Berlinale 2005

Nur eine kurze Unterbrechung....

berlinaletickets.jpg

Was bleibt ausser Bildern und Karten

Jetzt ist das Licht wieder an und Kinotag nur noch dienstags. Auch für uns ein schmerzhafter Cold Turkey. Aber holen Sie sich doch noch ein Getränk und stöbern in unseren Filmbesprechungen zur letzten Berlinale. Man kommt leicht wieder rein in den Groove. Viele der Filme werden auch ganz regulär bald gezeigt und somit lohnt sich das Lesen.

Und wenn dann alle besprochenen Filme weggeguckt sind, werden auch wir wieder da sein! Mit dem Blog zum nächsten Filmfestival. Sei es in Lübeck, London, Locarno oder Libyen. So lange: Watch & Wonder.

Ihre ::festivalblog-Redaktion

Die Bären: Preise der Internationalen Jury

bekanntgabe.jpg

So richtig zufrieden sahen Roland Emerich und Franka Potente nicht aus, als sie die Preise verkündeten. Der beste Film schien ein Kompromiss. Bei Publikum und Presse war ganz klar der politische Film Paradise Now der Favorit. So gab es bei Bekanntgabe des goldenen Bärens vereinzelt die üblichen Buh-Rufe.

Und hier die Gewinner:

Goldener Bär

U-Carmen eKhayelitsha (Südafrika) von Mark Dornford-May

Jury Grand Priz-Silbener Bär

Kong Que/Peacock (VR China)von Gu Changwei

Silbener Bär - Beste Regie

Marc Rothemund für Sophie Scholl - Die letzten Tage (Deutschland)

Silbener Bär - Beste Darstellerin

Julia Jentsch für Sophie Scholl - Die Letzten Tage (Deutschland)

Silbener Bär - Bester Darsteller

Lou Taylor Pucci für Thumbsucker.

Silberner Bär - Künstlerische Leistung

Tsai Ming Liang für das Drehbuch zu Tian Bian Yi Duo Yun/The Wayward Cloud (Taiwan/Frankreich)

Silberner Bär - Beste Filmmusik

Alexandre Desplat für De Battre Mon Coeur S´est Arrete/The Beat That My Heart Skipped (Frankreich)

Alfred-Bauer-Preis
(In Erinnerung an den Gründer der Berlinale, für einen Film, "der neue Perspektiven der Filmkunst" eröffnet)

Tian Bian Yi Duo Yun/The Wayward Cloud (Taiwan/Frankreich) von Tsai Ming Liang

Der Blaue Engel - (Bester europäischer Film)

Paradise Now (Niederlande, Frankreich, Deutschland)von Hany Abu-Assad

Die Preise der Unabhängigen

In dem gediegenen Ambiente der Saarländischen Landesvertretung wurden die Preise der Unabhängigen bekannt gegeben. Fast hatte man das Gefühl, auf der Berlinale konkurrieren nicht nur die Filme sondern auch Preise.
Innerhalb von einer Stunde mussten zehn Preise vergeben werden (und das waren noch nicht einmal alle).

kommen.jpg

Preisvergabe-Akkord: ein ständiges Kommen und gehen

Hier ein Aussschnitt aus der Preisvielfalt:
(die komplette Übersicht gibt es auf der Berlinale Seite)

Preise der Ökumenischen Jury
Bester Film im Wettbewerb: Sophie Scholl von Marc Rothemund

rothemund.jpg
Rothemund nimmt den Preis der Ökumenischen Jury entgegen

Bester Film in der Sektion Panorama: Va, Vis Et Deviens (Live and Become) von Radu Mihaileanu

Bester Film in der Sektion Forum: RatzitiLIhiyot Gibor/On the Objection Front von Shiri Tsur

Panorama Publikumspreis

Va, Vis Et Deviens (Live and Become) von Radu Mihaileanu

Teddy Awards

Bester Spielfilm: Un Año Sin Amor von Anahí Berneri

Bester Dokumentarfilm: Katzenball von Veronika Minder

Preise des Internationalen Verbands der Filmkritik („Fédération Internationale de la Presse Cinématographique“)

Wettbewerb: Tian Bian Yi Duo Yun/The Wayward Cloud von Tsai Ming-Liang

Panorama: Massaker von Monika Borgmann, Lokman Slim, Hermann Theißen

Forum: Nui Piu/Oxhide von Liu Jiayin

Dialogue en perspective
(TV5 und Deutsch-Französischen Jugendwerk für einen herausragenden Beitrag in der Sektion Perspektive Deutsches Kino)

Netto von Robert Thalheim

Leserjury-Preises der Berliner Morgenpost

Paradise Now von Hany Abu-Assad

Amnesty International Filmpreis

Paradise Now von Hany Abu-Assad

paradise_prize.jpg
Hany Abu-Assad mit dem ai-Preis. Besonders freute ihn der Leserjury Preis der Morgenpost, denn das zeige, dass sein Film vom Publikum angenommen werde.

Kosslick IV, die Berlinale endet morgen. Zwei Zeitungsreviews

"Eine Schande für das Land" findet die FAZ den Umgang mit Filmen:

Nach Ende der Berlinale werden diese Filme, vor allem die zahlreichen erschütternden, bemerkenswerten, lehrreichen oder mindestens interessanten Dokumentarfilme, die im Festival zu sehen waren, in keinem deutschen Kino zu finden sein, sowenig wie die kleinen Produktionen aus China, der Mongolei, der Ukraine, Kroatien oder Korea oder die Kurzfilme, die die langen Spielfilme nicht selten durch ihren Witz und ihr technisches Raffinement ausstachen. Kurz, die zehn Tage der Berlinale sind die einzige Zeit im Jahr, in der sich das Kino in Deutschland als ernstzunehmende, wichtigste, entsprechend gepflegte und angemessen präsentierte populäre Kunstform behauptet. Für das Festival ist das Grund genug, stolz zu sein. Für das Land ist es eine Schande.Die Filmfestspiele in Berlin zeigen, daß der erbärmliche Zustand der deutschen Kinokultur, die Monotonie des Programms, die Verwahrlosung vieler Kinosäle, die oft unzureichende Projektion oder wummernde Klangqualität sich nicht damit erklären lassen, daß das Publikum sich vom Kino abgewandt habe und, wenn es sich doch einmal zum Kinobesuch aufraffe, nichts sehen wolle als Mainstreamware. Die Berlinale ist ein Zuschauerfestival. Sie gibt also auch Auskunft über das öffentliche Interesse am Medium und an der Aktivität „Ins Kino gehen”. (der ganze Artikel hier)

Die FR meint: Man muss kein Prophet sein, um die chancenreichen Kandidaten auf die Bären zu benennen: Es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn Marc Rothemunds dem alten Hauff-Film Stammheim gar nicht so unähnliche Aktenverfilmung Sophie Scholl nicht prämiert würde, wenigstens für ihre lebendige Mitte, die allseits zu recht bewunderte Hauptdarstellerin Julia Jentsch.

El Inmortal - von Mercedes Moncada Rodríguez

Regie: Mercedes Moncada Rodríguez * Drehbuch: Mercedes Moncada Rodríguez *
Kamera: Javier Morón Tejero * Schnitt: Viviana Garcia, Mercedes Moncada Rodríguez

el_imm.jpg

Etwas langatmig und betont symbolhaft, aber gute Dokumentation einer Familie im Bürgerkrieg

Der von den USA in Nicaragua gegen die gewählte Regierung der Sandinisten initiierte und unterstützte Krieg war in den 80er Jahren wohl eines der großen Thema der Linken in Europa. Wie skrupellos und teilweise vollkommen ohne politische Motivation viele Nicaraguaner dabei selbst gegeneinander vorgingen, dokumentiert Mercedes Moncada Rodríguez in diesem Film über eine bäuerliche Familie aus Nicaragua, die bei einem Scharmützel zwischen Sandinisten und Contras zwei Söhne und eine Tochter durch Entführung an die Contras verlor. Der einzige "verbliebene" Sohn hat sich später den Sandinisten angeschlossen und damit quasi gegen seine Geschwister gekämpft. Drei dieser Geschwister (der älteste Bruder ist im Krieg gestorben) erzählen mit ihrer Mutter von den damaligen Erlebnissen.

Dabei kommen hauptsächlich die von den Contras entführten beiden Geschwister zu Wort, was auch prompt im Zuschauergespräch moniert wurde - wo sei denn der Standpunkt der Sandinisten? Aber dem Film geht es garnicht im die politischen Positionen, sondern viel einfacher, um die Praxis der Kindesentführung, Ausbildung und des Kampfes. Denn, so erschreckend es war, die drei Geschwister zeigten sich auch heute noch weitgehend unpolitisch.

Die Beteiligten erzählen meist in ruhiger Stimme, was vorgefallen war, ihre Erinnerungen sind präzise und werden lebendig vermittelt. Viele der grauenhaften Konsequenzen des Krieges werden dabei allerdings nur angedeutet: etwa die Vergewaltigungen der (auch kämpfenden) Frauen, die Brutalität, mit der Menschenleben aufs Spiel gesetzt werden (Geschwister durften eigentlich nicht zusammen kämpfen, denn es galt: wenn der eine stirbt, stirbt auch der andere, weil er immer versuchen wird, seinen Bruder oder seine Schwester zu retten).

Es ist ein interessantes Bild, das hier in geruhsamen und dicken Pinselstrichen von einem winzigen Dorf in Nicaraguagezeichnet wird. Etwas bemüht symbolisch quält sich ein bedrohlicher Lastwagen durch verschiedene Bilder, in dessen Windschutzscheibe "El Inmortal" geschrieben steht, der Unsterbliche. Er stehe für all das Übel und das Schlechte in Nicaragua, so die Regisseurin im Gespräch, das auch heute nicht verschwunden sei. Ihr Abschlussbild sei pessimistisch gemeint, aber der dann kaputte, von Pflanzen zugewachsene LKW wäre dann eher ein Symbol für Hoffnung? Vieles bleibt in diesem Film unklar. Unzweifelhaft aber ist, dass es Generationen benötigt, um die durch den Krieg Bruder gegen Bruder, Nachbar gegen Nachbar und Nicaraguaner gegen Nicaraguaner gerissenen Wunden wieder verheilen zu lassen. Das zeigt der Film eindrucksvoll.

Wettbewerb: Paradise now von Hany Abu-Assad

Niederlande, Frankreich, Deutschland 2005 Regie: Hany Abu-Assad * Darsteller: Kais Nashef, Ali Suliman, Lubna Azabal, Amer Hlehel, Hiam Abbass

3181_0003_Popup1.jpg

“Mit meinem Film kämpfe ich gegen die Besatzung und gegen das, was sie den Menschen antut“, sagt Hany Abu Assad, der Regisseur des viel beachteten Wettbewerbsbeitrags „Paradise now“. Was gibt es noch zu sagen über den Nahostkonflikt, womit kann sich ein Film jenseits der gängigen Klischees noch beschäftigen? Ich nicht längst alles gesagt, und sogar mehr als das? Abu Assad nimmt sich einem der umstrittensten Themen des Palästinakonflikts an, zu dem die Kunst in der Regel schweigt – wo sie es nicht tut, muss sie mit Skandalisierung oder dem Vorwurf der Naivität rechnen.

Als der schwedisch-israelische Künstler Dror Feiler in Stockholm Anfang 2004 ein Kunstwerk ausstellte, dass sich mit dem Thema beschäftigte, kam es zum Skandal. Unter dem Titel „Schneewittchen“ schwamm dort das Foto einer palästinensischen Selbstmordattentäterin auf einem Teich aus Blut; ein Begleittext enthielt Einzelheiten über die Biographie der Attentäterin. Das Werk zeigt mit den Mitteln der Groteske das Groteske der Tat. Aber nicht jeder Betrachter sah das Werk als Versuch, sich dem Phänomen der Attentäter anzunähern: Der israelische Botschafter war über das Gezeigte so erregt, dass er das Kunstwerk eigenhändig zerstörte. Ministerpräsident Sharon gratulierte ihm danach zu einem „mutigen Schritt gegen den Antisemitismus“.

Wer sich zum Thema äußert, begibt sich unvermeidbar auf vermintes Gelände. Hany Abu-Assad hat es trotzdem geschafft, einen relevanten Film über „Selbstmordattentate“ zu drehen – allein diese Feststellung macht den Film zu Recht nicht nur zu einem der politisch bemerkenswertesten, sondern wohl zu einem der wertvollsten Beiträge der diesjährigen Berlinale insgesamt. Er nähert sich dem umstrittenen Thema „Selbstmordattentate“ als menschlichem Phänomen und verweigert sich den gängigen Interpretationsmustern.

In der Regel gibt es zwei platte Erklärungen: Die eine – besonders in Israel populäre – Erklärung zeichnet die Attentäter als radikal indoktrinierte Mordmaschinen, deren religiöse Verblendung sie an den Eintritt ins Paradies nach vollbrachter Tat glauben lässt. Dieses Erklärungsmuster lässt keinen Platz für politische Motive, persönliche Verbitterung und das Gefühl der Demütigung. Die andere Erklärung, populär auch auf deutschen „Pro-Palästina-Demonstrationen“, macht es sich nicht weniger einfach: Allein die Besatzung sei schuld, die Grausamkeit der Israelis, die grenzenlose Verzweiflung und Armut der Palästinenser. Aber wer arm und verzweifelt ist, sprengt deswegen noch lange nicht unschuldige Menschen in die Luft.

Die ganze Diskussion um Selbstmordattentate ist ungeheuer politisch aufgeladen und wird auch meist sehr polemisch geführt. Abu-Assads völlig unpolemischer Film macht sich dagegen frei von einfachen Urteilen und pauschalen Argumenten. Er betrachtet im wesentlichen zwei Menschen, die sich zu einem Anschlag entschlossen haben und zeigt Kohärenz und Brüche in ihrer Haltung, in ihrer Biographie, in ihren Motiven und Überzeugungen. Dabei kommt es manchmal zu anrührenden, manchmal skurrilen Szenen, die dem Film nichts von seiner Glaubwürdigkeit nehmen. Den größten Wahnsinn fand Abu-Assad bei seinen Recherchen in der Realität; im Interview mit der „ZEIT“ erzählt er:

„Eine wirklich unglaubliche Geschichte handelt von einem Selbstmordattentäter, der zum Einsatz in Tel Aviv gefahren wird. Plötzlich steigt eine Frau zu ihm ins Auto. Es stellt sich heraus, dass sie ebenfalls einen Sprengstoffgürtel trägt. Daraufhin weigert er sich, den Auftrag mit ihr gemeinsam auszuführen, denn er ist davon überzeugt, dass das Töten Männersache ist, während die Frauen Leben schenken sollen. Beide werden furchtbar wütend und brüllen sich im Auto an. Sie beschimpft ihn als Frauenfeind, als Reaktionär, und sie besteht darauf, dass eine Frau das gleiche Recht hat, in den Tod zu gehen, wie der Mann. Das muss man sich mal vorstellen: Zwei Selbstmordattentäter in einem Riesenkrach über die Moderne, den Feminismus, die Geschlechterpolitik.“

Es sind solche krassen Brüche, die auch die Charaktere in Abu-Assads Film kennzeichnen. Sie sind weder gefühlskalte Monster noch religiös Fanatisierte, die vom sofortigen Eintritt in Paradies überzeugt sind. Es sind widersprüchliche Charaktere, deren Biographien stark von der Besatzung geprägt sind – was heute ohne Zweifel auf jeden jungen Palästinenser in der Westbank und besonders in Gaza zutrifft. Dabei macht es sich der Film nie so einfach, Selbstmordanschläge allein mit der schwierigen Lage der Palästinenser zu erklären. Aber er zeigt, dass das Gefühl der andauernden Erniedrigung, der Perspektivlosigkeit und des hergebrachten Hasses gegen „die Besatzer“ unabdingbare Grundvoraussetzungen sind. Die islamistischen Drahtzieher der Anschläge zeichnet Abu-Assad als Menschen, die hinter ihren Propagandaformeln kein menschliches Empfinden mehr bewahrt haben.

3181_0001_Thumb2.jpg Regisseur Hany Abu-Assad

Abu-Assad sagt von sich selbst, er sei „Pazifist“. Auch lässt der Film keinerlei Zweifel an der Tatsache, dass die Attentate moralisch falsch sind. Aber er nimmt die Motive der Attentäter ernst und versetzt sich in ihre Perspektive. Besonders das Ende von Abu-Assads Film ist dementsprechend wenig hoffnungsvoll. Es wäre einfacher gewesen, einen Film zu drehen, in dem alle Charaktere letztlich „bekehrt“ werden und zum gewaltlosen Widerstand übergehen. Dann wäre es ein Film geworden, der Hoffnung macht. Und ein Film, der sich der gegenwärtigen Realität verweigert.

Es wird auch bei diesem Film Stimmen geben, die Abu-Assad „Verständnis“ für die Selbstmordattentäter vorwerfen werden. Sollte er in Israel gezeigt werden, wird es lautstarke Proteste geben. Vielleicht wird wieder jemand versuchen, die Aufführung zu verhindern. Für Abu-Assad wäre das ein Erfolg: „Es wäre unglaublich, wenn die Isrealis einen Film sehen könnten, der Selbstmordattentäter als Menschen und nicht einfach als Monster porträtiert. Ich will Paradise Now aber auch in Nablus zeigen, wo wir viele Szenen gedreht haben. Leider gibt es dort kein Kino mehr...“

Forum: Violent Days - von Lucile Chaufour

Regie: Lucile Chaufour * Drehbuch: Lucile Chaufour * Kamera: Dominique Texler * Schnitt: Elisabeth Juster * Darsteller: Frédéric Beltran, Franck Musard, Francois Mayet, Serena Lunn

vd.jpg

Zwiespältig: Gute Musik, schöne Bilder, totale Leere


Vieles was Andreas in seiner Rezension über Ultranova geschrieben hat könnte man auch über Violent Days sagen. Auch hier ein Porträt von Langeweile, Leere, Ausweglosigkeit. Diesmal allerdings aus Frankreich und in einem zeitgenössischen Rockabilly/Rock´n´Roll-Setting.

"Violent Days" ist konsequent in schwarz/weiß-gedreht, denn die Zeit ist für die Figuren in den 60ern stehen geblieben. Mit Riesentolle, Jeans mit Schlag und gealtigen Koteletten trotzen sie dem Zeitgeist und machen "ihr Ding", eben den Rock´n´Roll. Bloß spielt der Film nicht in den USA der 50er oder 60er Jahren, sondern in einem ziemlich zeitgenössichen Frankreich. Das stellt natürlich die Verlorenheit und Unstimmigkeit dieses Lebensstils heraus.

Die Handlung ist schnell erzählt: Eine Clique von vier Männern und eienr Frau verbindet nicht nur ihre Liebe zur 50er Jahre Rock-Musik, sondern auch ihre Hintergrund aus der Arbeiterklasse. Und ihr gewaltiges Aggresionspotenzial. An einem Wochenende fahren Sie zu einem Rock-Konzert nach LeHavre.

Sonst passiert nicht viel, in diesem Film, der sich oft an der Grenze zur Dokumentation bewegt, wenn bspw. nicht mehr klar ist, ob die Besucher des Konzertes Schauspieler sind oder nicht. Die Leere und Langsamkeit der Handlung wird konterkariert von dem ständigen Aggresionspotenzial der Figuren und eben der guten, schnellen, schönen Musik. Das alles passt nicht wirklich zusammen, und genau das zeigt der Film auch in eindringlichen Bildern, die auch uns Zuschauer nicht vor dieser Leere und Langeweile bewahren. Denn es passiert nichts. Die fünf haben sich nichts zu sagen, sind ziemlich kaputte, verlorene Existenzen und der Konzertbesuch gerät beinah zur Freak-Show. Aber, und das ist die große Qualität des Filmes, werden die Figuren ernst genommen, werden zwar als Unsympathen dargestellt, aber nicht lächerlich gemacht, und es wird auch kein einfaches, positives Identifikationsmodell daneben gesetzt. Man ist einfach dabei, pseudo-dokumentarisch, bei einer Autofahrt von vier kaputten Existenzen, die eigentlich kein Leben leben, aber in ihrer Musik so tun können als ob.

Bei uns ist niemand eingeschlafen, ich war begeistert von diesem Film, Christian, Karen und Kathrin dagegen verwirrt bis gelangweilt. Daher Gesamturteil: zwiespältig.

Panorama: Ultranova von Bouli Lanners

Belgien, Frankreich 2004 Regie: Bouli Lanners * Drehbuch: Bouli Lanners * Kamera: Jean-Paul de Zaeytijd * Schnitt: Erwin Reyckaert * Darsteller: Vincent Lécuyer, Hélène De Reymaeker, Marie Du Bled

ultranova.jpg

Die Hälfte des Film habe ich verschlafen. Kann ich jetzt trotzdem darüber schreiben? Immerhin beweist es wie glaubwürdig der Film war, in seinem Versuch Leere, Langeweile und Ausweglosigkeit in der belgischen Provinz zu zeigen. Hier passiert nichts. Und wenn etwas passiert, dann ist es traurig. Zeigen können die Menschen in dem Film ihre Traurigkeit allerdings nicht. Leere lässt auch Traurigkeit nicht wirklich zu. Wie die Menschen, so die Landschaft: es ist Winter, keine Farben, alles grau. Mir ist als ob ein Vampir dem Film die Farben entzogen hätte.

In seiner Trockenheit erinnert Ultranova mich ein wenig an Detlev Buck mit "Wir können auch anders" oder "Karniggels". Oder an Kaurismäki. Unterschied: es gibt nicht wirklich was zu lachen. Und: es entwickeln sich keine grossen Geschichten im kleinen Universum der Akteure. Sie sind keine Helden des Alltags. Sie können dem grauen Nebel der Bedeutungslosigkeit nicht entkommen. Ausbruchsversuche fahren gegen die Wand.

Vielleicht sollte ich mir den Film noch einmal im Sommer anschaun. Vormittags und nicht in der Spätvorstellung. Berlin im Winter scheint mir der denkbar ungünstigste Augenblick. Zu wenig Kontrast. Im Sommer würde ich aus dem Kino kommen, eine Brise würde wehen und mit einer leichten Traurigkeit würde ich nach Hause schlendern.

Forum: Mahiru no hoshizora (Starlit High Noon) von Nakagawa Yosuke

Japan 2005 * Regie/Buch: Nakagawa Yosuke Darsteller: Suzuki Kyoka, Wang Leehom, Kashii Yu Musik: Sawada Joji

mahiru.jpg

Dieser Film ist nicht empfehlenswert, wenn man mit leerem Magen hingeht. Und tatsächlich geben die Produzenten zu, ja! wir hatten eigens dafür Food Production. Und einen Superkoch-Double. Denn der Hauptdarsteller Wang Leehom kann besser Musik machen als kochen: er ist im wahren Leben ein großer Popstar und Teenieschwarm in Ostasien. Seine Figur Lian Song ist ein Auftragskiller, der in Taipei „arbeitet“ und in Naha, Okinawa, der Muße nachgeht: kochen, schwimmen und Modellflugzeuge bauen. In diesem Refugium begegnet er Yukiko bei seinem wöchentlichen Besuch im Waschsalon und überwindet sich nach langem Beobachten, sie anzusprechen. Er lädt sie zum Essen ein, dem sie schließlich nach langem Zögern nachgibt. Doch soll er zurück nach Taipei. Man will ihn an das verfeindete Triadenlager zum Zeichen der Wiedergutmachung opfern, da Lian den gegnerischen Boss im Auftrag umgebracht hatte. Lian schreibt einen Brief an Yukiko, sie solle sich entscheiden: zum Flughafen kommen, dann würde er in Naha bleiben, oder er würde für immer nach Taipei gehen. Diesen Brief vertraut er der jungen Frau an, an die er täglich im Schwimmbad vorbeigeht – sie ist dort eine Angestellte, die ihn heimlich von ferne bewundert. Eifersüchtig schmeißt sie den Brief weg.

Im Film fällt entgegen unseren Erwartungen kein einziger Schuss. Er ist ruhig und voller Bilder der üppigen subtropischen Landschaft Okinawas. Samtige Brisen, warmes Sonnenlicht, leises Klingeln von Windspielen und das Meer, kein Wunder, dass Protagonist Lian sich hier in seinem Gaijin-Haus wohlfühlt (hier sind US Militärbasen und extra für sie errichtete Häuser). Er wirkt naiv und jungenhaft, fast tollpatschig, verliehen durch seine für asiatische Verhältnisse große Statur, und ist ein Träumer. Er will einmal in der Mittagssonne die Sterne sehen. Denn man erzählt sich, auf dem Himalaya wäre dies möglich. Gleichzeitig schwimmt er wie ein Berufssportler, geht geschmeidig gefährlichen Situationen aus dem Weg. Suzuki Kyokas Rolle spricht wenig. Ihre Mimik ist subtil, die Figur ist verhalten, und trotzdem erkennen wir die tiefe Trauer in einem einzigen Blick. Wir sehen eine leise Andeutung von Skepsis in ihrem Gesicht, als sie das taiwanesische Essen probieren soll, und den plötzlichen Umschwung in ein erstaunt begeistertes Aufleuchten. Sie ist im Gegensatz zu Wang Leehom eine ausgebildete Schauspielerin, die wir aus Radio no jikan kennen und in Blood and Bones mit Beat Takeshi sehen werden.

Der Regisseur nimmt sich viel Zeit, diese Geschichte zu erzählen. Sehnsüchtige Landschaftsbilder und unterschwellig erotische Essensszenen, bloß nichts überstürzen oder offen ansprechen. Kleine Gesten entscheiden. Ich muss die fantastische Musik von Joji Sawada erwähnen, endlich wieder Filmmusik: mit richtigen Instrumenten und richtiger Komposition. Gezielt eingesetzt, ohne zu sehr von der Handlung abzulenken.

Ein großer Wermutstropfen bleibt, denn wie soll dieser Film synchronisiert werden? Mir wurde erst bei einer Publikumsfrage bewusst, dass kaum ein Zuschauer merken konnte, wie Lian seine Monologe auf Mandarin führt und mit Bravour ins Japanische wechselt, wenn er sich mit Yukiko unterhält. In dem Film ist es völlig normal zwischen den Sprachen zu wechseln (und sie sind sich in keinster Weise ähnlich, auch nicht untereinander mit kantonesisch oder koreanisch). Es zeigt eine Form von „inter-connectedness“ in Ost- und Südostasien und erzeugt eine ganz eigene Atmosphäre, die mittlerweile in mehreren Filmen vorkommt – Fulltime Killer auf japanisch, kantonesisch, mandarin und etwas englisch, Comrades - Almost a Love Story auf kantonesisch, mandarin und englisch usw.

Nun denn, wem asiatische Sprachübungen zu umständlich sind, der soll sich einfach nur auf die schönen Bilder konzentrieren und sich den Duft vom Essen vorstellen.

Retrospektive: "Who is afraid of Virginia Woolf?" von Mike Nichols

2819_0001_Popup1.jpg

Richard Burton und Liz Taylor geben in diesem Klassiker das middle-aged Paar, dass sich in Kampf, Hass und Versöhnungsritualen durch das Ende ihrer Ehe schleppt. Ein anderes Paar dient ihnen für einen Abend als Publikum und zugleich Spiegel für das, was sie mal sein wollten, und Bestätigung, was aus ihnen geworden ist. Sie ist eine Trinkerin, er ein Geschichtsdozent, der vor allem der Schwiegersohn des Unidirektors ist und in Augen aller, und wohl auch nach seinen eigenen Maßstäben, ein Verlierer. Die kleinen Geheimnisse einer Beziehung, die dunklen Stellen, die man dem anderen mal anvertraute, werden gnadenlos hervorgezerrt, um zu verletzen. Die Gäste müssen eine Nacht lang die kurzen Wortgefechte verfolgen und wie die beiden in einer jahrelang einstudierten Choreographie aufeinander einschlagen. Alles ist nur ein Spiel. Ist alles nur ein Spiel? Der Sohn, den es nie gab, der aber weil man ihn so gern gehabt hätte, wie man das ganze Leben gern anders gehabt hätte, ihn lassen sie am Ende sterben. Liz Taylor spielt die leicht aufgedunsene, keifende Alkoholikerin, die sie wirklich noch werden sollte und Richard Burton gibt den Ostküsten Professor im Strickjäckchen, der im Verlauf des Abends all seine aufgestauten Aggressionen nicht mehr hinter eine Fassade aus Ironie, Sprachwitz und Understatement versteckt, sondern den anderen sein Spiel diktiert, bitterböse und gewalttätig wird. Am Ende liegen nicht nur die Lügen dieser beiden offen zu Tage, sondern auch das andere Paar, die eigentlich nur auf eine Drink vorbei kommen wollten, sie haben einander ganz nebenbei, im Schlachtgetümmel der Älteren und durch sie ihre Lügen gestanden.
2 Stunden nur Reden, Reden, Reden. Jeder Dialog auf den Punkt, voller Doppeldeutigkeiten und Witz oder Bissigkeit. Aber nichts passiert eigentlich und doch zerbricht ein ganzes Leben. Was ein Film

Wettbewerb: „The Life Aquatic with Steve Zissou“ von Wes Anderson

0462_0002_Popup1.jpg

Jack Cousteau auf Dope

*Regisseur: Wes Anderson, *Darsteller: Owen Wilson, Bill Murray, Anjelica Huston, Cate Blanchett, Willem Dafoe

Es gibt Regisseure, die nehmen sich vor Filme zu machen, die man nicht zusammenfassen kann. Wenn man versucht zu sagen, worum es in so einem Film geht, spürt man schon beim Sprechen, dass man der eigentlichen Handlung nicht näher kommt mit all den Figuren die man da aufzählt und deren Zusammenspiel man erläutert. So ein Film ist auch Wes Andersons "Life Aquatic..." Irgendwie. Es geht um einen Kapitän und Meeresfilmer, der einen Hai jagt, der seinen Buddy gefressen hat, aber auch um einen Sohn, den er er findet und wieder verliert, um eine Ehe zu einer Frau, die das Geld hat und um eine Geliebte, die auch der Sohn liebt, um eine Manschaft mit Zipfelmützen, um einen Konkurrenten, der all das Geld für Filme bekommt, das Zissou fehlt, wehalb der auf einem klapprigen Kahn über die Meere schippert, diesem anderen seine Forschungsgeräte stiehlt, um sie dann wieder an Piraten zu verlieren, die wiederum auf einer Insel dann alle umgelegt werden, weil sie auch noch einen Versicherungsagenten entführt hatten. Am Ende sitzen alle im U-Boot, der große Fisch schwimmt vorbei, Zissou lässt ihn am Leben und Schluss. Dazu gibt es von einem Besatzungsmitglied gesungen David Bowie Songs auf Portugiesisch. Eine Mischung aus Yellow Submarine von den Beatles, James Bond und Theaterstück auf einer Schiffsattrappe. Worum es in dem Fim geht, müßt ihr euch anschauen. Und das ist vielleicht auch das Schönste an dem Film. Alles klar?

Angelica Houston hat auf der Pressekonferenz gesagt, sie habe den Film inzwischen fünf Mal gesehen und wisse immer noch nicht genau, worum es gehe. Ich weiß, was sie meint. Aber sie mochte den Film. Ich auch.

