Interview mit Sebastian Mez - Regisseur von METAMORPHOSEN

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Der herausragende Film der diesjährigen Perspektive Deutsches Kino war der Dokumentarfilm METAMORPHOSEN von Sebastian Mez. Mez konfrontiert den Zuschauer mit den Folgen eines Ereignisses, das schon mehr als ein halbes Jahrhundert zurückliegt: Die Explosion in der damals sowjetischen, heute russischen Nuklearfabrik Majak. Am 29. September 1957 explodierte in der Anlage, in der waffenfähiges Plutonium angereichert wurde, ein großer Tank mit stark radioaktiver Flüssigkeit. Mez spricht mit den Menschen, die heute noch in unmittelbarer Nachbarschaft der Fabrik leben. Gerade weil er seinen Film nicht als investigative Recherche anlegt, werden die Auswirkungen und Verheerungen durch den Nuklearunfall umso spürbarer. Festivalblog hat ein Interview mit dem Regisseur geführt.

War Dir schon von Anfang an klar, wie Du den Film gestalten wolltest? In schwarz-weiß, keine klassische Interviewsituationen etc.
Immer wenn ich ein Thema habe, was mich interessiert und was zu mir passt, mache ich mir von Beginn an Gedanken über die filmische Form. Im Vordergrund steht die Frage: Welche Form ist angemessen für das Thema? Im Fall von METAMORPHOSEN war von Anfang an die Aufgabe, etwas, was nicht sichtbar und überhaupt nicht konkret ist, in Bilder umzusetzen. Insofern war schnell für mich klar, dass ich mit Artifizierung arbeite. Gleichzeitig wollte ich mit dem zeitlosen Charakter des Films arbeiten. Das Unglück in Majak ist vor mehr als 50 Jahren passiert, damals wäre der Film aktuell gewesen. Er wird aber in 100 Jahren noch genauso aktuell sein, weil der Ort, von dem der Film handelt, für immer radioaktiv verseucht ist.

Die Farben in einem Film sind immer ein Indiz für sein Alter. Ich kann immer an den Farben eines Film sehen wann er entstanden ist, ob das in den 70ern oder 80ern war zum Beispiel. Das Filmmaterial und später die Qualität des Videos geben darauf klare Hinweise. Zeitlosigkeit war also ein Grund für schwarz-weiß. Außerdem habe ich in schwarz-weiß bessere Möglichkeiten zur künstlerischen Gestaltung. Ich schätze an schwarz-weiß eine Bilddramaturgie, die sich durch die Reduktion auf Kontraste zwischen schwarz und weiß und den Grautönen dazwischen entfaltet.

Und wie war das mit der Art der Gesprächsführung?
In meinem letzten Film ging es um das Thema Zwangsprostitution. Da habe ich mich in einem anonymen Raum bewegt. Weil die Frauen ihre Identität natürlich nicht preisgeben wollten, wurde der gesamte Film aus dem Off erzählt. Deswegen habe ich mir geschworen, dass mein nächster Film – das war dann METAMORPHOSEN – komplett im On, also vor der Kamera erzählt wird.

Weil ich mit einem kleinen Budget gearbeitet habe, war die technische Entstehungsgeschichte des Films besonders. Wir hatten zunächst nur die Bilder, weil wir die Gespräche aus finanziellen Gründen erst nach und nach übersetzen lassen konnten. Deswegen haben wir im Rohschnitt ersteinmal nur mit Bildmaterial gearbeitet. So ist im ersten Schritt ein zweistündiger Stummfilm entstanden, der schon allein von der Bildsprache funktioniert hat. Das Wissen über das Unglück in der Nuklearfabrik bekommt der Zuschauer ja bereits durch die kurzen Infotext-Tafeln am Anfang. Da war der Cutterin Katharina Fiedler und mir früh klar, wie stark die Bilder alleine dadurch wirken, dass sie durch die Information zu Beginn aufgeladen wurden.

