Retrospektive: Letjat schurawli (Wenn die Kraniche ziehen) von Michail Kalatosow

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Ein russischer Film aus den Fünfziger Jahren bei der Berlinale: Ist das nicht ein bisschen trist als Freitagabendgestaltung? Könnte man meinen, aber wie so oft folgt eine Überraschung: Der Film „wenn die Kraniche ziehen“ ist ein sowjetisches Drama vom 1958, dass vor allem durch eine unglaublich variable Kameraführung – schnelle Schwenke, Vogelperspektive , Handkamera inklusive – besticht. Der Film wirkt so modern, als sei er seiner Zeit locker um 20 Jahre voraus.

Auch die Geschichte wird von Anfang an bemerkenswert unabhängig und frei von Klischees erzählt, die man bei einer Story nach dem Muster „tragische Liebesgeschichte im Zweiten Weltkrieg“ erwarten könnte. Schließlich sind erst vier Jahre vergangen in Russland seit Stalins Tod und der Ära der jahrelangen Überhöhung des „großen vaterländischen Krieges“ auch im Film. Schon die erste Szene ist großartig: Die beiden Verliebten, Boris und Veronika treffen sich, umarmen sich leidenschaftlich. Und dann ziehen Kraniche am Himmel, die beiden schauen theatralisch hinauf und Boris wird poetisch; doch dann naht leider ein Reinigungswagen, der die Straße bewässert - und dann auch die beiden Schwärmenden, die klatschnass aus ihren Träumen gerissen werden: „Da hast Du Deine Kraniche“, sagt Veronika.

Dann ist Krieg, und Boris meldet sich freiwillig. Überstürzt muss er an die Front, Veronika schafft es nicht rechtzeitig zum Sammelpunkt, um sich zu verabschieden: Ein tragisches Missgeschick, sie wird Boris nie wieder sehen. Bei einem Bombenangriff sterben ihre Eltern, sie geht zu Boris´ Familie. Dessen Bruder verliebt sich und zwingt sie in eine Beziehung, die sie nie akzeptiert. Verzweifelt wartet sie auf Nachricht von Boris, dass er schon gefallen ist weiß sie nicht. Selbst als ein Kamerad schließlich die Nachricht überbringt, glaubt sie nicht an seinen Tod. Noch im Moment des sowjetischen Sieges kommt sie voller Erwartung zum Empfang der Heimkehrer zum Bahnhof. Mit einem Blumenstrauß sucht sie verzweifelt ihren Boris, irrt endlos durch die Menge, meint ihn immer wieder zu erkennen, aber findet ihn nicht. Erst als ihr ein anderer Soldat ein Foto gibt, das er von Boris vor dessen Tod bekommen hatte, nimmt sie das Schicksal an.

Etwas traurig für einen Freitagabend, dieser schöne Film, aber auch ein Berlinaleerlebnis. Und dann auf dem Nachhauseweg noch eine absurde Szene: Im fahlen Licht des Mondes steht geisterhaft das Gerippe des ehemaligen Palasts der Republik. Unter der Brücke treiben dicke Eisschollen auf der Spree. Und auf dem schmalen Streifen zwischen Spree und Palast rast einsam und emsig ein Ein-Mann-Bagger mit Halogenscheinwerfern herum. Blitzschnell saust er vor und zurück, trägt Schutt ab: Als ob dieser kleiner Bagger den Palast allein abreißen will. Es ist doch schon elf Uhr? Surreal, der beste Kurzfilm der Berlinale.

Kommentare ( 1 )

"Wenn die Kraniche ziehen" ist auch meines Erachtens einer der besten sowjetischen Filme der 50er. Habe diesen Film in DDR-Zeiten als Schulkind in einem alten Kino in einer märkischen Kleinstadt gesehen und schon damals hat er mich ungeheuer beeindruckt, besonders das Klavierspiel im zerschossenen Haus und jene berühmte Szene, in der die Kamera hochschwenkt in den Himmel zu den Birkenkronen und dann durch das beginnende Drehen Schwindel erzeugt. Die Schlussszene brachte damals das gesamte Kinopublikum zum Weinen...
Der kleine Bagger ist wahrhaft surreal. Offenbar braucht es lange um Veränderungen der besonderen Art herbeizuführen.

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