Panorama Special: Riyuu (The Motive) von Nobuhiko Obayashi

Japan 2004 * Regie: Nobuhiko Obayashi Buch: Nobuhiko Obayashi und Shiro Ishimori nach einem Roman von Miyuki Miyabe Darsteller: Ittoku Kishibe, Masami Hisamoto, Miyoko Akaza, Jun Fubuki

riu.jpg

Bevor der Film beginnt, kommt der lächelnde ältere Regisseur Herr Obayaki auf die Bühne. Er sagt uns einige Sätze zum Film, lächelt viel, genauso wie die widerwillig herbei geholten drei Produzenten, darunter seine Frau, die ganz verlegen kichern. Er hofft, der Film berühre uns, geht uns ans Herz. Irgendwann sagt er das noch einmal. Als schon alle denken, jetzt kann der Film beginnen, sagt er das wieder und lächelt ganz freundlich dabei.

Genauso ist der Film. Wie ein lieber alter Großonkel, der uns eine Geschichte erzählt. Dann holt er aus und erzählt weiter. Und holt wieder Luft und erzählt und erzählt und kommt nicht zum Punkt.

Eigentlich ist Riyuu eine spannende Geschichte, geschrieben von der in Japan erfolgreichen Autorin Miyuki Miyabi. Vier Tote in einer Wohnung, von denen aber keiner wirklich hingehört. Was haben sie dort alle gemacht? Kannten sie sich untereinander überhaupt? Was verbindet sie mit dem Besitzer? Was war das Motiv von diesen Morden? Die zuständigen Polizisten sind verwirrt, und in einzelnen Szenen erzählen alle Zeugen, was sie gesehen haben, woher sie wen kennen. Sie erzählen es in die Kamera, uns, als würden wir sie bei einem kleinen Plausch ganz locker verhören. Aus verschiedensten Winkeln sehen wir die Mordnacht wie bei einem Miss Marple oder Hercule Poirot Film, die Puzzleteile ergeben nach und nach ein großes Bild.

Es ist leider ein sehr, sehr großes Bild. Alle erzählen und erzählen. Sicher gibt es einige witzige Details, die einen zum Schmunzeln bringen. Ein Mann plaudert seine Geschichte, während im Hintergrund des Segelclubs zwei halbnackte Mädchen ins Bild kommen. Als ein junges Mädchen in sehr kurzem Mini ein Orangensaft serviert und in die Kamera lächelnd grüßt, wird der befragte Mann wütend und schmeißt alle hinaus, da er nicht gefilmt werden möchte. Alle, die ins Bild kommen, grüßen uns freundlich verlegen, bitten uns zum Tee oder Kaffee. Es ist das einfache alltägliche Tokyo fernab vom bizarren und verrückten Shibuya oder Shinjuku. Keine Louis Vuitton Taschen oder Gucci Schuhe, keine stylischen oder im Fetisch verkleidete Figuren. Kein buntes rastloses Treiben voller Salarymen oder Geschäftsleuten. Nicht die uns fremde Popwelt wie in Lost in Translation, ganz frei von Klischees und dem verkorksten westlichen Bild Nippons. Hier werden einfache Familien in einem der vielen Stadtteilen Tokyos gezeigt, mit einem seufzenden Bedauern, dass sich so vieles vor allem seit dem Krieg verändert hat. Häuser abgerissen, alte Straßenzüge platt gemacht. Leise Kritik an Geldgier und Profitwahn, die einfache Existenzen kaputt macht, die so hart gearbeitet haben, die noch an familiäre Werte glauben.

Ein ruhiger Film mit viel Liebe zu Details. Zu viel Liebe zu Details. Man traut sich kaum aufzustehen, als man zum Tee gebeten wird und erzählt bekommt, wie der Vater von der verdächtigen Person war. Ja, er hatte es damals so schwer, dieses Süßwarengeschäft zu erhalten. Denn dessen Mutter war eigentlich auch bemitleidenswert. Sie musste in eine vorherbestimmte Familie einheiraten. Und der Verdächtige, der wollte ja nur das Beste für seine Kinder. Er ist ja gleich nach der Schule von zu Hause ausgezogen. Und sein Vater ist nie darüber hinweggekommen. Man schielt schon zur Tür, guckt heimlich auf die Uhr und lächelt freundlich, weil man doch endlich wissen will, was war nun das Motiv???

Favoriten der Presse für den besten Film im Wettbewerb

Welcher Film im Wettbewerb hat der Presse am besten gefallen?


movie_channel.jpg
Ying Yong, Chinese Movie Channel

Favorit
Paradise Now von Hany Abu-Assad

Warum?
Wegen des politischen Themas und der grossartigen Leistung der palästinensischen Schauspieler.

movie_magazine.jpg
Wei-Jeu Liu, Movie Magazine (Taiwan)

Favorit
Paradise Now von Hany Abu-Assad


Warum?
Die diesjährige Berlinale wurde stark von Filmen bestimmt, die ein politsches Thema hatten. Von all diesen Filmen hat mir "Paradise Now" am besten gefallen, u.a. weil er sein Thema nicht so politisch korrekt angeht, wie z.B. "Sophie Scholl". Neben seiner politischen Dimension ist der Film aber auch sehr menschlich und bewegend.


litauen.jpg
Edwinar Patski, freier Journalist (Litauen)

Favorit
Paradise Now von Hany Abu-Assad

Warum?
Weil alle anderen Filme schlecht und langweilig waren.


intro.jpg
Markus Hockenbrink, Intro (Deutschland)

Favorit
Gespenster von Christian Petzold

Warum?
Weil er diesen Kontrast der Realität zum Unweltlichen, dem die Personen ausgesetzt sind, sehr gut rübergebracht hat. Der Film war wirklich sehr gespenstisch.


spanien.jpg
David Mitjans, Radio Matorell (Spanien)

Favorit
Paradise Now von Hany Abu-Assad
The Wayword Cloud (Tian Bian Yi Duo Yun) von Tsai Ming Liang

Warum?
Paradise Now spricht über ein reales Thema.
Wayword Cloud ist sehr orginell und anders, er ist eher wie ein koreanischer Film.

georgien.jpg
Lia Witteck, freie Journalisten (Georgien und Deutschland)

Favorit
The Hidden Blade (Kakushi Ken - Oni No Tsume) von Yoji Yamada

Warum?
Sehr gute Darstellung der Moral der japanischen Krieger und der Reinheit der Personen.

Wettbewerb: Tian Bian Yi Duo Yun (The Wayward Cloud) von Tsai Ming Liang

Taiwan, China, Frankreich 2004 * Regie/Buch: Tsai Ming Liang Darsteller: Shiang Chyi Chen, Kang Sheng Lee, Yi Ching Lu, Sumomo Yuzakura

wayword.jpg

Dieser Film hat ganze 112 Minuten gedauert, fällt in die Kategorie Musical/Comedy/Drama (imdb.com) und verleitet Berliner Boulevardblätter zu sagen, die Berlinale hätte sich in die “Sexinale” verwandelt. Wo beginne ich nur… Man hätte sich wohl Tsais vorhergehenden Film ansehe müssen, „What Time is it there?“ (2001), denn sonst weiß man sicher nicht, dass die Hauptfigur Shiang-Chyi aus Frankreich zurückkehrt, dass sie die andere Hauptfigur Hsiao Kang kennt, der einmal am Hauptbahnhof Uhren verkauft hat. Die Hauptpromenade, an der er stand, ist abgerissen, und sie kann ihn nicht mehr dort finden. Soweit in der Zusammenfassung des offiziellen Berlinale Programms.

Verdammt, diesen Anfang habe ich ja gar nicht gesehen! Ich habe nur scheinbar ziellos umherirrende einsame Menschen in der leeren Millionenstadt Taipei gesehen. An einer Stelle setzt sich die Frau einfach zu einem schlafenden Mann an eine Kinderschaukel, der sie anlächelt, als sie aufwacht. Dann nimmt sie ihn gleich mit in die Wohnung.

Und da gibt es noch die Pornoszenen. Ja, der Uhrenverkäufer ist Pornodarsteller geworden. Wenn man ganz konzentriert aufpasst, sagt Shiang-Chyi an einer einzigen Stelle, „Verkaufst du keine Uhren mehr?“ Und er sagt nichts, wie im ganzen Film nicht. Irgendwann kommt sie dahinter, denn es wird gleich nebenan gedreht.

Viel Symbolik: Wassermelonen, Wassermangel und Dürre in der Sommerhitze Taipeis, eiskaltes reines Wasser in durchsichtigen Plastikflaschen in Shiang-Chyis Kühlschrank, ein Koffer, der nicht aufgeht, ein Schlüssel, der im Asphalt fest eingewalzt wurde, eine japanische Pornodarstellerin, die sich im vollen Lift auszieht, weil sie Ameisen am Körper hat. Sonst sind die Lifte immer leer, die Gänge leer, die Wohnungen karg und unbewohnt. Alles wirkt kalt trotz der unerträglichen Hitze. Es ist eine Entfremdung und Rückzug in ein kleines Mikrokosmos von Einsamkeit. Stille durchzieht den Film, viel Text musste niemand lernen, eigentlich sagt Hsiao Kang nicht ein einziges Wort im ganzen Film, die Japanerin stöhnt viel und sagt einen einzigen Satz. Die gedrehten Pornoszenen wirken routinehaft, alltäglich und auf keinen Fall schmutzig oder anrüchig – seltsamerweise. Kleine Pannen lassen diese äußerliche Nacktheit ganz normal erscheinen. Es steckt sogar Witz in den meisten Szenen, ohne die Figuren der Lächerlichkeit preiszugeben oder bloß zu stellen. Und plötzlich, als wäre die Filmhandlung in Theaterakte gegliedert, durchbrechen bunte, laute Musikszenen die Stille. Jede Figur singt sein Liedchen in Shanghaier Chansonmanier der 30er und tanzt wie im Musical – fast losgelöst vom eigentlichen Film, würde man schnell genug die Untertitel durchlesen und sehen, ah! es handelt sich doch immer noch um den gleichen Film, sie singen ja darüber!

1997 hat Tsai Ming Liang mit „Der Fluss“ den Silbernen Bär gewonnen. Und dieser Film? Es ist ein Kunstfilm. Wie eine lange Videoinstallation. Der Film plätschert hin und endet mit einem Höhepunkt – sozusagen. Was wollte uns der Regisseur sagen? Dass man mit Wassermelonen Frauen leichter verführen kann? Dass in meiner Nachbarswohnung Pornofilme gedreht werden könnten? Dass Wolken eigensinnig sind und nicht regnen wollen, auch wenn man zu ihnen betet? Keine Ahnung. So verlasse ich das Kino genauso ratlos wie all die anderen Zuschauer, war er witzig oder war er anrüchig oder war er symbolisch oder war er mutig oder lag das an der französischen Koproduktion oder waren die Untertitel schlecht übersetzt oder…

Gespenster von Christian Petzold

Regie: Christian Petzold * Darsteller: Julia Hummer, Sabine Timoteo

gespenster.jpg

Ein leichter, schwerer, schöner Film

Zwei Mädchen, eines aus dem Heim, das andere klauend und streunend, lernen sich in Berlin kennen. Vierundzwanzig Stunden eines Sommertag lang bewegen sie sich in Kreisen durch Seitenstraßen des Potsdamer Platzes und durch den Tiergarten. Gleichzeitig führt ein zweiter Erzählstrang ein Paar aus Frankreich ein, das für kurze Zeit in Berlin sind, wo sie vor vielen Jahren ihre Tochter als Dreijährige vor einem Supermarkt verloren haben.
Drei Personen lassen sich von der Möglichkeit von Nähe verführen. Sie öffnen sich je für ein paar Stunden, soweit sie können. Sie zeigen in dieser Zeit Loyalität, legen Zärtlichkeit und Schönheit offen, trotz aller Bedrohung und aller Rückschläge und ohne Garantien für die Zukunft.

Nach dem Film erzählte Christian Petzold, eine Inspiration für den Film sei «Der schöne Sommer» von Cesare Pavese gewesen: ein Roman, der von zwei Proletariermädchen erzählt, die in die Boheme Roms eintauchen, dort mit einem Leben in Leichtigkeit, Sexualität, Party infiziert werden, und im folgenden Winter, als die Boheme ohne sie weiterzieht, sterben. Obwohl ich dieses Thema nicht als Zentrum des Filmes gesehen habe, glaube ich, dass der Film viel seiner Frische aus dieser fein dargestellten Infizierung gewinnt.

Der neue Film von Christian Petzold ist ein schöner Film. Er schafft es von Anfang bis Ende die Spannung zu halten, mehr durch Intensität denn durch Geschwindigkeit oder Plot. Der Film nimmt sich Zeit für Bewegungen und Gesten, er bleibt da, ohne den Rhythmus der Handlung zu überspannen.
Trotz allem enthaltenen Elend und Scheitern ist es ein Film, der seine Zuschauer eher verführt als quält. Er wirkt entspannter und leichter als frühere Filme von Christian Petzold ohne dabei an Brisanz einzubüßen. Die Kamera folgt liebevoll den Protagonisten. Aus ihren Gesten entwickelt eine Spannung, die sich ohne Reibungswiderstand in Ereignisse umsetzt. Die Liebe des Filmes zu den Figuren und zu den Schauspielerinnen (Männer kommen in diesem Film nur am Rande vor), zeigt sich auch in der Weigerung zuviel preiszugeben. Diese unbedingte Liebe und dieser volle Respekt vor den Figuren unterscheidet den Film von fast allen Filmen, die ähnliche Jugendfiguren aus sozialen Randbereichen abbilden.

Die lange Aufmerksamkeit, die Einfachheit des Plots, der trotzdem mehrfach überrascht und das große Vertrauen in Figuren, Dialog und Schauspieler, machen diesen Film zu einem großen Schauspielerfilm. Der Film ist durchgehend hervorragend besetzt. Die beiden Hauptfiguren bilden ein gegnsätzliches und überzeugendes Paar. Julia Hummer als Nina haut einen genauso um wie Sabine Timoteo als Toni.

Als ich aus dem Kino komme, möchte ich Filmemacherin werden, damit ich auch solche Filme machen kann. Mehr kann ein Film nicht schaffen.

Wettbewerb: Kakushi Ken – Oni no tsume (Hidden Blade) von Yoji Yamada

Regie: Yoji Yamada * Darsteller: Masotoshi Nagase, Takako Matsu

hidden.jpg


Ein kindlich-ernster Samurai

Dieser Film enthält jede Menge Standarts eines Samurai-Films: das Schwert-Duell, die Frage der Ehre, den Tyrannenmord, und eine große, unmögliche Liebe. Kombiniert wird diese Mischung mit einem Setting, in dem sich die Kunst der Samurai überlebt hat, aber noch nicht gestorben ist und den Protagonisten in einem Gefühl von Sinnlosigkeit lässt.

Das reicht leider nicht, um einen interessanten Film zu schaffen. Der Film spult seine Handlung in hübschen Bildern langsam und gleichmäßig ab, ohne Gewichte zu setzen. Dabei wird (zumindest in der deutschen Untertitelung) kein Satz gesagt, der nicht der Story dient. Die Menschen scheinen völlig unentfremdet und sind eins mit ihren Worten. Sie sind von derselben erstaunlichen Naivität und Gradlinigkeit, die den ganzen Film auszeichnen. Alles erscheint kindlich: der Humor, die Ehre, der Ernst, die Liebe und die Arbeit des Samurai, das Schießen mit Kanonen und Gewehren zu erlernen. Diese Kindlichkeit hat noch nicht einmal die Vorpubertät erreicht, und es ist nur folgerichtig, dass dieser Film keinen Kuss zeigt, denn die gezeigte Liebe ist so asexuell, wie das Abfeuern der Kanone ein lustiges Kinderspiel ist. Nirgends kann der Film die behauptete Umwälzung der Gesellschaft in Bilder und Ereignisse umsetzen.

So kann der Film trotz schöner Menschen und Bildern weder Märchen sein, noch eine wahrhaftige Geschichte erzählen. Stattdessen zeigt er einen kindlichen Blick, dessen Unschuld den Zuschauer je nach Naturell entweder anrührt oder auch langweilt.

Ghost Machine - Ein Video-Walk von Janet Cardiff und George Bures Miller

Große Theater bzw. besser: Physical Cinema

... und weil mich die Kino-Müdigkeit gepackt hatte, weil ich sehr gutes darüber gehört und weil ich es meinen Studenten aufgegeben habe, war ich gestern im HAU1 um mir den Video-Walk anzusehen. Die Arbeit gehört darüber hinaus zum Rahmenprogramm der Berlinale und liefert einen großartigen Kommentar zum Berlinale-induzierten Kino-Hype. Cardiff und Miller haben auf der Biennale in Venedig 03 mit einer ähnlichen Arbeit einen Preis abgeräumt und für die Berlinale nun eine ganz neue Arbeit konzipiert.

Das HAU 1 steht dazu fast den ganzen Tag offen. Wer die 6 Euro (also Kinopreis) ausgibt, bekommt eine kleine Digitalvideokamera in die Hand und einen Kopfhörer dazu aufgesetzt. Alleine wird man dieses Theater/Kino-Erlebnis durchwandern müssen. Dann geht der Film los, der mit der Videokamera als Guide und Kinoleinwand, durch die abgelegensten Räume des HAU1 führt.

Das Prinzip ist einfach, eine Stimme (entweder Cardiff selbst oder auf deutsch Sophie Rois) erzählen eine Geschichte, wie sie auf der Kamera gespeichert ist, und geben dazu Handlungsanweisungen ("steht jetzt auf und geh dir Treppe nach oben. Nicht so schnell. Stop"). Die Geschichte gerät dabei allerdings schnell in den Hintergrund, zu spannend ist das Spiel der Wahrnehmungsebenen: denn das, was auf dem Display zu sehen ist, stimmt oft nicht zu ganz mit dem überein, was man sieht, wodurch man läuft.
Den schon abgedrehten Film nachlaufend und nachdrehend, bewegt man sich dabei durchs HAU. Dazu gibt es eine faszinierende und überraschende eindrucksvolle Soundlandschaft über die Kopfhörer. Waren das meine Schritte oder die eines anderen? Man vertraut der führenden Stimme, wohin sie auch führt: ob Künstlergarderobe, Bühne oder Foyer. Immer gerät dabei die eigene Wahrnehmung aus ihrer Sicherheit: hab ich das jetzt selbst gesehen, oder war es in der Kamera? Hat da jemand geflüstert? Ist das mein Atem?

Zusätzlich kommt noch eine Erzählebene hinzu, da in den einzelnen Räume jeweils besondere Geschichten erzählt werden, so dass zu Wahrnehmungsraum, gefilmten Raum noch der Erzählungsraum hinzukommt. Alle drei durchdrigen sich gegenseitig auf eine spielerische, leichte Weise, schaffen immer wieder überraschende Momente von Intensität und hinterfragen dabei konstant die Wahrnehmung. Und ganz nebenbei kann man damit endlich mal etwas tun, was man im Kino eigentlich schon immer tun wollte: aufstehen und mitspielen. Sich körperlich in den Film, in das Geschehen integrieren, dabei sein, statt nur zuschauen.

Zum Hau kommt man vom Potsdamer Platz übrigens, wenn man einfach die Stresemannstr. runtergeht. Den Video-Walk gibt es noch bis Sonntag, Einlasszeiten sind 16-23 Uhr und man sollte vorher vielleicht eine Karte reservieren (telefonisch oder über die homepage) um Wartezeiten zu vermeiden.

Zuschauerraktionen: "Yeoja, Jeong-hae" (This Charming Girl)

krämer.jpg
Susanne Krämer

Eindruck
Sehr schön, sehr ruhig, aber gerade richtig

Lieblingsfilme
Auf der Berlinale 2004: Internal Affairs

Forum: "Yeoja, Jeong-hae" (This Charming Girl) von Lee Yoon-ki

Süd Korea, 2004 Regie: Lee Yoon-ki * Drehbuch:Lee Yoon-ki * Kamera: Choi Jin-woong * Schnitt: Ham Seong-weon, Kim Hyeong-ju* Darsteller: Kim Ji-soo, Hwang Jeong-min, Lee One-yeon, Lee Geum-ju

charming.jpg

Langatmig sei der Film warf eine Zuschauerin dem anwesenden Regisseur Lee Yoon-ki nach der Vorstellung vor und fragte ihn: "Warum haben Sie nicht einen 15 Minuten Film gemacht?". Der Regisseur antwortet, das einige Geschichten ihre Zeit zum erzählen brauchten.

Diese Geschichte von "Yeoja, Jeong-hae" erzählt von der jungen Post-Angestellten Jeong-hae, in deren Leben wenig passiert. Alltag abspulen: Briefsendungen wiegen, mit der Kollegin diskutieren, wo man in der Pause essen geht, wieder Briefe wiegen, nach Hause gehen, Salat waschen, vor dem Fernseher einschlafen, der Wecker klingelt, fertig machen, zur Arbeit gehen. Lee Yoon-ki beobacht den Alltag mit derselben Ruhe, wie sie auch die Hauptfigur aufbringt. Doch unerwartete Dinge treten langsam in das Leben von Jeong-hae ein: ein kleines Kätzchen, ein Kunde, der verliebt macht, ein Betrunkener, die Nachricht von der Hochzeit ihres ehemaligen Mannes. Mit den Ergeignissen schleicht sich die Vergangenheit wieder in das Jetzt, bis unterdrückter Schmerz die stoische Gelassenheit von Jeong-hae bricht.

Manche Geschichten brauchen Ihre Zeit. Der Regisseur hat Recht. Und "Yeoja, Jeong-hae" verschenkt diese nicht. Langsam und mit fliessend eingearbeiteten flashback Szenen beschreibt Lee Yoon-ki die Lebensituation eines Menschen, dessen Alltag keinen Raum für seinen Schmerz hat. Das dieses Porträt gelingt, ist auch dem ausgeglichenen Spiel von Kim Ji-soo zu verdanken, die nach jahrelanger Arbeit in koreanischen Seifenopern das erste Mal in einem Kinofilm mitwirkt.

Wettbewerb: „Fateless“ von Lajos Koltai

bild fateless.jpg

KZ taugt nicht als Filmset

*Regie: Lajos Koltai *Kamera: Gyula Pados *Musik: Ennio Morricone *Darsteller: Marcell Nagy, Aron Dimény, Andreas M Kecskes, Daniel Craig

Wenn der Regisseur spürt, dass sein Film nicht gelungen ist, dass die Bilder und die Geschichte nicht allein tragen, versucht er ihn zu retten, indem er am Ende noch ein Voiceover, eine Erzählstimme einfügt, um die nicht gelungene Dramaturgie und ein befriedigendes Ende künstlich zu erzeugen. So ein Ende hat Fateless. Leider, aber mit Recht.
Der Junge, gerade den Todeslagern entkommen, kehrt zurück nach Budapest und sinniert in dem Voicecover eine Weile über Glück im KZ und wie er sich jetzt in der Freiheit nach dem Lager sehnt. Diese Szene steht auch am Ende des Buchs, „Roman eines Schicksalslosen“, das als Vorlage diente. Im Buch ist sie überwältigender Schluss einer Figurenentwicklung, die so überraschend wie glaubwürdig ist. Dem Film ist das nicht gelungen, überhaupt nicht. Seine Vorführung im Berlinale Palast als nachnominierter Wettbewerbsbeitrag war ein wirklich trauriges Ereignis für mich. Ich habe das Buch geliebt, es ist für mich DER Roman über den Holocaust. Deshalb bin ich noch im Saal sitzen geblieben, als schon nach der Hälfte des Films klar war: Dies ist ein traurig gescheiterter Film.

Der Film war nicht aufgrund der Thematik eine Qual, sondern weil die bemüht farblosen Bilder im KZ, die auf graugeschminkten Männer in Lumpen, die nackten Leibern auf Holzkarren kein Gefühl erwecken konnten, keinen Schmerz, keine Scham, keine Empörung, kein Mitleid - nur Wut. Über den Film. Ein schlechter Film, der all das nicht leisten kann, was das Buch zum Thema Ausschwitz und Holocaust fertigbrachte. Anteilnahme, Verständnis für die graduelle Entmenschlichung und Entkörperung der Gefangenen, die Wirre psychologie der Unterwerfung, wenn ein verlumpter Gefangener seinen Schinder in strahlender SS-Uniform anhimmelt und es ihm Recht machen will, die feine Ironie in Kertez Sprache, die sich selbst beim Verfall und Entstehen des eigenen Lebens beobachtet.
Dieser Film beweist ein weiteres Mal, dass man das Grauen des Holocaust nicht filmisch abbilden kann, ohne es dabei austauschbar zu machen und zu banalisieren. Das KZ taugt nicht als Filmset, weil die Bilder schon so tief in unserem Bildergedächtnis liegen, dass sie nur als plumpe Annäherungsversuche erscheinen (Die SZ nannte es „beschämend banale, harmlose Kinobilder“). Geschminkte, zerlumpte Schauspieler spielen Halb-Tote und sind allerhöchstens schlechte Kopien eines niemals wirklich fassbaren Geschehens. Die Musik von Ennio Morricone trägt in ihrer Saucenhaftikeit nur noch zur Distanzierung von den Bildern bei.

Traurig und beschämt bin ich noch während des Abspanns aus dem Kino, weil ich Imre Kertez, der zur Premiere angereist war, nicht dort oben auf der Bühne sehen wollte, wie er allerhöchstens höflichen Applaus für diesen schlechten Film entgegennimmt, dessen Thema sein Leben bis heute prägt, für das er in seinen Büchern aber längst einen passen Ausdruck gefunden hatte.

Panorama: „Protocols of Zion“ von Marc Levin

bildprotocols.jpg

Die Mutter aller Verschwörungstheorien

*Regie: Marc Levin *Produzenten: Marc Levin & Steve Kalafer *Schnitt: Ken Eluto * Musik: John Zorn

Panorama: „Protocols of Zion“ von Marc Levin

Die Mutter aller Verschwörungstheorien
*Regie: Marc Levin *Produzenten: Marc Levin & Steve Kalafer *Schnitt: Ken Eluto * Musik: John Zorn

„Here come the Jews!“ sollen irakische Bürger ausgerufen haben, als die amerikanischen Soldaten in Bagdad einrollten. Juden, das ist vor allem in der arabischen Welt ein Synonym für Verschwörung, Unterdrückung und vor allem die große Weltverschwörung. Aber wie der Film zeigt gibt es auch genug Rechte in den USA, Schwarze und Verwirrte, die an die großangelegte, seit Jahrhunderten geplanten Umsturz der Juden glauben. „Die Protokolle“ sind bis heute ein weltweit populäres Buch (im Film sowohl an N.Y.er Strassenständen sowie beim Naziversand immer ausverkauft), in dem alle bekannte antisemitischen Vorurteile eingeflossen sind.
Marc Levin interviewt verschiedene Personen zu ihren Kenntnissen der Protokolle, der Juden im Allgemeinen und deren Rolle in der Welt. Von arabisch stämmigen Jugendlichen und schwarzen Nationalisten auf der Straße in New Jersey über den Manager der Organisation „National League“, eine rassistische, rechte Truppe, die in die ganze Welt mit Naziaccessoires und Propagandamaterial versorgt. Er mischt sich unter die Leute an Ground Zero und dokumentiert solch weitverbreitete wie wirre Vorstellungen, dass die Juden am 11. September 2001 alle gewarnt worden seien und es deshalb keine jüdischen Opfer unter den Toten gebe. Man weiß bei dem absurden Geseier dieser Leute nicht, ob man lachen oder bestürzt sein soll. Wie bei Verschwörungstheorien üblich, retten sich alle, egal ob radikale Muslime, Neonazis oder normale Irre wenn ihre Argumente durch einfache Fakten widerlegt werden können, in die selbstreferentielle Ecke: Aller Widerspruch wird mit dem Argument, man sei eben von jüdischen Informationen in den Medien verwirrt, abgeschmettert.

Die Recherchen führen Levin letztlich zur antisemitischen „Basislüge“ zurück, die Juden hätten Jesus ermordet. Vor dem Hintergrund des Filmstarts von Mel Gibsons „Passion of Christ“, spricht er mit Christen und Juden über diese Mutter aller antisemitischen Verschwörungen.

Levin tritt zum erten Mal in einem seiner Filme selbst auf, diskutiert mit den Leuten auf der Straße, setzt sich in eine rechtsradikale Radiosendung, er agrumentiert, streitet, wird angegriffen und bleibt bewundernswert gelassen, bei all dem Irrsinn den er sich da anhören muss.
Der Mut diesen Leuten seinen Widerspruch ins Gesicht zu sagen und dabei seinen jüdischen Glauben nicht zu verheimlichen, macht den Film zu einer sehr persönlichem Auseinandersetzung mit den Ursprüngen der weltweit florierenden antisemitischen Propaganda.

Panorama: „2 oder 3 Dinge, die ich von ihm weiß“ von Malte Ludin

bild2oder3dinge.jpg

*Buch&Regie: Malte Ludin *Kamera: Franz Lustig *Musik: Werner Pirchner, Hakim Ludin, Jaroslav Nohovica *Produzentin: Iva Svarcová *Web: www.2oder3Dinge.de KINOSTART: 7. April 05

Wieder eine typische Berlinale Kombi. Erst dieser Film vom Sohn eines hingerichteten Nazi Kriegsverbrechers über seine Familie, die NICHT mit den Taten des Vaters umgehen kann bis heute. Und im Anschluss „Fateless“, der verfilmte Ausschwitz Roman von Nobelpreisträger Imre Kertez (Review siehe hier). Zwei Perspektiven, eine Leinwand.