Danach haben wir die gesprochenen Übersetzungen eingefügt, als ganz klassische Interviews. Dadurch war die intensive Stimmung der Bilder auf einmal verschwunden und der Film bekam etwas Journalistisches, Reportagehaftes. Deswegen habe ich meine Entscheidung alles im On zu machen wieder umgeworfen. Deshalb kommen die Erzählungen der Menschen jetzt aus dem Off, während man etwas Anderes sieht, die Landschaft, wie dieser Mensch über den Hof geht – aber eben nicht, wie direkt in die Kamera gesprochen wird. Gerade aus der Differenz zwischen dem Bild und dem Gesprochenen entsteht die Spannung durch eine Art Zwischenraum. Bild und Wort korrespondieren natürlich miteinander, aber eben nicht eins zu eins.

Warst Du in dieser ersten Version auch als Interviewer zu sehen?
Nein. Ich mag es nicht, wenn ich in meinen Filmen ganz bewusst auftrete. In der Szene, in der ich das Messgerät filme, sieht man meine Hand oder auch die Spiegelung der Kamera im Display. Das entsteht aus der Situation und das will ich auch nicht rausschneiden.

Wie hast Du eigentlich zu den Menschen in Musljumowo Kontakt aufgenommen?
Ganz einfach vor Ort. Wir hatten aus Deutschland schon zu einem Bewohner Kontakt aufgenommen, der in dem Ort eine Art Sprecher ist und auch ein bisschen als Aktivist arbeitet. Wir wollten aber keinen aktivistischen Film mit investigativem Charakter machen, daher spielt er nur eine kleine Rolle im Film. Alle anderen, die im Film zu sehen sind, haben wir dort erst kennengelernt. Zu Beginn haben wir nie die Kamera rausgeholt. Es ging nur ums Kennenlernen. Wir haben mit den Leuten Kaffee getrunken, einfach Zeit verbracht. Und wenn jemand etwas Interessantes zu erzählen hatte, haben wir langsam mit dem Drehen begonnen.

Wie haben die Menschen reagiert? Waren sie ängstlich oder zurückhaltend?
Sie waren vor allem wütend. Aus einem ganz einfachen Grund: Dort waren schon soviele Fernsehteams, Journalisten und Fotografen in den letzten zwanzig Jahren, seit das Unglück öffentlich bekannt ist. Die haben verbrannte Erde hinterlassen. Die Bewohner haben mir ganz klar gesagt: „Wir haben schon mit sovielen Journalisten gesprochen, aber für uns hat sich nichts geändert.“ Aber wir haben uns deutlich von diesen Medienleuten unterschieden. Wir waren eben nicht nur einen Tag da und haben Atemschutzmasken oder sogar Schutzanzüge gehabt. Wir haben einfach da gewohnt, sind dageblieben und haben so das Eis gebrochen.

Wie lang ward Ihr insgesamt dort?
Vier Wochen, weil das die maximale Zeit ist, die man mit einem Touristenvisum in Russland bleiben darf. Wir hatten kein Visum, keine Drehgenehmigung und niemand wusste, dass wir dort einen Film drehen wollen. Deswegen sind wir das Risiko eingegangen und haben mit kleinem Team, kleiner Kamera und wenig Tonequipment gedreht.

Hat es trotzdem Schwierigkeiten gegeben? Es war ja irgendwann offensichtlich, dass ihr dreht.
So ganz genau wissen wir das bis heute nicht. Es gab aber einen Zeitpunkt, ab dem wir relativ sicher waren, dass wir beobachtet werden. Und das war von dem Zeitpunkt an, an dem wir mit einem ehemaligen Mitarbeiter der Nuklearfabrik in Majak gesprochen haben. Das ist derjenige, der im Film von dem Beinahe-Zwischenfall im Jahr 2000 und den miserablen Bedingungen dort berichtet. Er lebt in der geschlossenen Stadt, in der sich auch die Fabrik befindet. Dort kommen nur Mitarbeiter und deren Angehörige rein. Ihn haben wir von einem Taxi in der geschlossenen Stadt abholen lassen und haben dann einen ganzen Tag mit ihm gesprochen. Ein zweites Gespräch war nicht mehr möglich, weil uns von Offiziellen untersagt wurde, ein Taxi zu beauftragen. Bei diesem Gespräch war auch deutlich zu hören, dass wir abgehört wurden.

