Von Schnecken und Menschen

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Old Joy von Kelly Reichhardt, USA 2005

Vorbei an der größten Favela Südamerikas, die wunderbar schimmernd am Hang über dem Meer liegt, rast unser Taxi in einen Vorort, der von der reichen Mittelklasse Rios bewohnt wird. Dort nur die üblichen Rio Plattenbauten (die Armen wohnen in dicht gedrängten Minihäusern, Platte heißt hier Wohlstand) Zwischen den Nobelplatten des Retortenviertels am südlichen Ende der Stadt kommt eine Shopping Mall nach der nächsten und Großrestaurants an der 6spurigen Ausfallstraße. Der Taxista will uns überreden in eine ihm bekannte Riesenmall zu fahren, da gäbe es auch viele Kinos. Von Festival do Rio hat er gehört, mehr aber auch nicht. Wir stehen schließlich in einer kleinen Mall und sind lange die einzigen, die den Film Old Joy sehen wollen. Und das eigentlich auch nur, weil der von uns geschätzte Musiker Will Oldham, alias Bonny Prince Billy dort seine erste Hauptrolle spielt. Und dann kurz vor Beginn finden sich noch etwa 10 andere - entweder Fans oder Filmbuffs oder vom Vorort Gelangweilte - hier ein, die diesen kleinen Indiefilm sehen wollen in dem auf etwa 13 Grad runtergekühlten, überdimensionierten Saal.

Old Joy ist ein seeeeeeeeeeeeeehr langsamer, eigentlich plotloser Film, der aber auch nicht von seinen Bildern lebt. Auch nicht vom Dialog. Und so müssen wir uns eingestehen, dass die 13 Grad im Kino gut gegen die aufkommende Müdigkeit sind.
Der Film handelt von zwei alten Freunden, die einen Wandertrip machen, um ihre sich auflösende Freundschaft (der eine ist ein schräger Lebenskünstler, der andere wird gerade Vater und ist der überlegte, sich organisierende Rationalist mit dem ordentlichen Auto) noch einmal zu retten.
Wir sehen: Viel Autofahren durch die Landschaft des saftig grünen amerikanischen Nordwesten, viel Vögel und Getier, ein Lagerfeuer, eine Wanderung und die Massage in einem Hot Spring in den Bergen. Ende.

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Die Diskussion nach dem Film, den wir am Ende nicht so schlecht fanden, drehte sich darum, ob es eine Geschichte wie in Brokeback Mountain war minus Cowboy und Schwul, also um eine sich ändernde und am Ende wohl nicht mehr zu rettende Freundschaft. Und wir diskutieren die Frage, ob all die gezeigten Bäche und Flüsse, die Schnecke, die vielen Weggabelungen Metaphern der Vergänglichkeit oder doch nur ein Hintergrund für die winzig kleine Geschichte von Mark und Kurt. Esoterisch oder einfach nur langsam, realistisch und ohne Handlungszwang a la Cassavetes oder ein Naturfilm mit Figuren - gewissermaßen James Benning mit ein bisschen Dialog.
Old Joy hat in Rotterdam 2006 eine Preis gewonnen - vielleicht für den Mut, einen solchen Film zu machen. Kein schlechter Film, sicher nicht, aber ob jemand, der nicht Will Oldham Fan ist, oder wie ich den Nordwesten der USA liebt und den Naturdarstellungen etwas abgewinnen kann, den Film mögen wird, bezweifle ich.

Kommentare ( 1 )

Wow!

Kein Plot, keine Bilder, keine schwulen Cowboys,
wenig Dialog - aber langsam.

Hat Mr. Oldham die Musik gemacht?

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