Malte Ludins Film eröffnete mit dem Satz. „(...) eine typisch deutsche Geschichte.“ Ludin versucht den Schatten seines nationalsozialistischen Vaters filmisch abzuschreiten und interviewt deshalb drei Generationen seiner Familie: Die eigenen Schwestern und Schwager, Neffen und Nichten. Wer war Hans Elard Ludin? Und wer war und wer IST er in den Augen seiner Familie? Diese Frage traute Malte Ludin sich erst zu stellen als seine Mutter, quasi die Lordsiegelverwahrerin der Vater-Erinnerungen, gestorben war. Es gibt einige wenige Interviews mit ihr, die in den Film geschnitten sind, aber man meint, ihr Geist schwebe über dem ganzen Film.
Viele Kinder distanzieren sich von oder brechen im Verlauf ihres Lebens mit den Eltern. Entweder weil es unüberbrückbare Konflikte gibt oder man zu unterschiedliche Ansichten über die Lebensführung des jeweils anderen hat. Darum ist es so erstaunlich, warum es Kindern von Nazitätern so schwer fällt zu sagen: „Mein Vater/meine Mutter war ein Nazi und Täter!“

Diese Frage beantwortete Malte Ludin in der Diskussion nach dem Film: Er hat bis heute das Problem, mit der Tatsache leben zu müssen, dass sein Vater ein Verbrecher war und zugleich sein Vater; ein guter Vater. Von dieser Zerrissenheit handelt auch Ludins Film: Malte Ludins Schwestern können ihren Vater nicht „Täter“ nennen, nicht einmal „Beteiligten“ wollen sie ihn nennen. Für sie ist ihr Vater ein zu unrecht Beschuldigter, den sie noch nach 60 Jahren vermissen, ein anständiger Mann, der bis zuletzt seine Vorstellungen treu geblieben ist. Für sie ist die ganze Diskussion darüber müßig. Wie in Malte Ludins Film auf der Familienebene, wird ja auch in Deutschland die „Schlussstrich“-Debatte (ob Holocaust, Wehrmacht oder Mitläufertum ) meist von denen angestossen, die sich nie mit der Vergangenheit wirklich auseinandergesetzt haben.
Zahlreiche Dokumente, Zeugenaussagen und Forschungen, die sein Sohn Malte Ludin zitiert beweisen die Schuld dieses Mannes. Hans Elard Ludin war ein Nationalsozialist der ersten Stunde, hat schon vor der Machtergreifung einen SA Kameraden gedeckt, der einen Juden ermordet hatte und ist später als Botschafter in Bratislava verantwortlich für die Deportation und Ermordung 1000ender slowakischer Juden. All dies spielt für seine Töchter keine Rolle.
Es war aber erbärmlich als ein paar Zuschauer im Kinopublikum selbstgerecht und laut lachten, als die Schwestern sich mit Wischi-Waschi Formulierungen und auch körperlich vor der Kamera wanden, um nach den bohrenden Fragen ihres Bruders um eine klare Aussage zur Täterschaft ihres Vaters herumzukommen.
Malte Ludin kann sich in diesem Zusammenhang zugute halten, dass er eine wichtige Szene nicht aus seinem Film herausgeschnitten hat: In der Slowakei spricht er mit dem Dichter Tuvia Rübner, dessen gesamte Familie im Holocaust umgebracht wurde. Ludin traut sich zunächst nicht, seinen Namen zu sagen. Als er es tut, sagt der Mann ganz trocken: „Ach, dann ist ihr Vater also dafür verantwortlich, dass mir meine gesamte Familie genommen wurde.“ Darauf hin windet sich auch Malte Ludin, erwähnt die Namen anderer Täter und formuliert, sein Vater sei ja „nicht direkt physisch verantwortlich“ gewesen. Eine mutige diese Szene, die im Gedächtnis bleibt, weil auch der kritische Filmemacher die Verteidigungmechanismen seiner Familie nicht ganz abstreifen kann. Von der Familie sind zur Vorführung nur ein Neffe, eine Nichte und ein Schwager des Filmemachers erschienen. Die Schwestern zogen es vor, den Film nicht zu sehen.

Cate, Cate, Cate....

blanchet.jpg

....schreien die Fotografen wie wild geworden. Wenn Glamour Fotografen mal was anderes werden wollen....als Marktschreier sind sie sicherlich auch nicht schlecht. Cate Blanchet stellte heute zusammen mit Anjelica Hostan und Regisseur Wes Anderson den Wettbewerbs-Film "The Life Aquatic" vor.

Forum: Vers Mathilde (Towards Mathilde) von Claire Denis

Frankreich, 2005 Regie: Claire Denis * Kamera: Agnès Godard, Héléne Louvart * Schnitt: Anne Souriau

vers.jpg

Clairs Denis, eine Filmemacherin von der man sagt Ihre Filme seien choreographisch trifft Mathilde Monnier, eine der bekanntesten Coreographinnen Frankreichs. Eine Anäherung an die Arbeit von Mathilde: ohne viele Beiwerk, ohne Kommentar oder Linerarität zeigt sie Mathilde Monniert beim Tanzen und bei der Anleitung junger TänzerInnen, auf der Suche nach einer Weiterentwicklung der Körperbewegung als Ausdrucksform. Denis hat Vers Mathilde paralell zu den Dreharbeiten von The Intruder (L´Intrus) gefilmt und der Cutterin Anne Souriau weitgehend freie Hand gelassen.
Der Film ist wie die Arbeit von Monnier: improvisiert, eine Erkundung, eine Anäherung an die Tanzideen von Mathilde Monnier.

Kinderfilmfest: Der Italiener von Andrei Kravchuk

Regie: Andrei Kravchuk Drehbuch: Andrei Kravchuk
Darsteller:Kolya Spiridonov, Maria Kuznetosova, Nikolai Reutov

italiener.jpg

italienische Reise

Von Filmemachern wird gerne behauptet, sie hätten ihre Kindheit bewahrt. Filmemacher behaupten das auch gerne von sich. Wer dieser Mähr nicht länger aufsitzen soll, dem sei ein Besuch des Kinderfilmfestes empfohlen. Bei einer durchschnittlichen Kinderquote von um die 50 % wird man sich seines und der Filmemachers Alter schnell bewusst: man brabbelt nicht mehr durch ganze Filme hindurch, stellt (ziemlich kluge) Fragen, robbt durch die Reihen und schaut anstelle der Leinwand fasziniert in die Gesichter ernster Filmrezensenten. Nein, nein, das macht man nicht, mehr, aber vielleicht sollte man mal wieder.
Dabei ist „der Italiener“ durchaus schwere Kost. Ein Waisenhaus in Russland. Alle sind korrupt. Ein älterer Waise, ohne Hoffnung auf Adoption, schickt die Mädchen auf den Straßenstrich. Der Leiter verkauft die Kinder in den Westen. Und mitten drin ist der sechsjährige Wanya, „der Italiener". Er soll an eine Familie nach Italien vermittelt werden. Alle beneiden ihn. Aber dann erscheint die Mutter eines anderen Waisen und Wanya stellt sich vor, dass auch seine Mutter ihn eines Tages suchen könnte. Wanya will nicht nach Italien und widersetzt sich damit den wirtschaftlichen Interessen von vielen. Es beginnt eine spannende Geschichte, die in einem kleinen Roadmovie mündet, das die Schwelle zum Kitsch nie überschreitet. Ein bisschen erinnert die Geschichte an John Irvings „Gottes Werk und Teufels Beitrag“ – allerdings sind die Kinder rund um Wanya wesentlich härteren Bedingungen ausgesetzt und müssen mit weniger Schutz auskommen.
Dem jungen Publikum war das nicht zu viel. Im Gegenteil wurde heiß diskutiert, was man in welcher Situation selbst gemacht hätte. Und als dann nach dem Film der Schauspieler-Hänfling Kolya Spiridonov Autogramme verteilte, konnte man in den Augen vieler Kinder lesen, was sie selbst einmal werden wollen: Ins Filmgeschäft und für immer Kind bleiben...

Wettbewerb : Le Promeneur des Champes du Mars/ Der späte Mitterand von Robert Guediguian

Regie: Robert Guediguian Drehbuch: G. Taurand
Darsteller:Michel Bouquet, Jalil Lespert, Philippe Fretun, Anne Cantineau, Sarah Grappin, Catherine Salviat

champs.jpg

L’état c’est moi !

Eine Brunette solle er sich suchen! Nicht unter 25 Jahren, die würden nur spielen, 35 Jahre, das wäre ein ideales Alter. Kein Modell, die dürfe man nur anschauen, keinesfalls kennen lernen, Am besten aus dem Norden... boff. Späte Tipps des „späten Mitterands“ (hervorragend gespielt von Michel Bouquet)an einen jungen Journalisten.
Dieser Journalist Antoine Moreau (Jalil Lespert) fragt sich während des ganzen Films, warum der Präsident ihn für seine Memoiren ausgesucht hat, gerade ihn. Er spürt, gesteuert zu werden, der verkörperten französischen Geschichte nicht gewachsen zu sein und hat zu allem Überfluss auch noch private Probleme.
Letztlich brauchen und missbrauchen sie aber einander. Und da es im stillschweigenden Wissen geschieht, finden sie fast so etwas wie Halt in einander. Freilich nur für wenige Tage, die sich über Mitterands letzte Lebensmonate erstrecken. Vom Krebs gezeichnet, will er seine Präsidentschaft würdig über die Runden bringen, ohne, dass in der letzten Ministerratssitzung sein „Kopf schief zur Seite hängt“. Der im Film gezeichnete Mitterand ist ein Schelm, ein Mann mit Witz und Selbstironie, der lieber Julia Roberts in New York besuchen würde, als mit den Polit-Rentnern Thatcher, Gorbatschow und Bush Sen. In Palm Springs Geschichte zu feiern. Dann würde er die Roberts fragen, ob es wirklich nicht ihre Beine waren, damals in „Pretty Woman“. Dabei ist der Präsident an Geschichte durchaus interessiert. Sehr sogar. Schließlich geht es um sein Geschichtsbild. Und er ist sich sicher, der letzte große französische Präsident zu sein. Was komme, sind Bürokraten – daran sei Europa und die Globalisierung schuld. Seine Selbstgewissheit sagt ihm jedoch auch, dass man ihn bald vergessen haben wird. „Leidenschaft für die Gleichgültigkeit“ lautet eines der kältesten Motti, die er dem jungen Journalisten mit gibt, während sie wichtige Orte der französischen Geschichte besichtigen.
Der Film beruht auf einer umstrittenen Mitterand-Biographie. Buch wie dem Film wird Fiktion vorgeworfen. Darüber hinaus die Auslassung großer Skandale. Aber genau das macht den Film so gut. Es ist eine hervorragende Charakterstudie – ob sie dabei Mitterand genau trifft oder nicht, scheint fast egal. Man kann ihn sich so vorstellen. Viel näher kann man sich einem Menschen ohnehin kaum nähern. Noch dazu wird so auch der Film zum Thema seiner selbst: wie entsteht Geschichte, wer hat die Definitionsmacht. Wer bestimmt, entlang welcher Wegmarken die historischen Autobahnen durch den Dschungel der viel zu vielen Fakten und Meinungen gebaut werden?
Unweigerlich fragt man sich beim Schauen des Films, welcher junge Journalist wohl gerade Helmut Kohl begleitet. Wer neben ihm stand, als er im Weihnachtsurlaub auf Sri Lanka dem Tsunami trotze, wer sich in die Flut seines Erzählstromes wirft und darin unweigerlich mitgerissen und untergehen wird.
Der Joournlist Moreau ertrinkt übrigens nicht. Er wächst an der und an dieser Geschichte. Und die Sache mit der Brunetten... wird nicht verraten.

Panorama: Yes von Sally Potter

Großbritannien, 2004 Regie: Sally Potter * Drehbuch: Sally Potter * Kamera: Alexei Rodionov * Schnitt: Daniel Goddard Darsteller: Darsteller: Joan Allen, Simon Abkarian, Sam Neill, Shirley Henderson

yes.jpg

Nach Jahren der Ehe ist die Liebe unter 0: Betrügereien, Kommunikation über Zettel, kurze Wortgefechte. Mit Anzug, Krawatte und Scotch spielt Er nach der Arbeit zu seinem Lieblingsblues die Air-Gittare. Doch es nutzt nichts: Er hat sein Feuer verloren. Sie, Wissenschaftlerin, hat noch die Sehnsucht, doch versteckt Sie diese hinter ihren unterkühlten Wortgeschossen.
Als Sie einen libanesischen Koch kennenlernt, entwickeln sich zwischen Ihnen im britischen Eismeer Blumen von Verlangen, Hingabe und Anahme.

Mit Yes ist Sally Potter ein ästhetisches Kunststück gelungen, in Worten wie in Bildern. Die Liebe zwischen Ihr und dem libanesischen Koch etwickelt sich über die Poesie. Sie sprechen wie alle Figuren in Reimen. Für die Typenzeichnung verzichtet Potter nicht auf Klischees, wie das des romantischen Liebhabers aus 1001 Nacht in Gestalt des libanesischen Kochs. Doch es funktioniert. Die Charaktere , die bis auf das Patenkind von Ihr keinen Namen haben, als sei Ihnen die Persönlickeit abhanden gekommen, heben sich mit scharfen Konturen vor dem durcharangierten Hintergrund ab.
Im Abspann war zu sehen, das das Team vor Ort mit einem 5 Sterne Catering versorgt wurde. Dies wird vom Film an den Zuschauer weitergegeben. Er ist ein kulinarischer Genuss.

Perspektive Deutsches Kino: Happy End - von Sebastian Strasser

Zwiespältig: netter aber klischeehafter Coming-of-Age-Kurzfilm

HappeEnd.jpg

Deutschland 2004, 30 min Regie: Sebastian Strasser * Drehbuch: Sebastiab Strasser, Jürgen Wierners *
Kamera: Julian Hohndorf * Schnitt: Peer-ArneSveistrup * Darsteller: Matthias Schweighöfer, Katharin Schüttler, Adela Bierich, Alexander Seidel

Der Junge ohne Namen zählt. Schritte, Pommes Frites, Regentropfen, Klopapier, einfach alles. Und nervt damit seine Eltern gewaltig. Erst als er Lila kennenlernt (beide Kinderschauspieler sind wunderbar "normal" gecasted und spielen überzeugend) trifft er jemanden, der ihn versteht. Eine zarte Liebesgeschichte entspinnt sich, die auch einen Erzählsprung von ca. 10 Jahren überdauert. Die beiden Teenager sind immernoch zusammen, auch wenn sie sich noch nie geküsst haben. Erst als Lila wegzieht verändert sich für den Jungen etwas. Aber er hat noch keine Lust erwachsen zu werden.

Der Film lebt von der gezielten Gegenüberstellung der spießigen-heilen, norddeutschen Vorstadtwelt der Eltern und den ebenso zwanghaften Handlungen des Jungen - wobei die letzteren natürlich viel positiver bewertet werden. Während die Eltern Ketterauchen, Briefmarken sammeln oder sich zwanghaft räuspern zählt der Junge eben, und zwar alles, und ohne dass dies akzeptiert würde. Leider bleibt die Gegenüberstellung aber allzu Klischeehaft und die bemüht bedeutungsvolle Erzählerstimme bringt ebenfalls nicht die Leichtigkeit, auf die der ansonsten ruhig erzählte Film eigentlich abzielt. So ist das Ergebnis zwiespältig.

Perspektive Deutsches Kino: Blackout - von Maximilian Erlenwein

Blackout.jpg

Deutschland 2005 Regie: Maximilian Erlenwein * Drehbuch: Maximilian Erlenwein *
Kamera: The Chau Ngo * Schnitt: Uwe Zimmer * Darsteller: Fabian Hinrichs, Carsten Ludwig, Julia Brendler

Stark und intensiv

Der 30minütige Film ist die Arbeit für das dritte Studienjahr von Maximilian Erlenwein an der dffb hier in Berlin und mag vor allem durch sein spannendes Drehbuch und seine Darsteller zu überzeugen (einzige Ausnahme: Carsten Ludwig, dessen Marius oft zu dick aufgetragen wirkt).

Tom Schulze kommt per Bus in Berlin an, irgendwie auch zurück, aber die meisten seiner Freunde wollen nichts mehr von ihm wissen und seine Freundin setzt ihn vor die Tür. Irgend etwas schreckliches ist passiert, aber Tom kann sich nicht wirklich daran erinnern.

Nach und nach gewinnt er seine Freunde, Freundin und ein normales Leben zurück, er ist ein charmanter, netter Kerl. Aber die Ruhe ist trügerisch.

Inspiriert von persönlichen Erfahrungen mit Freunden, die leichte Agressivitätsprobleme haben, hat der Regisseur selbst das Drehbuch geschrieben. Fabian Hinrichs - die beiden wohnen seit den Vorarbeiten des Films sogar zusammen in einer WG und der auf der Berlinale auch die Hauptrolle in "Sophie Scholl - die letzten Tage" spielt - erweist sich dabei als Glücksgriff für die Besetzung der Hauptrolle. Superb spielt er den, vielleicht nicht ganz untypischen Berliner Mitdreißiger, dessen Unfähigkeit erwachsen zu werden und Verantwortung zu übernhemen er glaubwürding verkörpert.

Es gab sehr viel Applaus zum Film und Fragen nach der Motivation der Hauptfigu etc., die der sympathische Maximilian Erlenwein nicht alle beantworten konnte. Braucht er auch nicht: sein Film spricht für sich selbst.

Feten und gefetet werden

Kleines Fernsehspiel/ großes Gedränge

Der Mann schleicht durch den Schnee wie ein Schwarzmärktler in „der dritte Mann“. Seine Ware: Eintrittskarten für den Empfang des „ZDF kleines Fernsehspiel“. Ich frage, ob er auch Karten für das WM-Endspiel hat. „Das ist das WM-Endspiel, Mann!!“ raunt er mir zu.

Wer sich nicht für Einladungen zu den etlichen Partys und Empfängen interessiert, der interessiert sich auch nicht für Geld. Denn diese Einladungen, Platzierungen auf Gästelisten und „Ich kenne jemanden der jemanden kennt, der schon drin ist“-Informationen sind neben Filmen im Berlinale Programm an denen man beteiligt ist und gottgegebenen gutem Aussehen, die einzige handelbare Währung des Festivals und damit des deutschen Kinos. Oder einfacher: Wer sich nicht dafür interessiert, hat keine Einladung. Wer sich nicht dafür interessiert, muss Filme gucken.
Natürlich sind diese Veranstaltungen in ihrer Großartigkeit durchaus zu übertreffen. Aber es gibt üppig zu essen, ebenso zu trinken, es gibt Gedränge, Lärm und man trifft immer jemanden, den man kennt, der jemanden kennt, der einem dann vorgestellt wird. Dann hört man, was andere gerade für ein Projekt ins Leben rufen (an dem man nie nie nie teilhaben wird) oder warum der und der dies und das nicht kann, ein Arsch ist, unsympathisch, unliebenswert etc (durchaus zu übertreffen). Denn das Filmgeschäft unterscheidet sich von anderen, durch eine manchmal schlicht ordinäre Offenheit.
Noch beliebter in diesem riesigen „Wir über uns“ ist allerdings das schlichte Vergleichen der einzelnen Veranstaltungen. „Warst du auch bei hmhmhm??“ – wer so fragt, fragt rhetorisch und erzählt dann, was man verpasst hat.
Ich hoffe nicht falsch verstanden zu werden. Diese feucht-fröhliche Nullkommunikation hat letztlich eine feste betriebswirtschaftliche Funktion im Business. Denn erst, wenn der Motor durch Sponsorenbier und –wein einigermaßen auf Touren ist, werden neue Projekte ins Leben gerufen. So etwas passiert sonst nur bei Künstlers im Schreibstübchen (werden nie realisiert), an Filmhochschulen (will keiner sehen) und eben auf Partys (klassische Ursprungsmythos-Anekdote, die man dann bei Kerner oder Beckmann zu hören bekommt).
Das kleine Fernsehspiel des ZDF ist ein solcher Ort für Ursprungsmythen. Darum verzeiht man den Veranstaltern, dass sie nicht ein paar öffentlich-rechtliche Groschen mehr in den Veranstaltungsort investiert haben, dass es Bier nur in schwer zugänglichen Ecken gibt, als handele es sich um Bückware und das Buffet in einem Durchgang aufgebaut ist. Denn das alles gehört dann später zum Mythos. Sollte ich zum Beispiel eine Karte für das WM-Endspiel Anfang Juni 2006 in Berlin bekommen, werde ich in meinen Ursprungsmythos die Fete des kleinen Fernsehspiels einflechten und versuchen im Jahr darauf, ein entsprechendes Filmprojekt ins Leben zu rufen.
So, ich muss dann auch los.

Klatsch, Tratsch, Promis - Die Bunte

Na klar, Berlinale ist natürlich auch Promi-Time. Christian war mit Keanu Reeves im Kino, in meinem Nachbarkino saß Bruce Willis etc. Auch solche Geschichte gehören dazu. Wer topaktuell informiert sein möchte kann vor den Berlinalekinos am Potsdamer Platz die kostenlose Hochglanzausgabe von "Bunte-night" abgreifen. Mit dem "Roben-TÜV", sinnlosen Infos wer mit wem wann wo und vor allem: was er bzw. sie dabei anhatte.

Für die ganz harten Promifans gibts die Bunte-night auch als PDF zum Download und Ausdruck, und zwar hier.

Panorama: Massaker von Monika Borgmann, Lokman Slim, Hermann Theissen

Deutschland, Libanon, Schweiz 2004 * Regie: Monika Borgmann, Lokman Slim, Hermann Theissen

p53-02.jpg
Bilder, die der Film nicht zeigt: Palästinensische Überlebende in Shatila, Südlibanon 1982

Hehre Ziele, leerer Film: Narrative der Gewalt in einer Dokumentation ohne Struktur

Der Inhalt der Dokumentation „Massaker“ lässt sich erschreckend knapp zusammenfassen: Einige junge Männer berichten über ihre brutalen Taten während des Massakers an Palästinensern im Libanon 1982. Punkt.

„Sabra und Shatila“, der Ort des Verbrechens steht für die entfesselte Brutalität des Bürgerkriegs und ein furchtbares Verbrechen an den Plästinensern, dass mit Billigung der israelischen Besatzungsmacht verübt wurde. In den letzten Jahren stand vor allem die Rolle des damaligen Verteidigungsministers Ariel Sharon, dem eine israelische Untersuchungkommission „persönliche Verantwortung“ für das Verbrechen bescheinigte, im Mittelpunkt der öffentlichen Wahrnehmung. Die Dokumentation beschränkt sich auf die Erzählungen von ehemaligen Angehörigen der „Kataib“ (Phalanx), der christlichen Milizen unter Kommando Pierre Gamayels. Nach der Ermordung Gamayels richten diese Milizen in den Palästinenserlagern im Südlibanon ein Blutbad an, das selbst aus dem Wahnsinn des libanesischen Bürgerkries heraussticht. Mindestens mehrere hundert Palästinenser, darunter Alte, Frauen und Kinder wurden von den bis an die Zähne bewaffneten Kämpfern regelrecht abgeschlachtet - unter den Augen der israelischen Armee.

Die Männer der Kataib berichten in der Dokumentation freimütg von ihren Taten: Wie sie Kinder ermordeten, weil sie „irgendwann erwachsen und dann zu Feinden geworden wären“, wie sie Menschen mit dem Messer langsam aufschlitzten, weil dann „das Opfer den Tod erst richtig spüre“. Während die Kämpfer von ihren Taten berichten, umkreist die ewig wackelnde Handkamera ihre schwitzenden Körper. Die Gesichter bleiben dunkel. Ab und zu rollen sie Scharzweißfotgrafien auf und zeichnen Lagepläne des Massakers mit Edding auf große weiße Folien. Die Kämpfer sitzen in kargen Räumen ohne Möbel, doch die Leere des Ortes bringt nicht den gewünschten Kontrast zur Brutalität ihrer Berichte. Die zwanghaft künstliche Inszenierung ist bald nur noch ärgerlich, und der Zuschauer fragt sich sich zunehmend: Warum dieser Film? Die Reaktion des Publikums ist verhalten, der Beifalll schwach. Nach kritischen Nachfragen an die Macher bestätigt sich ein schlimmer Verdacht: Die Regisseure wollen ganz naiv „die Motive der Täter“ erklären. Das Ziel wird konsequent verfehlt. Dass die immanente Beschäftigung mit Tätern nicht weiterführt, wenn man sich nur an ihren verschwommenen Erinnerungen abarbeitet, hat die dokumentarische Aufarbeitung des Nationalsozialismus schon oft erwiesen. Die freimütigen Geständnisse von schlichten SS-Leuten und KZ-Aufsehern alleine können nicht viel erklären.

Dass die Regisseure den Film in der anschließenden Diskussion trotzdem als Beitrag zur Untersuchung von „struktureller Gewalt“ verkaufen wollen ist skurril: Strukturen kommen nur am Rande vor, wenn die Kämpfer von Ausbildungslagern in Isral, von Propagandaschulung, Jugendverbänden und verordneten Drogenexzessen erzählen. Die Geschichte von Sabraa und Shatila selbst, von Opfern und Kontext, wird zur Fußnote der Gewalt. Das Massaker an den Palästinensern wird - trotz der Brutalität der Schilderungen - in den Narrativen der Milizionäre letztlich banalisiert, die Opfer kommen nicht vor.

Die hehren Ziele der Autoren sind gewiss: Die Aumaße des Massakers in Sabra und Shatila ins Bewustsein zu rücken. Aber der Film erreicht sein Ziel nicht. Eine Dokumentation, die sich dem Thema ganz konventionell nähert und Täterstimmen einflechtet, hätte das eher erreichen können. Die Kämpfer, so die Macher des Films, „hätten zum ersten Mal seit 1982 geredet“, was manchmal „wie eine Therapie“ gewirkt habe. Man hätte diese Therapie aber nicht filmen müssen.

Q&A: Pakostnik

ausfall.jpg

Sehr aufschlussreich war die Q&A Session am Ende des Films. Sie fand nicht statt. Die deutsche Botschaft in Moskau hatte der Regesseurin kein Einreisevisum gegeben.

Zuschauerreaktionen: Pakostnik

kron.jpg
Norbert Kron, Journalist und Schriftsteller

Eindruck
Vielleicht fehlt mir der Wahrnehmungshorizont für Russland, aber wenn ich es mit einem Spruch von Voltaire halte Alle Künste sind gut, ausgenommen die langweilige Kunst: mich hat der Film sehr gelangweilt.

Berlinale Favorit
Lost & Fond (Eröffnungsfilm des Forums)
Nicht alle der Kurzfilme waren gut, aber es war sehr interssant, die verschiedenen Werke der jungen Leute nebeneinander zu sehen.

Lieblingsfilme
21 Gramm von Alejandro Gonzalez Iñárritu
Habla con ella von Pedro Almodovar

ramin.jpg
Ramin, Arzt

Eindruck
Wie Tarkowski, sehr russisch und neben der Plausibilität. Nocheinmal würde ich mir den Film aber nicht anschauen.

Lieblingsfilme
Der Mordbrenner von Arkansas von Burt Kennedy

Forum: Pakostnik (The Rascal) von Tania Detkina (2)

Russland 2005 Regie: Tamia Detkina* Drehbuch: Tania Detkina* Kamera: Dobrynia Morgachew* Darsteller: Maxim Roganov, Anton Privalov, Swetlana Malischewa, Alexandra Ilienko

pkostnik.jpg

"Du kannst doch nicht in der Mitte des Filmes schon rausgehen. Damit missachtest du völlig die Arbeit, die der Künstler in das Werk gesteckt hat." Sagt Julia, selbst Künstlerin. Stunden haben wir damals diskutiert. Nun, wie auch immer: nach 30 min. hatte es mich wieder gepackt.. Und wenn ich am Rand der Sitzreihe und nicht in der Mitte gessessen hätte, dann hätte ich den spärlichen Applaus am Ende der Premiere nicht mitbekommen. So aber habe ich bis ans Ende ausgeharrt.

Hat es sich gelohnt? Unterhalten hat mich der Film schon einmal nicht. Nein, das kann ich wirklich nicht sagen. Aber, dass muss er ja auch nicht. Ich muss ja nicht dem unaufhaltsamen Trend, nur noch ins Kino zu gehen, wenn ich auch unterhalten werde, nachgeben.

Ist der Film dann "künstlerisch wertvoll"? Wie entscheiden? Vielleicht erstmal zum Inhalt, den kann man z.B. gar nicht wiedergeben. Ein Versuch?

Ein junger Mann hütet Sommerhaus ein. Hat eine Affäre mit der Tochter des Besitzers. Als der Vater zurückkehrt, wird der junge Mann aus dem Sommerhaus geschmissen. Er erhängt Teddybären im Schuppen, plant irgendetwas Gemeines und erzählt Kindern von Tod und Alter.

Also...es geht nicht. Der Inhalt ist auch nicht wichtig. Interessant ist der Mut der Regisseurin. Sie zieht ihren Stil kompromislos durch. Zugeständnisse an die Zuschauer gibt es nicht, stattdessen wenig Schönes und viel negative Aura. Verlegen lachen kann man, wenn man will, aber vielleicht hat , das man dann etwas falsch verstanden hat.

Fazit: Besser ein nicht ganz geglücktes Experiment mit Mut als ein mittelmäßiger Kompromiss mit Zuckerguss.

Und hat es sich nun gelohnt zu bleiben? Zu bleiben ja...reinzugehen....das ist eine andere Frage.

Panorama Dokumente: Lost Children von Ali Samadi Ahadi und Oliver Stoltz

Regie: Ali Samadi Ahadi, Oliver Stoltz * Drehbuch: Ali Samadi Ahadi, Oliver Stoltz *
Kamera: Maik Behres * Schnitt: Ali Samadi Ahadi * Musik: Ali N. Askin

Wieder eine Weltpremiere im Panorama der Berlinale. "Verlorene Kinder" dokumentiert den Versuch eine kirchlichen Hilfsorganisation, vier ehemalige Kindersoldaten in Nord-Uganda wieder in ihre Familien und Dörfer zu integrieren. Harte Kost also.

Der Film beginnt mit einem reißerischen Trailer, in dem eine tiefe Männerstimme, wie man sie aus den Vorankündigungen amerikanischer Action-Filme kennt einige Fakten zu Uganda erzählt, während dazu schwer erträgliche Bilder von mordenden Soldaten (oder Rebellen?) gezeigt werden. Dann erst beginnt der eigentlich eher ruhige und nachdenkliche Film, der die 4 Kinder in der kirchlichen Organisation und bei der Arbeit mit einer Sozialarbeiterin zeigt. 8, 12, 13 und 15 Jahre sind diese Kinder alt, die aus ihren Dörfern und von ihren Eltern entführt wurden und von den Rebellen zu unglaublichen Gräueltaten gezwungen wurden.

Uns begenen diese Kinder sehr ruhig: sie erzählen (etwas verwirrend: manchmal werden diese Erzählungen untertitelt, manchmal eingesprochen) meist mit entspannter Stimme, wie sie entführt wurden und was sie alles sehen und tun mussten. Die Kamera verweilt dabei auffallend oft an den offnen und eiternden Wunden derjenigen Kinder, die gerade neu ins Heuim gekommen sind. Das wirkt etwas voyeuristisch und befremdlich.

Nach und nach beginnen die Kinder sich zu öffnen und weitere Details von ihren unglaublichen Erlebnisse zu berichten: wie der dreizehnjährige Kilama eine Frau vor den Augen ihrer Kinder brutal niederstach, von den Initiationsriten anderer entführter Kinder, die erst einen Entführten zu Tode prügeln und dann sein Gehirn aus dem gespaltenen Schädel herauslecken mussten.

Aber auch der Versuch einer Reintegration der Kinder in ihre Familien wird beleuchtet. Hier wird deutlich, dass der achtzehnjährige Bürgerkrieg in diesem Land tiefe Auswirkungen auf die Bevölkerung hat: alkoholabhängige Eltern wissen nichts mit ihren Kindern anzufangen, Angehörige haben Angst vor der unkontrollierbaren Aggressivität der Kinder (von der man im Film nichts sieht, die die Regisseure im anschließenden Gespräch allerdings betonen) oder vor den Drohungen der Rebellen, jeden umzubringen, falls der oder die Entführte wieder bei ihnen gefunden werde.

Das Problem der "child soldiers" wird bei uns meist mit Bildern von behelmten, betrunkenen Kindern, die in der Gegend herumschießen illustiert. Die beiden Regisserure wollen ein anderes, ein realistischers Bild aus einem Land zeigen, dass seit 18 Jahren von einem mörderischen Bürgerkrieg zerfleischt wird, von dem in Europa aber nur in der Presse zu lesen ist, wenn bspw. 800 Menschen auf einen Schlag ermordet werden.

