WER WENN NICHT WIR von Andreas Veiel

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In den vergangenen Jahren gab es eine ganz Reihe von Filmen, die sich mit der RAF auseinandergesetzt haben. Manche mehr, manche weniger überzeugend. Nun hat sich Deutschlands derzeit wichtigster Dokumentarfilmer Andreas Veiel daran gemacht, einen Teil der Vor-Geschichte fiktional zu erzählen: und zwar als Beziehungsgeschichte zwischen Gudrun Ensslin und ihrem ersten Freund Bernward Vesper. Was den Regisseur interessiert, sind die biografischen und sozialen Prägungen seiner Hauptfiguren, aus denen sich die späteren Entwicklungen neu bewerten lassen. Klar, dass die Frage im Raum stand, ob der Veiel wohl Spielfilm kann. Und man muss sagen: Er kann. WER WENN NICHT WIR ist ein sehr überzeugender und packender Film geworden.

Mit einem Schuss beginnt dieser Film, mit einem Schuss hört er auf. Als der Vater von Bernward Vesper, der ehemalige Blut-und-Boden-Dichter Will Vesper die Katze des kleinen Bernward erschießt, weil sie ein Vogelnest geräubert hat, und ihm anschließend erklärt, dass Katzen „die Juden unter den Tieren“ seien, ist der Ton für die frühe Prägung dieses Jungen gesetzt. Mit dem ersten Schuss der RAF hört der Film auf – und er stellt dadurch natürlich implizit die Frage nach der Gewalt und wo sie herkommt.

Vesper wird von August Diehl hervorragend gespielt: Das bisweilen etwas Manierierte und Feinnervige an Diehls Spiel passt hier ganz wunderbar zu der Rolle dieses Mannes, der Zeit seines Lebens nach einer für ihn haltbaren Position gegenüber dem Über-Vater gesucht hat. Als Literaturstudent in Tübingen lernt er die Pfarrerstochter Gudrun kennen – bald sind die beiden ein Paar. Es sind die frühen Sechziger, man verehrt Walter Jens und experimentiert mit der freien Liebe – und ist natürlich vehement gegen die Amerikaner und ihren Krieg in Vietnam.

Veiel schneidet immer wieder grobkörniges Nachrichten-Footage zwischen die Filmsequenzen, um den geschichtlichen Kontext einzubringen. Das wirkt bisweilen etwas überflüssig, wie bei der schon hundertmal gesehenen „Isch bin ein Börliner“-Rede von JFK, dann aber werden wir von schockierend unbedarften Bildern von einer Napalm-Bombardierung in Vietnam und einem Atombomben-Versuch in der Wüste Nevadas überrascht. Für Zuschauer, die die Historie des 20. Jahrhunderts nicht ganz so perfekt auf dem Schirm haben, sind die Sequenzen sicher hilfreich, für die anderen wird zumindest eine bestimmte Stimmung evoziert.

Die Liebesgeschichte zwischen Gudrun und Bernward ist von Höhen und Tiefen gekennzeichnet, hier haben sich zwei Menschen gefunden, die vor allem auf der Suche nach sich selbst sind. Das Paar engagiert sich politisch, trennt sich, versöhnt sich, bekommt ein Kind, zieht schließlich nach Berlin und gründet einen eigenen Verlag, um radikal politische Literatur zu publizieren – aber auch das Werk von Bernwards Vater, was ideologisch gesehen ein gewagter Spagat ist. Lena Lauzemis, bisher höchstens aus dem Fernsehen bekannt, ist eine ganz große Entdeckung des Festivals: Sie bringt die Verletzlichkeit ihrer Ensslin-Figur genauso zum Schillern wie ihre Härte.

Die Phase, in der Ensslin das politische Engagement via Literatur nicht mehr genügt, in der Bernward ihr zunehmend kläglich und feige vorkommt, fällt in etwa mit dem Zeitpunkt zusammen, an dem sie Andreas Baader kennen lernt. Der Macho mit der großen Klappe und den verrückten Ideen ist genau das, was sie im Moment sucht. Und so wechselt sie kurzerhand die Männer, lässt ihr Kind bei Bernward und begeht die ersten politischen Straftaten. Bernward gleitet währenddessen zunehmend in Drogensucht und Wahnvorstellungen ab, ein paar Jahre später wird er sich das Leben nehmen.

Veiel erzählt diese Geschichte spannend und mit einem sehr guten Blick für die Ecken und Kanten seiner Figuren. Die Stimmung der Zeit wird greifbar, die Atmosphäre in den jeweiligen Elternhäusern ist trotz der wenigen Szenen, die hierfür zur Verfügung stehen, klar und eindrücklich gezeichnet. In WER WENN NICHT WIR wird keine Heldenverehrung oder Verteuflung betrieben – hier wird die Geschichte von zwei Menschen erzählt, die sich – auf unterschiedlichen Weise – in ihren jeweiligen Abgründen verlieren.

Kommentare ( 1 )

Zum Film gibt es jetzt auch eine Diskussionsplattform, natürlich die die taz dabei ;-)

http://www.werwennnichtwir-film.de/

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Titel

Orignaltitel

Wer wenn nicht wir

Englischer Titel

If Not Us, Who

Credits

Regisseur

Andres Veiel

Schauspieler

August Diehl

Alexander Fehling

Lena Lauzemis

Drehbuch

Land

Flagge DeutschlandDeutschland

Jahr

2011

Dauer

124 min.