Panorama

Waste Land gewinnt Panorama-Publikumspreis

Waste Land von Lucy Walker hat den Panorama-Publikumspreis gewonnen. Der Film begleitet den brasillianischen Künstler Vik Muniz, bei einem seiner aufwendigsten Projekte: Einer Installation im "Jardim Gramacho". "Jardim Gramacho" liegt in einem armen Außenbezirk von Rio de Janeiro und ist eine der größten Mülldeponien der Welt: Die Menschen dort leben vom Müll, den sie sammeln undauf die unterschiedlichste Art wiederverwenden. Muniz hat die sogenannten Pflücker in sein Kunstprojekt einbezogen.
Lucy Walker hat schon 2007 mit Blindsight den Panorama-Publikumspreis gewonnen.

Beautiful Darling von James Rasin

You were, what you said you were

Andy Warhol hatte einen Spitznamen: Drella. Drella ist die Fusion von Dracula und Cinderella. In seiner Factory war Warhol einerseits der Vampir, der die Kraft seiner sehr willigen Opfer für seine kreativen Zwecke bis zum letzten Tropfen aussaugte und andererseits der vom Glück Begünstigte, der quasi durch Handauflegen, jeden Zum Star machen konnte. Eine der größten Stars war Candy Darling. Die schönste Frau der Welt, die biologisch nie eine Frau war. Aber was macht das schon? In der Factory „you were, what you said you were,“ wie es im Film Beautiful Darling so schön heißt. Du konntest das sein, was Du zu sein behauptetest.

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Father of Invention von Trent Cooper

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Ohne jeden Erfindergeist

Eine wie in Reihe gefertigte amerikanische Komödie mit einem Star in der Hauptrolle, glatt, mit vorhersehbaren Entwicklungen und nahe liegenden Konflikten und Charakteren, die alle wie aus einem Handbuch des Drehbuchschreibens entnommen scheinen: die esoterisch, etwas dämliche Exfrau mit nettem neuen Mann, der zum Gefährten des Helden wird, die superhübsche Tochter, die in einer Frauen WG lebt, in der Papa, gescheiterter und verfemter Unternehmer, einzieht und mit der lesbischen Mitbewohnerin erst Probleme hat, die dann natürlich zur Kumpel-Freundin wird.
Axle scheitert dramaturgiegerecht zunächst beim Job im Supermarkt, weil er dazu gemacht ist, den amerikanischen Traum zu leben und ganz allein und selbständig Großes zu vollbringen - nur diesmal wird er dabei seine Familie und vor allem seine Tochter nicht vergessen. Kennt man das nicht so oder ähnlich...?

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Parade von Isao Yukisada

Der Feind in meinem Bett

Vier junge Menschen Anfang 20 driften durch ihr Leben, mit oder ohne Job, Freundin, Plan oder Antrieb. Dazu gibt es einen Serienmörder, über den zwischen Soap Operas im Fernsehen berichtet wird. Nebenan wohnt ein Hellseher, den man für eine Puffmutter hält und ansonsten wird viel über nichts geredet und dazu getrunken. Was Studenten und junge Menschen eben so tun und denken. In Tokyo oder sonstwo. Dann kommt ein blondierter Stricher in die WG und erst weiß keiner, wer ihn mitgebracht hat, dann ist aller Freund und Kummerkasten, Nacktmodell und kleiner Bruder.
Regisseur Yukisada interessierten - wie er vor der Vorführung sagte - die Reaktion junger Leute hier in Europa auf seinen Film. Kennen sie das? Sicher tun sie. So what? Den Dreh ins Abstruse, wenn der WG-Hauptmieter und einzige mit Job und Karriere der Killer im silbernen Space Anzug ist und all wussten es schon lang, aber dachten sich: egal, jeder macht halt SEIN Ding. Das nimmt einen alles nicht mit. Oder bin ich auch schon abgestumpft?

