Panorama: Kann Shang Qu Hen Mei (Little Red Flowers) von Zhang Yuan

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Der vierjährige Qiang kommt in ein (Elite)Kindergarten und soll auf Kommando mit allen anderen kleinen Zöglingen Pippi machen, in Reih und Glied spazieren und zur befohlenen Zeit schlafen. Wenige Jahre sind vergangen seit der Gründung der Volksrepublik 1949. Anfangs lacht man über seine Ungeschicktheit, seine frechen Witze, seine kleinen Versehen. Rote Papierblumen bekommen die Kinder, wenn sie artig allen Anweisungen folgen und so pflegeleichte, funktionierende Mitglieder der Gesellschaft werden. Eine große Tafel prangt im Klassenzimmer mit allen Kindernamen, daneben die roten Blumen, die die einzelnen Kinder sich verdient haben, und Qiang starrt heimlich mit sehnsüchtigen Augen diese Tafel an, denn er wünscht sich auch eine rote Blume. Dong Bowen spielt die Figur so gut, dass jeder Zuschauer sich sofort in diese großen runden Augen verlieben muss. Er ist aufgeweckt und schlau, das passt nicht in Lehrerin Lis Welt, in die der Direktorin, in die einer konformistischen Gesellschaft.

Irgendwann bleibt einem das Lachen im Hals stecken, denn das Bettnässen zeigt seine Schwierigkeiten, sich anzupassen und seine Einsamkeit in der fremden Umgebung. Qiang wird ungewollt immer mehr zu einem kleinen Rebellen. Die Kinder nennen ihn Freak, er wird immer öfter wegen Verstößen bestraft, reagiert trotzig und widerspricht sogar der Lehrerin. Weil er sich nicht alleine anziehen kann, muss er in der Mitte des Zimmers vor allen Kindern stehen, bemüht sich vergeblich, sein Pullover selbst auszuziehen und wird ausgelacht – die Lehrerin ermutigt die anderen dazu. Ein Kinderstreich und Kinderfantasie werden in dem Kindergarten „Verschwörung“ genannt, und das Verraten anderer wird ausdrücklich gelobt. Als letzte Bestrafung kommt er in „Isolierhaft“, die anderen dürfen danach nicht mehr mit ihm sprechen oder spielen: er wird ausgegrenzt.

So offensichtlich kritisch wirkt dieser Film gar nicht, aber das wundert nicht. Der Film wurde in der Volksrepublik China gedreht und wird sicherlich mehrere offizielle Stationen zur Begutachtung durchlaufen, bevor er dort überhaupt gezeigt werden darf. Koproduziert wurde er mit italienischen Geldgebern, dabei das staatliche italienische Fernsehen (RAI) (vielleicht deshalb die manchmal etwas zu dramatische musikalische Untermalung – stellenweise jedoch virtuose und einfühlsame Streicher).

Als Vorlage dient der erste Drittel von Wang Shuos gleichnamigen Roman, und Wang gehört keinesfalls zum konformen institutionalisierten Kunstbetrieb. Er ist einer der meist gelesenen jungen Autoren Ende 80er bis Anfang 90er, rebellisch und bekannt hier für Oberchaoten oder Herzklopfen heißt das Spiel. Eigentlich bedeutet der Titel dieses Films und des Buches wörtlich übersetzt: „Es könnte schön sein.“

Der Regisseur Zhang Yuan gehört zur so genannten Sechsten Generation der chinesischen Regisseuren, zählt zu den wenigen unabhängigen Filmemachern mit relativ unabhängigen Geldgebern. Er drehte 1994 eine Doku zum Tiananmen Platz, 1996 wurde ihm die Ausreise zu den Festspielen in Cannes verweigert – East West Palace war der erste Film über Homosexualität in der Volksrepublik. Er behandelte ebenfalls die Themen Behinderung und Alkoholismus in der Familie, nicht gerade etwas, worüber man sich offen auseinandersetzt in der chinesischen Gesellschaft. Mit seinen letzten Filmen hatten einige ihm vorgeworfen, er hätte sich dem System angepasst. Er wich bei der heutigen Q&A Session plumpen Fragen geschickt aus, die seine rebellische Haltung enttarnen sollten. Die Interpretation liege doch im Auge des Betrachters, meinte er lächelnd.

Der eigentliche Titel sagt schon viel aus. Es könnte schön sein - wenn man sich dem System anpasst. Diese scheinbar so harmlose Kindergartengeschichte ist eine Parabel. Der Autor muss nicht unbedingt die Kulturrevolution oder das Tiananmen Massaker vor Augen gehabt haben. Wie die chinesische Gesellschaft und der Staat heute noch mit Andersdenkenden oder nicht anpassungsfähigen Menschen umgeht, sickert immer wieder in westliche Medien durch.

Kommentare ( 1 )

Sehr gut recherchiert : )Pass auf dass der Artikel nicht wieder geklaut wird.

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Titel

Orignaltitel

Kan Shang Qu Hen Mei

Englischer Titel

Little Red Flowers

Credits

Regisseur

Zhang Yuan

Schauspieler

Dong Bowen

Chen Manyuan

Zhao Rui

Li Xiaofeng

Ning Yuanyuan

Land

Flagge ChinaChina

Flagge ItalienItalien

Jahr

2006

Dauer

92 min.

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