Panorama: "Va, vis et deviens" (Geh, leb und werde!) von Radu Mihaileanu

Frankreich/Israel 2004 Regie: Radu Mihaileanu * Drehbuch: Radu Mihaileanu * Kamera: Remy Chévrin * Schnitt: Ludo Troch * Darsteller: Yael Abecassis, Roschdy Zem

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Groß! Ganz groß!

Panorama: Va, vis et deviens (Geh, leb und werde!) von Radu Mihaileanu

Groß, ganz Groß! Auftakt des Panoramas.
10 Minuten Standing Ovations nach der Vorstellung hunderte von vollgerotzten Taschentüchern und Jubelrufe. Ein großer Beginn des diesjährigen Panoramas!
Der wunderbare Film „Zug des Lebens“ hat den Regisseur Radu Mihaileanu vor einigen Jahren bekannt gemacht. Eine Holocaust-Komödie, wenn man es so nennen darf. Roberto Begninis bekam seinerzeit das Drehbuch von „Zug des Lebens“ zugeschickt, lehnte ab und machte zufälligerweise bald darauf seinen Film „Das Leben ist schön.“. Nun also wieder eine Geschichte über eine jüdische Odyssee:
Hintergrund des Films ist die Flucht der äthiopischen Juden aus ihrer Heimat Mitte der 80er Jahre in eine sudanesisches Flüchtlingscamp, wo sich wegen des Bürgerkriegs aber auch viele Christen und Muslime hingerettet haben. Die Israelis holen in einer Geheimaktion die Juden aus dem Lager und fliegen sie nach Israel. Eine Christin will ihrem Sohn eine Zukunft sichern und bringt ihn bei den abreisenden Juden unter. Nun heißt er Schlomo und kämpft fortan mit dem Geheimnis, seinem Heimweh und der Unwissenheit über das Schicksal seiner wirklichen Mutter.

Über eine Zeitspanne von etwa 15 Jahren begleitet der Film Schlomos Leben zwischen den Kulturen und Sprachen: In Äthiopien als Jude diskriminiert, in Israel wechselweise als „kein echter Jude“ (alle äthiopischen Juden werden von bestimmten jüdischen Rabbinern nicht als Juden anerkannt) oder als „Nigger“ beschimpft, die Adoptiveltern Schlomos sind linke französische Juden, die mit Gott nichts am Hut haben, obwohl der Glaube für Schlomo einziger Grund ist in Israel sein zu dürfen.
Im Hintergrund schimmert Israels Geschichte seit den 80ern - Irakkrieg, Oslo Frieden, dann wieder Intifada. Der Film ist fast zweieinhalb Stunden lang, aber keine Minute langweilig, aber auch nicht spannend im eigentlichen Sinn: Er ist tief bewegend ohne in Betroffenheitsschnulz abzurutschen, er ist bitter ohne moralinbitter zu sein, er ist humorvoll ohne dabei auch nur einen Augenblick die Melancholie und Traurigkeit, die Schlomos Leben bestimmt, abmildern zu können. Er hat nichts Mitleidsheischendes oder Gefühlsduseliges, sondern erzählt vom Erwachsenwerden eines Jungen, das durch Sprachenwirrwarr, Kulturclash, Religion, Politik und Geheimnisse erschwert wird.

Die Schauspieler bis in die Nebenrollen wunderbar besetzt, überzeugend und glaubwürdig. Die Musik dezent und unpathetisch. Dem Regisseur Radu Mihaileanu, dem schon beim kurzen Auftritt vor dem Film vor Ergriffenheit die Stimme versagte, war dieser Film eine Herzensangelegenheit. Das merkt man in jeder Einstellung.
Mein Favorit für den Panorama Publikumspreis bis jetzt. Alles, was noch kommt, wird es schwer haben.

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