DAS ALTE GESETZ von Ewald André Dupont (Berlinale 2018)

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Eine echte Preziose zeigt die Berlinale in ihrer Reihe Berlinale Classics mit dem 1923 entstandenen Stummfilm DAS ALTE GESETZ von Ewald André Dupont. In dieser Emanzipationsgeschichte verlässt der Sohn eines Rabbiners sein galizisches Schtetl und damit auch die kulturelle und religiöse Heimat, um sich seinen Lebenstraum zu erfüllen: Er will Schauspieler in Wien werden. Die Geschichte ist in der Mitte des 19. Jahrhunderts angesiedelt und muss vor dem Hintergrund der Migrationsbewegung vieler Ostjuden nach Westen in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg gesehen werden – und dem damit verbundenen Erstarken des Antisemitismus. Historisch prallten damals zwei Welten aufeinander – Tradition und Moderne. Und genau diesen cultural clash verhandelt auch Duponts Film, wenngleich vor einer weiter zurückliegenden historischen Folie.

Das Thema der Assimilation, des Zerrissenseins zwischen zwei Kulturen wird hier überraschend differenziert dargestellt. Der deutschjüdische Filmemacher Dupont, der in den frühen Dreißiger Jahren über England in die USA ins Exil fliehen musste, erzählt seine Geschichte mit einem ausgeprägten Gespür für seine Figuren. Natürlich gibt es bei der Figurenzeichnung Anklänge an Stereotypen wie den frommen Gelehrten, den schlauen Wanderjuden und die duldende und treue Mutter und Ehefrau. Aber niemals kippt die Darstellung ins Höhnische oder gar Verächtliche. Auch aufgrund einzelner starker Schauspieler wie Abraham Morewski (Rabbi) oder Grete Berger (Mutter) sind diese Figuren Menschen, mit denen man mitleidet – auch wenn sie ab und an falsche Entscheidungen treffen.

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Besonders faszinierend aus heutiger Sicht sind die Szenen, die das Leben im Schtetl zeigen – Gebete zuhause und in der Synagoge, das Feiern des Pessachfestes und Jom Kippur, die Umzüge mit Verkleidung und Musik. Wo wurden diese Szenen gedreht? Wer hat hier beraten? Entsprechen die Darstellungen in etwa der historischen Realität von damals? Viele Fragen stellen sich einem hier, man würde gerne mehr wissen wollen. Die Darstellung des Wiener Hofes, des fahrenden „Schmierentheaters“, des Burgtheaters in Wien und natürlich des dazu gehörigen Personals ist ebenfalls ein Fest für die Augen. Mit viel Witz und Feingespür werden auch hier Einblicke in fremde Welten gewährt. Und die österreichische Erzherzogin Elisabeth Theresia, die sich in den jungen Schauspieler verliebt und ihn nach Kräften und durchaus mit List und Tücke protegiert, behält bei aller verzweifelten Verliebtheit ihre Würde. Verkörpert wird sie von dem damaligen Stummfilmstar Henny Porten. Wir lernen: Für Frauen, selbst für mächtige Adelige, gelten eben doch andere Regeln als für Männer – und deshalb kommt es in dieser angedeuteten #MeToo Geschichte mit umgekehrten Vorzeichen auch nicht zum Äußersten.

Ernst Deutsch als „Romeo mit Schläfenlocken“ ist ein strahlender, bisweilen zweifelnder jugendlicher Held, der seinen Weg geht und sich trotzdem nach einer Versöhnung mit seinem Vater sehnt. Dass die Brücke zwischen den Welten, das Entdecken universeller Werte wie der Liebe, die Verbindung zwischen der Welt des traditionellen Judentums und der Emanzipation dann ausgerechnet über Shakespeares „Don Carlos“ geschlagen wird, ist eine schöne Idee.
Zumindest besser als in der thematisch sehr eng verwandten US-amerikanischen Version des Stoffes, Alan Croslands THE JAZZ SINGER von 1927, der die Epoche des Tonfilms einläutete. Hier gewinnt die von Al Jolson gespielte Hauptfigur ausgerechnet über einen Gesangs-Auftritt in blackface das Herz seiner Mutter wieder.

DAS ALTE GESETZ läuft als digital restaurierte 2K Version, verantwortlich dafür zeichnet die Deutsche Kinemathek. Die jetzige Fassung wurde mühsam aus noch vorhandenen Nitrokopien in verschiedenen Sprachen wiederhergestellt. Für die Wiederaufführung schuf der französische Komponist Philippe Schoeller eigens eine neue Ensemblemusik.

Fotos Quelle: Deutsche Kinemathek

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