NUCLEAR NATION von Funahashi Atsushi

nuclear_nation.jpg

Am 11. März 2011 zerstören die Fluten des Tsunami 90 Prozent der Gebäude der japanischen Kleinstadt von Futuba, eine Stadt mit rund 7.500 Einwohnern. Futuba liegt direkt neben dem Atomkraftwerk Fukushima mit seinen insgesamt sechs Reaktorblöcken. In den Morgenstunden des 12. März kommt es im ersten Block zu Kernschmelze. Um 10.09 Uhr, meldet die Betreiberfirma TEPCO das Austreten von Nuklear kontaminiertem Dampf. Futuba liegt vollständig in der Zone, die daraufhin evakuiert wird. Der Filmemacher Funahashi Atsushi liest, dass in der Zeitung, dass mehr als 1.400 Einwohner in einer Schule untergebracht werde, die eineinhalb Stunden von Tokio entfernt liegt. Er beschließt, jeden Tag zu der Notunterkunft zu fahren. Er beginnt, die Evakuierten zu interviewen und auch zu filmen. Erst nur vor dem Gebäude, einige Wochen später bekommt er auch eine Drehgenehmigung. Aus Diesen Gesprächen wird für Atsushi ein Langzeitprojekt. Selbst die 145 Minuten von NUCLEAR NATION sind erst ein Zwischenergebnis. 145 Minuten sind eine lange Zeit für gerade für einen Dokumentarfilm, aber keine einzige Minute davon ist langweilig: Wir erfahren viel, nicht nur über persönliche Schicksale oder die zum Teil grotesken Verhältnisse in denen die Menschen in dieser Schule leben, sondern auch über organisatorisches Versagen und Hilflosigkeit derer, die immer versichert haben, dass die Risiken der Atomkraft beherrschbar sind.

Im Verlauf von NUCLEAR NATION entwickelt sich ein interessanter Kontrast: Der zwischen den nun heimatlosen Bürger Futabas einerseits und den diversen Beamten der japanischen Bürokratie bzw. der Energiewirtschaft andererseits. Die Menschen, die ausnahmslos ihren gesamten Besitz verloren haben und ein großer Teil von Ihnen auch einen oder mehrere Angehörige, sind sehr gefasst. Sie erwarten nichts weiter als verlässliche Informationen und Unterstützung dabei, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. Die Offiziellen entschuldigen sich, machen ansonsten einen planlosen Eindruck und versagen weitgehend wenn es um praktische Dinge geht. Wie könnte es sonst sein, dass viele Menschen mehr als ein halbes Jahr nach dem Unglück immer noch in dem Schulprovisorium leben und – was weitaus schlimmer ist – noch kein einziger der Überlebenden von Futuba weiß, wie hoch seine Strahlenbelastung ist?

Die einzige Ausnahme ist der Bürgermeister von Futaba, Katsutaka Idogawa, der für die Interessen seiner Stadt kämpft. Idogawa ist auch der enzige, der zugibt, Fehler gemacht zu haben. Ganz ruhig berichtet er darüber, wie Futaba nach dem Bau des ersten Kraftwerkblockes im Jahr 1965 mit dem Atomkraftwerk eine Art Symbiose eingegangen ist. Das Kraftwerk wurde immer wieder erweitert, bis es schließlich sechs waren. Die Kraftwerksbetreibeer TEPCO zahlten und die Stadt profitierte. Trotzdem gehörte Futaba im Jahr 2007 zu den 15 ärmsten Gemeinden Japans, der Größenwahn der Energieindustrie paarte sich offensichtlich bestens mit dem der Stadtoberen und ihren Investitionen in immer neue Projekte. Angesicht leerer Kassen hatte die Stadt, so berichtet der Bürgermeister, bereits dem Bau zweier weiterer Kraftwerksblöcke zugestimmt. Mit dem habe man 2012 beginnen wollen – Futaba hätte das in einem Zeitraum von vier Jahren 52 Millionen Euro gebracht. „Diese Entscheidung war, wie auch viele davor, falsch“, sagt Katsutaka Idogawa. Nach dem Unfall kämpft er gegen den Einsatz von Atomenergie in Japan. Sein Vertrauen in die mächtige japanische Bürokratie hat er verloren. Die Provinzregierung spricht davon, dass Futaba in den kommenden fünf Jahren dekontaminiert werden soll. Wie das gehen soll, sagen sie nicht. Den Bürgern Futabas, der Stadt ohne Land, fehlt der Glaube.

Kommentare ( 2 )

Eine sehr intelligent gemachte, berührende, sensible Dokumentation - und in der Tat: KEINE einzige Minute davon ist langweilig.

Freut mich, dass das auch anderen so ging. Wenn man jetzt nur einen Weg finden könnte, um diesen Film in Deurschland zu zeigen. Hallo, öffentlich-rechtliches Fernsehen: Ist bei Euch noch jemand bei Bewusstsein? Dann findet bitte einen vernünftigen Sendeplatz für diese Doku.

Kommentiere den Film oder den Eintrag

Titel

Orignaltitel

Nuclear Nation

Credits

Schauspieler

Funahashi Atsushi

Land

Flagge JapanJapan

Jahr

2011

Dauer

145 min.

Related

Funahashi Atsushi (Schauspieler)

BERLINALE 2006

Big River (Regisseur)

BERLINALE 2009

Yanaka boshoku (Regisseur)

Impressum