FAVOLACCE (BAD TALES) von Fabio und Damiano D’Innocenzo

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Die Bewohner eine properen Einfamilienhaus-Siedlung am Rand von Rom scheinen auf den ersten Blick ein gutes Leben zu genießen: Auto, kleiner Garten, wohlerzogene Kinder, das nötige technische Equipment im Haus. Trotzdem köchelt in dieser brütenden Sommerhitze mehr als nur die Temperatur. Eine merklich angespannte Stimmung, eine (meist) unterdrückte Aggression, Missgunst und Argwohn ziehen sich wie giftige Schlieren über das auf Hochglanz polierte Spiegelbild. Die Kinder fungieren dabei wie kleine Seismographen – sie nehmen die bösen Schwingungen am deutlichsten wahr, und sie sind es auch, die darauf am Ende auf schreckliche Weise reagieren werden.

Die Brüder Fabio und Damiano D’Innocenzo haben mit FAVOLACCE eine albtraumhafte Vorstadt-Dystopie geschaffen. Bis zuletzt weiß man nicht so genau, wo diese grauenhafte Leere und Aggression der Figuren ihren Ursprung hat. Es ist jedoch weit mehr als eine „normale“ Wohlstands-Midlife-Crisis, die sich hier manifestiert. Der Grad der seelischen und moralischen Verrohung lässt an den Rechtsruck des einst als Paradies der Lebensfreude und Freundlichkeit gepriesenen, geliebten und romantisierten Italiens denken. Ein wenig kommen einem die Mütter und Väter der Siedlung vor wie Mittelklasse-Zombies, die noch nicht begriffen haben, dass sie welche sind.

Es sind kleine Grausamkeiten, die einen zunächst aufschrecken lassen: Da leiern zwei Geschwister vor der versammelten Nachbarschaft ihre Einser-Zeugnisse herunter, und der einzige Kommentar der Eltern ist, dass das Mädchen sich noch ein bisschen mehr anstrengen müsse, da sie nicht durchgängig die Bestnote erreicht hat. Oder der Familienvater (gespielt von Elio Germano, der bereits mit VOLEVO NASCONDERMI im Wettbewerb vertreten ist), zerstört nachts heimlich das familieneigene Planschbecken, weil es ihn nervt, dass alle Nachbarskinder sich in seinem Garten vergnügen. Am nächsten Morgen sollen die Übeltäter „Zigeuner mit Äxten und ohne Swimming-Pool“ gewesen sein. Die hässliche Lega Nord / Forza Italia Fratze scheint hier klar durch. Einem anderen Mädchen wird von der Mutter der Kopf geschoren, weil sie sich mutmaßlich in eben jenem Pool Kopfläuse eingefangen hat.

Eine etwas wirre Rahmenerzählung legt nahe, dass eines der Kinder ein Tagebuch eines Mädchens aus der Siedlung fortschreibt - als böses Märchen. Und tatsächlich hat die bedrohliche Stimmung in der Siedlung etwas von einem Fluch, der auf allen lastet. Einzig eine etwas assige Kleinfamilie, bestehend aus Vater und sehr stillem Sohn, scheint sich glaubhaft und ehrlich zugeneigt. Sie allein scheinen immun gegen den Virus, der sich in der restlichen Siedlung verbreitet. Sie werden sich am Schluss auf die Stadt zu bewegen – weg vom tödlichen Gift der Vorstadt.

© Pepito Produzioni, Amka Film Production

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Titel

Orignaltitel

Favolacce

Englischer Titel

Bad Tales

Credits

Regisseur

Damiano & Fabio D'Innocenzo

Schauspieler

Barbara Chichiarelli

Elio Germano

Max Malatesta

Gabriel Montesi

Lino Musella

Land

Flagge ItalienItalien

Flagge SchweizSchweiz

Jahr

2020

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