Cool Charlotte - die diesjährige Präsidentin der Jury

Eine Britin, geliebt im französischen Film? Unerhört! Aber es handelt sich um Charlotte Rampling.


Charlotte Rampling ist der Beweis dafür, dass man ohne jegliche chirurgische oder sonstigen Eingriffe mit 61 noch fantastisch und sexy aussehen kann. Sie macht gerne einen großen Bogen um Hollywood, wobei sie aber eine Rolle im kommenden Basic Instict 2 angenommen hat. Dem Drehbuch konnte sie einfach nicht widerstehen, außerdem sei ja der Regisseur ein Schotte, Michael Caton-Jones, wie sie in einem Interview mit der Londoner Times anmerkte. Wer ihre bisherige Filmografie kennt, wird sich nun am Kinn reiben – sollte man nicht vielleicht doch diesen Film ansehen?

1945 wurde sie in Essex geboren. Durch den Beruf ihres Vaters, Offizier bei der NATO, lebte sie mit ihrer Familie einige Jahre in Paris, wo sie eine exklusive Mädchenschule besuchte, später in England ebenfalls. Sie begann mit einer Tippsenausbildung, weil ihr Vater keinen Gesangsunterricht erlaubte, und wurde im Sekretariat „entdeckt“. Mit 19 machte sie eine Werbung für die englische Schokoladenmarke Cadbury, und bald bekam sie einen winzigen Auftritt als Wasserschi-Läuferin in The Knack (1965), einem albernen Swinging 60s Film von Londoner Mods und Rockern. Es folgte eine weitere Rolle in Georgie Girl (1966), von da an kamen die Schauspielaufträge, und den Modelberuf konnte sie an den Nagel hängen.

Sie beschloss dem britischen Film weniger Aufmerksamkeit zu schenken, die Rollen waren ihr nicht komplex genug, Frauen seien damals meist nur als sexy Accessoires gedacht. Sie spielte neben Franco Nero und landete in La Caduta Degli Dei oder The Damned (1969) von Luchino Visconti. Neben Sean Connery ist sie im Sci-Fi Zardoz (1974) von John Boorman zu sehen, als ihr nächster Film endgültig wie eine Bombe einschlägt. Il Portiere di Notte (1974) von Liliana Cavani ist kontrovers und skandalös. Dirk Bogarde spielt einen ehemaligen SS Aufseher von einem Konzentrationslager, in dem Charlotte Ramplings Figur ihm ausgeliefert ist. Dreizehn Jahre nach Kriegsende trifft sie auf ihren ehemaligen Folterer als Nachtportier in einem Wiener Hotel, und ausgerechnet mit ihm beginnt eine sadomasochistische Liebesbeziehung. Im Lagerbordell sang sie mit ihrer dunklen Stimme ein deutsches Lied, große Männerhosen mit Hosenträgern stehen im Kontrast zu ihrem zerbrechlichen, mageren Körper, während sie mit ausgehungertem, verführerischen Blick noch eine SS-Mütze trägt, lange schwarze Handschuhe noch an den dünnen Armen, fest im Griff eine „weiche“ Peitsche. Einige empfanden den Film als neofaschistisch, andere standen mitten in der Vorstellung auf, zu geschmacklos. Andere wiederum sahen sie darin in ihrer besten Rolle.


Orca (1977), der Killerwal - ?! Da spielte sie tatsächlich auch mit. Nun, ihre Söhne fanden sie darin ganz super, wenigstens zwei Fans. Die Geschichte von einem rachesüchtigen Killerwal, der durch den Holzplankenboden von einem Pfahlhaus das Opfer riechen und hören kann, sogar dadurch springt und sich es schnappt. Nicht weniger absurd ist die Geschichte von Max mon amour (1985) von Nagisa Oshima, in dem sich Charlotte Rampling als französische Gattin eines britischen Diplomaten sehr glaubwürdig in den Schimpansen Max verliebt wie auch umgekehrt, eine weitere Provokation sexueller Tabus.

