THE WALDHEIM WALTZ von Ruth Beckermann (Berlinale 2018)

Nicht nur Waldheims Walzer

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Natürlich, die Geschichte ist bekannt. Die von Kurt Waldheim, die eng mit der österreichischen Umdeutung der eigenen Geschichte zusammenhängt: Der Narrativ von Österreich als erstem Opfer des Nationalsozialismus. Und obwohl das hinlänglich bekannt ist, lösen die Bilder, die Ruth Beckermann zusammenträgt, Kopfschütteln aus.

Sicher nicht nur mit Blick auf die Archivbilder, unter denen sich auch zahlreiche Aufnahmen der Regisseurin selbst befinden, die in der 80er Jahren am Protest gegen den Kandidaten für die österreichische Bundespräsidentenwahl teilnimmt. Sondern auch deshalb, weil dieser Film 2018 eine wuchtige Aktualität gewonnen hat. Denn gerade einmal zwei Monate ist es her, dass in Österreich eine rechtsgerichtete Regierung unter der Beteiligung der FPÖ an die Macht gekommen ist.

Kurt Waldheim verschwieg seinerzeit systematisch seine Mitgliedschaft in der SA und im NS-Studentenbund sowie seine Präsenz an Standorten, wo die Wehrmacht direkt für die Deportation von Juden und systematische Ermordung von Partisanen verantwortlich war. Unglaublich, dass Waldheim bereits acht Jahre lang Generalsekretär der Vereinten Nationen gewesen war, ohne dass diese Vergangenheit aufgedeckt wurde.

Sicher, auch in Deutschland, das heute gern als Erinnerungsweltmeister auftritt, dauerte es bis in die späten 90er Jahre, um die Verbrechen der Wehrmacht in den so genannten „Wehrmachtsausstellungen“ des Hamburger Instituts für Sozialforschung in einer breiteren Öffentlichkeit zu diskutieren. Aber in Beckermanns Film zu sehen, wie nicht nur Waldheim selbst seine eigene Biographie umdeutete und verschleierte, sondern auch seine Partei, die ÖVP, die ihn 1985 als Bundespräsidenten installieren wollte, auf einer Welle des Revisionismus und offenen Antisemitismus ritt, ist bemerkenswert und schockierend. Zwar versucht die aktuelle österreichische Regierung andere Töne anzuschlagen und gibt vor, Antisemitismus und Holocaustleugnung nicht dulden zu wollen. Dabei hat die FPÖ ihren Wahlsieg nicht zuletzt durch eine offen rassistische Hetzkampagne gegen Flüchtlinge und Muslime eingefahren.

Während Kandidat Waldheim 1986 versicherte, ein „anständiger“ Soldat gewesen zu sein, der nur seine Pflicht erfüllt und von Gräueltaten nichts gewusst habe, protestierte damals nur eine kleine, mutige Gruppe von Menschen gegen die kollektive Geschichtsblindheit. Die Protestierenden werden auf der Straße übelst beleidigt und angegriffen. Ein Mann beschimpft einen von ihnen als „jüdische Drecksau“ und schwadroniert über die jüdische Weltverschwörung.

Waldheims skandalöser Wahl 1986 folgte eine internationale Isolation. In den USA erhielt er als mutmaßlicher Kriegsverbrecher 1987 Einreiseverbot, europäische Staaten weigerten sich ihn zu empfangen. Der Film von Ruth Beckermann ist auch eine eindringliche Warnung, neue revisionistische Tendenzen Ernst zu nehmen. Sind wir schon wieder so weit? Vielleicht nicht – aber im Zuge rechtspopulistischer Wahlerfolge ist nicht nur die rassistische Beleidigung von Flüchtlingen und die Diffamierung von Muslimen an der Tagesordnung, auch antisemitische Vorfälle nehmen wieder zu. Die antisemitische Hasstirade eines Passanten in Schönefeld ist nur eine Beispiel, an das man bei der hässlichen Wiener Straßenszene denken muss. Aktueller als Ruth Beckermanns Film kann eine „historische Dokumentation“ gar nicht sein.

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