Schade ist dabei, dass die Filmmacher nicht auf die Schilderungen der Kinder vertrauen. Auch das erschütternde Interview mit einem Kind, das verdächtigt wurde auf der falschen Seite zu kämpfen und dem deshalb die Ohren, die Nase, die Oberlippe und alle Finger abgeschnitten wurden, reicht ihnen nicht. Statt dessen werden am Ende noch einmal nahezu unerträgliche Bilder von Leichen und Verstümmelten Opfern des Krieges gezeigt. Sie wollten daran erinnern, dass in diesem Land Krieg herrscht, meinten sie dazu. Der Film hätte dies auch ohne den reißerischen Anfang und das grobschlächtige Ende getan.

Es gibt nur wenige Augenblicke des Glücks in diesem Film: als die mehrfach vergewaltigte Jennifer erfährt, dass sie kein AIDS hat bspw., oder als der junge Francis nach Jahren wieder in sein Dorf kommt und ganz spontant von den Dorfbewohnern aufgenommen und von seiner Mutter in die Arme geschlossen wird. Aber diese Glücksmomente seien Zufälle gewesen, so die Regisseure, denn die Realität sieht nach wie vor anders aus.

Forum: Pakostnik (The Rascal) von Tania Detkina (1)

Regie: Tania Detkina * Darsteller: Maxim Roganov, Anton Privalov

Gut, es war die Weltpremiere dieses Films, der mit den lakonischen Worten eingeleitet wurde: "die Regisseurin hat leider kein Visum bekommen, deshalb fällt die anschließende Diskussion aus". Dann ging es ohne Umschweife, aber leider niemals wirklich zur Sache:

Schwarz-weiße Bilder aus einer verfallenden Villa in einem klaustrophobischen Wald; ein junger, pickeliger Hausmeister, der sich unbehaarte Katzen hält. Immer wieder Schweißer, die an einem Metallgerüst eine Brücke über einen Fluss am Bauen sind.

Bilder, meist ohne Musik, reihen sich aneinander, setzen sich aber niemals zu einem stimmigen Bild, einer Handlung oder Narration zusammen. Die Dialoge sind kryptisch ohne dabei interessant zu sein. Nach 10 Minuten beginnen die ersten, das Kino wieder zu verlassen.

Ein Stück Fleisch (oder Leber) wird mit einer Apparatur in einen Stoffteddy eingenäht. Der Hauptdarsteller mit seinem unglaublichen Silberblick schweigt meistens zu seinen Handlungen. Dann wird die eine (?) Erzählebene aufgebrochen, Personen erscheinen an verschiedenen Orten während sich in den jeweiligen Szenen kleine, stille Handlungssequenzen entspinnen.

Neben mir tuscheln zwei Männer etwas von "Dada", aber Dada hat mit Provokation und Schock zu tun. Mit erscheint dieser Film eher surrealistisch, mag aber nicht zu fesseln, scheinbar uninspiriert werden Szenen aneinander gereiht ohne Spannung und ohne Kraft. Formal mag das vielleicht spannend sein, mir reicht es allerdings nach einer Stunde und ich beende mein russisches Filmexperiment vorzeitig und gelangweilt.

Wettbewerb: "Sophie Scholl - Die letzten Tage" von Marc Rothemund

sophie_scholl.jpg

Gewissen besiegt das Recht

Deutschland 2004, 117 Minuten, *Regie: Marc Rothemund; *Buch: Fred Breinersdorfer, *Kamera: Martin Langer, *Musik: Johnny Klimek, Reinhold Heil; *Produzenten: Christoph Müller, Sven Burgmeister, Fred Breinersdorfer, Marc Rothemund; *Darsteller: Julia Jentsch, Fabian Hinrichs, Alexander Held, Andre Hennecke u.a.

Wettbewerb: Sophie Scholl Die letzten Tage von Marc Rothemund

Deutschland 2004, 117 Minuten, Regie: Marc Rothemund; Buch: Fred Breinersdorfer, Kamera: Martin Langer, Musik: Johnny Klimek, Reinhold Heil; Produzenten: Christoph Müller, Sven Burgmeister, Fred Breinersdorfer, Marc Rothemund; Darsteller: Julia Jentsch, Fabian Hinrichs, Alexander Held, Andre Hennecke u.a.

Der Film ist fast als Kammerspiel inszeniert. Nach der Verhaftung von Sophie und Hans Scholl spielt der Großteil des Films im Verhörraum und in der Gefängniszelle. Gegen Ende noch einmal kurz im Gerichtssaal und dann werden sie auch schon auf der Guillotine geköpft. Die Geschichte ist bekannt und braucht hier nicht nacherzählt werden. Was diesen neuen Film von der ersten Verfilmung in den 80er Jahren unterscheidet, ist die Fokussierung auf die Figur der Sophie und die bei ihrem Verhör angefertigten Protokolle sowie die Betonung des christlichen Hintergrunds des Geschwisterpaares, auf der offenbar nicht nur ihre moralische Selbstsicherheit beruhte, sondern auch ihre Bereitschaft, eine Art Märtyrertod zu sterben.
Julia Jentsch als Sophie Scholl und Alexander Held als Gestapo Kommissar Robert Mohr tragen den Film mit ihrer beeindruckenden Leistung. Die interessanteste Figur ist dabei der Gestapo Verhörchef Mohr, weil er als kleiner Dorfpolizist es unter den Nazis zu etwas gebracht hat, ein Freund von Ordnung ist und sich bei allen Fragen von Gewissen und Moral auf eine positivistische Rechtsauffassung zurückzieht: Alles, was von den Staatsorganen zu Recht erklärt wird, ist Recht & Gesetz. Moralische Kriterien darf es nicht geben. Mit der Zeit beeindruckt ihn aber Sophie Scholls Standhaftigkeit und Selbstsicherheit. Ihr Idealismus auf den Nationalsozialismus angewendet, wäre genau was Deutschland braucht, meint er. In einer Pontius Pilatus mäßigen Szene wäscht er sich ausgiebig die Hände, nach dem Sophie Scholl ihr Geständnis unterschrieben hat. Die einzige abgeschmackte Szene in dem Film.
Ansonsten vermeidet der Film billige Nazi-Clichees von martialischen Gestapooffizieren, fanatischen Parteigenossen in schwarzen Ledermänteln etc. Es gibt keine „folkloristische“ Naziszenen mit Fackelzügen und begeisterten Massen oder die sonst üblichen Szenen von Gewalt und Unterdrückung auf der Straße, die es dem heutigen Betrachter leicht machen zu sagen: Ach das waren schlimme Zeiten damals.
Ich fand die Bilder im Gegenteil sehr modern und gegenwärtig, die Kostüme wie z.B. die rote Strickjacke und Kleid von Sophie Scholl könnte man am Prenzlauer Berg ohne aufzufallen auch heute tragen (wohingegen man wohl nach einer vergleichbaren inneren Haltung am P-berg lange suchen müßte).
Beeindruckend fand ich die Darstellung wie der Nazi-Apparat die Scholls durch sein Mahlwerk dreht. Hausmeister ergreift sie, Gestapo verhaftet sie, Universitätsführung ist über die Studenten zackig empört, Kommissar verhört gründlich und sammelt wie im „Tatort“ Beweise, zwei Tage später Polizei transportiert sie zum Gericht, Urteil, wenige Stunden darauf Hinrichtung. Jedes Rädchen greift gut geölt ineinander und alle befolgen nur, was nach dem „Gesetz“ ihre Aufgabe ist. Eins der Flugblätter der Weißen Rose wird später von den Engländern über Deutschland abgeworfen. Als „Erklärung der Münchner Studenten“. Leider ein verfehlter Titel, wenn man die zwei Dutzend Menschen betrachtet, die den Mut hatten, sich gegen das Regime zu stellen.

Ein guter Film mit ebenso guten Darstellern (auch wenn ein Kritiker es als „politisch korrektes Studententheater“ verhöhnte) aber meiner Ansicht nach mit wenig Chancen auf den goldenen Bären, weil nicht wie im letzten Jahr wieder eine deutscher Film die Berlinale gewinnen kann. Doch Julia Jentsch als beste Darstellerin, das wäre durchaus möglich. Verdient hätte sie es!

Forum: "Der irrationale Rest" von Thorsten Trimpop

irrational.jpg

Deutschland 2005, 95 Min. *Regie und Buch: Thorsten Trimpop *Kamera: Hanno Moritz Kunow *Musik: Michael Jakumeit *Produzenten: Susann Schimk, Jörg Trentmann

Forum: Der irrationale Rest von Thorsten Trimpop
Deutschland 2005, 95 Min.; Regie und Buch: Thorsten Trimpop, Kamera Hanno Moritz Kunow, Musik: Michael Jakumeit; Produzenten: Susann Schimk, Jörg Trentmann

Der Dokumentarfilm lässt drei ehemalige Freunde, ein Mann, zwei Frauen über die Jahre 86/87 sprechen. Alle sind damals Anfang 20. Mathias versucht mit der besten Freundin seiner Freundin Suse aus der DDR zu fliehen und wird zusammen mit ihr verhaftet. Was folgt ist Stasihaft und Verurteilung. Dann 87 Entlassung in die DDR, nicht wie beide gehofft hatten, in den Westen. Die Drei haben sich als der Film beginnt 16 Jahre nicht mehr gesehen und nie wirklich über die Zeit damals, ihre Beweggründe und die Folgen auf ihr Leben gesprochen. Nicht nur dass Suse schwanger von Mathias war, als der beschloss, abzuhauen, auch die beste Freundin hatte nur noch Augen für das Ziel: Weg hier! Suse bleibt bewusst in der DDR und gibt nach der Verhaftung ihrer beiden Freunde dem Druck der Stasi nach und verrät offenbar Dinge über Freunde und Bekannte.
Mathias haben die Ereignisse von damals nie losgelassen, seine Haft, die Drangsalierung im Gefängnis, die Einschränkung und Beobachtungen. Er führt heute in einer Art masochistischem Impuls Besuchergruppen durch das Stasigefängnis, in dem er vor 18 Jahren gesessen hat.
„Vielleicht bin ich nur am Leben, wenn ich wieder in dieser Vergangenheit bin, und spüre, was ich damals gespürt habe.“ sagt er. Susanne ist dann doch noch vor der Wende nach Westberlin gegangen und hat den Beruf gelernt, den sie in der DDR nicht lernen durfte. Suse blieb, wo sie war und lebt als einzige heute noch im Osten Berlins.
Der Film begleitet jeden Einzelnen der drei an die Orte ihrer gemeinsamen und dann trennenden Vergangenheit, in den Wald an der Grenze zu Tschechien, wo die beiden Flüchtenden gefasst wurden, in den Plattenbau, in dem sie damals wohnten, dann weiter in das Gefängnis, in das Susanne zum ersten Mal zurückkehrt, an die Schule, wo Suse zu DDR-Zeiten unterrichtete und die heute nur noch eine Ruine ist.
Alle drei holen in Monologen und vom Regisseur fast nie unterbrochen allmählich ihre Vergangenheit zurück, ihre Beziehung zu den anderen beiden, versuchen zu erklären und rechtfertigen. Sie stellen fest, wie sehr all das auch nach fast 20 Jahren noch schmerzt, weil aus Freundschaft und Liebe Misstrauen wurde. In der beeindruckenden Schlussszene, in der alle drei schließlich zum ersten Mal aufeinandertreffen, spürt man die Fremdheit zwischen ihnen, die Trauer über den Verlust der Liebe und Freundschaft, die ihnen von der abstrakten Politik der DDR genommen wurde, die ihr Leben aber bis heute prägt. Sie schweigen. Der noch am tiefsten im Gestern verstrickte Matthias spricht den passenden Schlusssatz des Films: „Was sagt man bloß in so einem Moment?“.

Panorama: „Inside Deep Throat“ von Randy Barbato & Fenton Bailey

deep.jpg

Die „Mutter“ aller Pornofilme

Der Übergang war gewagt: Bin vom ernsten, schweren deutschen Stoff in „Sophie Scholl - Die letzten Tage“ (Review oben) direkt in diese Dokumentation. Aber man kann recht schnell umschalten, bei so einer Thematik wie dem erfolreichsten Porno, der je gedreht wurde: Deep Throat
In Gesprächen vor dem Film hörte ich häufig die Frage: „Hast DU schon mal Deep Throat gesehen? Warst Du mal in einem Pornofilm?“ Auch die amerikanischen Regisseure baten das vorwiegend deutsche Publikum um Handzeichen, wer schon Mal Fellatio auf einer Kinoleinwand gesehen habe. Es waren erstaunlich viele auch solcher Besucher, die wirkten, als wenn sie sonst eher den chinesischen Ungerground-Film oder den nächsten Ken Loach besprechen. Und noch etwas wirkte anders als sonst auf der Berlinale. Ungewohnte Typen, sehr braungebrannte, breitschultrige Herren, seeeehr blonde Damen in stoffarmen Kleidchen hatten sich unter das übliche Berlinale Völkchen gemischt und wurden tüchtig von der zahlreich erschienen Presse abgelichtet.

Deep Throat war der erste Hardcore Porno, der Anfang der 70er ein breites Publikum erreichte, weil er als Komödie angelegt war und versuchte, so etwas wie eine Geschichte zu erzählen. Dass sich der Film ausserdem auc
h um die sexuelle Befreiung der Frauen verdient gemacht hätte, wie von den Filmemachern behauptet, weil es in ihm um die Suche einer Frau nach sexueller Erfüllung gehe, diese These kann ich nicht so richtig bestätigen. Die Story von Deep Throat ist dem Genre sehr angemessen: „Linda Lovelace“ sucht sexuelle Erfüllung und wird fündig, als sie vom Arzt erfährt, ihre Klitoris im Hals zu haben. Von da an vollbringt sie eine Art Schwertschluck-Kunststück bei der Fellatio und findet, was sie sucht. Diese (beeindruckende) Szene war dann auch die einzig echte Pornoszene in der Dokumentation. Ansonsten traten viele fett und vom Drogenmissbrauch gezeichnete Damen und Herren auf und erzählten über damals, als der Pornofilm für die breite Masse geboren wurd, die kurze Zeit bevor es eine jährlich 100erte von Millionen Dollar verdienende „Rein-Raus“ Großindustrie wurde. Die Macher von damals begriffen sich tatsächlich als Rebellen gegen Doppelmoral und Verklemmtheit und wurden von vielen auch so wahrgenommen. Deep Throat ist ein Symbol gewesen für die Freiheit sich die Filme im Kino anzusehen, die man möchte, eben auch einen Sexfilm. Er hat ausserdem Sexpraktiken vorgeführt, die in einigen US-Staaten noch heute unter Strafe stehen.
Deep Throat erregte 1972 soviel Aufsehen, dass er in großen Zeitungen wie der New York Times und Variety besprochen wurde. In Folge lockte er „ganz normale Leute“ ins Kino. Auf sein Verbot und die folgenden Prozesse folgten Solidaritätskundgebungen, auf denen Jack Nicholson und Warren Beatty auftraten. Selbst Jackie Kennedy wurde beim Verlassen des Kinos gefilmt.
Deep Throat hat bis heute geschätzte 600 Millionen Dollar eingespielt. Er ist damit zum erfolgreichsten Film (nicht nur Pornofilm) aller Zeiten geworden.
Die Kehrseite der Geschichte: Keiner der Beteiligten, nicht die Schauspieler, nicht Regisseur oder Produzenten, haben je von diesem Erfolg finanziell profitiert. Das gesamte Geld versickerte in Mafia-Kanälen. Kinos, die den Film zeigten, wurde 50% der Einnahmen als Schutzgeld erpresst, jede einzelne Kopie des Films wurden von sogenannten Checkern in die Kinos gefahren und die Einnahmen überwacht. Die Darsteller und Produzenten dagegen erging es nicht nur finanziell schlecht. Der damals beginnende Kulturkampf der Rechten gegen „Unmoral“ und Pornographie hat die Leben aller Beteiligten vor allem der beiden Hauptdarsteller durcheinandergewirbelt und beinah zerstört. Die Republikaner in den USA wollten an Deep Throat ein Exempel statuieren. Sie erreichten nicht nur, dass Gerichte die Vorführung des Films in fast allen Bundestaaten verboten, sondern sie überzogen alle Beteiligten und alle, die bei Verleih und Verkauf beteiligt waren mit Prozessen, die darin gipfelten, dass der Hauptdarsteller Harry Reems (der für seinen Auftritt 250 $ bekommen hatte) der Verschwörung angeklagt und tatsächlich zu Gefängnis verurteilt wurde.
Das Klima ist in den heutigen USA ist laut Aussage der Filmemacher wieder so wie Mitte der 70er: Restriktiv, verklemmt, voller Doppelmoral. „Obwohl diese Zeit erst 30 Jahre zurückliegt, hatten wir das Gefühl eine historische Dokumentation zu machen, wie man sie auf eine jahrhundertealte Kultur anwenden könnte. Wir mussten feststellen, dass viele Leute, die in den Film oder die Szene der sexuellen Revolution involviert waren, nicht mehr darüber sprechen wollten.“
Das Schlusswort hatte der damalige Ankläger, ein ehemaliger Prediger und noch heute Staatsanwalt. Er hielt das Klima in den USA heute sogar für noch besser als damals und meinte, wenn das Justizministerium nicht soviel mit Terroristen zu tun hätte, sähe es schon heute in Amerika anders aus. Schmutz und Schund ginge es aber sicher bald an den Kragen.
Danke Ossama!, wird man im San Fernando Valley, Sitz der US Pornoindustrie, da wohl jeden abend rufen.

Panorama: Silentium von Wolfgang Murnberger

Österreich 2004 * Regie: Wolfgang Murnberger Drehbuch: Wolfgang Murnberger, Josef Hader, Wolf Haas Darsteller: Josef Hader, Simon Schwarz, Joachim Król, Maria Köstlinger, Udo Samel, Jürgen Tarrach, Rosie Alvarez Special Guest: Christoph Schlingensief

silentium.jpg

Und scho wieder is wos passiert. In Salzburg stürzt der Schwiegersohn des Festspielpräsidenten vom berühmten Selbstmörderberg Mönchsberg. Hat er aber vielleicht einen kleinen Schubser gekriegt? Daran glaubt die Frau des Toten. Was für ein Glück, dass sie den glücklosen Brenner begegnet! Mit einem interessanten Trostspruch hat er sie für sich gewonnen, und sie wiederum überzeugt ihn davon, sich in die altehrwürdigen Gemäuer eines Knabenkonvikts zu begeben, hinter denen die Witwe die Mörder ihres Mannes vermutet. Ein Jahr zuvor war nämlich der Tote mit seinen skandalträchtigen Erinnerungen an die Öffentlichkeit getreten: der Leiter der Schule und zum Erzbischof aufgestiegene Schorn hat ihm als jungen Schüler etwas zu realistischen Hygieneunterricht erteilt. Mit seinem Freund Berti kommt Brenner nicht um die Kulissen der Festspiele herum (da beweist Christoph Schlingensief sein Können vor den Bayreuther Festspielen ) und kratzt an der glänzenden Oberfläche der morbiden Mozartstadt.

Nach der Romanvorlage von Wolf Haas ist dem Regisseur Wolfgang Murnberger ein spannender Film gelungen, in dem man fiebert, lacht, zittert, den Kopf schüttelt und noch mehr lacht. Das staubige Österreich mit der staubigen katholischen Kirche und dem staubigen Bürgertum, die alle gern heuchlerisch die Augen verschließen, wird schonungslos bloßgestellt. Brenner, dargestellt vom genialen Josef Hader (bekannt als Kabarettist und v.a. wegen dem Film „Indien“), ist der Anti-Held schlechthin. Stolpert von einem Missgeschick ins nächste und kommt doch als Stehaufmännchen immer mit einem blauen Auge davon. Skurrile Szenen erinnern an „Kottan ermittelt“, eine der sicherlich absurdesten Fernsehserien, die in den 80ern über Österreichs Bildschirme flimmerte (oder was sagt man zu einem Polizeipräsidenten, der seinen privaten Krieg mit einem Getränkeautomaten führt?). Brenner ist eine liebenswert tragikomische Figur, dessen einzige Romanze sich durch die kleine Nachtklappe einer Apotheke abspielt. Überhaupt sind die Charaktere dieses Filmes eigensinnig und wunderbar ausgearbeitet. Der bissige Wortwitz bringt uns zum Lachen, aber die Geschichte selbst stimmt einen nachdenklich. Sie ist erst auf den zweiten Blick tiefsinnig.

Nicht umsonst war dieser Film der größte Kassenschlager in Österreich 2004. Die Frage ist nur, kann er in Deutschland bestehen – ohne Untertitel? Keine Sorge, es kämpften sich auch einige „Piefke“-Darsteller tapfer mit österreichischen Ausdrücken und Akzenten im Film durch. Ich freue mich jedenfalls darüber, dass Wolf Haas noch vier ganze Romanvorlagen aus dem SchreibÄrmel gezaubert hatte.

Forum: Crash Test Dummies von Jörg Kalt

Östereich 2005 Regie: Jörg Kalt * Drehbuch: Jörg Kalt * Kamera: Eva Testor * Schnitt: Emily Artmann* Darsteller: Maria Popistasu, Bogdan Dumitrache, Simon Schwarz, Kathrin Resetarits, Viviane Bartsch, Barbara Albert

crashtest.jpg

"Your Freundin has an accident. I call the spital. Waitens a moment". Wenn die Hotelangestellte mit dem Rumänen Nicolae spricht, dann geht es ihr wie Östereich: sie ist im neuen Europa angekommen.

Ankommen, wegfahren, hinfahren, zusammenkommen.

Nicolae und seine Freundin Ana fahren von Bukarest nach Wien, um ein Auto zu überführen. Als sie die ungarische Kontaktperson Arlep völlig stoned vor einer Wurstbude im Wiener Bahnhof treffen, wird klar: der Deal läuft anders als geplant. Das Auto ist noch nicht geklaut, vielleicht klappt es in einer Woche. Nicolae und Ana beschliessen die Woche zu warten. In dieser Woche Wien ohne Geld kreuzen sich ihre Wege mit den Wienern Jan und Martha.

Jan arbeitet für einige Wochen als Vertretung. Supermarktdetektiv im Interspar. Wiener Bahnof Untergeschoss. Über sechs Monitore beobachtet er das Supermarktbiotop: z.B. wie Ana die Münzen im Telefon vorm Interspar ausgehen oder wie seine Mitbewohnerin Martha sich in eine Dosenburg fallen lässt. Martha wandelt, schleicht apathisch durch ihr Leben, klaut aus einer Medikamentstudie Tabletten und nimmt sie wie Gummibärchen. Beruflich arbeitet sie als Crash Test Dummi. An ihr wird erprobt, wie sich der Aufprall eines Autos gegen die Wand auf den Fahrer auswirkt. Mit hoher Beschleunigung und niedriger Geschwindigkeit wird Matha auf dem Versuchssitz nach vorne katapultiert.

Das Bild des Crash Test Dummi beschreibt auch das Leben der Hauptfiguren. Mehrmals fahren sie mit hoher Beschleungigung gegen die Wand des Wiener Alltags: gegen Wiener Autos, gegen gewalttätige Security oder gegen eine männerkonsumierende, verführerische Wienerin. Hinterher stehen sie wieder auf, schütteln kurz den Dreck ab und leben weiter.

Lakonisch und mit grosser Symphatie für seine Figuren, die sich auch von Kühen auf der Fahrbahn nicht unterkriegen lassen, beobachtet Jörg Kalt europäische Grenzbewegungen. Sein Spielfilmdebüt ist ein amüsanter östereichischer Reigen, der auf der Premiere entusiastisch vom Publikum aufgenommen wurde.

Wettbewerb: Hotel Rwanda von Terry George

Regie: Terry George Drehbuch: K. Pearson, T. George & Don Cheadle
Darsteller: Don Cheadle, Sophie Okonedo, Nick Nolte

rwanda_2.jpg


echt, real

Don Cheadle spielt Paul Rusesabagina und Paul Ruseabagina spielt Don Cheadle. Die beiden geben auf dem Festivalgelände Autogramme. Näher können sich Spielfilm und Realität kaum kommen. Der für diese Rolle Oskar nominierte Don Cheadle spielt den Hotelmanager Paul Ruseabagina, der während des Genozids in Ruanda 1200 Menschen das Leben gerettet hat. „Hotel Ruanda“ erzählt diese Geschichte auf atemberaubende Weise und steuert den Tatsachen nur „zehn Prozent Pfeffer und Salz“ (Ruseabagina) bei, um den Geschmack des Publikums besser zu treffen. Der Film wird neben „Sophie Scholl“ wohl zu den meist beweinten Festivalbeiträgen gehören. Verbinden tut die beiden Filme, dass sie von Menschen handeln, die sich dem Massenschlachten ihrer Zeit entgegen stellten. Mit dem Unterschied, dass Ruseabagina seinem Film beiwohnen kann.
Dass das so ist, erscheint angesichts der Ereignisse ein Wunder. Täglich musste er mit den Hutu-Schlächtern um das Leben der Tutsi im Hotel feilschen. Auch um das eigene. Mit immer neuen Finten und Ideen, zögerte er das schier unvermeidliche hinaus, bis es doch noch Rettung gab. Die kam, wie man weiß, nicht von der westlichen Staatengemeinschaft. Die Tutsi schlugen blutig zurück und handelten einen Austausch aus.
Mit beeindruckenden Bildern und einer ins Mark gehenden Dramaturgie bringt einem der Film diese Ereignisse, so nah, wie sie damals kaum jemandem waren. Nick Nolte als versoffener UNO-Offizier und Sophie Okonedo als Paul Ruseabaginas Frau tragen zur Stärke des Films bei. Niemand in diesem Film ist bloßer Platzhalter, es werden Menschen erzählt, auf beiden Seiten.
Ob ihm der Film Hoffnung mache, wurde Ruseabagina auf der Pressekonferenz gefragt. Nein, sagte er, im Sudan passiere ein neues Ruanda. 70.000 Menschen seien bereits getötet worden.

Panorama: The Devil and Daniel Johnston von Jeff Feuerzeig

Regie: Jeff Feuerzeig

johnston.jpg


"Funeral Home"

Vater und Sohn Johnston in einem Sportflugzeug über Texas: Sohn Daniel stoppt den Motor, zieht den Schlüssel ab und schmeißt ihn aus dem Fenster. Sie stürzen in einen Wald und überleben. Auf der Fahrt ins Krankenhaus passieren sie eine Kirche an der folgendes Predigt-Thema in großen Lettern angekündigt wird: „Lord says: you may have a hard trip, but a save landing“.
Eine Szene aus dem Dokumentarfilm „The Devil an Daniel Johnston“. Die Geschichte des längst zum Kultstar aufgestiegenen Musikers. 13 Jahre hat Regisseur Jeff Feuersteig an dem Film gearbeitet. Herausgekommen ist eine farben- und musikträchtige Collage und ein Dokument, dessen Längen den wahren Fan kaum schocken werden.
Es ist die chronologisch erzählte Geschichte des Daniel Johnston, vom kleinen hyperaktiven und künsterlisch vielversprechenden Jungen, über den vom Teufel besessenen Underground-Musiker, der eine alte Frau zum Sprung aus dem Fenster zwang, bis zum gutmütigen fetten Liedermacher der Jetztzeit, dessen Konzerte weltweit die Hallen füllen. Angereichert wird das ganze durch herrlich skurrile Super-8-Kurzfilme aus Johnstons Jugend, Zeichnungen und etliche Tonband-Aufnahmen, mit denen Johnston sein Leben dokumentiert. Angetrieben von einer unglücklichen Liebe komponierte er Hunderte, teils herzzerreißende Songs ("Funeral Home"), die inzwischen von Stars wie Beck oder Sonic Youth gecovert werden. Curt Cobain trug kurz vor seinem Tod monatelang ein Daniel Johnston T-Shirt und löste ein kleine Manie aus. Erzählt wird aber auch, wie plötzlicher Ruhm, Fernsehauftritte und Drogen ihn zum Psychopaten werden ließen. Er ist wohl der einzige Musiker, den die Manager eines Major-Labels in der Psychiatrie aufgesucht haben, um ihn unter Vertrag zu nehmen. Und der einzige der Eine Platte via Telefon aus eben jener Anstalt einsang.
PS: Vater und Sohn wohnen im selben Haus

The Last Vorfilm

Mal abgesehen von unserem Freund, dem Marlboro-Man, ist er ja leider ausgestorben, der auflockernde Vorfilm. Die Berlinale hat ihn in ein neues Gewand (Smoking) gesteckt und vor einem Wettbewerbsfilm gemogelt. Sein Name Gerd Scobel, 3Sat- bzw. Morgenmagazin-Moderator und auch, was keiner wusste: Stand-up.Comedian. Seine Aufgabe, die Verleihung European-Shooting-Star-Awards an 21 (wegen der Übersichtlichkeit ...) junge europäische Schauspieler. Mit souverän durchgehaltener Nervosität übersetzte Scobel seine bis ins Koma vorgefeilten Moderationen wahlweise vom Englischen ins Deutsche oder umgekehrt. Er quälte sich, Festivalchef Kosslick und weitere Gäste durch Interviews („Was bedeutet der Preis für das Festival?“) und verhedderte sich, wohl weil ohne Telepromter, immer wieder höchst belustigend in Text und Ablauf. Erst verlieh der Preis, den jungen Schauspielern „endlich ein schönes Gesicht“, dann bat Scobel die europäische Kulturkommissarin, mit der Preisvergabe zu beginnen, ohne die Gewinner auf die Bühne gebeten zu haben.
Vorfilm Scobel lockerte auf. Der Hauptfilm war „Sophie Scholl – die letzten Tage“.

Wettbewerb: One day in Europe von Hannes Stöhr

Regie: Hannes Stöhr Drehbuch: Hannes Stöhr

Darsteller: Megan Gay, Luidmila Tsvetkova, Erdal Yildiz, Florian Lukas, Péter Scherer, Miguel de Lira, Rachida Brakni, Boris Arquier.

one_day_in_europe.jpg


Film und Fußball

Über ihn wird ja immer wieder gerne gesprochen: der europäische Film. Meist kommt er in diesen Diskussionen allerdings auf so theoretischen Füßen daher, dass man vor lauter Angst, er könnte stolpern, den Faden beim Zuhören verliert.
Nicht so „One day in Europe“ von Hannes Stöhr („Berlin is in Germany“). In der Tradition von Jarmuschs „Night on Earth“ erzählt er den Tag eines fiktiven Champions-League Finales (Istanbul gegen La Coruna) in vier europäischen Städten. In Moskau, wo das Spiel ausgetragen wird, Istanbul, Santiago de Compostella und Berlin (Klein-Istanbul). Erzählt werden jeweils kleine Geschichten von Menschen, die beraubt wurden, vorgeben, dass sie beraubt wurden oder vorgeben wollen, dass sie beraubt worden sind. Der Charme liegt dabei in den aufeinandertreffenden Charaktären respektive ihren Sprachen. Eine Engländerin in Russland, ein Deutscher (Florian Lukas) der in Istanbul auf einen schwäbelnden Taxifahrer (Erdal Yildiz) trifft - „Jetzet gehe ma Fußboll gugge!“. Ein naiver ungarischer Pilger der dem Dieb seine Kamera unter Verwendung von Höflichkeitsform aushändigt und zwei Franzosen, die in Hellersdorf nach Skins suchen. Zusammengehalten wird der Film von Fußballfans, die immer wieder im Bild auftauchen, dem Film Tempo, Farbe, Rhythmus geben. Alleine für die realistische Darstellung von Fußballfans im Film sei Stöhr herzlich gedankt. Wahrscheinlich ist er selbst einer, weshalb man seinem Film zuhört und keine Angst hat, er könnte stolpern. Was für eine Zeit, in der einem weder um den deutschen Film noch um den deutschen Fußball Bange sein muss.