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L'arbre et la forêt (The Family Tree) von Olivier Ducastel, Jacques Martineau

Die Säge an den Stamm gesetzt

Wagner in voller Lautstärke zum Aufwachen ist nicht jedermanns Sache. Der 77 Jährige Frédérick liebt es. Und er liebt den Baum, den er 1947 vor dem Haus gepflanzt hat. Sonst ist er was die Amerikaner einen „grumpy old fart“ nennen - wie es scheint.
Er hat ein aufgrund eines Schwurs ein lebenslanges Verhältnis zu Bäumen, und die Familie ist mit dem Holz zu Wohlstand gekommen. Alle Generationen nebst Angetrauten und Geschiedenen hat sich eingefunden, weil der älteste Sohn zu Grabe getragen wurde. Doch Frédérick war nicht dabei. Dem Fernbleiben folgt familientypisches Schweigen von einigen und Schimpfen von anderen. Der jüngere Sohn Guilliaume hat ein Alkoholproblem und auch eines mit seinem Vater, das an diesem Abend wieder ausbricht. Die Enkelin und Tochter des Toten mag ihren Opa, aber ist erschüttert, dass sie nicht traurig über den Tod ihres Vaters ist. Sie hatte zu ihm so wenig ein Verhältnis wie ihr Vater zu Frédérick. Das nur einer der Belege in diesem Film, wie Fähigkeiten und Unfähigkeiten an die nächste Generation weitergereicht werden. Und dann ist da noch Marianne, die Großmutter, die beschwichtigt und wartet - und mit Frédérick seit 50 Jahren ein Geheimnis hütet.

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Welcome to the Rileys von Jake Scott

Fußmatten und Klingelschilder auf denen die Besucher mit "Willkommen" begrüßt werden, sollten immer auch Anlass zur Skepsis geben, denn häufig ist der Besucher gerade in diesen Häusern nur begrenzt gerne gesehen. So verhält es sich auch bei den Rileys im neuen Film von Jake Scott. Trotz eines großflächigen entsprechend beschrifteten Klingelschildes leben die beiden Hausbewohner abgeschottet in ihrer eigenen Welt.

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Besouro von João Daniel Tikhomiroff

Besouro heißt auf Portugiesisch Käfer. In einer Anfangssequenz zeigt der alte Caipoeira-Meister Alípio seinem Schüler einen pechschwarzen Käfer. „Die Wissenschaft ist überzeugt davon, dass er nicht fliegen kann“, sagt er, „aber das stimmt nicht“. Kaum kommt er ihm näher, fliegt der Käfer kraftvoll los.

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Die Fremde von Felo Aladag

Die Fremde ist der erste Film von Feo Aladag als Regisseurin und er ist ihr gleich rundherum gelungen. Aladag, die sich bisher als Schauspielerin und Drehbuchautorin einen Namen gemacht hat, hat sich einem sensiblen wie aktuellen Thema angenommen: dem "Ehrverbrechen" in der Einwanderungsgesellschaft. Bei so einem Thema kann viel schief gehen. Aladag und ihrem hervorragenden Cast gelingt es aber auf bemerkenswerte Weise, die unterschiedlichen Facetten in einem gesellschaftlichen Konflikt auszuleuchten.

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The Man who sold the world von Swel&Imad Noury

Postapokalyptische Dreiecksbeziehung

Zwei wirklich schöne Sachen gibt es in dem Film: die Texte, die die Kapitel des Films einleiten und einige der stillen, sehr cinematographischen Aufnahmen von Gebäuden und eigenartigen Räumen in Casablanca. Ansonsten haben die beiden Regisseure in jedem Fall eine sehr eigenwillige Filmsprache und Filmstruktur für ihre Geschichte gefunden, die auf einer Erzählung Dostojewskis basiert. Auf der optischen Ebene ist der Film zunächst kraftvoll und individuell, aber nach einer Weile wirkt er ein wenig prätentiös und gewollt.
X arbeitet die ganze Zeit auf Pillen an irgendwelchen Texten, bekommt Halluzinationen, es herrscht ein Krieg zwischen irgendwem und der nicht näher bestimmt wird. Xs Freund Ney, zu dem X eine Art homoerotische Beziehung ohne Sex unterhält, macht nicht viel außer rauchen (das allerdings immer schön in Szene gesetzt) und läuft wie sein Freund in Clownsklamotten durch die Gegend. Über die Arbeit und seine große Liebe zu Lilli, eine schöne Französin und die Liebe zu seinen Freund, der ebenfalls Lilli liebt, wird X allmählich irre - das Ganze ist mal „lynchig“, dann an Shirin Nesfat erinnernd fotografiert, aber bleibt seltsam blutleer trotz der eingesetzten Bildgewalt.