Danach ist uns bei einem Dreh auch ein Auto gefolgt, als ich Majak aus der Entfernung über den See hinweg gefilmt habe. Ein Wagen mit zwei Männern ist in 100 Metern Entfernung stehen geblieben, aber dann wieder weggefahren. Das war fünf Tage bevor wir ohnehin abreisen wollten. Wir haben die heiklen Sachen auch bewusst ans Ende gelegt. Meine größte Sorge war immer, dass die uns das Filmmaterial wegnehmen. Sie hätten uns ja ganz einfach am Flughafen die Festplatten abnehmen können.

Es gab immer wieder Phasen, in denen wir Angst hatten, beobachtet und kontrolliert zu werden. Aber – ganz ehrlich – ich glaube, die haben uns nicht ernst genommen. Wir sahen zu unschuldig aus – keine große Kamera, wenig technische Geräte. Wir sahen aus wie Studenten. Das war unser Bonus.

Wir groß war das Team?
Nur zwei Leute: Renata Kosenko und ich. Ich habe Regie, Kamera und zum Teil auch Ton gemacht. Renata hat übersetzt und war auch für den Ton zuständig. Wir hatten einen Recorder, eine Funkstrecke mit Ansteckmikrofon und das war auch schon alles.

Wie hast Du Renata kennengelernt?
Ich habe sie in der Recherche kennengelernt durch einen Artikel von ihr über Majak, der ursprünglich in einer russischen Zeitung erschienen ist, der in der Übersetzung aber auch vom Tagesspiegel gedruckt wurde. Und als ich mich für das Thema entschieden hatte, habe ich mit ihr Kontakt aufgenommen. Mir war klar, dass ich jemand brauche, der sich dort auskennt und vor allem auch die Sprache spricht. Sie war eine unglaubliche Hilfe, weil sie sehr stark in der Geschichte drin war und auch schon die Leute dort kannte.

Gefunden habe ich sie schließlich über Facebook. Sie lebt in Rom. Wir haben geskypt und uns dann zum ersten Mal in Moskau getroffen. Dort haben wir ein paar Tage unser Vorgehen besprochen und sind anschließend zusammen weitergeflogen.

Wie hast Du den Film finanziert?
Ich habe ihn ausschließlich mit dem Budget der Filmakademie Baden-Württemberg für den Abschlussfilm gedreht. Das deckt die organisatorischen Kosten, das Reisen und so weiter. Ich hatte keine weiteren Fördermittel. Da ich mich filmisch ausprobieren und vor allem auch unabhängig arbeiten wollte, habe ich auf die Beteiligung von Fernsehsendern verzichtet. Was eben in dem Budget eines Abschlussfilms nicht enthalten ist, ist die Arbeitszeit. Das waren allein für mich zwei Jahre.

Weißt Du wies es mit METAMORPHOSEN weitergeht?
Als Erstes wird es eine ganz intensive internationale Festivalauswertung geben. Ich glaube, dass der Film da einen guten Weg gehen wird. Aber natürlich wünsche ich mir, dass der Film auch außerhalb von Festivals im Kino zu sehen sein wird. Darauf hoffe ich vor allem, weil der Film im Kino am besten funktioniert. Aber auch im Fernsehen kann ich mir den Film vorstellen, auch wenn er in schwarz-weiß gedreht ist und in seiner ruhigen, elegischen Art vielleicht nicht jedermanns Sehgewohnheiten entspricht.

Das Interview führte Steffen Wagner.


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Titel

Orignaltitel

Metamorphosen

Englischer Titel

Metamorphoses

Credits

Regisseur

Sebastian Mez

Land

Flagge DeutschlandDeutschland

Jahr

2013

Dauer

84 min.

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