Panorama: „Inside Deep Throat“ von Randy Barbato & Fenton Bailey

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Die „Mutter“ aller Pornofilme

Der Übergang war gewagt: Bin vom ernsten, schweren deutschen Stoff in „Sophie Scholl - Die letzten Tage“ (Review oben) direkt in diese Dokumentation. Aber man kann recht schnell umschalten, bei so einer Thematik wie dem erfolreichsten Porno, der je gedreht wurde: Deep Throat
In Gesprächen vor dem Film hörte ich häufig die Frage: „Hast DU schon mal Deep Throat gesehen? Warst Du mal in einem Pornofilm?“ Auch die amerikanischen Regisseure baten das vorwiegend deutsche Publikum um Handzeichen, wer schon Mal Fellatio auf einer Kinoleinwand gesehen habe. Es waren erstaunlich viele auch solcher Besucher, die wirkten, als wenn sie sonst eher den chinesischen Ungerground-Film oder den nächsten Ken Loach besprechen. Und noch etwas wirkte anders als sonst auf der Berlinale. Ungewohnte Typen, sehr braungebrannte, breitschultrige Herren, seeeehr blonde Damen in stoffarmen Kleidchen hatten sich unter das übliche Berlinale Völkchen gemischt und wurden tüchtig von der zahlreich erschienen Presse abgelichtet.

Deep Throat war der erste Hardcore Porno, der Anfang der 70er ein breites Publikum erreichte, weil er als Komödie angelegt war und versuchte, so etwas wie eine Geschichte zu erzählen. Dass sich der Film ausserdem auc
h um die sexuelle Befreiung der Frauen verdient gemacht hätte, wie von den Filmemachern behauptet, weil es in ihm um die Suche einer Frau nach sexueller Erfüllung gehe, diese These kann ich nicht so richtig bestätigen. Die Story von Deep Throat ist dem Genre sehr angemessen: „Linda Lovelace“ sucht sexuelle Erfüllung und wird fündig, als sie vom Arzt erfährt, ihre Klitoris im Hals zu haben. Von da an vollbringt sie eine Art Schwertschluck-Kunststück bei der Fellatio und findet, was sie sucht. Diese (beeindruckende) Szene war dann auch die einzig echte Pornoszene in der Dokumentation. Ansonsten traten viele fett und vom Drogenmissbrauch gezeichnete Damen und Herren auf und erzählten über damals, als der Pornofilm für die breite Masse geboren wurd, die kurze Zeit bevor es eine jährlich 100erte von Millionen Dollar verdienende „Rein-Raus“ Großindustrie wurde. Die Macher von damals begriffen sich tatsächlich als Rebellen gegen Doppelmoral und Verklemmtheit und wurden von vielen auch so wahrgenommen. Deep Throat ist ein Symbol gewesen für die Freiheit sich die Filme im Kino anzusehen, die man möchte, eben auch einen Sexfilm. Er hat ausserdem Sexpraktiken vorgeführt, die in einigen US-Staaten noch heute unter Strafe stehen.
Deep Throat erregte 1972 soviel Aufsehen, dass er in großen Zeitungen wie der New York Times und Variety besprochen wurde. In Folge lockte er „ganz normale Leute“ ins Kino. Auf sein Verbot und die folgenden Prozesse folgten Solidaritätskundgebungen, auf denen Jack Nicholson und Warren Beatty auftraten. Selbst Jackie Kennedy wurde beim Verlassen des Kinos gefilmt.
Deep Throat hat bis heute geschätzte 600 Millionen Dollar eingespielt. Er ist damit zum erfolgreichsten Film (nicht nur Pornofilm) aller Zeiten geworden.
Die Kehrseite der Geschichte: Keiner der Beteiligten, nicht die Schauspieler, nicht Regisseur oder Produzenten, haben je von diesem Erfolg finanziell profitiert. Das gesamte Geld versickerte in Mafia-Kanälen. Kinos, die den Film zeigten, wurde 50% der Einnahmen als Schutzgeld erpresst, jede einzelne Kopie des Films wurden von sogenannten Checkern in die Kinos gefahren und die Einnahmen überwacht. Die Darsteller und Produzenten dagegen erging es nicht nur finanziell schlecht. Der damals beginnende Kulturkampf der Rechten gegen „Unmoral“ und Pornographie hat die Leben aller Beteiligten vor allem der beiden Hauptdarsteller durcheinandergewirbelt und beinah zerstört. Die Republikaner in den USA wollten an Deep Throat ein Exempel statuieren. Sie erreichten nicht nur, dass Gerichte die Vorführung des Films in fast allen Bundestaaten verboten, sondern sie überzogen alle Beteiligten und alle, die bei Verleih und Verkauf beteiligt waren mit Prozessen, die darin gipfelten, dass der Hauptdarsteller Harry Reems (der für seinen Auftritt 250 $ bekommen hatte) der Verschwörung angeklagt und tatsächlich zu Gefängnis verurteilt wurde.
Das Klima ist in den heutigen USA ist laut Aussage der Filmemacher wieder so wie Mitte der 70er: Restriktiv, verklemmt, voller Doppelmoral. „Obwohl diese Zeit erst 30 Jahre zurückliegt, hatten wir das Gefühl eine historische Dokumentation zu machen, wie man sie auf eine jahrhundertealte Kultur anwenden könnte. Wir mussten feststellen, dass viele Leute, die in den Film oder die Szene der sexuellen Revolution involviert waren, nicht mehr darüber sprechen wollten.“
Das Schlusswort hatte der damalige Ankläger, ein ehemaliger Prediger und noch heute Staatsanwalt. Er hielt das Klima in den USA heute sogar für noch besser als damals und meinte, wenn das Justizministerium nicht soviel mit Terroristen zu tun hätte, sähe es schon heute in Amerika anders aus. Schmutz und Schund ginge es aber sicher bald an den Kragen.
Danke Ossama!, wird man im San Fernando Valley, Sitz der US Pornoindustrie, da wohl jeden abend rufen.

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