Die Jury, das unbekannte Wesen - Eine Suche

Eine Jury nennt man zwar auch Schlagersänger und speckige Tanzlehrer, wenn sie im Fernsehen auftreten, und durchschnittlich begabte Jungs und Mädel zu Superduuperstars ernennen, aber die Jury eines Filmfestivals ist ein ganz anderes Wesen: Nämlich ein eierlegendes Wollmilchschwein mit Rehaugen und Hirn, sanften Händen und klarer Meinung...

Ein Jurymitglied braucht in jedem Fall Sitzfleisch, einen Bleistift oder ein gutes Gedächtnis und in all den Gesprächen die höchste demokratische Tugend: den anderen ihre Meinung lassen und die eigene dabei nicht verlieren.
Jurys müssen trinkfest sein und doch ganz nüchtern, ein bisschen glamourös und dabei natürlich glaubwürdig, kompetent doch nicht zu spezialisiert, sie sollen den Filmemachen Angst machen und zugleich Vertrauen schaffen, sie sollen motivieren und zugleich ein ehrliches Urteil sprechen, sie sollen nicht lügen, aber auch immer politisch denken, sie sollen niemanden verdammen und doch einen Sieger küren, sie sollen urteilen ohne Vorurteil, sie sollen nach allen Seiten offen sein und dabei immer wissen, wonach sie suchen. Die Summe der Jurymitglieder soll auch mehr sein, als die einzelnen Teile und doch soll jeder Einzelne ganz er oder sie selbst sein. All das soll sie sein und können und tun, die Jury. Schön wär's...

Wer schon mal in einer Jury saß, der weiß, dass das allerwichtigste ein Pokerface ist. Auf diese Weise kann man sich noch bis zur letzten Minute umentscheiden und danach so tun, als hätte sofort gewusst: DAS ist er! Wo man hingegen doch eigentlich die ganze Zeit gehofft hat, dass endlich ein guter Film kommt und als der letzte Film auch nicht der Gesuchte war, plötzlich aus den längst nur noch verschwommen erinnerten Filmen, die man gar nicht mochte, einen Sieger küren soll. Oder man hat sich gleich beim zweiten Film auf den Sieger festgelegt, einfach aus Bequemlichkeit und weil man ihn eben mochte. Der große Vorteil ist, dass man dann den Rest des Festivals ganz entspannt angehen kann („Ich hab ja meinen Sieger.") und genug Zeit hat Argumente GEGEN die Siegerkandidaten- Filme der anderen Jurymitglieder zu sammeln.
Man muss als Jurymitglied - und das ist schlimm - tun, was kein Künstler oder damit Verbändelter in aller Öffentlichkeit gern tut, nämlich Stellung beziehen und Kollegen beurteilen. Daher die vielen WischiWaschi Entscheidungen und wachsweichen Kompromisse.
Dabei ist die größte Schmach für einen Filmemacher mit einem Film im Wettebewerb nicht der Verriss - den leistet die Jury nicht (ob aus Höflichkeit oder politischen Gründen) - das Allerschlimmste ist die Nicht-Erwähnung! Wer dabei war, will wenigstens ein Mal seinen Namen hören und sei es nur in einem solch tragisch zweideutigen Satz wie "Positiv überrascht hat uns der Film von..."

Wer schon mal VOR einer Jury saß, der weiß auch, sie ist schweigsam, geheimnisvoll wie die Sphinx und beängstigend bis zum Punkt, dass man das Augenbrauenzucken oder eine nervöse Geste beginnt zu deuten:
„Könnte das Lächeln meinen Sieg bedeuten? Haben wohl alle Jurymitglieder gut gegessen und getrunken, um sich jetzt ganz und gar auf die Kunst zu konzentrieren? Drückt die Blase auch nicht? Haben sie gut geschlafen die Nacht vorher, ist auch nicht eine Katze gestorben oder die Frau fremd gegangen, damit sie meinen verwackelten Film ohne Musik und Schnitte auch würdigen können? Sind sie wohl eher subjektiv oder objektiv, kann man als Subjekt eigentlich objektiv sein? Oh Gott, kann man gar nicht! - also dann werden sie meinen Film mögen oder eben nicht - so einfach ist das - und nur weil der ihn mag und der andere nicht, oder weil der meine Filme davor schon gehasst hat und den neuen morgens um 9 nur widerwillig über sich ergehen ließ, bekomme ich dann den Preis nicht - das kann doch wohl nicht wahr sein! So kann man mit Kunst doch nicht umgehen, so ein blöder Penner dieses Jurymitglied, wenn ich den mal im dunklen Kino treffe dann..."

So geht es im Kopf eines Filmemachers vor sich. Was im Kopf eines Jurymitglieds vorgeht, das können alle wieder auf der Berlinale versuchen herauszufinden. Ich wünschte, die „Omerta" der Jurymitglieder würde am Ende des Festivals aufgehoben und der Präsident der Jury würde sagen: „Gott, war XY ein Scheißfilm!" oder auch „Ich bin gerührt, schockiert und TOTAL begeistert", statt eine „lobende Erwähnung" auzusprechen.
Wird wohl wieder nicht passieren. Aber dafür gibt es ja uns - die ganz und gar objektiven Berichterstatter vom Festivalblog! Kompetente Schreiber, die offen, belesen und geistreich sind, die vielseitig interessiert, undogmatisch, immer wach, nie hungrig oder gestresst sind, die stets nach dem Neuen suchen und das Alte nicht aus dem Blick verlieren, die wissen was sie mögen ohne auszuschliessen, was sie noch nicht kennen, die gut aussehen und dabei nicht oberflächlich sind, die immer nach dem Kern der Dinge suchen und das Große und Ganze immer beachten, die.... usw. usf.

Kommentare ( 1 )

heissen alle festivalblogschreiber jesus ? ;)

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