DER GOLDENE HANDSCHUH von Fatih Akin (Berlinale 2019)

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Um es gleich vorweg zu sagen: Dies ist ein schwer erträglicher Film. Er zeigt rohe Gewalt, pervertierte sexuelle Brutalität und widerwärtigste Frauenverachtung. Das tut er auf eine Art, die abstoßen soll und, in der Tat, abstößt. Der Hamburger Regisseur Fatih Akin hat in DER GOLDENE HANDSCHUH die Geschichte des Frauenmörders Fritz Honka verfilmt, basierend auf dem gleichnamigen Roman von Heinz Strunk. Honka hatte in den 1970er Jahren in Hamburg mindestens vier Frauen gequält, vergewaltigt, ermordet und zerstückelt.

Einige Leichenteile versteckte er bei sich zu Hause in einem Verschlag. Weshalb sich Nachbarn und Besucher immer wieder über den extremen Gestank ins Honkas Mansardenwohnung beschwerten. In seiner Stammkneipe, der Kiez-Kaschemme „Zum Goldenen Handschuh, las Honka seine Opfer auf – alkoholkranke Frauen, oftmals obdachlos und sich prostituierend, Frauen, die für ein Glas Schnaps mit in die Wohnung kommen. Akins Film ist eine schonungslose Milieu- und Gesellschaftsstudie und zugleich das Porträt eines Monsters, das der Regisseur nicht erklären will und nicht erklären kann, von dem er aber doch mehr Facetten als nur die reine Mordlust zeigt.

Die extreme Art der Gewalt, das „Ende der Menschlichkeit“, wie Akin es in einem Interview nannte, findet in dem Film diverse Verankerungen in der Gesellschaft, die er nur touchiert. In den frühen 1970er Jahren ist der Zweite Weltkrieg noch keine 30 Jahre vorbei. Zu den gestrandeten Gestalten im „Goldenen Handschuh“ gehört ein ehemaliger SS-Mann, der sein Faible für Quälereien offenbar über die Nachkriegszeit hinweggerettet hat, sowie eine Frau, die als Zwangsprostituierte in einem KZ arbeiten musste. Ohne diese Parallelen auszuwalzen, genügen sie, um ein Milieu von Brutalität und Entmenschlichung nicht vollkommen auf Honka, das Monster, reduziert zu sehen. Der parallele Strang einer Gewalterzählung, die in Strunks Buch an eine reiche Reederfamilie angedockt ist und Gewalt sozusagen als klassenübergreifendes Phänomen in den Fokus rückt, fehlt hier allerdings. Lediglich ein Milchbart, der auf der Reeperbahn ein bisschen Slumming betreibt, um seine Angebetete zu beeindrucken, ist davon übriggeblieben.

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Und nun zum schwer Erträglichen. Muss man zeigen, wie eine Frau über Minuten hinweg erwürgt wird? Um begreifbar zu machen, was es heißt, einen Menschen mit eigenen Händen zu töten, vielleicht schon. Ähnlich wie bei Krysztof Kieślowskis „Ein kurzer Film über das Töten“ ist diese Einstellung quälend lang. Aber quälend soll sie auch sein. Zudem findet hier ganz gewiss keine Ästhetisierung von Gewalt statt. Es wird viel Blut gezeigt, quälende Penetrationen mit diversen Gegenständen werden zumindest angedeutet, und auch die Tonspur ist bisweilen sehr unschön, aber der größte Horror findet zumeist hinter abschirmenden Trennwänden statt – der Rest im Kopf der Zuschauer. Was durchaus genügt. Die schwierige Frage, ob die Frauen durch die Darstellung der Gewalt ein zweites Mal entwürdigt werden, muss letztlich jeder Zuschauer, jede Zuschauerin für sich entscheiden. In meinen Augen wird hier in erster Linie der Täter in seiner Armseligkeit, Widerwärtigkeit und Gewaltgeilheit bloßgestellt.

Ansonsten ist Akins Honka hässlich, fremdenfeindlich, nicht besonders intelligent, sentimentaler Schlagerfan und, weil er ursprünglich aus Leipzig stammt, sächselt er auch ziemlich stark. Als er kurzzeitig versucht, vom Alkohol wegzukommen, und einer geregelten Arbeit nachzugehen, blinkt auch eine etwas verletzlichere, fast schon liebenswürdige Seite seines Wesens durch – die aber im Handumdrehen wieder ins grausame Gegenteil umschlagen kann und dies auch tut. Der vornehmlich am Theater etablierte junge Schauspieler Jonas Dassler macht seine Sache sehr gut, auch wenn die Maske es mit der schiefen Nase, dem Schielauge und dem Horror-Gebiss vielleicht etwas übertrieben hat. Die Darstellerinnen der Frauen, vor allem Gerda Voss und Martina Eitner-Acheampong und Jessica Kosmalla, bleiben jedoch mit den von ihnen zum Leben erweckten Figuren ganz besonders im Gedächtnis: Es sind Menschen mit einer Geschichte, nicht "nur" Opfer. Erst vor diesem Hintergrund wird das Monster Honka tatsächlich zum Monster.

Fotos: © Gordon Timpen / 2018 bombero int./Warner Bros. Ent.

Kommentare ( 1 )

tolle rezension. hört sich an als ob der film genauso schwer erträglich ist wie das buch, und das ist schon ein kunststück für sich...

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Titel

Orignaltitel

Der Goldene Handschuh

Credits

Regisseur

Fatih Akin

Schauspieler

Hark Bohm

Jonas Dassler

Margarethe Tiesel

Land

Flagge DeutschlandDeutschland

Flagge FrankreichFrankreich

Jahr

2019

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