Dass solche Filme entstehen ist unter anderem den tapferen Produzentinnen von moneypenny (Anne Leppin und Sigrid Hoerner) zu verdanken. Dass man sich um solch schwer zu finanzierende Filme nicht sorgen muss, dafür versucht der Coproduktionsmarkt der Berlinale zu sorgen, den es seit zwei Jahren gibt.

Wettbewerb: Man to Man von Regis Wargnier

Regie: Regis Wargnier Drehbuch: Regis Wargnier und William Boyd
Darsteller: Kristin Scott Thomas, Joseph Fiennes

m2m_2.jpg

Mann oh Mann!

Schon nach zehn Minuten begannen Teile des Publikums zu rascheln, ohne dabei von den Antiraschelbeauftragten des Weltkinoverbandes lautstark zur Rechenschaft gezogen zu werden. Nach zwanzig Minuten kam Ärger auf, weil man nicht selbst die Chance hatte, mit Kirstin Scott Thomas und Joseph Fiennes, üppigster Ausstattung und beruhigendem Budget einen Historien-Film zu machen. Oder war es am Ende doch das Budget, das Regisseur Regis Wargnier die Zutaten seines Films in den Mixer schmeißen ließ, anstatt sie Gang für Gang zu servieren? Nach dreißig Minuten schließlich, modellierte sich der Rezensent längst seinen eigenen Film... aber der Reihe nach.

Die Geschichte: Englische Wissenschaftler fangen im afrikanischen Dschungel ein Pygmäenpärchen. Sie bringen es zu wissenschaftlichen Zwecken in die Heimat. Es gilt zu beweisen, dass die Pygmäen das Missing Link zwischen Affe und Mensch sind. Oder eben das Gegenteil. Ein Kampf entbrennt. auf der einen Seite zwei Herren, denen die Pygmäen recht gelegen kommen. Auf der anderen Seite Jamie Dodd (Joseph Fiennes). Auch er sucht nach dem Missing Link und wissenschaftlichem Ruhm, sieht sich aber bald mit der Menschlichkeit und Intelligenz der Pygmäen konfrontiert. Immer munter zwischen drin: Elena von den Ende (Kristin Scott Thomas).

Stoff für eine wahnsinnige Geschichte. Doch wie gesagt: alles in den Mixer, heraus kam lauwarme historien-Sosse, die sich über die üppig-liebevolle Ausstattung und die hervorragende Besetzung ergoss.
Vielleicht hätten Regisseur Regis Wargnier und sein Mit-Autor William Boyd mehr um die Menschen hinter den Wissenschaftlern kümmern sollen. Denn die beiden Hauptfiguren scheinen am Drehbuchreißbrett auf ähnliche Weise vermessen und behandelt worden zu sein, wie die Pygmäen im Film. Im wissenschaftlichen England des 19. Jahrhunderts, so muss man jetzt glauben, hatte man kein Privatleben. Nicht einmal, wenn Kristin Scott Thomas einem tief in die Augen schaut und britisch-kühl anfragt, ob man es nicht gerne mit ihr teilen will. So hatte jede Figur ihre klare Zuordnung und kein bisschen mehr: ... (bös kommerziell), ... (bös idealistisch) ... (bös naiv) und .... (bös böse)
„Shut up“ – das sind die ersten englischen Vokabeln, die die beiden Pygmäen als erstes lernen. Und man war geneigt, sie den dialogführenden Schauspielern entgegen zu brüllen, ohne Angst vor den Zwischenrufbeauftragten haben zu müssen. Die waren längst eingeschlafen. Ich nicht, denn ich habe ja ab Minute dreißig meinen eigenen Film gesehen: Ausgangslage war die an Filmhochschulen heiß gehandelte bargsche Rochade (benannt nach dem Leiter einer Drehbuchschule): Man würfele einfach alle Details eines Film durcheinander – Geschlechter, Orte, Epochen, Stimmungen - verdrehe sie ins Gegenteil und ordne sie neu an, bis was gutes rauskommt. So geschah es, dass mir die Pygmäen bald als US-Käfiggeiseln im kubanischen Guantanamo erschienen. Eine spannende Geschichte, sie werden sehen!

Forum: Amu von Shonali Bose

Indien 2004 * Regie und Drehbuch: Shonali Bose * Kamera: Lourdes Ambrose * Darsteller: Konkona Sensharma, Brinda Karat, Ankur Khanna, Chaiti Gosh, Aparna Roy

2302_0003_Popup1.jpg

Jenseits von Bollywood

Bollywoodfilme haben in Deutschland längst ihren Markt erobert, auch auf der Berlinale läuft mit Veer-Zaara im Forum ein indisches 192-Minuten-Spektakel. Im Forum gibt es mit „Amu“ aber auch wieder einen sehr politischen indischen Film, der wie „Final Solution“ im letzten Jahr die ethnischen Spannungen des Landes thematisiert.

Der Film erzählt die Geschichte der 21-jährigen Kaju. Als Waise in Los Angeles aufgewachsen, reist Kaju nach Neu-Delhi, um die Familie ihrer Adoptivmutter zu besuchen - und um mehr über ihre eigene Herkunft zu erfahren. Dass bei einer Malariaepedemie 1984 das ganze Dorf ihrer Eltern umgekommen ist, gehört zu den wenigen Information, die sie hat. Während Kaju als Fremde nach Indien kommt, wird bald klar, dass dunkle Erinnerungen an die Heimat ihrer Kindheit wiederkehren. Der Student Kabir verliebt sich in Kaju, begegnet ihr aber zunächst unterkühlt. Er wirft ihr vor, mit der Videokamera folkoristische Bilder in den Slums von Neu-Delhi zu suchen. Aber als er begreift, dass Kaju dort auf der Suche nach ihrer eigenen Geschichte ist und er vom Tod ihrer Eltern erfährt, ändert sich das Verhältnis. Gemeinsam versuchen sie, dass Schicksal von Kajus Eltern zu ergründen und stoßen dabei auf die politischen Ereignisse des Jahres 1984: Die Unruhen nach der Ermordung Indhira Ghandis, bei denen mit Billigung der Hindu-Regierung tausende von Sikhs ermordet wurden. Es stellt sich heraus, dass auch Kajus Eltern nicht einer Epedemie, sondern dem Massaker an den Sikhs zum Opfer gefallen sind. Kaju - eigentlich Amrit („Amu“) - hat das Massaker als Kleinkind überlebt.

Die Geschichte von Kaju beruht - so der Abspann - auf einer realen Geschichte. Die 40jährige Rgisseurin Shonali Bose pendelt als politische Aktivistin zwischen Amerkia und Indien und hat ihr Studium an der UCLA absolviert; genauso wie ihre Protagonistin. Dem insgesamt sehenswerten Film tut soviel Realimus nicht gut. Zu gewollt steuert die Story auf Boses zenrales politisches Anliegen zu: Die Thematisierung des Massakers an den Sikhs. Der religiösen Gemeinschaft gehören 2% der indischen Gesellschaft an. Nach dem Mord an Indira Ghandi durch Sikhs, rächen sich die Hindus mit der pogromartigen Ermordung von über 5000 Angehörigen der Minderheit. Damit nimmt sich Bose einem dunklen Thema an, dass in Indien immer noch weitgehend verschwiegen wird. Eine Dokumentation mit Spielfilmanleihen hätte dies vielleicht besser leisten können als ein Spielflim, der sich am Ende dokumentarisch gibt. So wirkt die recht konvetionell gestrickte Story letztlich ein wenig wie ein Anhängsel der politischen Kritik.

Ihn deshalb als Film „für falsche Freunde von Amesty International“ (http://www.perlentaucher.de/artikel/2177.html) zu bezeichnen, ist falscher Zynismus. Amu, Boses Spielfilmdebut, ist ein aufrichtiges und persönliches Statement. Neben Bollywood steht Shonali Bose mit ihrem Film für eine gradlinige politische Kritik, die im Forum ihren festen Platz hat - und das ist auch gut so!

Forum: On the Outs von Lori Silverbush und Michael Skolnik

on_the_outs.jpg
Anny Mariano, Judy Marte, Paola Mendoza

USA 2004 Regie: Lori Silverbush, Michael Skolnik * Drehbuch: Lori Silverbush * Kamera: Mariana Sánchez de Anuñano * Schnitt: Martha Skolnik* Darsteller: Anny Mariano, Judy Marte, Paola Mendoza

Suzette, Marisol, Oz.

Suzette (Anny Mariano) ist vielleicht erst 13. Sie fängt etwas mit Tyrell an, einem Ghetto Typen, Drogendealer. Ihre Mutter, die Suzette vor solchen Typen schützen will hat keine Chance. Sie ist alleinstehend und arbeitet den ganzen Tag in einem Haushalt einer upper class Familie. Suzette wird von Tyrell schwanger. Statt abzutreiben flieht sie von zu Hause zu Tyrell. Dieser erschiesst in Notwehr einen Zehnjährigen, der ihn bei einem Drogendeal mit einer Waffe bedroht. Kurz darauf drückt er Suzette an einer Strassenecke den Rucksack mit der Waffe in die Hand und verschwindet. Die Polizei spricht Suzette an, findet die Waffe. Suzette kommt in den Jugendknast.

Marisol (Paola Mendoza) lebt mit ihrer kleinen Tochter bei Ihrer Tante. Sie lebt von der Invalidenrente der Tante. Das Geld reicht oft nicht für das nötigste: Essen für ihre Tochter und Crack für sich selbst. Als sie stoned von den Drogen von einem Auto angefahren wird, nimmt die Polizei nicht den Fahrer sondern Marisol fest. Sie kommt in den Jugendknast.

Oz Mutter ist drogenabhängig. Oz Bruder (beeindruckend gespielt von Dominic Colon) ist zurückgebliegen, weil Ihre Mutter während der Schwangerschaft Drogen genommen hat. Oz (Judy Marte) distanziert sich von ihrem Zuhause. Sie nimmt keine Drogen. Sie verkauft Drogen. Als Oz wiederwillig vor "Geschäftschluss" einem Kunden Stoff verkauft, ist dieser ein Cop. Sie kommt in den Jugendknast.

Im Gefängnis treffen sich für kurze Zeit die Lebensläufe der drei Mädchen. Es ist eine kurze Atempause. Das Absurde: im Gefängnis scheinen sie aufgehobener als draussen, werden erst von der Gesellschaft wahrgenommen.

Als sie das Gefängnis wieder verlassen, werden alle drei wieder dem Schicksal überlassen.

Suzette muss mit elektronischen Fussfesseln allein in der Wohnung warten, bis ihre Mutter von der Arbeit zurückkommt. Marisol kämpft verzweifelt um das Sorgerecht ihrer Tochter, die ihr vom Staat wegenommen wurde. Oz kann die Tragödie in ihrer Familie trotz ihrer starken Persönlichkeit nicht aufhalten.

Die Filmemacher Lori Silverbush, Michael Skolnik und Darstellerin Paola Mendoza, die auch am Drehbuch mitgeschrieben hat, haben verschiedene Jugendgefängnisse besucht und das Vertrauen der Häftlinge gewonnen. Aus den Geschichten der Häftlinge haben Skolnik, Silverbush und Mendoza ihre drei Charaktere entwickelt, die sehr überzeugend von Mariano, Marte und Mendoza dargestellt werden. On the Outs zollt mit sehr viel Einfühlvermögen dem Überlebenskampf der Kids auf der Strasse Respekt und führt eine amerikanische Gesellschaft vor, die den vergessenen Kinder in den Problem-Neigbourhoods keine Alternativen zu bieten hat.

Wettbewerb: Les Temps Qui Changent (Changing Times) von Andé Téchiné

Regie: André Téchiné * Drehbuch: André Téchiné, Laurent Guyot, Pascal Bonitzer * Kamera: Julien Hirsch * Schnitt: Martine Giordano * Darsteller: Catherine Deneuve, Gérard Depardieu, Gilbert Melki, Malik Zidi, Lubna Azabal

depard.jpg
© JMB

Tanger. Antoine (Gerard Depardieu) schaut am Ende des Tages noch einmal von seinem Hotelzimmer aufs Meer.Dann zieht er die Vorhänge zu, macht sich bereit zum Schlafengehen, sitzt auf dem Bett, macht das Radio an. "Dieses Lied geht an meinen Habibi und all meine Freunde". Es ist eine Sendung mit Musikwünschen. Er legt sich aufs Bett. Lauscht. Der französischen Moderatorin. Cecile (Catherine Deneuve) war seine erste grosse Liebe. Vor 30 Jahren. War? 30 Jahre hat er nicht aufgehört, an sie zu denken. Die Jahre haben ihn nicht von Ihr entfernt, im Gegenteil. Er fühlt sich ihr immer näher. Er hat Cecile gesucht. Es hat gedauert. Er hat sich nach Tanger zur Aufsicht einer Baustelle versetzen lassen. Auch das hat gedauert. Doch jetzt ist er da. Sie weiss noch nichts. Aber er wird sie treffen. Sie überzeugen. Haben sie sich nicht vor 30 Jahren für das ganze Leben versprochen.

dev.jpg
© JMB

Cecile ist inzwischen verheiratet. Die Rosen, die ihr ein "Unbekannter" seit einigen Wochen schickt, wirft sie gleich in den Müll. Als ihr Sohn Sami (Salik Zidi) bei seinem Besuch in Tanger unangemeldet Nadia (Lubna Azabal) und ihren Sohn mitbringt, die beide mit Ihm zusammen in Paris wohnen, reagiert Cecile ablehnend. Es war nicht ausgemacht. Dann bemüht sie sich doch um Nadia. Sie will ihrem Klischee entkommen, sie sei kalt. Sagt Sami. Cecile ist nicht kalt. Doch die Oberfläche über ihren starken Gefühlen ist vereist. Sie ist vernünftig. Verrückt nennt sie Antoine als sich dieser erklärt. Sie ist verheiratet, hat sich eingerichtet. Wie kann Antoine auf die Idee kommen, dass sie alles wegen einer "Teenagerliebe" aufgibt? Und doch...sie kann die nie wieder so erlebte Leideschaft der vergangenen Liebe nicht vergessen.
Ceciles Sohn Sami ist ein in-between. Halb-Franzose/Halb-Marokaner braucht er die Sicherheit der Beziehung zu Nadia, verbringt die Nächte in Tanger aber bei seinem Liebhaber Bilal (Nadem Rachati).

Liebeszustände. Vorläufig-Endgültig. Technice verweigert sich dem Mythos von der endgültigen Liebesentscheidung. Geschichten haben kein Ende. So sehr wir uns auch absichern, unsere Sehnsucht ist in Bewegung. Auf der Pressekonferenz zitiert André Techine: "Wenn ein Film mit einem Happy End, mit einer Ehe abschliest, dann beginnt eigentlich erst die Tragödie".

Ein unaufgeregter Film. "Les temps qui changent" konzentriert sich auf sein Thema, ernsthaft und glaubwürdig. Catherine Deneuve und Gerard Depardieu bieten abermals einen Beleg für Schauspiel als Kunst. Kleine Bewegungen, Blicke reichen aus um den Kinosaal mit Hoffnung, unentschiedener Liebe und verdeckten Gefühlen auszufüllen.

Panorama: „The Dying Gaul“, von Craig Lucas

USA 2004 Regie: Craig Lucas * Drehbuch: Craig Lucas * Kamera: Bobby Bukowski * Schnitt: Andy Keir * Darsteller: Peter Sarsgaard, Campbell Scott, Patricia Clarkson

dyi.jpg

Furioser Start, knackige Dialoge, Charaktere, die schon mit wenigen Gesten überzeugen. Drehbuchautor, dessen Lebensgefährte, die Liebe seines Lebens, gerade verstoren ist, verkauft Drehbuch über genau diese Geschichte. Der Produzent (verheiratet und Kinder) will den Film heraushaben aus dem Schwulenmileu und fordert ein paar Änderungen, verliebt sich dann in den Drehbuchschreiber. Die Frau spielt mit der Trauer und Schuld des Drehbuchautors und zum Schluss zerschellen alle Lügen, alle Schuldgefühle und Träume von Glück der Drei in Chaos und Tod. Schwerer Stoff, der aber von den glänzenden Schauspielern getragen wird. Allerdings fasert der Film am Ende etwas aus, aus den knackigen Dialogen des Anfangs weden Überflüssige und Verworrene, die Charaktere entwickeln sich nur wenig weiter und der Drive, der all sie ins Unglück treibt, Schuld, bzw. Lüge, wird nicht so richtig deutlich. Ein guter Film dennoch mit schönem Setting, kreativen, erinnerungswürdigen Bildern und kleinen feinen Ideen, der leider nicht ganz bis zum Ende durchhält.

Wettbewerb: „Hotel Rwanda“ von Terry George

Großbritannien, USA, Italien 2005 Regie: Terry George * Drehbuch: Keir Pearson * Kamera: Robert Fraisse * Schnitt: Naomi Geraghty * Darsteller: Don Cheadle, Sophie Okonedo, Nick Nolte, Joaquin Phoenix

hotel_ruanda.jpg

Mein Favorit bis jetzt. Der Film erzählt die Geschichte von Paul (Don Cheadle) , der als Hotelmanager eines Nobelhotels in Ruanda durch Geschick, Mut und Unverfrorenheit, Geld und viel Glück hunderten Menschen das Leben rettete. Als 1994 Hutu Rebellen gegen die Arme und die Bevölkerungsminderheit der Tutsi vorgingen, flohen immer mehr Menschen in das belgische Hotel, weil die Europäer als menschlicher Schutzschild sicher erschienen. Bald aber werden alle Europäer in einer Kommandoaktion der Belgier (deren Kolonie es einmal war und die den Konflikt durch ihre Herrschaft hinterlassen haben) ausgeflogen. Die Mörderbanden schonen das Hotel zunächst weiter, aus Angst vor Konsequenzen der Europäer und Amerikaner. Aber je mehr sie morden desto deutlicher wird auch, dass die Europäer und Amerikaner nicht eingreifen werden. Der Hotelmanager Paul kämpft darum, dass seine Familie und alle Gäste im Hotel überleben und ihnen eine Möglichkeit verschafft wird, sicher außer Landes zu kommen.
„Hotel Ruanda“ hat alles, was großartiges Kino braucht. Eine Botschaft, einen Inhalt verpackt in einer spannenden Dramaturgie, die den Zuschauer bis zur letzen Minute fesselt, Bilder, in denen jedes Wort zuviel wäre, die so stark sind, dass sie auch ohne Worte auskommen.
Gar nicht so sehr die Tatsache, dass all das Geschilderte wirklich geschehen ist, macht den Film so eindrucksvoll, zumal solche Grausamkeiten und Genozide so oder so ähnlich schon oft passiert sind und wohl wieder geschehen werden. Es geht gar nicht um die Gewalt, sondern im Gegenteil beweist der Film in einer echten und nicht-amerikanischen Heldengeschichte, dass ein einziger Mensch, der mutig und geschickt genug ist, einen großen Unterschied machen kann. Betonung auf kann. Aber versuchen muss er es. Und das genau tut Paul auf alle nur erdenklichen Weise ständig riskierend selbst umzukommen.
Der Film beweist ein weiteres Mal, wie sehr der Blick aus dem Westen auf die afrikanische Tragödie von Rassismus bestimmt ist („Die da unten schlachten sich eh alle gegenseitig ab“) und von dem Unwillen der Weltgemeinschaft und der ehemaligen Kolonialstaaten Verantwortung für das Chaos zu übernehmen, dass sie z.B. durch willkürliche geographische Aufteilung , Unterstützung von Diktatoren zum Wohle der „Stabilität der Wirtschaftsbeziehungen“ oder Waffenlieferungen angerichtet haben. Wenn diese Hinterlassenschaft dann Krieg und Vertreibung bewirkt, hat man damit nichts mehr zu tun, schaut weg, fliegt die Weißen aus und wartet ab. Ein harter, sehr sehr guter Film

Forum: "Arlit - deuxième Paris" (Arlit, the Second Paris) von Idrissou Mora-Kpai

Benin, Frankreich 2005 Regie: Idrissou Mora-Kpai * Drehbuch: Idrissou Mora-Kpai * Kamera: Jacques Bessé * Schnitt: Vera Memmi

arlit.jpg

„Arlit. Das zweite Paris“ so lautet der zweite lange Dokumentarfilm und diesjährige Beitrag zur Berlinale von Idrissou Mora-Kpai, der 1967 in Benin geboren wurde. Arlit ist die Stadt in Nigeria die Mora-Kpai auf seinem Weg von Afrika nach Europa durchquert hat und in der er einen Mann aus seiner Heimat traf. Jahre später ist er nun mit diesem Mann nach Arlit zurückgekehrt um ein Porträt dieser ungewöhnlichen Stadt zu filmen. Das alles erzählt der Regisseur zu großen Freude der Zuschauer in fließendem Deutsch, denn eigentlich sei er ja ein Berliner, weil er fast 11 Jahre lang in Berlin gelebt und studiert hat.

„Arlit“ ist ein langsamer Film, ruhig, ohne Hektik und mit Liebe zu kleinen Details zeigt er Bilder aus einer staubigen, öden Stadt, einer fremden Welt in der nur die wenigsten Menschen Arbeit haben, seit die große Uranmine vor der Stadt nicht mehr gewinnbringend ist. Arlit ist eine verschwindende Stadt, eigentlich schon eine verschwundene Stadt. Das „schöne Arlit“, jenes, das zu den Hochzeiten des Uranbergbaues existiert hat, in dem jeder Arbeit hatte, viele Europäer wohnten und das von vielen Afrikanern als jenes „zweite Paris“ bezeichnet wurde, existiert nur noch in den Erinnerungen der Porträtierten. Schon die Bardamen, die nichts zu tun haben, weil niemand ihr Lokal besucht, weil sie auch gar nichts haben, was sie verkaufen könnten, kennen jenes Arlit nur noch aus Erzählungen. Trotzdem sind sie aus Togo hierher gereist und bleiben - aus welchen Gründen auch immer - dort.

Arlit ist ein Film über Migration, über Massenarbeitslosigkeit und die unglaubliche Skrupellosigkeit, mit der die radioaktive Vergiftung der Bevölkerung in Kauf genommen und verleugnet wird. Man kann dem Film zu Recht, wie dies ein Zuschauer formulierte, vorwerfen, sich nicht entscheiden zu können zwischen dem Porträt einer verschwindenden Stadt und der Anklage einer menschenverachtenden Bergbauindustrie. Aber, so Mora-Kpai, eine Anklage sei nicht seine Intention gewesen. Ohnehin sei es in Nigeria schwierig, den Uranabbau zu thematisieren, wie eine französisches Filmcrew zwei Wochen zuvor erfahren musste, als ihnen auf dem Flughafen die Einreise spontan verweigert wurde. Überhaupt davon berichten zu können, sei ein Erfolg, auch wenn eine scharfe Anklage auf diesem Weg nicht stattfinden könne, so Mora-Kpai. Und so fügen sich die beiden Teile zusammen zu einem ebenso fremdartigen wie verstörenden Porträt einer modernen, afrikanischen Stadt. Und wahrscheinlich bedarf es Filme wie „Arlit“, so merkte ein Vertreter des eed an, die den Film kofinanziert haben, um überhaupt zeitgenössische Eindrücke dieses verlorenen Kontinents bekommen zu können. Der alte Issa, jener Mann dem dieser Film gewidmet ist und mit dem Mora-Kpai nach Arlit zurückkehrte, ist zwei Wochen nach Beendigung der Dreharbeiten an Lungenkrebs gestorben.

Panorama: "Va, vis et deviens" (Geh, leb und werde!) von Radu Mihaileanu

Frankreich/Israel 2004 Regie: Radu Mihaileanu * Drehbuch: Radu Mihaileanu * Kamera: Remy Chévrin * Schnitt: Ludo Troch * Darsteller: Yael Abecassis, Roschdy Zem

Va_ vis et deviens.jpg

Groß! Ganz groß!

Panorama: Va, vis et deviens (Geh, leb und werde!) von Radu Mihaileanu

Groß, ganz Groß! Auftakt des Panoramas.
10 Minuten Standing Ovations nach der Vorstellung hunderte von vollgerotzten Taschentüchern und Jubelrufe. Ein großer Beginn des diesjährigen Panoramas!
Der wunderbare Film „Zug des Lebens“ hat den Regisseur Radu Mihaileanu vor einigen Jahren bekannt gemacht. Eine Holocaust-Komödie, wenn man es so nennen darf. Roberto Begninis bekam seinerzeit das Drehbuch von „Zug des Lebens“ zugeschickt, lehnte ab und machte zufälligerweise bald darauf seinen Film „Das Leben ist schön.“. Nun also wieder eine Geschichte über eine jüdische Odyssee:
Hintergrund des Films ist die Flucht der äthiopischen Juden aus ihrer Heimat Mitte der 80er Jahre in eine sudanesisches Flüchtlingscamp, wo sich wegen des Bürgerkriegs aber auch viele Christen und Muslime hingerettet haben. Die Israelis holen in einer Geheimaktion die Juden aus dem Lager und fliegen sie nach Israel. Eine Christin will ihrem Sohn eine Zukunft sichern und bringt ihn bei den abreisenden Juden unter. Nun heißt er Schlomo und kämpft fortan mit dem Geheimnis, seinem Heimweh und der Unwissenheit über das Schicksal seiner wirklichen Mutter.

Über eine Zeitspanne von etwa 15 Jahren begleitet der Film Schlomos Leben zwischen den Kulturen und Sprachen: In Äthiopien als Jude diskriminiert, in Israel wechselweise als „kein echter Jude“ (alle äthiopischen Juden werden von bestimmten jüdischen Rabbinern nicht als Juden anerkannt) oder als „Nigger“ beschimpft, die Adoptiveltern Schlomos sind linke französische Juden, die mit Gott nichts am Hut haben, obwohl der Glaube für Schlomo einziger Grund ist in Israel sein zu dürfen.
Im Hintergrund schimmert Israels Geschichte seit den 80ern - Irakkrieg, Oslo Frieden, dann wieder Intifada. Der Film ist fast zweieinhalb Stunden lang, aber keine Minute langweilig, aber auch nicht spannend im eigentlichen Sinn: Er ist tief bewegend ohne in Betroffenheitsschnulz abzurutschen, er ist bitter ohne moralinbitter zu sein, er ist humorvoll ohne dabei auch nur einen Augenblick die Melancholie und Traurigkeit, die Schlomos Leben bestimmt, abmildern zu können. Er hat nichts Mitleidsheischendes oder Gefühlsduseliges, sondern erzählt vom Erwachsenwerden eines Jungen, das durch Sprachenwirrwarr, Kulturclash, Religion, Politik und Geheimnisse erschwert wird.

Die Schauspieler bis in die Nebenrollen wunderbar besetzt, überzeugend und glaubwürdig. Die Musik dezent und unpathetisch. Dem Regisseur Radu Mihaileanu, dem schon beim kurzen Auftritt vor dem Film vor Ergriffenheit die Stimme versagte, war dieser Film eine Herzensangelegenheit. Das merkt man in jeder Einstellung.
Mein Favorit für den Panorama Publikumspreis bis jetzt. Alles, was noch kommt, wird es schwer haben.

Wettbewerb: "Man to Man" von Regís Wargnier

Frankreich, Großbritannien, Südafrika 2005 Regie: Régis Wargnier * Drehbuch: Wiliam Boyd, Régis Wargnier * Kamera: Laurent Dailland * Schnitt: Yann Malcor * Darsteller: Kristin Scott Thomas, Joseph Fiennes, Hugh Bonneville, Ian Glen

man_to_man_2.jpg

Planet der Affen 4

Über den schlechten Eröffnungsfilm „Man to Man“ ist genug gesagt und geschrieben. Die ihn schlecht fanden, hatten Recht. Die ihn langweilig fanden hatten Recht. Die ihn opulent ausgestattet fanden auch. Aber dass er ein Remake war hat keiner gesagt. Von Planet der Affen. Der große Charlton Heston wird dargestellt von zwei kleinen Pygmäen. Ansonsten die gleiche Story: Wissenschaftler fangen die beiden Pygmäen im afrikanischen Dschungel, behandeln sie wie Versuchs-Tiere, dann entdeckt einer in ihnen „Anzeichen von Intelligenz“ und Gefühle. Plötzlich sieht der Hauptdarsteller Josef Fiennes (als Luther im letzten Jahr im Kino) nicht mehr das Trennende (Hautfarbe, Größe) sondern das Gemeinsame (sie summen auch Lieder und sind traurig). Sie sind ab dann nicht nur eine wissenschaftliche Theorie (das fehlende Glied zwischen Affe und Mensch), sondern ACHTUNG: Mitmenschen.
Dann wird die Idee von anderen Wissenschaftlern bekämpft, die weiter an eine Art Untermensch glauben wollen und ihren wissenschaftlichen Ruhm gefährdet sehen und die Beiden am liebsten gleich zerlegen würden, wenn sie könnten. Irgendwann findet sich der abtrünnig Wissenschaftler, der an die beiden als Menschen glaubt selbst im Käfig, in dem zuvor die beiden Pygmäen eingesperrt waren, muss dann Galileo Galilei mässig seinen Ideen abschwören, um die kleinen Menschen zu retten. Der eine wird aber dann doch wie ein Viech mit Harpunen an einen Mast genagelt. Ein paar schöne Schottlandbilder, ein paar schöne Afrikabilder, tolle Kostüme und Kulissen. Aber da kann man auch auf eine Diashow gehen. Schlechtes verstecktes Remake

Nachbelichtet: "Tigerwoman grows wings"

monika_treut.jpg
Chen Yin-jung aka DJ und Monika Treut bei der Q&A Session nach der Vorführung

Panorama: "Tigerwomen grow wings" von Monika Treut

Deutschland/Taiwan, China 2004 Regie: Monika Treut * Drehbuch: Monika Treut * Kamera: Elfi Mikesch * Schnitt: Angela Christlieb

tigerwomen_poster.jpg

Egal in welchen Zusammenhang über den Inselstaat berichtet wird: Taiwan ist ein Politikum. Dies trifft auch auf Monika Treuts neuen Film zu, der gestern seine Weltpremiere hatte. Eigentlich stehen drei Generationen taiwanesischer Frauen im Vordergrund: die Peking Oper - Darstellerin in Ruhestand Hsie Yueh Hsia, die erfolgreiche Schriftstellerin Li Ang und die junge Filmemacherin Chen Yin-jung aka DJ. Monika Treut begleitet die drei Frauen durch Taipeh, lässt sie über Ihre Geschichte und ihre Rolle als Frau in der taiwanesischen Gesellschaft reden. Unabhänging von der Genderperspektive nehmen aber ebenso die politische Situation Taiwans, die jahrzehntelange Vormachtstellung der Kuomintang, die Präsidentschaftswahl 2004 und nicht zuletzt der Besitzanspruch der VR China auf den Inselstaat einen breiten Raum ein.

