Britspotting 2006
Großartig! A Cock and Bull Story von Michael Winterbottom

tristramshandy_24A-rC7.article.jpg

Auf der Berlinale noch mit seinem politisch anspruchsvollen, aufrüttelnden Film "The Road to Guantanamo", ist Winterbottom beim Britspotting Festival mit einem Beitrag vertreten, der kaum weiter entfernt von einem Film über entrechtete Häftlinge und Folter sein könnte. Eine grandiose Komödie über das Leben, die Kunst, den Film und die Vermessenheit, das Leben in Kunst abbilden zu wollen.

"A Cock and Bull Story" ist vorgeblich die Verfilmung von Lawrence Sternes Roman: Das Leben und die Ansichten Tristram Shandys, von 1760, dem ersten postmodernen Roman, bevor es überhaupt die Moderne gab. Das Buch galt als unverfilmbar, aber Winterbottom gelingt es, indem er es erst gar nicht versucht.

Winterbottoms Film will ein Buch verfilmen, das am Ende zugibt, dass es nur ein gescheiterter Versuch ist, das eigene Leben zu beschreiben. Der Film rettet sich, indem er zu einer Geschichte über das Scheitern einer filmischen Literaturadaption wird und am Ende nur noch über sich selbst spricht: Über scheiternde Regisseure, egozentrische Schauspieler, über ausfallende Haare, sich gelb verfärbende Zähne, über Cocks and Bulls. Das ist so witzig schräg und leicht, dabei zugleich tief philosophisch und wahrhaftig, wie ich es lange im Kino nicht mehr gesehen habe. Indem sich der Film in Details und menschlichen Makeln verliert, spricht er über das Leben, über den Anspruch und über die Esszens desselben. Der Rest ist Konstruktion und blosse Nachahmung des Lebens in der Kunst.

Doch, um mit Tristram Shandy zu sprechen: I am getting ahead of myself. Erst Mal will ich die Struktur des Films erläutern und zeigen, wie alles mit allem zusammenhängt: ganz wie wir Menschen es immer machen, wenn man etwas unfassbar Grosses und Komplexes zu fassen versucht...

Wie kann man überhaupt glauben, dass es gelingen kann, das eigene Leben in einem Buch festzuhalten? Auch wenn man all die selbstveliebten und verlogenen Autobiographien der Welt läse, das Leben hätte man doch nicht begriffen - ganz davon zu schweigen, dass die Autoren behaupten können, sie hätten IHR eigenes Leben erfasst.
Es ist eigentlich ganz einfach: Das Leben ist zu groß für die Kunst; woraus es letztlich besteht, ist der Körper, das Verlangen und der Verfall - der Rest ist Konstruktion und Nachahmung.

Sternes Roman ist auf den ersten Blick die Lebensgeschichte von Tristram Shandy einem Mann im England des 18. Jahrhunderts. Und der Film ist auf den ersten Blick die Verfilmung dieses Romans. Aber was beides wirklich ist: eine Groteske, eine anarchische Autobiographie, die grandios am eigenen Leben scheitert. Eben weil es zu groß ist.
Am Ende von gut 700 Seiten ist der Autobiograph gerade mal bei seiner eigenen Geburt angelangt.
Tristram erzählt in Exkursen, Erläuterungen und Zwischenbemerkungen, wie dies zu jenem kam, warum er erst noch dieses schildern muss, bevor er wirklich beginnen kann, doch vorher muss er noch erwähnen, dass Jenes geschah, bevor er wirklich beginnen kann, von seinem Leben zu erzählen. Was er nie tut.

auf dem bett.jpg

Wir können nicht alles zeigen, also reden wir über Teile, und wenn auch die noch zu gross sind, reden wir über Details, aber wenn auch deren Zusammenhänge noch zu weit sind, reden wir doch über uns selbst. Das ist auch in etwa der Kurs des Films: Er zeigt die Menschen (nette Regisseure und neurotische Schauspieler, die immer nur Bestätigung suchen, fassbinderbegeisterte Assistentinnen, die flachgelegt werden wollen, egozentrische Codarsteller, die Hauptdarsteller werden wollen, Komparsen, die eine Schlacht 100%ig korrekt zeigen wollen, und so weiter und so weiter), er zeigt die Menschen, wie sie sind, im Gegensatz zu dem, was sie reden oder wie sie sich darstellen.

Am Ende reden sie über ihre Nasengröße und was man mit einer anderen Nase alles hätte sein können. Da sind sie dann "dem Leben" am nächsten, dem Kern dessen, was wir sind, wenn man das ganze kulturelle Gesäusel und die ganzen intelektuellen Konstruktionen und Kopfgeburten vom richtigen Leben weglässt, wenn man die Vermessenheit unterlässt, das Leben mit der Kunst zu zeigen.

Jetzt habe ich kaum vom Inhalt des Films gesprochen. Aber all das steckt darin, ja wohl! Der ist gleichzeitig zu gut, zu gross, zu lustig, um behaupten zu können, ihn mit ein paar Zeilen zu beschreiben - das wenigstens habe ich nach 90 Minuten begriffen.

Grandioser Film, englischer Humor, Lies, Sex and 35mm Tape, Kostüme, Schlachten, ein Uterus und ein Schauspieler darin über Kopf, eine verlorene Vorhaut, Scully aus X-Files, Affären, gelbe Zähne und Al Pacino Imitatoren - davon handelt der Film, na und von Arroganz und der Liebe natürlich, aber auch von Neid und Konkurrenz, auch vom Intellekt und Beobachtungen dritter Ordnung und von Tristram Shandy und seiner Zeit, dem Film, den er damals gamacht hätte und von....

poster.jpg

Credits: Regie: Michael Winterbottom, Cast:
Steve Coogan als: Tristram Shandy/Walter Shandy/Steve Coogan
Rob Brydon als: Toby Shandy/Rob Brydon
Raymond Waring: Trim
Dylan Moran: Dr. Slop/Dylan Moran
Keeley Hawes als: Elizabeth Shandy/Keeley Hawes
Gillian Anderson: Widow Wadman/Gillian Anderson

Kommentare ( 1 )

yep. ein wirklich gelungener film vom vielseitigen winterbottom. hab ihn in san sebastian gesehen. meine kleine kurzkritik gibt es hier:
http://www.festivalblog.com/archives/2005/09/a_cock_bull_sto.html

Kommentiere den Film oder den Eintrag

Impressum