad for Love" von Parvez Sharma

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Der unter schwierigen Bedingungen gedrehte Dokumentarfilm von Parvez Sharma betrachtet die Lage von Schwulen und Lesben in völlig unterschiedlichen muslimischen Gemeinden in Ländern wie Südafrika, Iran oder der Türkei. Dabei zeichnet er ein bewegendes Bild von Menschen, die einzig aufgrund ihrer Liebesbeziehungen oder ihrer Sexualität ausgegrenzt und verfolgt werden. Erfreulicherweise tappt der Film in keine der Klischeefallen, die zahlreich am Wegesrand lauern.

2001 gewann „Trembling before G-d“ auf der Berlinale den Teddy für den besten Dokumentarfilm; er handelte von ultraorthodoxen Juden, die ihre Homosexualität im Einklang mit ihrer Religion leben wollen. Der Regisseur Sandi DuBowki hat nun „Jihad for Love“ mitproduziert, in dem Parvez Sharma einen noch ungleich schwereren Versuch unternimmt: Eine Dokumentation über Schwule und Lesben in der islamischen Welt, die ebenfalls zu ihrer Religion wie zu ihrer Homosexualität stehen wollen - in Ländern, welche Homosexualität verteufeln und unter Strafe stellen. Die ständige Unsicherheit, Ausgrenzung und Bedrohung überdauert oftmals noch die gelungene Flucht aus den Heimatländern.

Die Situation der porträtierten Menschen in der islamischen Welt ist so unterschiedlich wie die Vielfalt des Islam selbst. Nur nach der strengsten orthodoxen Lehre ist die Auffassung klar: Homosexualität ist verboten und muss mit der Todesstrafe belegt werden. Dafür werden knappe Stellen im Koran und ein Hadith Muhammads herangezogen. Zwar ließe sich über die Koranstellen (wie über ähnliche Stellen in der Bibel) trefflich diskutieren, genauso wie über Verschleierungsgebot, Alkoholverbot und andere Themen. Das Problem an der Sache: Die unabhängige Auslegung der Schriften ist im konservativen Islam seit dem Mittelalter verboten.

Anschaulich wird das Problem bei Muhsen, dem ersten islamischen Rechtsgelehrten, der sich zu seiner Homosexualität bekennt und das Thema aus islamischer Perspektive diskutiert. Lange litt er unter seiner sexuellen Orientierung, deren Verbot seine Lehrer beim Islamstudium in Pakistan religiös begründeten. So heiratete er eine Frau, um ein „normales“ Leben als religiöser Muslim führen zu können. Aber der Versuch, seine Persönlichkeit zu verleugnen scheitert ebenso wie die Ehe. Danach bekannte sich Muhsin zu seiner Lebensweise und versucht sie seither mit dem Islam in Einklang zu bringen – was funktioniert, wenn man den Islam als pluralistisches und offenes Religionssystem versteht. Für die Orthodoxie ist das unvorstellbar. Das wird deutlich, als Muhsin einen konservativen Gelehrten empfängt. Schnell kippt die Situation: Er wirft Muhsin vor, den Islam zu beschmutzen. Als Muhsin gegen die konservative Auslegung der Koranstellen protestiert, widerspricht der Gelehrte scharf: Homosexualität werde im Islam mit dem Tod bestraft. Nur die Hinrichtungsart sei Auslegungssache. Ende der Durchsage. Die Szene macht fassungslos, steht aber stellvertretend für die konservativste Interpretation der Scharia.

Ähnlich traurig ist die Geschichte von Mazen aus Ägypten, der zur Premiere nach Berlin gekommen ist. Er wurde bei einer Schwulenparty auf einem Nilboot unter falschen Anschuldigungen verhaftet, die Polizeiaktion gegen 52 Schwule ging als „Cairo 52“ in die Geschichte der (Anti-)Schwulenbewegung ein. In einem lachhaften Gerichtsverfahren wurde Mazen zu einem Jahr Haft verurteilt, obwohl offiziell kein Gesetz gegen Schwule und Lesben in Ägypten existiert. Nach Erfahrungen von Missbrauch und Folter im Gefängnis kann Mazen nach Paris fliehen, aber die Spuren der Traumatisierung bleiben und setzen sich unter den schwierigen Bedingungen von Migration und unsicherem Asylstatus fort. Noch rigoroser als in Ägypten wird Homosexualität im Iran verfolgt, im Extremfall kann die Todesstrafe verhängt werden. Präsident Ahmadinedschad machte sich unlängst bei einer Rede an der Columbia University in New York lächerlich, als er behauptete, es gebe keine Schwulen im Iran. Andererseits gibt es im Iran eine Fatwa von Khomeini, welche Geschlechtsumwandlungen erlaubt. Der Wechsel des Geschlechts wird als „Therapie“ akzeptiert und sogar staatlich gefördert. Und in der klassischen persischen Literatur gibtb es eine lange Tradition homoerotischer Motive, wie die im Film portraitierten Iraner feststellen. Aber sie sind vor staatlicher Verfolgung nach Istanbul geflohen, wo sie voller Angst auf die Entscheidung über ihre Asylanträge warten; die Abschiebung könnte den Tod bedeuten.

Faszinierend an „Jihad for Love“ ist die Bandbreite der besuchten Länder: Gedreht wurde unter anderem in Iran, Pakistan, Ägypten, Türkei, Frankreich, Indien und Südafrika. Dabei mussten alle Dreharbeiten geheim und unter nicht unbeträchtlichem Risiko stattfinden. Zugleich vermeidet der Film die über den Themen Homosexualität und Islam gleich zuhauf schwebenden Klischees. Der Dokumentarfilm vermeidet Aussagen über „den Islam“ und verteufelt nicht die Religion als Wurzel allen Übels; es sind Menschen, welche die gesellschaftliche Freiheit beschneiden und religiöse Texte und Gedankengut intolerant auslegen. Nicht selten werden Themen wie Schwulenfeindlichkeit instrumentalisiert, um im polarisierten Kulturkampf nach dem 11. September den Islam zu diskreditieren. Der Film zeigt auf bewegende Weise die Ausgrenzung von Lesben und Schwulen bis hin zur brutalen Verfolgung und Bestrafung, aber auch die Chancen für eine Öffnung und die Hoffnung auf einen menschlichenfreundlicheren Islam. Ein Lichtblick ist die Diskussin Muhsens mit der muslimischen Gemeinde in Kapstadt, die seinen Aufruf für einen toleranten Islam trotz Skepsis freundlich aufnimmt.

Dem Film ist zu wünschen, zumindest in einigen islamischen Ländern und muslimischen Communities in Europa gezeigt werden und dazu einen Beitrag leisten zu können. Ein erster Schritt ist die Teilnahme am Filmfestival in Istanbul im April 2004.

Parvez Sharma schreibt in seinem Blog über die Resonanz auf seinen Film – auch von der Berlinale. Viele Infos über den Film gibt es hier.

Kommentare ( 1 )

Einige Eionträge auf dem Blog sind wirklich deprimierend. Was für ein Irrsinn, wenn der eigene Vater einem 17jährigen mit Steinigung droht

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Titel

Orignaltitel

A Jihad For Love

Credits

Regisseur

Parvez Sharma

Land

Flagge AustralienAustralien

Flagge DeutschlandDeutschland

Flagge Vereinigte StaatenVereinigte Staaten

Flagge Vereinigtes KönigreichVereinigtes Königreich

Jahr

2007

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