Nicht immer gehen gender und politische Perspektive zusammen. Manchmal bekommt man das Gefühl, man schaue zwei unterschiedliche Dokumentationen an. Vielleicht liegt dies aber auch an der Herangehensweise von Monika Treuts Feature. Es wird erst gar nicht versucht, die Distanz der deutschen Beobachterin zu verstecken. Es ist eine erste Anäherung an Taiwan und seine Gesellschaft. So kann ich am Ende des Films nicht sagen, ob die Lebensläufe der drei unabhängigen Frauen repräsentativ für die taiwanesische Gesellschaft sind oder eher eine Ausnahme bilden. Aber ich habe eine paar Puzzleteile an die Hand bekommen. Deren Einordnung in einen grösseren Zusammenhang muss ausserhalb des Kinos erfolgen.

Wettbewerb: "Thumbsucker" von Mike Mills

USA 2004 Regie: Mike Mills * Drehbuch: Mike Mills nach dem Roman von Walter Kirn * Kamera: Joaqín Baca-Asay * Schnitt: Haines Hall, Angus Wall * Darsteller: Lou Taylor Pucci, Vincent D'Onofrio, Keanu Reeves, Tilda Swinton


thumbsucker.jpg

Stars machen Film

Thumbsucker. Angekündigt von der Gastgeberin im Berlinale Palast als „Odyssee in den Drogenabhängikeit“ Soso. Kurz gesagt eine coming of Age story von einem 17 jährigen Daumenlutscher aus einer Mittelklasse Familie, der erst hypnotisiert wird (von seinem esoterikangehauchten Zahnarzt, gespielt von K. Reeves) dann Medikamente bekommt, es chemisch fokussiert zum Chef des Debatten Teams und Schul Nurd bringt, Papa bekommt Angst vor seinem Erfolg, Mutti ist stolz. Der Zahnarzt Keanu Reeves verkommt allmählich, während der Bub langsam aufsteigt. Nach einer kurzen Kifferphase empanzipiert er sich von seinem Vater und der klammernden Mutter und geht auf sein Traum-College nach N.Y.. Das wars dann auch. Eine echte Erfahrung war dagegen der Treppensitz 2. Rang mit 45 Grad Winkel auf die Leinwand, oben unterm Dach. Das Beste war die Musik von Elliot Smith und das zufällige Spotting von Keanu Reeeves in der Menge vor dem Film. Der spielte dann zu meiner Überraschung auch mit und das Publikum lachte wohl vor allem bei seinen cameomässigen Kurzauftritten, weil er da unten irgendwo sass. Er und der andere Star: Tilda Swinton haben dann auch den Film erst zu einem werden lassen, weil ihre Namen das Geld locker machten. Ist aber auch leider ein Starfilm ohne Kraft, mit einem dabei gut spielendem Hauptdarsteller Lou Taylor Pucci.

Perspektive Deutsches Kino: "Dancing with myself" von Judith Keil und Antje Kruska

Regie: Judith Keil, Antje Kruska * Drehbuch: Judith Keil, Antje Kruska * Kamera: Marcus Winterbauer * Schnitt: Inge Schneider

dancing.jpg

„Wenn man dann zu Hause sitzt und nichts tut, da gibt man sich doch die Kugel“, sagt die Lehrerin zu Laura. Die will die Schule verlassen. „Ich kann sie nicht als Schlosser einstellen. Da kann ich sie doch nicht mehr als Hilfsarbeiter einsetzen“, sagt der Angestellte der Zeitarbeitsfirma zu dem gelernten Schlosser Mario (36). Als Reinhard (63) aufgrund der Nebenwirkungen eines Medikaments, das er gegen seiner Schlafstörungen nimmt, eines Morgens nicht mehr zurechnungsfähig ist, setzt die Polizei Tränengas ein und führt ihn in Handschellen ab. Berlin. Die Stadt in der die drei Hauptfiguren in dem neuen Dokumentar-Film von Judith Keil und Antje Kruska ringen. Um das Recht auf Glück.
Szene: Reinhard liegt auf dem Bett und schaut Alexis Sorbas. „Diese Kraft, diese Energie“, sagt Reinhard bewundernd. „In mir steckt auch ein kleiner Alexis Sorbas, aber ich habe nur die Ideen und die Kraft sie auch zu leben.“ Doch die Energie ist da und sucht sich ihren Platz: in Clubs, Diskotheken oder Selbsterfahrungsgruppen. Wenn Laura, Mario und Reinhard mit sich selbst tanzen, sind Sie bei sich, lösen jeder von Ihnen sein Recht ein, dass er im wahren Leben oft nicht bekommt: das Recht beachtet zu werden, das Recht einfach nur Glück zu empfinden....
Das Vertrauen der Hauptfiguren zu den Filmemachern ist ein Schlüssel für Personenporträts im Dokumentarfilm. In „Dancing with myself“ wird es spürbar. Es hat Judith Keil und Antje Kruska ermöglicht, sensible und nahegehende Porträts von drei BerlinerInnen zu schaffen, die im Tanz Ihrem Schicksal trotzen.

Zuschauerreaktionen: "Cycles of Porn"

galinski.jpg
Michael Galinsky, Team Akreditierung Perspektive Deutsche Kino

Statement
Ich wusste gar nichts über den Film und bin positiv überascht. Der Film ist einfach gedreht und beleuchtet kritisch das "Gay Porn Business".

Szenen:
Als der Porn Actor zum zweiten Mal ans Set fahren muss, weil er beim ersten Mal nicht "kommen" konnte. Dabei nutzt er die Situation des Gefilmtwerdens durch den Dokumentarfilmer, um sich "anzuheizen".

Welchen guten Film hast du in letzter Zeit gesehen?
Wahrheit oder Pflicht (Jan Martin Scharf und Arne Nolting)


tore.jpg
Tor Fosse, Film Einkäufer und Festivaldirektor eines Filmfests in Norwegen

Statement:
It is a good movie and very interesting to see the development from the first movie. Its very engaging.

Szenen:
To see what happened to the characters over the years, to see how they got in and out of the business.

Panorama: "Cycles of Porn" von Jochen Hick

Deutschland 2005 Regie, Producer, Kamera: Jochen Hick * Schnitt: Jörn Hartmann

cycles_of_porn.jpg

"Ein Pornodreh ist wie die Abschlachtung eines Schweins. Von der Bildergalerie im Web, über das "Making of" bis zum eigentlichen Film:wir verwerten alles, jede einzelne Szene." (Statement eines Bareback* - Produzenten in den USA)

Die Grenzen zwischen Fleisch als konsumierbare Ware und begehrtem Objekt verschwimmen in Jochen Hicks zweitem Dokumentarfilm über schwule "Körperarbeit" in L.A. Hick knüpft an seinen vorherigen Film an, konzentriert sich diesmal aber auf Leben und Selbstverständnis von Darstellern im schwulen Pornobusiness von L.A. "Das schwule Pornobusiness wird ja gerne etwas glorifiziert: dadurch das nur Schwule mit Schwulen arbeiten, muss es ja gut sein, denn man kennt sich ja bestens. Doch am Ende unterscheidet es sich nicht von der Härte des heterosexuellen Business. Wer es nicht selbst zum Produzenten schafft, ist meist in kürzester Zeit wieder draussen.", sagt Jochen Hick. Wie zum Beispiel "Porno-Darsteller und "Boy next Door" Matt Bradshaw, der inzwischen wieder bei seiner Mutter in der amerikanischen Provinz wohnt. Es ist dieselbe Provinz, vor deren Schwulenfeindlichkeit er nach L.A. geflüchtet ist. Während der Zyklus vom Einstieg in die schwule Pornowelt bis zum Verbrauch des eigenen Marktwerts sich bei Matt Bradshaw noch Jahre dauerte, zeigt seine Verkürzung in der Beobachtung des"Live and Raw"-Internet Hotels. Wer hier wohnt, der wird aus dem Internet bei jedem Schritt beobachtet: vom Toilettengang bis zum Sex mit seinen Partnern. Am Anfang des Films träumt Hotelbewohner Johnny Law noch vom Aufstieg bis auf die Titelseite von Playgirl. Monate später sitzt er bereits ohne Wohung auf der Strasse, aus dem Hotel herausgewählt durch die Chatter der Internetseite.
Jochen Hicks Beobachtung der Lebensläufe von schwulen Männern im L.A. Pornbussines ist nicht leicht verdaulich aber ehrlich. Sein Filmzeigt, was sich hinter der glamorösen Fassade verbirgt, wie sich die Protagonisten den nüchternen Realitäten von Drogentod, Körperausbeutung und HIV stellen.

*Bareback = Videos mit ungeschützten schwulen Sex

Nachbelichtet: Redentor

redentor_after.jpg

Die Reaktion nach der ersten Vorführung war höflich und verhalten. Fragen kamen nur spärlich. Immerhin, so freute sich Regisseur Claudio Torres, würden keine Tomaten geworfen.

Zuschauerreaktionen: Redentour

zuschauer_1.jpg
Andre Preiss (PR-Berater)

Welche Szene ist Dir in Erinnerung geblieben?

Die Szene mit der religiösen Erscheinung am Ende

Wie würdest du den Film beschreiben?
anders und unerwartet

Lieblingsfilm
Kill Bill

zuschauer_2.jpg
Vera Borges (Brasilien)


Welche Szene ist Dir in Erinnerung geblieben?

Die erste religiöse Vision der Hauptfigur

Wie würdest du den Film beschreiben?
Es ist ein guter Film, ein wenig konfus, aber gut.

Lieblingsfilm
Meu tio morreu

Panorama: Redentor von Claudio Torres

Brasilien 2004 * Regie: Claudio Torres * Darsteller: Pedro Cardoso, Miguel Falabella, Camila Pitanga, Fernanda Montenegro, Fernando Torres

redentor_2.jpg

Als kleiner Junge hat Celio mit Otavio gespielt. Otavio war das einzige Kind in Celios Bekanntenkreis, das eine weisses Kindermädchen hatte. Klassenunterschiede in Brasilien. Zwanzig Jahre vergehen. Der Vater von Otavio stürzt sich vom Hochhaus. Sein Geschaeft war völlig überschuldet. Otavio, wie sein Vater skrupeloser Geschäftsmann geworden, will Celio wiedersehn. Celio will zunächst nicht, denn die betrügerischen Machenschaften von Otavios Vater haben seine Familie ruiniert. Dann entschliesst er sich doch hinzugehen. Damit beginnt eine absurde Farce über Vergebung, Vergeltung, Korruption und Religion. Redentor ist eine überspannte Gesellschaftskomödie, die in Parabeln die gegenwärtige Stimmung in Brasilien wiedergibt.

Berlinale-Expedition beginnt

Ich hektike herum: Welche Filme gucken, wann wo, wie anstellen, möglichst viel sehen und finden. Will mich bewegen lassen. Was mir in der Dunkelheit des Kinosaals begegnet, soll einen Unterschied machen und bis ins normale Leben strahlen, die Bilder sollen unerwartete Nachbeben verursachen - Wochen oder Monate später. Will mich nicht langweilen und nur weitere Variationen längst bekannter Bilder und Geschichten und Figuren vorgesetzt bekommen. Will nicht an die Costa Brava, will nicht nach Österreich. Stattdessen: Eine Reise auf die Berlinale, eine echte Expedition, soll es sein!
Ich lese Festival-Guides wie einen Reiseführer, dazu hunderte von Vorabkritiken und Zusammenfassungen, Zeitungsbeilagen und Hintergrundgeschichten, ich plane und bereitet vor, wähle aus bis ich schließlich viel zu viele Filme (Orte/Landschaften)vor mir habe, die gut klingen, die etwas versprechen.
Morgen geht es endlich los. Und schon am ersten Tag vor Ort (im Kino / in Afrika) wird alles anders sein als im Berlinale-Reiseführer. Alle Vorbereitungen sind hinfällig, ich muss improvisieren, Plänen und Zielen und Erwartungen loslassen. Dann werden mir vielleicht die Filme (Orte) begegnen, die ich suche, auf die mich nichts und niemand vorbereiten konnte. Bilder und Momente, die bleiben, auch wenn das Licht längst wieder angegangen ist (und ich Heim gekehrt bin).

Am Ende, nach 10 Tagen, werden alle Filme zu einem Einzigen verschwimmen wie zu einer einzigen großen Reiseerinnerung: Eine Reise, die ihre großen Momente gehabt haben wird, aber auch Tiefpunkte und Krisen; mal Nähe und dann wieder Distanz zu dem Film, zu all dem Rummel, mal lachen und mal weinen, ich werde in einem Film Entspannung und in einem anderen den Thrill suchen, ich werde mich mal nach Gewohntem sehnen und ein anderes Mal mutig das Fremde und Unbekannte erforscht haben.

Bin schon unterwegs - das Abenteuer beginnt morgen früh, 7.30 in einer schnöden Warteschlange...wie am Flughafen.

Fotostrecke: Eröffnung

waiting_of.jpg

Das Warten der Arbeiter auf die Stars.

waiting_2.jpg

Der Star des Abends...Jerry Lewis.

jerry_1.jpg


jerry_3.jpg

jerry_2.jpg

Franka Potente mit lolaroten Haaren

franka_back.jpg

Bai Ling posing

bai_ling.jpg

bai_ling_front.jpg

Die üblichen Verdächtigen....

....alledings nicht ganz. Bei dem grossen Schaulaufen, vor der offiziellen Eröffnung mit dem Beitrag "Man to Man" stahl ein Mann allen anderen die Show: Jerry Lewis. Wer hätte das gedacht. "Dieser Mann hat mich in meiner Kindheit zum Lachen gebracht", sagt eine französische Journalistin neben mir. Und zwischen den Schreien der Fotografen, die Prominente wie Hunde nach rechts und links kommandieren, liegt für einen flüchtigen Moment die Magie Kino in der Luft.

Pressekonferenz: Internationale Jury

jury.jpg
Von links nach rechts Jury-Mitglieder Franka Potente, Roland Emmerich, Bai Ling, Ingeborga Dapkunaite, Nicht im Bild: Nino Cerruti, Andrei Kurkov und Wouter Barendrecht

Die Internationale Jury des offiziellen Wettbewerbs stellte sich der Presse. Das Stelldichein vollzog sich schnell und unaufgeregt. Roland Emmerich war etwas geschockt über den Terminplan der bevorstehenden Tage. Unter 3 Filmen pro Tag werden er und die anderen Jurymitglieder nicht wegkommen. Doch sonst schien er sich wohl zu fühlen an der Stätte, an der er seine Kariere als Filmemacher mit dem Film das Arche Noah Prinzip begann. Franka Potente schaffte es mit ihrer Lockerheit die feilerliche Berlinale-Athmosphäre auf ein entspanntes Normalniveau zu bringen. Sie habe sich mit Müsliriegeln und Aspirin für den Kino-Marathon gewappnet. Zwar sei Berlin allein schon wegen des Wetters mit Los Angeles nicht vergleichbar, dennoch sei aber die Berlinale ein souveränes Festival, dass sich hinter der Oscar Verleihung nicht zu verstecken brauche. Das Wetter war auch Thema für die chinesisch-amerikanische Schaupielerin Bai Ling . Das Berliner Wetter würde sie ruhiger machen und gäbe ihr die Chance vom Stress herunterzukommen. Zusammen mit Ihrer Mutter habe Sie gestern in Berlin Chinesisch Neujahr (Jahr des Hahns) gefeiert. Noch unsicher schien Sie sich wie die Mutter gestern die Nachricht von der Playboy Fotostrecke aufgenommen hat. Bai Ling hatte sich kurz bevor Sie nach Berlin gekommen war vom Playboy ablichten lassen. Bei Kostümdesigner und Jurymitglied Nino Cerruti ging es im Gegensatz zu Bai Ling weniger um Ent-kleidung sondern um Be-kleidung. Er, der schon Anita Ekberg in La dolce vita eingekleidet hat, zeigte sich überascht über die "low qualtity of dressing style" auf der Berlinale. Er versuchte es charmant zu wenden: wer zur Berlinale komme interesiert sich für die Qualität der Filme und lege weniger Wert auf das Äussere.

Holzteppich

holz_teppich_2.jpg

Noch wird an dem roten Teppich, über dem morgen die Stars wandeln, gearbeitet.

holz_teppich_1.jpg

Presseschlange

presse_schlange.jpg
Akreditierungsschalter im Pressezentrum Grand Hyatt

Auch die Presse muss anstehen.

Rote Punkte

red_points.jpg

Noch gibt es genügend verheissungsvolle Filminseln, auf denen man sich von der Berliner Kälte wegträumen kann. Doch auch schon am ersten Tag des Vorverkaufs werden rote Punkte verteilt, die einem sagen: "Versuch dein Glück bei der nächsten Vorstellung, denn dieser Film ausverkauft."

"Auf los gehts los...."

an_der_kasse.jpg


Startschuss für den Berlinale Sport Nr. 1: Berlinalekarten erringen. Heute startete der Vorverkauf für die Berlinale. Sechs Schalter befinden sich diesmal in den Arkarden am Potsdamer Platz. Kleiner Tip: die Schalter im hinteren Bereich der Arkarden werden kaum frequentiert, während sich hinter dem Schalter direkt am Haupteingang immer eine lange Schlange bildet.
Wer sich den Weg sparen will, der kann die Karten auch online ordern (gegen 2 Euro Aufschlag). Direkt im Programm auf der offiziellen Seite der Berlinale den gewünschten Film suchen, auf das Kartensymbol klicken und digital Geld über den Schalter schieben.

Das ganze Panorama

34 Spiel-, 18 Dokumentar- und 26 Kurzfilme gibt es dieses Jahr. Die Auswahl besteht aus 28 Weltpremieren, neun internationalen sowie 15 Europa-Premieren, insgesamt zehn Filme sind Debüts.

Das Panorama-Hauptprogramm eröffnet am 10. Februar im Opernformat mit Redentor (Redeemer) des Brasilianers Claudio Torres: Der Journalist aus armen Hause legt sich mit einem Immobilienhai an, da es ihm um Gerechtigkeit geht. In der Rolle seiner Mutter ist Fernanda Montenegro zu sehen.

Das Panorama Special eröffnet am 11. Februar mit zwei Co-Produktionen. Frankreich/Israel: Va, vis et deviens (Live and Become) von Radu Mihaileanu. Mitte der Achtziger setzt sich ein Flüchtlingsstrom von Äthiopiern nach Sudan in Bewegung. Unter ihnen befinden sich viele äthiopische Juden. Als Israel beschließt, den jüdischen Teil der Flüchtlinge nach Jerusalem zu retten, nimmt eine Jüdin anstatt ihres verstorbenen Sohnes den christlichen Sohn ihrer Freundin mit in die Freiheit.

Frankreich/Deutschland/Türkei/Griechenland: Bulutlari Beklerken (Waiting for the Clouds) von Yesim Ustaoglu. Als Ayshes Schwester stirbt, wird ihr Verhalten zu den anderen Dorfbewohnern am Schwarzen Meer immer undurchschaubarer. Die Vertreibung der Griechen aus der Türkei in den 50er Jahren ist der Hintergrund.

Panorama Kurzfilm:
Von Kurzdokumenten wie Der Mann mit der Pauke - Wolfgang Neuss bis zu Guy Maddins Rückkehr zum Kurzfilm mit Sissy Boy Slap Party und Sombra Dolorosa bieten die Programme eine Reise durch unterschiedlichste Welten.
Der Neuseeländer Taika Waititi, mit Tama tu wieder im Panorama vertreten, gewann 2004 den "Best Panorama Short Film" mit Two Cars, One Night, für den er 2005 zum Oscar nominiert ist. Ebenfalls eine Nominierung erhält Gary McKendry (USA) für seinen diesjährigen Panorama-Beitrag Everything in this Country Must.
In der kinolangen Kompilation Fucking Different! schließlich unterziehen sich achtzehn schwule und lesbische Berliner FilmemacherInnen in fünfzehn Filmen einer Laborarbeit: Filme zu machen über die Sexualität des jeweils anderen Geschlechts. Die Form zu wählen war freigestellt.

Amor Idiota (Idiot Love), Spanien/Andorra
von Ventura Pons
mit Santi Millán, Cayetana Guillén Cuervo, Mercè Pons, Marc Cartes, Jordi Dauder

The Ballad Of Jack And Rose, USA
von Rebecca Miller
mit Daniel Day-Lewis, Camilla Belle, Catherine Keener, Beau Bridges, Paul Dano, Jason Lee, Jena Malone, Susanna Thompson

The Dying Gaul, USA
von Craig Lucas
mit Peter Sarsgaard, Campbell Scott, Patricia Clarkson

Keine Lieder über Liebe (No Songs Of Love), Deutschland
von Lars Kraume
mit Florian Lukas, Jürgen Vogel, Heike Makatsch

Mars, Russische Föderation
von Anna Melikian
mit Gosha Kutsenko, Nana Kiknadze, Artur Smolianinov

Nok-Saek-eui-ja (Green Chair), Republik Korea
von Park Chul-soo
mit Suh Jung, Shim Ji-ho, Oh Yun-hong

Omiros (Hostage), Griechenland/Türkei
von Constantinos Giannaris
mit Stathis Papadopoulos, Theodora Tzimou, Giannis Stankoglou

Riyuu (The Motive), Japan
von Nobuhiko Obayashi
mit Ittoku Kishibe, Masami Hisamoto, Miyoko Akaza, Jun Fubuki, Akira Emoto, Satomi Kobayashi, Yuko Kotegawa, Ayumi Ito, Takahito Hosoyamada

Silentium, Österreich
von Wolfgang Murnberger
mit Josef Hader, Simon Schwarz, Joachim Król, Maria Köstlinger, Udo Samel, Jürgen Tarrach, Rosie Alvarez

Transamerica, USA
von Duncan Tucker
mit Felicity Huffman, Kevin Zegers, Graham Greene, Fionnula Flanagan, Burt Young

Va, vis et deviens (Live and Become), Frankreich/Israel
von Radu Mihaileanu
mit Yael Abecassis, Roschdy Zem

La vita che vorrei (The Life I Want), Italien
von Giuseppe Piccioni
mit Luigi Lo Cascio, Sandra Ceccarelli, Galatea Ranzi

Willenbrock, Deutschland
von Andreas Dresen
mit Axel Prahl, Inka Friedrich, Anne Ratte-Polle, Tilo Prückner, Andrzej Szoda

Etwa die Hälfte des Panoramaprogramms für die 55. Berlinale bestätigt:

Aus Frankreich:
Crustacés et Coquillages (Mariscos Beach) von Olivier Ducastel und Jacques Martineau
mit Valeria Bruni-Tedeschi, Gilbert Melki, Jean Marc Barr, Jacques Bonaffé, Edouard Collin, Romain Torres

Les Mauvais Joueurs (Gamblers) von Frédéric Balekdjian
Debütfilm mit Pascal Elbé, Simon Abkarian, Isaac Sharry

Aus Belgien/Frankreich:
Ultranova von Bouli Lanners
Debütfilm mit Vincent Lecuyer, Helene De Reymaeker, Marie Du Bled

Aus Irland:
Adam & Paul von Lenny Abrahamson
Debütfilm mit Mark O'Halloran, Tom Murphy, Louise Lewis

Aus Großbritannien:
Love + Hate von Dominic Savage
Debütfilm mit Tom Hudson, Samina Awan, Nicola Burley

Yes von Sally Potter
mit Joan Allen, Simon Abkarian, Sam Neill, Shirley Henderson

Aus Deutschland/Großbritannien:
Beyond the Sea von Kevin Spacey
mit Kevin Spacey, Kate Bosworth, John Goodman, Brenda Blethyn

Aus den USA:
Forty Shades of Blue von Ira Sachs (1996: The Delta)
mit Rip Torn, Dina Korzun, Darren Burrows

Aus Kanada:
Childstar von Don McKellar
mit Don McKellar, Jennifer Jason Leigh, Mark Rendall

The Love Crimes of Gillian Guess von Bruce McDonald (1996: Hard Core Logo)
mit Joely Collins, Ben Bass, Hugh Dillon

Aus Hongkong/Japan:
Colour Blossoms von Yonfan
mit Matsuzaka Keiko, Harisu, Teresa Cheung

Aus Hongkong:
Dumplings von Fruit Chan
mit Bai Ling, Myriam Yeung, Tony Leung. Kamera: Christopher Doyle

Aus China:
Chun Hua Kai (Plastic Flowers) von Liu Bingjian (Man and Women)
mit Liu Xiaoqing, Min Xiding, Yin Zhi

Aus Frankreich/Deutschland/Türkei/Griechenland:
Bulutlari Beklerken (Waiting for the Clouds) von Yesim Ustaoglu (Journey to the Sun)
mit Rüchan Caliskur, Dimitris Kaberidis

Aus Kirgisistan/Deutschland:
Saratan von Ernest Abdyshaparov
mit Abylov Kumondor, Sulaimanov Askat, Kamchiev Jambul

Aus Ungarn/Österreich:
Dallas Pashamende von Robert Adrian Pejo
mit Zsolt Bogdán

Aus Polen:
Ono (Stranger) von Malgosia Szumowska
Debütfilm mit Malgosia Bela, Marek Walczewski

Aus Finnland:
Eläville ja kuolleille (For The Living And The Dead) von Kari Paljakka
mit Hannu-Pekka Björkmann, Katja Kukkola, Mari Rantasila

Aus Argentinien:
Un año sin amor (A Year Without Love) von Anahí Berneri
Debütfilm mit Juan Minujín, Mimi Ardú, Carlos Echevarria, produziert von Daniel Burman und Diego Dubcovsky

Aus Brasilien:
Redentor (Redeemer) von Claudio Torres
Debütfilm mit Pedro Cardoso, Miguel Falabella, Camila Pitanga, Fernanda Montenegro

Colosseum

Colosseum.jpg

Das Programm ist da, fast durchgearbeitet und immernoch sind es 6 Tage bis zur offiziellen Eröffnung. Zum Zeitvertreib hier eine kurze Vorstellung des Cinemaxx Colosseum im Prenzlauer Berg, einziger neuer Spielstätte der Berlinale in diesem Jahr.

Wenn Multiplex-Kinos schön sein könnten, wär das Colosseum eines der schöneren (Multiplexe sind wie Einkaufszentren: zu groß, zu hektisch, kein bischen schön und total unsexy, aber manchmal ist es praktisch, eins in der Nähe zu haben). Was es schön macht ist der Versuch, die 10 Kinosäle in eine bestehende, denkmalgeschützte Architektur aus dem 19. Jahrhundert einzubauen - was man von außen leider kaum sehen kann, daher das abschreckende Foto.

Das Colosseum ist genaugenommen zweigeteilt: von der Schönhauser Allee kommend betritt man den Komplex über den restaurierten Eingang des ersten Filmpalastes im Prenzlauer Berg - Eröffnung war 1924 und es passten immerhin 1000 Leute rein - heute befindet sich hier das größte Kino. Von der Gleimstraße kommend (Foto oben), oder durch einen schmalen Gang links am großen Saal vorbei, kommt man zum 14 Meter (!) hohen Foyer. Dahinter blickt man auf einen restaurierten und leicht umgebauten historischen Innenhof - die backsteingemauerten Stallungen der alten Pferdestraßenbahn aus dem 19. Jahrhundert, in welche die Kinosäle bzw. Restaurants in zwei Stockwerken eingebaut sind (angeblich gab es damals sogar einen Lift, um die Pferde in die oberen Stockwerke der Stallungen zu transportieren). Es ist schon ein skuriles Erlebnis, wenn man aus den oberen Stockwerken kommend, über eine in ca. 7 Metern Höhe fast freischwebenden Metallbrücke läuft und ins Foyer hinunterschaut.

Leider wird man als normaler Berlinalebesucher von alldem wenig erleben, da die Filme der Sektionen Panorama, Perspektive Deutsches Kino, Kinderfilmfest und Forum lediglich im großen Saal gezeigt werden. Aber wer zum ersten Mal auf der Berlinale ins Colosseum kommt sollte mal einen Blick um die Ecke und in die Höhe wagen, einfach links neben dem großen Kinosaal den schmalen Gang entlang - da kommt man nämlich nicht zu den Toiletten, sondern sieht eine wirklich merkürdige Kinoarchitektur.


Mehr Informationen gibt es in einer Broschüre "Cinemaxx Colosseum Berlin", die im Foyer ausliegt. Zwei schönere Fotos findet man auf der Cinemaxx-Homepage.

Limbo-Notizen

P2010060-1.jpg

Noch eine Woche bis zur Eröffnung. Endlich wurde das Programm auf der Homepage der Berlinale veröffentlicht. Um schon mal Appetit zu bekommen bin ich heute zum Potsdamer Platz gefahren, um zu schauen, wie weit die Vorbereitungen schon gediehen sind. Zwar leuchtet von jeder Littfasssäule und jedem Posterständer schon das Berlinale-Plakat, zusätzlich pflastern Dutzende "Berlinale-Aufsteller" (so nennt die Firma Wall ihre mobilen, plastikgrauen und ziemlich hässlichen Plakatstellwände) mit Berlinale-Plakaten die Gehwege, aber in den Bäumen hängt noch die Weihnachtsleuchtdeko und in den Kinos herrscht weitgehend business as usual. Nichts zu spüren von der Berlinale-Hektik und -Euphorie, Zeit das Programm zu studieren.

Selling Democray II. Welche Art Filme werden gezeigt?

Diese 2004 initiierte und auf drei Jahre angelegte Reihe präsentiert Filme, die im Rahmen des „Marshall-Plans“ entstanden sind. Die Filmreihe ist auf insgesamt drei Jahre angelegt und wird bei den Internationalen Filmfestspielen Berlin 2006 fortgeführt. Bei der 55. Berlinale in diesem Jahr werden unter dem Titel „Selling Democracy – Winning the peace“ auch Filme der frühen Nachkriegsjahre, der so genannten „Re-Orientierungsphase“, gezeigt.
Die Vorführungen finden im Zeughaus-Kino im Deutschen Historischen Museum statt. Die Reihe wird in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Historischen Museum und dem Bundesarchiv/Filmarchiv organisiert.

Hintergrund
Nach dem Ende des zweiten Weltkriegs erhielten die westeuropäischen Länder nicht nur ökonomische, sondern auch kulturelle und psychologische „Aufbauhilfe“ aus den USA. Der im Juni 1947 beschlossene Marshall-Plan brachte 16 europäischen Staaten Finanzhilfen und Wirtschaftsgüter, Lebensmittel, Rohstoffe und Maschinen. Bis zum Ende der Marshall-Plan-Aktivitäten 1952 entstanden dabei auch über 200 Filme, die die Hilfsleistungen der Amerikaner dokumentierten, für interkulturelle Verständigung, Demokratie und Pluralismus werben sollten. Der typisch amerikanische Optimismus und die Vorführungen der Segnungen von Demokratie und Freiheit, mit denen die deutsche Bevölkerung sich von ihren autoritären Staatsvorstellungen lösen sollten, erscheinen dabei manchmal ganz und gar aktuell, wenn man sie mit den Radio und Fernsehprojekten z.b. im Irak des Jahres 2005 vergleicht.
Die Filme von damals wurden von europäischen und amerikanischen Regisseuren gedreht. Das breite Publikum konnte sie im Vorprogramm regulärer Kinovorstellungen sehen.

