Panorama: „2 oder 3 Dinge, die ich von ihm weiß“ von Malte Ludin

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*Buch&Regie: Malte Ludin *Kamera: Franz Lustig *Musik: Werner Pirchner, Hakim Ludin, Jaroslav Nohovica *Produzentin: Iva Svarcová *Web: www.2oder3Dinge.de KINOSTART: 7. April 05

Wieder eine typische Berlinale Kombi. Erst dieser Film vom Sohn eines hingerichteten Nazi Kriegsverbrechers über seine Familie, die NICHT mit den Taten des Vaters umgehen kann bis heute. Und im Anschluss „Fateless“, der verfilmte Ausschwitz Roman von Nobelpreisträger Imre Kertez (Review siehe hier). Zwei Perspektiven, eine Leinwand.

Malte Ludins Film eröffnete mit dem Satz. „(...) eine typisch deutsche Geschichte.“ Ludin versucht den Schatten seines nationalsozialistischen Vaters filmisch abzuschreiten und interviewt deshalb drei Generationen seiner Familie: Die eigenen Schwestern und Schwager, Neffen und Nichten. Wer war Hans Elard Ludin? Und wer war und wer IST er in den Augen seiner Familie? Diese Frage traute Malte Ludin sich erst zu stellen als seine Mutter, quasi die Lordsiegelverwahrerin der Vater-Erinnerungen, gestorben war. Es gibt einige wenige Interviews mit ihr, die in den Film geschnitten sind, aber man meint, ihr Geist schwebe über dem ganzen Film.
Viele Kinder distanzieren sich von oder brechen im Verlauf ihres Lebens mit den Eltern. Entweder weil es unüberbrückbare Konflikte gibt oder man zu unterschiedliche Ansichten über die Lebensführung des jeweils anderen hat. Darum ist es so erstaunlich, warum es Kindern von Nazitätern so schwer fällt zu sagen: „Mein Vater/meine Mutter war ein Nazi und Täter!“

Diese Frage beantwortete Malte Ludin in der Diskussion nach dem Film: Er hat bis heute das Problem, mit der Tatsache leben zu müssen, dass sein Vater ein Verbrecher war und zugleich sein Vater; ein guter Vater. Von dieser Zerrissenheit handelt auch Ludins Film: Malte Ludins Schwestern können ihren Vater nicht „Täter“ nennen, nicht einmal „Beteiligten“ wollen sie ihn nennen. Für sie ist ihr Vater ein zu unrecht Beschuldigter, den sie noch nach 60 Jahren vermissen, ein anständiger Mann, der bis zuletzt seine Vorstellungen treu geblieben ist. Für sie ist die ganze Diskussion darüber müßig. Wie in Malte Ludins Film auf der Familienebene, wird ja auch in Deutschland die „Schlussstrich“-Debatte (ob Holocaust, Wehrmacht oder Mitläufertum ) meist von denen angestossen, die sich nie mit der Vergangenheit wirklich auseinandergesetzt haben.
Zahlreiche Dokumente, Zeugenaussagen und Forschungen, die sein Sohn Malte Ludin zitiert beweisen die Schuld dieses Mannes. Hans Elard Ludin war ein Nationalsozialist der ersten Stunde, hat schon vor der Machtergreifung einen SA Kameraden gedeckt, der einen Juden ermordet hatte und ist später als Botschafter in Bratislava verantwortlich für die Deportation und Ermordung 1000ender slowakischer Juden. All dies spielt für seine Töchter keine Rolle.
Es war aber erbärmlich als ein paar Zuschauer im Kinopublikum selbstgerecht und laut lachten, als die Schwestern sich mit Wischi-Waschi Formulierungen und auch körperlich vor der Kamera wanden, um nach den bohrenden Fragen ihres Bruders um eine klare Aussage zur Täterschaft ihres Vaters herumzukommen.
Malte Ludin kann sich in diesem Zusammenhang zugute halten, dass er eine wichtige Szene nicht aus seinem Film herausgeschnitten hat: In der Slowakei spricht er mit dem Dichter Tuvia Rübner, dessen gesamte Familie im Holocaust umgebracht wurde. Ludin traut sich zunächst nicht, seinen Namen zu sagen. Als er es tut, sagt der Mann ganz trocken: „Ach, dann ist ihr Vater also dafür verantwortlich, dass mir meine gesamte Familie genommen wurde.“ Darauf hin windet sich auch Malte Ludin, erwähnt die Namen anderer Täter und formuliert, sein Vater sei ja „nicht direkt physisch verantwortlich“ gewesen. Eine mutige diese Szene, die im Gedächtnis bleibt, weil auch der kritische Filmemacher die Verteidigungmechanismen seiner Familie nicht ganz abstreifen kann. Von der Familie sind zur Vorführung nur ein Neffe, eine Nichte und ein Schwager des Filmemachers erschienen. Die Schwestern zogen es vor, den Film nicht zu sehen.

Kommentare ( 2 )

Ich habe Film und Autor gestern in Kochel gesehen und bin ausgesprochen beeindruckt über den Mut dieses Mannes, die Öffentlichkeit an der nicht vorhandenen Bereitschaft seiner Familie teihaben zu lassen, diese "deutsche Geschichte" aufzuarbeiten.
Habe leider die i-mail Adresse von Hr. Ludin nicht gefunden. Er stellte gestern in den Raum, dass sowohl Psychologen wie auch Historiker kaum mit diesen generationsübergreifenden Thematiken umgehen können: Gute Familientherapeuten beleuchten genau diesen Aspekt in ihrer "Genogrammarbeit". Vielleicht kann man/frau ihm bzw. seiner Familie (?) diese Information zukommen lassen...

Vielen Dank noch für diesen äußerst interessanten Abend, habe kaum jemals Geschichte so lebendig erlebt.

Danke für die warmen Worte. Aber leider haben wir den Abend nicht organisiert, sondern ich habe nur vor zwei Jahren über den Film geschrieben. Falls es Sie interessiert: es gibt jetzt auch ein Buch einer Enkelin von Malte Ludin und die Familie (ihre Mutter taucht nicht im Film auf, hatte große Alkoholprobleme und Probleme mit der Familie). Sie heißt nicht Ludin mit Nachnamen, aber das das Buch vor kurzem erschienen ist, sollten sie heraufinden können, wie es heißt. Ich habe auch nicht die Email von Herrn Ludin, sie könnten aber sicher über die Produktionsfirma Kontakt mit ihm aufnehmen.
Herzlich, C. Westheide

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