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Mine Vaganti (Loose Canons) von Ferzan Ozpetek

Von klugen Omas und schönen Enkeln

Ahhh - das Licht in Apulien, der Sommer, das Meer, die Mode, leidenschaftliche Frauen und Männer, die Altstadt mit Gassen und Säulen, die Pasta - Bella Italia totale. Dazu das Anwesen der angesehenen Familie Cantone voller verschrobener aber irgendwie liebenswerter Individuen: die kommandierende Mutter, die exzentrische Tante, der labernde Schwager, die dicken Enkel, die schlichten Haushaltshilfen, die weise aber rebellische „Nonna“ (Oma) - und zwei schwule Söhne. Was passt hier nicht ins Klischee? Genau. Und weil der eine Bruder, dem anderen bei einem festlichen Abendessen mit seinem Coming Out zuvor kommt, Papa ausflippt und einen Herzinfarkt erleidet und den Sohn verstößt, muss Tommaso, der jüngste und schon vor Jahren nach Rom geflüchtete Bruder plötzlich in der alten Heimat in Pasta machen, obwohl er Schriftsteller werden möchte. Und hier beginnt diese schöne Komödie um die wahre Bestimmung und Liebe und Familienbande in Fahrt zu kommen.

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Blutsfreundschaft von Peter Kern


Handlung? Ästhetik?? Haltung???


In Blutsfreundschaft geht es um all dieses: Jugendliche mit Familienproblemen, Mord, Mut, schwule Bohemians, rechte Volksverführer, Transsexuelle, Skinheads, Sozialarbeiter, Konzentrationslager, das dumme Volk, Gewalt, Jungenliebe, Gruppendruck, Hitlerjugend, Schuld, Tod, Dekadenz, Geschlechtsumwandlung, Sühne, Ausländerhass, Liebe, Angst, Widerstand gegen Rechts.

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Panorama kompletto

Das Panorama hat die letzten Filme bekanntgegeben. Insgesamt werden es 54 Filme sein und dabei wie immer einige über oder von Homosexuelle(n) aus aller Welt. Dazu zahlreiche Dokumentationen, von denen zwei in Berlin gedreht wurden und recht vielversprechend klingen. Der Dokumentarfilmteil wird eröffnet von David Wants To Fly der sich mit der neuen Religiösität weltweit beschäftigt. David Sieveking begibt sich auf die Suche nach dem tieferen Sinn der Begeisterung seines Idols David Lynch für Meditation.

Bei den Spielfilmen scheint von Kunst bis Thriller eine gute Mischung gefunden und mit einem der wenigen Filme, die bisher im Irak gemacht wurden, auch etwas außergwöhnliches im Programm. Eröffnet werden die Spielfilme am 12. Februar von dem russischen Film Veselchaki von Felix Mikhailov. Die Subkultur eines Moskauer Transenkabaretts ist Spiegel der homophoben Gesellschaft in Russland. Der Blick in die Herkunftsfamilien der Performer zeigt die harsche Normalität, aus der sie geflüchtet sind.

Aus Indien kommt Aarekti Premer Golpo (Just Another Love Story) von Kaushik Ganguly. Er handelt von einer lesbischen Dokumentarfilmregisseurin und einem bisexuellen Regisseur, die befreundet sind und eine Doku in Kalkutta drehen wollen, dann aber Probleme bekommen.

Aus Brasilien werden wir das Drama aus der Sklavenzeit Besouro von João Daniel Tikhomiroff zu sehen bekommen. Ein hochbegabter Capoeira Tänzer wird durch Zauberei zu einer Art Jedi-Ritter und benutzt den Tanz dazu, wovor die Sklavenhalter Angst hatten: zum Kampf gegen die Unterdrückung.

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