YE (The Night) von Zhou Hao

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Irgendwo in einem Altstadtviertel in irgendeiner chinesischen Stadt: Ein junger Mann steht jeden Abend vor dem Spiegel, bewegt sich zu den Klängen schmalziger Popmusik und wirft sich verführerische Blicke zu. Er zieht ein neues, buntes Hemd an, bindet sich eine Krawatte um und macht sich auf in die Nacht. In einer engen Gasse, beleuchtet vom gelben Licht einer Laterne, preist es sich als Stricher seinen Kunden an. Eines Abends steht an seinem Stammplatz eine junge Frau, die ebenfalls ihren Körper verkauft. Zwischen den beiden entwickelt sich eine zögerliche Freundschaft, changierend zwischen Distanz und Nähe, bald kommt noch ein weiterer junger Mann ins Spiel, der sich unglücklich in den Stricher verliebt. Der liebt nämlich einzig und allein nur sich selbst. In unruhigen, grobkörnigen Bildern wird diese Geschichte von Begehren und Selbstliebe in leisen Tönen und doch voll emotionaler Wucht in Szene gesetzt.

Der 22-jährige Zhou Hao hat seinen ersten Langfilm praktisch mit null Budget umgesetzt – mit der Hilfe seiner Kommilitonen vom Institut für Medien an der Universität Chongqing. Inspiriert hat ihn, so sagt er, Wong Kar-weis IN THE MOOD FOR LOVE. Während dort Maggie Cheung in jeder Szene ein anderes Kleid trägt, hat er sich für eine Hauptfigur entschieden, die jede Nacht ein anderes Hemd trägt. Davon ausgehend hat er sich gefragt: Was für eine Person ist das? Wie lebt sie? Was tut sie? Und ist so seiner Hauptfigur, einem radikalen Narzisten, gekommen, den er im Film auch selbst spielt.

Die drei Hauptfiguren bewegen sich in einem äußerst begrenzten Radius: Gasse, Zimmer, Treppe zum Park, Herrentoilette, Autotunnel. Dabei laufen sie trotzdem – wie in einem absurden Theaterstück – ständig aneinander vorbei und verpassen sich um Sekundenbruchteile. Der Sex ist schnell, lustvoll und lieblos. Mit einfachen, aber starken Bildern fängt Zhou die Stimmung dieser verlorenen Seelen ein: Eine mitgebrachte Eiskrem schmilzt und läuft langsam an einem nackten Arm herab. Eine Blume bleibt auf dem Waschbecken einer öffentlichen Toilette liegen. Ein junger Mann, geschminkt und mit nacktem Oberkörper, küsst sein eigenes Spiegelbild. Während die Prostituierten in der Gasse stehen und schwatzen, dringen permanent Alltagsgeräusche aus den umliegenden Wohnungen aus dem Fenster: Laut durcheinander sprechende Menschen, Musik, das Geklapper von Geschirr. Die drei jungen Menschen sind mittendrin im Leben dieser Stadt und doch absolute Außenseiter. Ob sie aneinander einen Halt finden können, das ist die große Frage, die der Film aufwirft und in der Schwebe lässt.

Ein kleiner Film, der zwar als Erstling zu erkennen ist, aber dennoch bereits eine ganz eigene Handschrift zeigt. Den "chinesischen Fassbinder" hat man ihn bereits genannt, von einer emotionalen Wucht, die einem Jean Genet gleichkommt, geredet. Das alles wird sich noch zeigen. Es bleibt aber in jedem Fall zu hoffen, dass von diesem jungen Talent in Zukunft noch mehr zu sehen sein wird.

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Titel

Orignaltitel

YE

Englischer Titel

The Night

Credits

Regisseur

Hao Zhou

Schauspieler

Zhou Hao

Li Jin Kang

Zhou Feng Qi

Liu Xiao Xiao

Land

Flagge ChinaChina

Jahr

2014

Dauer

95 min.

Impressum