Die Berlinale erweitert 2005 die Retrospektive noch um eine weiteres Element: Parallel zur Filmreihe werden drei thematisch orientierte Workshops veranstaltet. Bestandteil der Workshops sind Vorträge internationaler Historiker und Filmwissenschaftler. Die Veranstaltungen mit Vorträgen renommierter Fachleute, Sondervorführungen und Gelegenheit zu Diskussionen sind dem Publikum bei freiem Eintritt zugänglich.
2006 wird das Projekt mit „Selling Democracy – Friendly Persuasion“ abgeschlossen. Schwerpunkt wird dann die Veränderung Westeuropas durch Modernisierung, Technisierung und die Vorbildfunktion des „American way of life“ sein.

Perspektive deutsches Kino - Alle Filme benannt

Mit neun Beiträgen, darunter sechs Spielfilme und drei Dokumentarfilme, ist das Programm der diesjährigen Perspektive bestätigt.

Ein Dokumentarfilm eröffnet die Berlinale-Reihe Perspektive Deutsches Kino.
Dancing With Myself von Judith Keil und Antje Kruska – die bereits mit ihrem Film Der Glanz von Berlin in der ersten Ausgabe der Perspektive Deutsches Kino vertreten waren – schildert die Leiden und Leidenschaften dreier Berliner, die erst beim Tanzen zu sich selbst finden. „Der Film geht emotional und formal weit über das klassisch Dokumentarische hinaus. Er eröffnet einen neuen Blick auf unsere Wirklichkeit und steht damit für das gesamte Programm der Perspektive Deutsches Kino“, begründet Sektionsleiter Alfred Holighaus seine Auswahl.

Auch Weltverbesserungsmaßnahmen von Jörn Hintzer und Jakob Hüfner spielt mit den Formen des Dokumentarflims. Wir erfahren über sieben einleuchtende Erfindungen, Schwierigkeiten des Alltags zu lösen. Euro-Scheine mit Verfallsdatum, die zur schnellen Investition und damit zum Ankurbeln der Konjunktur zwingen, sind ein Beispiel.

Katze im Sack von Florian Schwarz. Die Figuren sind immer für Überraschungen gut, egal, ob sie diese selbst verursachen oder mit ihnen konfrontiert werden. Christoph Bach, Jule Böwe und Walter Kreye glänzen in diesem Film des Absolventen der Filmakademie Ludwigsburg.

Eine eigene Welt schafft sich die Hauptfigur in dem 30-minütigen Spielfilm-Debüt Happy End von dem jungen Hamburger Werbefilmer Sebastian Strasser. Matthias Schweighöfer spielt einen jungen Eigenbrötler, der sich das Leben aus Ziffern erklärt. Doch bei der Liebe nutzt kein zählen. Eine Coming-of-Age-Geschichte als echte romantische Komödie erzählt.

Alle Filme:
Blackout
Regie: Maximilian Erlenwein

Dancing With Myself
Regie: Judith Keil, Antje Kruska

Das Lächeln der Tiefseefische (Do Fish Smile?)
Regie: Till Endemann

Happy End
Regie: Sebastian Strasser

Janine F.
Regie: Teresa Renn

Katze im Sack (Let The Cat Out Of The Bag)
Regie: Florian Schwarz

Netto (Net)
Regie: Robert Thalheim

Was lebst Du? (Whatz Up?)
Regie: Bettina Braun

Weltverbesserungsmaßnahmen (Measures To Better The World)
Regie: Jörn Hintzer, Jakob Hüfner

Forum komplett - alle Filme

24 Weltpremieren in dem aus 39 Spiel- und Dokumentarfilmen bestehende Programm, darunter 16 Erstlingswerke.
So wird es Spielfilmdebüts wie der von dadaistischer Fantasie überschäumende russische Beitrag Pakostnik der Medienkünstlerin Tania Detkina geben. Oder z.B. Alexander Shapiros Putevoditel aus der Ukraine, eine ironisch-coole Gebrauchsanleitung der Stadt Kiew.

Die Bandbreite der Spielfilmdebüts reicht von dem chinesischen Film Niu Pi (Oxhide), in dem die 23jährige Liu Jiayin ihren beengten Pekinger Familienalltag in Breitwandbilder fasst, bis zu dem ersten langen Film der britischen Installationskünstlerin Tracey Emin mit ihrer autobiografisch geprägten Arbeit mit Top Spot .

Der Crossover zwischen den Kultursparten ist ein durchgängiges Merkmal des aktuellen Forumprogramms. Aus einer Lesetour mit Fotos, Originaltönen und Musikbeispielen zu seinem Doku-Roman „Verschwende Deine Jugend“ hat der Musikjournalist Jürgen Teipel mit verschwende deine jugend.doc eine minimalistische Collage für die Leinwand entwickelt, die die deutsche Punk- und New-Wave-Bewegung von 1977 bis 1983 nachzeichnet.

Dem Tanztheater widmet sich die französische Regisseurin Claire Denis in Vers Mathilde, einem experimentellen, quasi spiegelbildlichen Porträt der Choreografin Mathilde Monnier.

Der in Berlin entstandene Spielfilm Stadt als Beute entspringt der Bühnenwelt: Aus den Proben zu einem Stück des Autors René Pollesch haben die Regisseurinnen Irene von Alberti, Miriam Dehne und Esther Gronenborn drei überraschende Berlin-Geschichten entwickelt..

Der US-Spielfilm On the Outs von Lori Silverbush und Michael Skolnik erzählt mit nüchternem Realismus das Leben von drei jungen Frauen in Jersey City, die zwischen Straßenkriminalität und Knast ihren Lebensraum suchen.

Die spanische Regisseurin Mercedes Moncada Rodríguez zeigt in El Inmortal die haarsträubende Story von Zwillingsbrüdern, die im nicaraguanischen Bürgerkrieg auseinander gerissen wurden, um sich auf beiden Seiten der Front wiederzufinden.

Weltpremieren und Europäische Premieren im Programm des Forums:

Amu (Shonali Bose) Indien, IP, 98 min., 35mm
Arlit, deuxième Paris (Idrissou Mora-Kpai) Benin/Frankreich, WP, 78 min., 35mm
Barrage (Raphaël Jacoulot) Frankreich, WP, 93 min., 35mm
Brasileirinho (Mika Kaurismäki) Brasilien/Finnland/Schweiz, WP, 90 min., 35mm
Coca – The Dove from Chechnya (Eric Bergkraut) Schweiz, WP, 87 min., 35mm
Como pasan las horas /The Hours Go By (Inés de Oliveira Cézar) Argentinien, WP, 90 min., 35mm
Crash Test Dummies (Jörg Kalt) Österreich, WP, 95 min., 35mm
D’Annunzios Höhle (Photographie und jenseits – Teil 8-10)/ D’Annuncio’s Cave (Photography and beyond – Part 8-10) (Heinz Emigholz) Deutschland, WP, 102 min., 35mm / DigiBeta
Der irrationale Rest (Thorsten Trimpop) Deutschland, WP, 100 min., 35mm
Die Vogelpredigt oder Das Schreien der Mönche/ St. Francis Birds Tour (Clemens Klopfenstein) Schweiz/Italien, IP, 88 min., 35mm
Durchfahrtsland (Alexandra Sell) Deutschland, WP, 91 min., 35mm
El Inmortal (Mercedes Moncada Rodríguez) Nikaragua/Mexiko/Spanien, EP, 78 min., 35mm
Grietjie van Garies (Odette Geldenhuys) Südafrika, WP, 48 min., DigiBeta
Kekexili Kekexili: Mountain Patrol (Lu Chuan) China, EP, 95 min., 35mm
Les yeux clairs (Jérôme Bonnell) Frankreich, WP, 87 min., 35mm
Lost and Found (Nadejda Koseva, Cristian Mungiu, Jasmila Zbanich, Kornél Mundruczó, Stefan Arsenijevic, Mait Laas) Estland/Bulgarien/Rumänien/Ungarn/Bosnien/Serbien, WP, 95 min., 35mm
Lu Cao Di Mongolian Ping Pong (Ning Hao) China, WP, 108 min., 35mm
Mahiru no hoshizora/ Starlit High Noon (Nakagawa Yosuke) Japan, WP, 90 min., 35mm
Mein Bruder. We’ll meet again (Thomas Heise) Deutschland, WP, 57 min., 35mm
Melegin Düsüsü / Angel’s Fall (Semih Kaplanoglu) Türkei, WP, 97 min., 35mm
Niu pi Oxhide (Liu Jiayin) China, WP, 110 min., DigiBeta
Odessa Odessa… (Michale Boganim) Israel/Frankreich, EP, 96 min., 35mm
On the Outs (Lori Silverbush, Michael Skolnik) USA, EP, 82 min., HD
Oprosti za Kung Fu / Sorry for Kung Fu (Ognjen Svilicic) Kroatien, IP, 71 min., 35mm
Pakostnik / The Rascal (Tania Detkina) Russland, WP, 82 min., 35mm
Profils paysans: Le quotidien / Profiles farmers: Daily life (Raymond Depardon) Frankreich, WP, 85 min., 35mm
Putevoditel / The Guidebook (Alexander Shapiro) Ukraine, WP, 108 min., 35mm
Ratziti lihiyot gibor / On the Objection Front (Shiri Tsur) Israel, IP, 63 min., DigiBeta
Sekai no owari World's End / Girl Friend (Kazama Shiori) Japan, EP, 112 min., 35mm
Shin Sung-il-eui hangbang-bulmyung / Shin Sung-il Is Lost (Shin Jane) Korea, IP, 103 min., DigiBeta
Stadt als Beute / Berlin Stories (Irene von Alberti, Miriam Dehne, Esther Gronenborn) Deutschland, WP, 90 min., 35mm
Top Spot (Tracey Emin) Großbritannien, EP, 62 min., DigiBeta
Vers Mathilde (Claire Denis) Frankreich, IP, 84 min., 35mm
verschwende deine jugend.doc / wasting one’s youth.doc (Jürgen Teipel, Sigrid Harder) Deutschland, WP, 87 min., HD
Violent Days (Lucile Chaufour) Frankreich, IP, 80 min., 35mm
Yamanaka Tokiwa / Into the Picture Scroll – The Tale of Yamanaka Tokiwa (Haneda Sumiko) Japan, IP, 100 min., 35mm
Yan Mo / Before the Flood (Yan Yu, Li Yifan) China, WP, 150 min., DigiBeta
Yeoja, Jeong-hae / This Charming Girl (Lee Yoon-ki) Korea, EP, 99 min., 35mm
Zero Degrees of Separation (Elle Flanders) Kanada, WP, 85 min., DigiBeta

Alle Filme des Wettbewerbs jetzt benannt - drei Deutsche flimmern um den Bären

21 Filme werden im Wettbewerb der 55. Internationalen Filmfestspiele Berlin gezeigt. Fünf weitere Produktionen laufen außer Konkurrenz. Fünf Spielfilmdebüts wurden für das diesjährige Wettbewerbsprogramm ausgewählt. Insgesamt werden 16 Weltpremieren gezeigt.

Offizieller Wettbewerb
Die amerikanische Produktion Sometimes in April (Jedes Jahr im April) spielt im Bürgerkrieg Ruandas. Mit Régis Wargniers Eröffnungsfilm Man to Man und Mark Dornford-Mays U-Carmen eKhayelitsha stehen sie für ein anhaltendes Interesse an Afrika.

Der italienische Regisseur Stefano Mordini schildert in seinem Spielfilmdebüt Provincia Meccanica (Smalltown, Italien), wie eine junge und unkonventionelle Familie an den gesellschaftlichen Normen zu zerbrechen droht. Die chaotischen Eltern geben Stefano Accorsi und Valentina Cervi zu sehen.

In der dänischen Produktion Anklaget (Accused) von Jacob Thuesen wird der Familienvaters Henrik (Troels Lyby) von seiner Tochter Stine (Kirstine Rosenkrands Mikkelsen) eines schwerwiegenden Verbrechens bezichtigt. Thuesen debütiert mit Anklaget als Spielfilmregisseur.

In Les Mots Bleu (Worte in Blau) des französischen Regisseurs Alain Corneau versucht ein Lehrer hinter das Schweigen eines kleinen Mädchens zu kommen.

De Battre Mon Coeur s’est arrêté (The Beat That My Heart Skipped) des Franzosen Jacques Audiard. Das Bemühen, seinem Leben eine andere Richtung zu geben, führt den Protagonisten in eine Kette ungewöhnlicher Situationen. In den Hauptrollen sind Romain Duris, Emmanuelle Devos und Niels Arestrup zu sehen.

Die Weltpremiere der niederländisch-deutsch-französischen Koproduktion Paradise Now von Hany Abu-Assad erzählt von den letzten 48 Stunden im Leben zweier palästinensischer Selbstmordattentäter. Die Protagonisten werden von Kais Nashef und Ali Suliman verkörpert.

Der russische Regisseur Aleksandr Sokurov präsentiert mit Solnze (Die Sonne, Russische Föderation, Italien, Frankreich) den dritten Teil einer Trilogie über die Macht. Im Zentrum der Handlung steht der japanische Kaiser Hirohito. Issey Ogata, Kaori Momoi und Shiro Sano sind in den Hauptrollen zu sehen.

Regisseur Tsai Ming-Liang greift in der taiwanesisch-chinesisch-französischen Koproduktion Tian bian yi duo yun (The Wayward Cloud) erneut die Themen Entfremdung und Isolation auf. Bunte Musicalszenen werden mit expliziten Sexszenen kontrastiert. In dieser Weltpremiere spielen Chen Shiang-Chyi, Lee Kang-Sheng und Lu Yi-Ching die Hauptrollen.

Kakushi Ken-Oni no Tsume (The Hidden Blade) des Japaners Yoji Yamada erzählt die Geschichte eines Samurai, der Mitte des 19. Jahrhunderts in einer Zeit gesellschaftlichen Umbruchs noch in der Vergangenheit zu leben scheint. In den Hauptrollen sind Masatoshi Nagase, Takako Matsu, Hidetaka Yoshioka zu sehen.
Der gefeierte amerikanische Video-Clip- und Kurzfilm-Regisseur Mike Mills präsentiert mit Thumbsucker (USA) sein Spielfilmdebüt. Der Film schildert die witzig dramatische Odyssee eines jungen Teenagers in die Drogensucht. Die Hauptrollen spielen Lou Taylor-Pucci, Vincent D’Onofrio, Keanu Reeves und Tilda Swinton.

Vom Anzeigenleiter einer Sportillustrierten, der seinen Job an einen jungen Überflieger abtreten muss, erzählt Paul Weitz in In Good Company (Reine Chefsache, USA). Dennis Quaid, Topher Grace und Scarlett Johansson spielen die Hauptrollen in dieser Geschichte um Konkurrenz und Kontrollverlust.

Basierend auf der gleichnamigen Biografie von Georges-Marc Benamou erzählt der Regisseur in Le Promeneur du Champ de Mars von den letzten Tagen François Mitterrands, in denen er seinem Vertrauten, einem jungen Journalisten, intimste Geheimnisse und persönliche Erinnerungen offenbart. Michel Bouquet (Toto, der Held) verkörpert den ehemaligen französischen Staatspräsidenten.

In Téchinés Film spielen Catherine Deneuve und Gérard Depardieu ein Liebespaar, das sich nach dreißigjähriger Trennung in Tanger wieder begegnet. Ihre Gefühle füreinander sind längst noch nicht aufgearbeitet.

Der amerikanische Regisseur Wes Anderson, zuletzt mit der Familiengroteske The Royal Tenenbaums im Berlinale-Wettbewerb zu Gast, präsentiert mit The Life Aquatic eine irrwitzige Unterwasser-Komödie über eine exzentrische Familie auf der Jagd nach einem mörderischen Hai. Bill Murray, Willem Dafoe, Anjelica Huston und Owen Wilson spielen die Hauptrollen.

Einen Blick in die selbstzerstörerischen Abgründe einer obsessiven Lieb im prüden Großbritannien der 50er Jahre eröffnet Regisseur David Mackenzie in Asylum (USA/Irland): Natasha Richardson spielt die Frau eines Psychiaters, die eine leidenschaftliche Affäre mit einem Patienten ihres Mannes beginnt. In weiteren Rollen sind Sir Ian McKellen (Herr der Ringe) und Hugh Bonneville (Iris) zu sehen.

Mark Dornford-May siedelt seine Filmadaption der Bizet-Oper Carmen U-Carmen e-Khayelitsha (Carmen in Khayelitsha) in den südafrikanischen Townships an und inszeniert sie vollständig in der Landessprache Xhosa. Die Titelrolle in diesem Regiedebüt aus Südafrika spielt die auf internationalen Opernbühnen gefeierte Pauline Malefane, die selbst aus Khayelitsha stammt.

Gu Changwei, einer der bekanntesten und erfolgreichsten Kameramänner des chinesischen Films (Lebewohl, meine Konkubine), präsentiert bei der Berlinale sein Regiedebüt Peacock. Er schildert den Alltag einer Familie in einer kleinen Stadt in der Provinz Henan. Die Handlung beginnt nach dem Ende der Kulturrevolution in den siebziger Jahren und endet 1984.

Die deutschen Beiträge
In Gespenster, einer deutsch-französischen Ko-Produktion, erzählt Regisseur Christian Petzold (Die innere Sicherheit) die Geschichte der Französin Françoise, deren Tochter als Kleinkind in Berlin entführt wurde. Nach jahrelanger Ungewissheit glaubt sie die Tocher in der Streunerin Nina (Julia Hummer) endlich wieder gefunden zu haben.

Marc Rothemunds Sophie Scholl – Die letzten Tage schildert die letzten sechs Tage im Leben der 1943 in Nazi-Deutschland hingerichteten Mitbegründerin der Widerstandsgruppe „Die Weiße Rose“. Julia Jentsch (Die fetten Jahre sind vorbei) spielt die junge Studentin, die ihren Überzeugungen auch dann nicht abschwört, als ihr der Tod droht.

In Hannes Stöhrs episodischer Komödie One Day in Europe werden vor dem Hintergrund eines Champions-League-Finales Touristen in Moskau, Istanbul, Santiago de Compostela und Berlin in Diebstähle verwickelt. Die Emotionen kochen an allen Orten. In der deutsch-spanischen Ko-Produktion spielen u.a. Erdal Yildiz, Florian Lukas, Miguel Lira und Boris Arquier.

Ausser Konkurrenz
Heights (USA/Großbritannien), das Spielfilmdebüt des Regisseurs Chris Terrio, verbindet fünf Schicksale an einem Sommertag in New York zu einem Spinnenezt der Liebeswirrungen. Der Film läuft als europäische Premiere außer Konkurrenz. Mit Glenn Close, Isabella Rossellini und Elizabeth Banks.

Episodenfilm Tickets (Italien, Großbritannien) von Ermanno Olmi, Abbas Kiarostami und Ken Loach. Verwobenen Geschichten um Liebe, Hingabe und Selbstaufopferung spielen alle in einem Zug nach Rom.

Andy Tennant Hitch (Hitch – Der Date Doktor, USA). Hollywood-Star Will Smith spielt einen als "Date Doktor" berüchtigten New Yorker Heiratsvermittler, der die unscheinbarsten Männer mit den begehrtesten Frauen verkuppelt.

Die amerikanisch-deutsche Koproduktion Kinsey von Bill Condon (Gods and Monsters, 1998), nominier für einen Golden Globe. Mit seiner 1948 erschienenen Untersuchung „Das sexuelle Verhalten des Mannes“ veränderte Alfred C. Kinsey die amerikanische Kultur und gilt seit dem als Begründer der wissenschaftlichen Sexuallehre. Liam Neeson und Laura Linney spielen die Hauptrollen.

Hotel Rwanda, Regisseur Terry George erzählt die wahre Geschichte des Hotelmanagers Paul Rusesabagina (Don Cheadle, nominiert für den Golden Globe), der während des Bürgerkriegs über tausend Tutsi-Flüchtlingen Unterschlupf vor der Hutu-Miliz gewährte.

Der Studiokiller: Heaven’s Gate wird im Forum in der Ursprungsfassung gezeigt.

Das Internationale Forum des Jungen Films präsentiert als Special Screening die restaurierte, ursprüngliche Fassung von "Heaven’s Gate." Michael Ciminos monumentaler „Anti-Western“ von 1980 gilt bis heute als der größte finanzielle Flop Hollywoods – und unter Kritikern, vor allem außerhalb der USA, als Meisterwerk. Ergänzend ist die Dokumentation Final Cut: The Making and Unmaking of 'Heaven's Gate' von Michael Epstein als europäische Premiere zu sehen.

Heaven’s Gate erzählt detailverliebt von den brutalen 1890er „Johnson County Wars“, in denen wohlhabende amerikanische Viehzüchter, unterstützt von Regierungsbeamten, europäische Immigranten aus dem Westen der USA vertrieben. Nicht zuletzt aufgrund seiner kritischen historisch-politischen Aussage ist der Film umstritten gewesen.

Das Forum zeigt die aufwändig restaurierte 225-minütige ursprüngliche Schnittfassung. Nach der New Yorker Uraufführung im November 1980 wurde Heaven’s Gate von der Kritik verrissen, als „unamerikanisch“ gebrandmarkt und verschwand aus den Kinos. Eine von Regisseur Michael Cimino um mehr als eine Stunde gekürzte Fassung lief 1981 im Wettbewerb von Cannes. Das Filmfestival Venedig zeigte 1982 erstmals in Europa die ursprüngliche Fassung. Sie war letztmalig 1983 im Forum der Berlinale zu sehen; zu einem Kinostart dieser Fassung in Europa kam es nicht.

Der Misserfolg des Films bedeutete zusammen mit den auf ca. 100 Millionen US-Dollar angewachsenen Produktionskosten den finanziellen Ruin von United Artists (UA). Das legendäre Studio war 1919 von Charlie Chaplin, Mary Pickford, Douglas Fairbanks und David W. Griffith gegründet wurden.
Was genau ist bei der Produktion von Heaven’s Gate falsch gelaufen? Der Dokumentarfilm Final Cut geht den verschiedenen Theorien auf sehr kurzweilige und unterhaltsame Weise nach. Michael Epsteins Interviewpartner sind unter anderem die Hauptdarsteller Kris Kristofferson und Jeff (The Dude) Bridges, Kameramann Vilmos Zsigmond sowie Steven Bach, der als damaliger Vizepräsident von UA einer der Studioverantwortlichen war und mit seinem Buch „Final Cut: Art, Money, and Ego in the Making of ‚Heaven's Gate’, the Film that Sank United Artists“ die Vorlage zu diesem Film schuf.

Forum eröffnet mit dem Film "Lost and Found"

Der Eröffnungsfilm des 35. Internationalen Forums des Jungen Films steht fest: Die deutsche Produktion Lost and Found vereint Geschichten junger Regie-Talente aus sechs mittel- und osteuropäischen Ländern.
Die internationalen Beiträge zu dieser Kurzfilmkompilation wurden in Estland, Bulgarien, Rumänien, Bosnien-Herzegowina, Ungarn und Serbien-Montenegro gedreht und in Deutschland postproduziert. Es sind vier Kurzspielfilme, ein Dokumentarfilm und ein Animationsfilm. Unter den Regisseuren sind fünf Teilnehmer des Berlinale Talent Campus 2004 sowie ein Gewinner des Goldenen Bären (Stefan Arsenijevic für den Kurzfilm (A)Torzija, 2003). Die Uraufführung von Lost and Found findet am 11. Februar 2005 im Delphi Filmpalast statt.
Inhalt laut P.M.:
Die Episoden in Lost and Found werden von dem estnischen Animationsfilm Gene-Ration von Mait Laas verknüpft: Am Ende einer fantastischen Reise verhilft ein Streichholz-Männchen einer neuen Generation zum Leben. – In The Ritual von Nadejda Koseva (Bulgarien) wartet eine Hochzeitsgesellschaft voller Spannung auf das Brautpaar. – Ein junges Mädchen fährt zum ersten Mal allein in die Hauptstadt und muss eine schwierige Situation meistern (Turkey-Girl, Cristian Mungiu, Rumänien). – Zwei Kinder in der gleichen Stadt sind am gleichen Tag geboren, haben jedoch keine Möglichkeit, einander kennen zu lernen (Birthday, Jasmila Zbanich, Bosnien-Herzegowina). – Ein Suizidberater kämpft mit der familiären Situation nach dem Tod der Mutter (Shortlasting Silence, Kornél Mundruczó, Ungarn). – In Fabulous Vera von Stefan Arsenijevic (Serbien-Montenegro) überschreitet eine Straßenbahnschaffnerin ihre Kompetenzen und findet endlich ihr Glück.

Die fast 20 Jurys der Berlinale. Wer krönt wen?

Es gibt unabhängige Jurys und andere Jurys, die von der Berlinale berufen wurden (vor allem die des Hauptwettbewerbs.)
Unabhängig ist eine Jury, deren Mitglieder nicht von der Berlinale selber berufen werden. Neben dem sehr öffentlichkeitswirksamen Wettbewerbspreisen dem goldenen und Silbernen Bären, gibt es eine Vielzahl von unabhängigen Jurys, die im Rahmen der Berlinale Preise vergeben. Dementsprechend vergeben die unabhängigen Jurys ihre Preise nach sehr unterschiedlichen Kriterien. Im Folgenden werden alle Preise kurz dokumentiert.

Die Unabhängigen:
Preise der Ökumenischen Jury
Seit 1992 sind die internationalen Filmorganisationen der evangelischen und der katholischen Kirchen - Interfilm und Signis - durch eine aus sechs Mitgliedern bestehende gemeinsame ökumenische Jury vertreten. Die Jury vergibt ihren Hauptpreis für einen Film aus dem Wettbewerb, sowie je einen mit 2.500 Euro dotierten Preis für einen Film aus der Sektion Panorama und aus dem Programm des Forums. Die Jury ehrt mit den Preisen Filmschaffende, die in ihren Filmen ein menschliches Verhalten oder Zeugnis zum Ausdruck bringen, das mit dem Evangelium in Einklang steht, oder die es in ihren Filmen schaffen, die Zuschauer für spirituelle, menschliche und soziale Werte zu sensibilisieren. Jurymitglieder 2005 sind: Thomas Kroll (Jurypräsident), Clotilde Lee (Korea), Charles Martig (Schweiz), Johanna Haberer (Deutschland), Dina Iordanova (Schottland), Gordon Matties (Kanada).

Preise der FIPRESCI-Jurys
Die Jurys der „Fédération Internationale de la Presse Cinématographique“, des internationalen Verbands der Filmkritik, sichten Filme aus dem Programm des Wettbewerbs und in den Sektionen Panorama und Forum. Pro Sektion wird ein Preis für den besten Film vergeben. Die Mitglieder der diesjährigen FIPRESCI- Jurys sind: Andrei Plakhov (Jurypräsident, Russland), Dubravka Lakic (Serbien-Montenegro), Leonardo Garcia Tsao (Mexiko) für den Wettbewerb; Ruth Pombo (Spanien), Ninos Feneck Mikelides (Griechenland), Angelika Kettelhack (Deutschland) für das Panorama; Pamela Bienzóbas (Chile), Cristina Piccino (Italien), Helmut Merker (Deutschland) für das Forum.

LVT - Manfred-Salzgeber-Filmpreis
Der Preis ist nach dem langjährigen Leiter des Panorama und Mitgestalter des Festivals, Manfred Salzgeber, benannt. Die Jury besteht aus drei Mitgliedern und vergibt einen Preis an einen innovativen Spielfilm des offiziellen Programms. Der Preisträgerfilm darf noch keinen Verleih in mehr als einem europäischen Land haben. Mit dem Preis verbunden ist eine von der Untertitelungsfirma Laser Vidéo Titrages (LVT) gestiftete Untertitelung des Films in bis zu drei verschiedene Sprachen. Die diesjährige Jury sind: Marieanne Bergmann (Deutschland), Andrea Weiss (USA), Giampolo Marzi (Italien).

Dialogue en Perspective
Initiiert wurde der Preis „Dialogue en perspective“ vom französischen Fernsehsender TV 5 zusammen mit dem Deutsch-Französischen Jugendwerk und den Internationalen Filmfestspielen Berlin. Der Preis geht an einen herausragenden Beitrag in der Sektion Perspektive Deutsches Kino. Die Jury besteht aus vier französischen, drei deutschen Mitgliedern und einem Jurypräsidenten. Die diesjährige Jurypräsidentin ist die Regisseurin Nina Grosse. Ziel des Preises ist es, aktuelles deutsches Kino einem jungen französischen Publikum nahe zu bringen. Der Gewinner-Film wird beim Festival des deutschen Films in Paris vorgestellt.

Preis der Gilde Deutscher Filmkunsttheater
Die Jury der „Gilde deutscher Filmkunsttheater“ setzt sich aus drei Juroren zusammen, die Kinobetreiber und Mitglieder der Gilde sind. Die diesjährige Jury setzt sich zusammen aus Adrian Kutter, Thomas Engel und Michael Spiegel. Sie vergibt ihren Preis an einen Film des Berlinale-Wettbewerbs

Preise der CICAE
Für die Confédération Internationale des Cinémas D´Art et Essai (C.I.C.A.E.), den Internationalen Verband der Filmkunsttheater, sind zwei Jurys auf der Berlinale tätig: eine vergibt einen Preis an einen Film des Panoramas, eine kürt einen Film des Forums.

Prix UIP Berlin
Eine Initiative von UIP (United International Pictures) und der Europäischen Filmakademie in Kooperation mit der Berlinale. Der Preis wird von der Internationalen Kurzfilmjury vergeben und zwar an einen europäischen Kurzfilm aus den Programmen des Wettbewerbs und des Panoramas. Der Gewinnerfilm ist automatisch für den Europäischen Filmpreis nominiert.

Friedensfilmpreis
Die Jury besteht aus neun Mitgliedern, die Filme aus allen Sektionen sichten. Der Hauptpreis ist mit 5.000 Euro dotiert und wird von der „Initiative Friedensfilmpreis“ in Verbindung mit den „Ärzten zur Verhütung des Atomkriegs“ (IPPNW) und der Heinrich-Böll-Stiftung gestiftet. Darüber hinaus kann die Friedensfilmpreis-Jury lobende Erwähnungen aussprechen.

Teddy-Awards
Die Teddy-Awards gehen an Filme, die in einem schwul-lesbischen Kontext stehen. Die neun Mitglieder der internationalen Jury werden zum großen Teil aus dem Kreis schwul-lesbischer Filmschaffender und FestivalmacherInnen gewählt. Sie sichten Filme aller Festivalsektionen. Aus einer von der Jury festgelegten Auswahl von Filmen wird ein mit je 3.000 Euro dotierter Teddy an einen Spielfilm, einen Kurzfilm und einen Dokumentarfilm vergeben. Präsident der diesjährigen Jury wird Michael Kutza sein, der Leiter des internationalen Filmfestivals in Chicago.

