Welt am Draht von Rainer Werner Fassbinder

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Mach Platz, Neo!

Vergesst Neo, Morpheus und Trinity, hier kommt Dr. Fred Stiller (Klaus Löwitsch). Man kann es heute kaum glauben, dass Fassbinders 185-Minuten-Brocken Welt am Draht 1973 vom WDR produziert wurde und als Zweiteiler im Fernsehen lief. Es geht um den Tod des Leiters des Instituts für Kybernetik und Zukunftsforschung, um eine Welt, die nur als Computerprogramm existiert, den Wechsel zwischen Realitätsebenen und darum, wer die Kontrolle über die Menschen hat: der Staat oder die Wirtschaft? 1973 gab es keine PCs und auch keine Software wie wir sie kennen. Wie mag der Film auf die Zuschauer damals gewirkt haben? Keine Ahnung. In der restaurierten Fassung, die ihre Aufführung im International hatte, wirkte der Film visionär. Vor allem wegen der Bilder, die Fassbinder für seinen Science-Fiction-Film ohne Special Effects gefunden hat.

Professor Vollmer (Adrian Hoven) ist ein Genie, er hat Simulacron I entwickelt, ein Computerprogramm das sogenannte Identitätseinheiten schafft, die funktionieren wie echte Menschen in der Realität. Das Programm soll die zukünftige Entwicklung der Gesellschaft simulieren, damit Politiker wie Staatsekretär Winlaub (Heinz Meier – ja genau, Loriots Vater Hoppenstedt) die richtigen Entscheidungen für eine blühende Gesellschaft treffen kann. Leider verhält sich der Professor sehr seltsam und ist kurz darauf tot. Selbstmord, das ist die offizielle Version. Sein Nachfolger Dr. Stiller gerät schnell unter Druck eines obskuren Unternehmens und versucht in der realen Welt und im Computerprogramm herauszufinden, welches Spiel gespielt wird.

Allein zu sehen, wie Stiller sein Bewusstsein in das Computerprogamm einspeist, um sich in die simulierte Welt zu transferieren ist genial. Er legt sich hin, setzt sich einen hypermodernen Helm auf (ok, ok es ist ein Motorradhelm mit ein paar Kabeln, aber kein Vorwurf an die Requisite) und ist auf einer anderen Realitätsebene. Erinnert das nicht dunkel an Avatar?

Was den Film so sehenswert macht, ist sein Umgang mit Bildern und der Kamera. Fassbinder schafft es mit einfachsten Mitteln, Science-Fiction-Atmosphäre zu schaffen. Das Institut für Kybernetik und Zukunftsforschung ist ein beklemmender technisierter Unort und auch die reale Welt der Zukunft wirkt unpersönlich und abweisend. Den Rest besorgt die Kamera von Michael Ballhaus: Die Kamerafahrten sind unglaublich. Die Kamera gleitet an Glasscheiben vorbei durch ein Riesenbüro hindurch, fährt in kreisenden Bewegungen und findet ihre Motive immer wieder in Spiegeln. Diese indirekte Filmweise muss höllisch aufwendig gewesen sein, schafft aber genau die Atmosphäre, in der die Unterscheidung zwischen Echtem und Simuliertem immer schwieriger wird.

Stiller ist mit seinem Kollegen Fritz Walfang (Günter Lamprecht) der Einzige, der überhaupt an Aufklärung interessiert ist. Löwitsch gibt den Kämpfer in einer Welt der Politiker und Technokraten. Natürlich haben die Geschichte und die Figuren, besonders die Frauencharaktere, ihre Schwächen. Trotzdem ist Welt am Draht seiner Zeit weit voraus und wirkt auch heute nicht antiquiert. Kein Wunder, dass sich das MoMa in New York an der Restaurierung beteiligt hat.

Kommentare ( 1 )

mir ist völlig entfallen, dass fassbinder einen solchen film gedreht hat...das bild sieht eher aus wie ein cover von daft punk als ein filmstill aus einen fassbinder film.

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