Ihre perfekte Beherrschung von Französisch und Englisch bescheren ihr eine Fülle von interessanten Rollen. Eigensinnige, ungerade und widersprüchliche Figuren haben es ihr angetan. In Woody Allens Stardust Memories (1980) ist sie zwei Tage im Monat liebenswürdig und liebevoll, die restlichen 28 Tage ein nervliches Junkiewrack. Sie taucht auf in Filme von Sydney Lumet, Claude Lelouch, Alan Parker, Tony Scott; sie spielt neben Michel Serrault, Michel Piccoli, Jean-Louis Trintignant, Paul Newman, Robert Mitchum, Mickey Rourke, Michael Caine, Stellan Skarsgård. Sie hat auch keine Scheu davor, mit unbekannten Regisseuren zu arbeiten, deren Filme sich später als großartig erweisen, wie mit Nae Caranfil in Asphalt Tango (1993). Sie wollte Robert Redford ein Küsschen geben, und das klappte dann im Film Spy Game (2001).

Im Alter erscheint sie uns würdevoll und losgelöster als in ihrer Jugend. Sie hat scheinbar eine tiefe Krise überwunden, den frühen Tod ihrer älteren Schwester, die Trennung von ihrem zweiten Mann Jean-Michel Jarre, mit dem sie zwanzig Jahre lang verheiratet war (beide hatten ein Kind aus erster Ehe mitgebracht, dann ein gemeinsames Kind bekommen, der jetzt ein junger Zauberer ist – David Jarre). In François Ozons Swimming Pool (2003) spielt sie eine verklemmt, scheinbar frigide britische Schriftstellerin, die bei ihrem Aufenthalt im südfranzösischen Haus ihres Verlegers durch die Anwesenheit von dessen jungen, wilden Tochter, gespielt von Ludivine Sagnier, auftaut und sich innerlich entspannt. Es ist ihr zweiter Film mit Ozon (Under the Sand (2001)). In einem Interview mit The Guardian erzählt sie, dass sie in dem Film nicht umsonst Sarah heißt. Ihre Schwester Sarah hatte fast vierzig Jahre zuvor Selbstmord begangen, all diese Jahre hatte sie ihrer Mutter zuliebe auf Bitten ihres Vaters immer nur von Gehirnblutung als Todesursache gesprochen. Außer ihren Mann Jean-Michel Jarre hatte sie niemand in ihr Geheimnis einweihen können. Vor der Arbeit in Swimming Pool war ihre Mutter gestorben, und plötzlich konnte sie frei darüber sprechen und ihrer Hauptfigur den Namen der Schwester schenken.

Diese Figur tritt hell aus der langen Reihe düsterer Frauenrollen, die sie bisher gespielt hatte. Ihren kühlen, leicht herablassenden Blick hat sie nicht verloren, doch hat ihr sonst so ironischer Zug eine gewisse gutmütige Komik dazu gewonnen. „Jade gaze“ nannte das Dirk Bogarde, denn Jade ist einer der härtesten Halbedelsteine überhaupt, unnachahmlich die Farben und das Alter schwer zu bestimmen. In fast allen Rollen wirkt Charlotte Rampling gelassen, ist nie unbeherrscht. In gewisser Weise ähnelt sie Catherine Deneuve, beide wirken unerschütterlich und kaum aus der Fassung zu bringen (beide legten die Unbeschwertheit in ihrer Jugend ab, sie hatten beide mit 20 ihre ältere Schwester auf tragische Weise verloren – aber das zu untersuchen soll sich ein Psychologiedoktorand zur Aufgabe machen).

Bis Sommer 2006 müssen wir uns auf ihren nächsten interessanten Filmauftritt gedulden. In Dominik Molls Lemming (2005) spielt sie neben Charlotte Gainsbourg die bitchy Frau vom Boss. Aber zur Zeit ist sie immerhin ganz nahe bei uns – als Jury Präsidentin der Berlinale Festspiele 2006.

Woody Allen sagte einmal, zu jeder Dinnerparty sollte man Franz Kafka und Charlotte Rampling einladen.

“I think about you all the time
I love myself till I go blind
I hear the muzak of Jean Michel Jarre
In every elevator ---
In my dreams
I always wanted to be your trampoline
Charlotte Rampling…” Kinky Machine (1994)

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