Wolfgang-Staudte-Preis
Der Preis wird von einer dreiköpfigen Jury an einen Film des Forums verliehen. Er ist mit 10.000 Euro dotiert. Der Preis ist benannt nach dem deutschen Nachkriegsregisseur und Drehbuchautor Wolfgang Staudte. Die diesjährigen Jurymitglieder sind: Fujioka Asako (Japan), Angela Schanelec (Deutschland), Teboho Mahlatsi (Südafrika).

Caligari-Filmpreis
Die aus vier Mitgliedern bestehende Jury vergibt den Caligari-Filmpreis an einen Film des Forums. Der Preis wird vom „Bundesverband kommunale Filmarbeit“ , der Zeitschrift „film-dienst“ sowie dem TV-Sender 3sat gestiftet. Er ist mit 4.000 Euro dotiert, wobei die eine Hälfte an den Regisseur des Films geht, die andere den Verleih fördert. Der Preis wird 2005 zum 20. Mal vergeben. Die Mitglieder der diesjährigen Caligari-Jury sind: Margarete Wach, Hans-Joachim Fetzer, Volker Kufahl, Jörg Marsilius

NETPAC-Preis
Das „Network for the Promotion of Asian Cinema“ (NETPAC) ist ein Zusammenschluß von Festivalorganisatoren und Filmkritikern, die sich die Förderung des asiatischen Films zum Ziel gesetzt haben. Die aus drei Mitgliedern bestehende Jury sichtet asiatische Filme im Programm des Forums.

Don Quijote-Preis der FICC
Die 1947 gegründete „Fédération Internationale de Cine-Clubs“ (FICC/IFFS) ist die internationale Dachorganisation der Filmklubs. Der von der FICC-Jury mit dem Don Quijote-Preis ausgezeichnete Film wird in den Katalog des „Film Distribution Network“ der FICC aufgenommen. Das Distributionsnetzwerk stärkt die internationale Verbreitung der Preisträgerfilme.

Amnesty International Filmpreis
Die deutsche Sektion von „amnesty international“ verleiht auf der Berlinale 2005 erstmalig den Amnesty International Filmpreis, der bereits auf anderen internationalen Filmfestivals vergeben wird. Die Jurymitglieder sind die Schauspielerin Nina Hoss, der Filmproduzent Christoph Friedel und die Medienreferentin von amnesty international, Brita Lax. Die Jury sichtet Filme der Sektionen Wettbewerb, Panorama und Forum und richtet dabei ein besonderes Augenmerk auf Dokumentationen. Ziel des Preises ist es, die Aufmerksamkeit von Fachbesuchern und breitem Publikum auf das Thema Menschenrechte zu lenken und Filmemacher dazu zu ermutigen, sich dieses Themas verstärkt anzunehmen.

Femina-Film-Preis
Der Verband der Filmarbeiterinnen e.V. vergibt jährlich den Femina-Film-Preis, 2005 erstmals auf der Berlinale. Der Preis wird verliehen für "hervorragende künstlerische Leistungen einer Technikerin" in einem deutschsprachigen Spielfilm, und zwar im Bereich Ausstattung, Kamera, Kostüm, Musik oder Schnitt. Ziel des Preises ist, die Bedeutung der künstlerischen Arbeit der mitwirkenden Frauen für das Gesamtresultat eines Filmes hervorzuheben. Die Jury des mit 5.000 Euro dotierten Preises besteht aus drei im Filmbereich tätigen Frauen. In 2005 sind dies Anina Diener, Ula Stöckl und Franziska Heller.

"Europa Cinemas"-Preis
Das Label „Europa Cinemas“ wurde auf dem Filmfestival in Cannes 2003 erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt. Ziel der Initiative ist die Förderung europäischer Filme, ihres Verleihs und ihrer Wahrnehmung beim Publikum und in den Medien. Es wird jeweils ein europäischer Film der Quinzaine des Réalisateurs in Cannes und seit 2004 auch der Venice Days in Venedig mit dem Label durch eine Jury von 5 Mitglieds-Kinobetreibern ausgezeichnet. In 2005 wird diese Auszeichnung zum ersten Mal auf der Berlinale vergeben, und zwar an einen europäischen Film des Panoramas. Die Jurymitglieder sind: Ian Wild (GB), Tibor Biro (Ungarn), Antonio Llorens Sanchis (Spanien), Petra Klemann (Deutschland), Dietmar Zingle (Österreich).

Die offiziellen Berlinale Jurys
Der Hauptwettbewerb der Berlinale
Die Internationale Jury vergibt die Hauptpreise des Festivals: die Goldenen und Silbernen Bären,
den Alfred-Bauer-Preis an den besten Erstlingsfilm, respektive einen Film, der „neue Perspektiven der Filmkunst eröffnet“ und den „Blauen Engel“ für den besten europäischen Film, der mit 25.000 Euro der höchstdotierte Preis der Berlinale ist und von AGICOA gestiftet wird.
Die Internationale Jury sichtet für ihre Entscheidungen ausschließlich Filme des Wettbewerbs.
Die mindestens sieben Mitglieder der Jury werden vom Direktor der Berlinale ernannt und eingeladen. Die Jury setzt sich zusammen aus prominenten Filmschaffenden verschiedenster Provenienz: Regisseuren, Schauspielern und Produzenten, aber auch Vertretern anderer Festivals und der Filmwirtschaft. In die Jury kann nur berufen werden, wer in keiner Weise an der Entstehung oder Verwertung eines Wettbewerbfilms beteiligt ist.
Der Jurypräsident führt den Vorsitz über die Beratungen und genießt bei den Entscheidungen doppeltes Stimmrecht. Die JurypräsidentInnen der vergangenen Jahre waren Mira Nair, Atom Egoyan und Frances McDormand.

Kurzfilm-Preise
Die Internationale Kurzfilmjury verleiht gleich mehrere Preise in den Sektionen Wettbewerb und Panorama, darunter den Goldenen Bären für den besten Kurzfilm im Wettbewerb und den Panorama Kurzfilmpreis. Den Gläsernen Bär für den besten Kurzfilm des Kinderfilmfests vergibt die Kinderjury. Die elf Jury-Mitglieder im Alter von 11 bis 14 Jahren werden auf Empfehlung der Leitung des Kinderfilmfestes berufen. Jedes Jahr bietet das Kinderfilmfest seinem jungen Publikum die Möglichkeit, sich mittels eines Fragebogens zu den Filmen zu äußern. Aus den Hunderten von Teilnehmern dieser Aktion werden von den Mitarbeitern des Kinderfilmfestes die kommenden Jurymitglieder ermittelt. Wer in seinen Kommentaren Sehschärfe und Urteilskraft beweist, hat gute Chancen, im folgenden Jahr über die Vergabe der Gläsernen Bären mit zu entscheiden.

Die Jugendjury
Im vergangenen Jahr wurde das Kinderfilmfest um den Wettbewerb 14plus erweitert. Unter diesem Titel werden Filme präsentiert, die sich vor allem an ein jugendliches Publikum richten. Eine fünfköpfige Jugendjury vergibt den Gläsernen Bär an den besten Film dieses Wettbewerbs. Die Mitglieder der Jugendjury werden auf dem gleichen Wege ermittelt, wie ihre Kollegen in der Kinderjury.

Kinderjury
Die Internationale Jury des Kinderfilmfestes entscheidet über die Vergabe des „Großen Preises des Deutschen Kinderhilfswerkes“ an den besten Spielfilm, sowie den „Spezialpreis des Deutschen Kinderhilfswerkes“ an den besten Kurzfilm. Die Preise sind mit 7.500 Euro bzw. 2.500 Euro dotiert. Die Jury besteht aus fünf internationalen Persönlichkeiten, die sich für das Kinderfilmgenre engagieren, in der Regel FilmemacherInnen, SchauspielerInnen und MitarbeiterInnen internationaler Kinder- und Jugendfilmfestivals. Sie werden von der Leitung des Kinderfilmfestes benannt und vom Direktor der Berlinale eingeladen.

Die Kinos und Kinosääle der Berlinale::Ort&Geschichte

Kino Arsenal
Potsdamer Straße 2
10785 Berlin
Säle: 2; Platzkapazität: 76 und 234
Leinwandgröße: 10 qm und 32 qm
Beide Säle verfügen über Rollstuhlstellplätze.
U- und S-Bahn Potsdamer Platz

Das Arsenal ist das Stammhaus der „Deutschen Kinemathek“ und während der Berlinale die Hauptspielstätte für das Internationale Forum des Jungen Films. Im Jahr 1999 bezog das Arsenal gemeinsam mit der "Deutschen Kinemathek", dem "Deutschen Filmmuseum" und der "Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin“ (dffb) das „Filmhaus“ am Potsdamer Platz,


Berlinale Palast
Am Marlene-Dietrich-Platz 1
10785 Berlin

Säle: 1
Platzkapazität: 1600
Leinwandgröße: 17,6 m x 8,0 m
Alle Ebenen sind rollstuhlzugänglich
U-/S-Bahn Potsdamer Platz, Bus 148, 200, 248

Der Berlinale Palast am Potsdamer Platz ist eigentlich ein Musical Theater. Hier haben alle Filme des Wettbewerbs ihre feierliche Premiere. Auch die Eröffnungsfeier und die Vergabe der offiziellen Preise finden im Berlinale Palast statt.


CinemaxX
Potsdamer Str 5 / Eingang Voxstraße
10785 Berlin

Säle:19; Platzkapazität: 48 bis 603
Leinwandbreite: 6,50 m bis 22 m
Rollstuhlstellplätze in allen Sälen
U-/S-Bahn Potsdamer Platz, Bus 148, 200, 248

Das Cinemaxx am Potsdamer Platz ist seit dem Jahr 2000 die Hauptspielstätte der Berlinale. In den 19 Sälen des Hauses werden von früh bis spät in die Nacht Filme aller Sektionen gezeigt. Das Cinemaxx ist im Zuge der Neubebauung des Potsdamer Platzes entstanden und wurde 1998 eröffnet. Neben mehreren Snack-Bars beherbergt das Haus auch die Maxx-Bar, von der aus Knut Elstermann seine allabendliche Berlinale-Talkshow auf Radio Eins moderiert.

Cinestar im Sony-Center
Potsdamer Straße 4
10785 Berlin

Säle: 8; Platzkapazität: 142 bis 419
Leinwandgröße:: 52 qm bis 131 qm
Rollstuhlstellplätze: in allen Sälen
U-/S-Bahn Potsdamer Platz, Bus 148, 200, 248

Das Cinestar im Sony-Center am Potsdamer Platz liegt im gleichen Komplex wie das Arsenal (siehe oben) verfügt über 8 Säle, in denen Filme des Panoramas, des Forums, der Retrospektive/Hommage und des Sonderprogramms gezeigt werden. Nach dem gegenüber liegenden Cinemaxx ist das Cinestar die zweitwichtigste Spielstätte der Berlinale. lich ist.

Neu dazugekommen 2005:
Colosseum
Schönhauser Allee 123
10437 Berlin

Säle: 10 (Berlinale: 1); Sitzplätze: 525
Leinwandgröße: 6,5 x 15,2 m
Das Kino ist rollstuhlzugänglich.
U2, S41, S42, S8, S85 Schönhauser Allee, Tram M1

Mitte der Zwanziger Jahre wurden die Architekten Max Bischoff und Fritz Wilms damit beauftragt, die alte Wagenhalle der „Großen Berliner Pferdeeisenbahn AG“ an der Schönhauser Allee in ein Kino zu verwandeln. Das Colosseum eröffnete am 12. September 1924 und war der erste Filmpalast im Arbeiterbezirk Prenzlauer Berg im Nordosten Berlins. 1930 übernahm die Ufa Thaterbetriebs GmbH das Colosseum. In den fünfziger Jahren wurde das Haus zunächst als Interimsspielstätte für das Metropol-Theater genutzt, bevor es 1957 von Karl-August Borchardt umgebaut wurde, um fortan als DEFA-Premierenkino zu fungieren. In seiner heutigen Form als Multiplex wird das Colosseum nach erneuten umfangreichen Umbauarbeiten seit 1997 betrieben. Die Berlinale bespielt das Haus 2005 zum ersten Mal. Im großen Saal werden Filme der Sektionen Panorama, Perspektive Deutsches Kino, Kinderfilmfest und Forum gezeigt.


Delphi Filmpalast
Kantstraße 12a
10623 Berlin

Säle: 1; Platzkapazität: 784 Plätze
Leinwandgröße: 100 qm
Der Kinosaal ist nicht rollstuhlzugänglich.
U- und S-Bahn Zoologischer Garten

Der Delphi-Filmpalast am Zoo – kurz: das Delphi - wird seit den Anfangsjahren von der Berlinale bespielt und ist seit 1981 neben dem Arsenal die Hauptspielstätte für das Forum-Programm. Der Bau entstand unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg auf den Trümmern eines ehemaligen Tanzpalastes. Schon 1949 eröffnete der Kinobetreiber Walter Jonigkeit den Delphi-Filmpalast als das damals größte und eleganteste Premierenkino der Stadt.

Filmpalast Berlin
Kurfürstendamm 225
10719 Berlin

Säle: 1; Platzkapazität: 463
Leinwandbreite: 13,20 m x 5,80 m
Der Saal ist rollstuhlzugänglich, nicht jedoch die Toiletten.
U-Bahn Kurfürstendamm, S-Bahn Zoologischer Garten

Als die Berlinale noch ihren Hauptsitz in der Budapester Straße in der West-City hatte, gehörte der Filmpalast am Kurfürstendamm zu den vornehmsten und wichtigsten Spielstätten des Festivals. Von seinem eleganten Charme hat das Kino nichts eingebüßt, noch immer ist es mit seinem Art Deco Interieur eines der schönsten Filmtheater Berlins. Während der Berlinale ist es jetzt die Spielstätte für das Berlinale Special.

Filmtheater am Friedrichshain
Bötzowstraße 1-5
10407 Berlin

Säle: 5 (Berlinale 1)
Platzkapazität: 325
Leinwandgröße: 11 m x 4,70 m
Der Saal ist rollstuhlzugänglich
Tram 2,3,4,5,6,8 Bus 140, 200, 348

Das Filmtheater am Friedrichshain ist mit 5 Sälen das größte Programmkino Berlins. Der große Saal dient während der Berlinale als Hauptspielstätte für das Kinderfilmfest. Das Gebäude besteht bereits seit Mitte der Zwanziger Jahre und wurde in seiner wechselhaften Geschichte auch meistens als Kino betrieben. 1995 wurde das FaF aufwendig renoviert.

Kino International
Karl-Marx-Allee 33
10178 Berlin

Säle: 1, Pätze: 551
Leinwandgröße: 14 m x 6 m
Der Saal ist rollstuhlzugänglich.
U-Bahn Schillingstraße, S-Bahn Alexanderplatz

Viele Berliner halten das International für das schönste Kino der Stadt. Von 1961 bis 1964 erbaut gehört es heute zu den eindrucksvollsten Gebäuden der „DDR-Moderne“. Ein klassisches Lichtspieltheater mit großzügigem Foyer, beidseitigen Treppenaufgängen, bequemer Bestuhlung, aufwändiger Vertäfelung und einem Paillettenvorhang vor der Leinwand atmet das International noch immer die Atmosphäre jener Zeit, als es das repräsentative Prunkstück einer optimistischen DDR-Kultur war. 6 Meter hohe Fenster von der Decke bis zum Boden bieten einen gigantischen Blick auf die 8 spurige Karl-Marx Allee und den gegenüberliegenden Club WMF im Cafe Moskau.Während der Berlinale werden hier Wiederholungen von Wettbewerb- und Panorama-Filmen gezeigt. Einige ausgewählte Panorama-Filme haben im International auch ihre Premiere.

Filmkunsthaus Babylon
Rosa-Luxemburg-Straße 30
10178 Berlin

Säle: 2 (Berlinale nur 1)
Platzkapazität: 467 Plätze
Leinwandgröße: 52 bis 131 qm. Der Saal verfügt über mehrere Rollstuhlstellplätze.
Öffentliche Verkehrsmittel: U-Bahn Rosa-Luxemburg-Platz, Bus 340

Das Filmkunsthaus Babylon am Rosa-Luxemburg-Platz ist die geschichtsträchtigste Spielstätte der Berlinale. Es ist Teil eines mittlerweile denkmalgeschützten Gebäudekomplexes, der Ende der 20er Jahre nach Entwürfen von Hans Poelzig im Stil der Neuen Sachlichkeit gebaut wurde. Ursprünglich als Stummfilmtheater mit Orchestergraben und Kino-Orgel konzipiert, wurde es bereits nach wenigen Jahren auf das Tonfilmzeitalter umgerüstet. Im Krieg nur leicht beschädigt war das Babylon ab 1948 das Premierenkino der DEFA und später- nach dem Bau der Kinos "International" und "Kosmos" auf der Karl-Marx-Allee - das Programmkino der DDR. Während der Berlinale ist es eine Spielstätte für die Retrospektive und die Hommage.

Urania
An der Urania 17
10787 Berlin-Schöneberg

Säle: 2 (Berlinale: 1)
Platzkapazität: 866
Leinwandgröße: 12m x 6m
Alle Ebenen sind rollstuhlzugänglich
U1/2/15 Wittenbergplatz, Bus 119, 129, 146, 187, 219

Als Veranstaltungsort gibt es die Urania seit 1888. Für den Film in Deutschland ist sie eine wichtige historische Adresse, einst wurden hier die ersten bewegten Bilder gezeigt. Bis zum Umzug der Berlinale 2000 zum Potsdamer Platz war der markante Gebäudekomplex der Hauptspielort des Kinderfilmfests der Berlinale und beherbergte auch das Programmsegment zum Neuen Deutschen Film. Heute ist die Urania u.a. Nachspielort der Filme des Wettbewerbs.

Das Zeughauskino
Unter den Linden 2
10117 Berlin

Säle: 1
Platzkapazität: 160; 4 Rollstuhlplätze
Leinwandgröße: 9,30 m x 3,80 m
S-Bahn Hackescher Markt, U-Bahn Französische Straße
Bus 100, 157, 200 und 348

Das Zeughaus-Kino befindet sich im „Deutschen Historischen Museum“ am Rande der Museumsinsel in Berlins historischer Mitte. Nach der umfassenden Renovierung eröffnete das Kino im Jahr 2001 wieder den regelmäßigen Spielbetrieb. Der Kinosaal des Zeughauses steht unter Denkmalschutz und ist seit 2004 eine Spielstätte der Retrospektive und der Reihe Selling Democracy.

Zoo Palast
Hardenbergstraße 29a
10623 Berlin

Säle während der Berlinale: 2
Platzkapazität: 1070 und 438
Leinwandgröße: 144 qm/82 qm
Rollstuhlzugänglich ist nur der große Saal. U-/S-Bahn Zoologischer Garten

Jahrzehntelang war der Zoo-Palast das Herzstück der Berlinale. Bis 1999 blieb der Zoo-Palast das Zuhause der Berlinale und das Premierenkino für die Filme des Wettbewerbs. Seit dem Umzug des Festivals an den Potsdamer Platz im Jahr 2000 bespielt die Berlinale den großen Saal und das Atelier-Kino im Zoo-Palast mit Premieren des Panorama und des Kinderfilmfests.

Berlinale-Retrospektive 2005: „Production Design + Film“

Ob verschwenderisch ausgestattete Sets oder zurückhaltend und schlicht gestaltete Räume – Production Design bestimmt den Look und die Atmosphäre eines Films.
Die Retrospektive der 55. Internationalen Filmfestspiele Berlin (10.–20.02.2005) widmet sich unter dem Titel „Schauplätze – Drehorte – Spielräume. Production Design + Film“ dem Metier des Production Designs.

Production Designer trugen viel bei zur Stimmung und Geschichte eines Films. Die Ausstattung kann gesellschaftliche Verhältnisse zum Ausdruck bringen oder das Rätselhafte und Bedrohliche einer Handlung akzentuieren. Die Retrospektive der Berlinale 2005 ist gegliedert in fünf thematische Bereiche, die verschiedene Aspekte der Wirkungsweise von Production Design zeigen. Die Filmreihe umfasst 45 internationale Filme aus den vergangenen 65 Jahren. Dabei wird den stilbildenden Filmen Stanley Kubricks ein besonderer Platz eingeräumt.

1. Die Rubrik „Interiors“ widmet sich Innenwelten und privaten Räumen. Diese hat zum Beispiel Rolf Zehetbauer für Rainer Werner Fassbinders Film "Die Sehnsucht der Veronika Voss" (BRD, 1981/82) eindringlich in Szene gesetzt. Und Richard Sylbert gelingt es, mit der Gestaltung des Interieurs in Mike Nichols’ Film "Who’s Afraid of Virginia Woolf?" ( Wer hat Angst vor Virginia Woolf?, USA, 1966) die inneren Konflikte des Paars in Räume zu übersetzen.

2. Unter der Überschrift „Transit“ werden Filme gezeigt, in denen der filmische Raum zur Metapher wird: Der Production Designer P.A. Lundgren gestaltete in Ingmar Bergmans Film "Tystnaden" (Schweden, 1962/63) durchlässige Räume. "2001: A Space Odyssey" (Großbritannien/USA, 1965–68) wurden für Stanley Kubrick bahnbrechenden Raumschiffdesigns entworfen, die sogar die NASA beienflussten.

3. Der Abschnitt „Macht“ zeigt unter anderem Gattaca ( USA, 1997) von Andrew Niccol. Totalitäre Strukturen werden in Architektur und Design des Films gespiegelt.

4. Der Zwischen-Raum von Realität und Illusion wird im Bereich „Bühne“ sichtbar. Für "E la nave va" (Italien/Frankreich, 1983) wurde ein artifizielles Meer aus riesigen Plastikplanen kreiert, weil Federico Fellini in seinem Film kein „echtes Meer“ haben wollte.

5. Die Rubrik „Labyrinth“ versammelt Filme, die ein Wechselspiel von Erzähl- und Raumstruktur zeigen. Endlose Flure und verwirrende Raumabfolgen werden zum Irrgarten. So zum Beispiel in Stanley Kubricks Film The Shining (Großbritannien/USA, 1978–80),

Im Filmmuseum Berlin gibt es begleitende Vorträge und Diskussionen. Außerdem wird dort vom 10. Februar bis zum 19. Juni 2005 die Ausstellung „Bewegte Räume“ gezeigt. Das Deutsche Filmmuseum Frankfurt am Main präsentiert vom 19. Januar bis zum 11. April 2005 im Martin-Gropius-Bau die Ausstellung „Stanley Kubrick“. Zusätzliche Synergien ergeben sich mit dem

20. Jubiläum Panorama::Ausstellungen&Fotografien

Zum 20. Jubiläum des Panoramas in diesem Jahr wird es in Zusammenarbeit mit K44 eine multimediale Ausstellungsinstallation in der HomeBase Panorama Lounge am Potsdamer Platz geben. Für diesen Rückblick öffnet das Panorama zum ersten Mal sein reiches Archiv: Ausgewählte Filmstills aus über 1200 Panorama-Filmen und Bilder vom Festival zeigen einen Querschnitt durch die Geschichte der Sektion.

Daneben erinnert eine Fotogalerie an Menschen, die das Panorama maßgeblich geprägt haben und an Panorama-Entdeckungen wie Pedro Almodóvar, Ang Lee, Gus Van Sant, Oskar Roehler, Chantal Akerman oder Kim Ki - duk, die hier ihre internationale Karriere starteten. Dem Festival langjährig verbundene Fotografinnen und Fotografen stellen bislang unveröffentlichtes Bildmaterial zur Verfügung. Eine Auswahl davon wird in einem die Ausstellung begleitenden Katalog präsentiert.

Auszeichnungen/Preise im Panorama

Im Rahmen des Panorama werden mehrere Auszeichnungen verschiedener Unabhängiger Jurys vergeben. Dazu gehören der „Teddy Award“, der renommierte schwul-lesbische Filmpreis, der seinen Anfang im Panorama nahm, und der LVT-Manfred Salzgeber-Preis, der 1999 erstmals vergeben wurde und an den Gründer und Gestalter der Sektion erinnert.
Die FIPRESCI-Jury vergibt einen ihrer Preise im Panorama, und auch der einzige Publikumspreis der Berlinale wird im Panorama verliehen.

Die Kurzfilme der Sektion stellen sich gemeinsam mit denen des Wettbewerbs dem Votum der Internationalen Kurzfilmjury, die aus dem Panorama hervorgegangen ist und die mit dem UIP-Preis auch gleichzeitig eine Nominierung für den europäischen Filmpreis ausspricht.

Das Programm im Panorama. Wer war schon mal da?

Das Panorama Hauptprogramm präsentiert etwa 18 Spielfilme: eine internationale Auswahl von Produktionen, die das Potenzial haben, ein breites Arthouse-Publikum anzusprechen. So gehörten z.B. Sue von Amos Kollek, Solas von Benito Zambrano, Walk on Water von Eytan Fox’ und Berlin is in Germany von Hannes Stöhr zu den Publikumslieblingen der letzten Jahre.

Panorama Dokumente bietet einen Blick auf zehn bis fünfzehn der interessantesten Dokumentarfilme aus aller Welt. André Hellers und Othmar Schmiderers Im toten Winkel: Hitlers Sekretärin lief 2002 im Dokumente-Programm und gewann den Panorama-Publikumspreis. Dass im vergangenen Jahr mit Andres Veiels Langzeitbeobachtung Die Spielwütigen erneut ein Dokumentarfilm den Publikumspreis gewann, belegt die wachsende Bedeutung des Genres.

Im Panorama Special werden große unabhängige Produktionen, sowie Filme der US-amerikanischen Major Studios präsentiert. Die Auswahl umfasst etwa 18 Titel. Brassed Off, Fucking Amål, Owning Mahony, Wolfsburg – das Panorama Special ist oft das Sprungbrett für eine breitere Rezeption.

Die Panorama-Kurzfilme werden in Programm-Kollektionen präsentiert. Die Auswahl der 20 bis 25 Filme und auch die Publikumsgespräche nach den Vorführungen sind für junge Regisseure oft der erste Auftritt auf internationalem Parkett.

Panorama. Welche Art Filme werden gezeigt

Im Programm des Panorama werden neue Filme renommierter Regisseure und Regisseurinnen neben Debütfilmen und spannenden Neu-Entdeckungen präsentiert. Die Filmauswahl versucht den Spagat zwischen künstlerischen Visionen und kommerziellen Interessen.
Vom Kurzfilm über den Spielfilm bis hin zum abendfüllenden Dokumentarfilm läuft hier alles. Traditionell ist das so genannte Autorenkino stark vertreten. Das Programm lässt Länder- und Themenschwerpunkte zu.
Alle Filme im Panorama laufen entweder als Weltpremieren oder Europapremieren außerhalb ihres Ursprungslandes.

Forum. Welche Art Filme werden gezeigt

Das Internationale Forum des Jungen Films – kurz Forum – gilt als die risikofreudigste Sektion des Berlinale-Programms. Avantgarde, Experiment, Essay, Langzeitbeobachtungen, politische Reportagen und noch unbekannte Kinematographien: im Forum begegnet einem auch unkonventionelle und ungewohnte Filme. Das Forum setzt einen Schwerpunkt auf junge Filmemacher, ansonsten sind die formalen Beschränkungen bei der Filmauswahl gering, die Freiheiten dagegen groß. Alle Formate sind willkommen - Dokumentar- und Spielfilme kommen gleichermaßen.

Anfangs noch als eine Gegenveranstaltung zur Berlinale konzipiert, wurde das Forum 1970 als ein Parallelfestival an die Berlinale angegliedert und damit eine Neuausrichtung des Festivals in die Wege geleitet. Mittlerweile ist das Internationale Forum des Jungen Films ein fester Bestandteil des Berlinale-Programms und prägt maßgeblich das differenzierte Profil des Festivals.

Offizielle Preise werden im Forum nicht vergeben. In den Anfangsjahren der Sektion stand dahinter die explizite Absicht, sich vom kompetitiven Gestus des Wettbewerbs abzugrenzen. Mehrere der unabhängigen Jurys vergeben jedoch auch Preise im Rahmen des Forums.
Das Forum hat auch eine eigene Internetseite: www.fdk-berlin.de/forum.

Perspektive deutsches Kino. Welche Art Filme werden gezeigt

Für das Programm werden etwa zwölf Filme des jüngsten Jahrgangs ausgewählt. Um das Spektrum möglichst offen zu halten und auch Abschlussarbeiten der Filmhochschulen zu integrieren, gibt es kaum formale Beschränkungen, weshalb abendfüllende Spiel- und Dokumentarfilmen neben mittellangen und experimentellen Arbeiten laufen.

Seit 2004 wird in der Sektion der vom französischen Fernsehsender TV 5 gestiftete Preis "Dialogue en Perspective" verliehen. Er soll die Attraktivität des deutschen Kinos für ein junges französisches Publikum fördern. Eine Jury - bestehend aus vier französischen, drei deutschen Mitgliedern und einem Jurypräsidenten - ermittelt den Gewinner-Film, der beim Festival des deutschen Films in Paris vorgestellt wird.

Die Sektionen der Berlinale - Wer zeigt Was?

Das Filmprogramm der Berlinale gliedert sich in sechs Sektionen: den Wettbewerb, das Panorama, das Internationale Forum des Jungen Films, das Kinderfilmfest, die Perspektive Deutsches Kino und die Retrospektive. Jede Sektion ist für die Filmauswahl selbst verantwortlich.

Vielfalt und Fokussierung in den Sektionen
Im Wettbewerb wird großes internationales Kino gezeigt, internationale, oft mit Stars besetzte Großproduktionen. Im Wettbewerb ist der Glamourfaktor am höchsten, hier liegt der berühmte rote Teppich.

Im Panorama liegt der Schwerpunkt auf Independent- und Arthouse-Kino, also Filme etwas ab der Hauptstrasse, die im Haupt-Wettbewerb mündet.

Die Perspektive Deutsches Kino interessiert sich für die thematischen und ästhetischen Tendenzen im einheimischen Filmschaffen und stellt einem internationalen Publikum das jeweils Neueste aus der deutschen Filmlandschaft vor.

Das Internationale Forum des Jungen Films laufen viele Filme, die es ausser auf Festivals aufgrund von Vermarktungs- und Einnahmemöglichkeiten durch Verleih meist nicht mehr im Kino zu sehen gibt. Etwas für die echten Cineasten und solche, die es werden wollen.

In der Retrospektive werden Klassiker (wieder)entdeckt. Auf der Berlinale 2004 hat die Retrospektive „New Hollywood“ mit Filmen wie Der Pate, oder Easy Rider ua. und dem Besuch der guten alten Leinwandhelden, fast dem eigentlichen Wettbewerb den Rang abgelaufen.
Die Hommage ist in der Regel einer großen Schauspielpersönlichkeit gewidmet und präsentiert dren Lebenswerk präsentiert.

Das Kinderfilmfest zeigt frisches Kino für ein junges Publikum. Eine Auswahl unter dem Titel 14plus richtet sich dabei gezielt an Jugendliche und Heranwachsende.

Sonderprogramme wie die Marshall-Film-Reihe kommen regelmäßig durch gezielte, thematische Kooperationen zustande und ergänzen das Programm mit eigenen Akzenten, erproben neues Terrain und schaffen zeitgeschichtliche Bezüge.

Impressum