Perspektive-Interview: Mariejosephin Schneider, Regisseurin von Jessi


Luzie Ahrens war ein großer Glücksgriff


Mariejosephin Schneider, geboren 1976 in Berlin, studiert an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb). Der mittellange Film Jessi, der in der Pespektive Deutsches Kino läuft, ist ihr Film für das dritte Studienjahr. Mit Steffen Wagner sprach Mariejosephin Schneider darüber, wie Sie gemeinsam mit Kamerafrau Jenny Lou Ziegel den Film konzipierte und verwirklichte und über die Zusammenarbeit mit der Hauptdarstellerin Luzie Ahrens.

Wie bist Du auf das Thema gekommen?
Überhaupt nicht geradlinig, sondern auf ganz großen Umwegen. Tatsächlich stand am Anfang der Wunsch mit der Kamerafrau Jenny Lou Ziegel, mit der ich an der dffb mehrere Seminare gemacht habe, zusammen einen Film zu drehen. Wir wollten so arbeiten, wie in den Seminaren, in denen Regie und Kamera von Beginn an gemeinsam Stoffe entwickeln. Es ist seltsam, wie Geschichten entstehen. Erst gibt es Fragmente und dann findet man die Verbindungen. Am Anfang stand die Situation eines Mädchens, das im Auto mitfährt und nicht reden will. Und später kam die Idee mit der Mutter, die nicht da sein kann. Dann haben wir das Thema des Gefängnisses hinzugefügt und begonnen zu recherchieren. Als klar war, dass die Mutter im Gefängnis sitzt, hat die Geschichte eine Riesensprung nach vorne gemacht.

Wie lange hat der Prozess gedauert, vom ersten Gedanken bis zum Drehbeginn?
Eineinhalb Jahre. Da waren auch Pausen dazwischen, in denen ich nicht daran arbeiten konnte. Das ist auch unüblich für so eine rbb-Koproduktion. Normalerweise sind die Zeiträume kürzer.

Wie habt Ihr recherchiert? Der Film ist sehr genau und sehr interessant, was zum Beispiel die Abläufe im Gefängnis angeht.
Es gibt die JVA für Frauen in Lichtenberg. Dort wollten wir zunächst eigentlich nur recherchieren, haben dann aber auch dort gedreht. Der Leiter Matthias Blümel war sehr entgegenkommend und hat uns alles gezeigt. Wir waren erst ganz überwältigt von der Atmosphäre. Es wirkt anders, als Gefängnisse, die man aus Filmen kennt – fast wie eine Kindertagesstätte. Dadurch wird es aber noch unheimlicher, wenn man über die JVA nachdenkt. Es hat eine Zeit gedauert, bis bei mir das Gefühl angekommen war: Hier sind Frauen, die hier nicht rausdürfen. Das ist dann beklemmend. Aber Lichtenberg ist eine der fortschrittlichsten Einrichtungen in Deutschland, es gibt viele Frauen, die sich dahin verlegen lassen wollen.

Wie seid ihr zu Eurer Hauptdarstellerin Luzie Ahrens gekommen, die eine unglaubliche Leistung abliefert?
Luzie ist eine ganz spezielle, kleine Person. Wir hatten zu unserer eigenen Überraschung nur sechs Mädchen, die sich beworben haben. Vom Drehbuch her war klar, dass sich das Mädchen am Ende vor der Kamera die Haare kurz schneiden musste. Das war ein Problem. Dafür sind wir sogar von Casting-Agenturen beschimpft worden. Es war ein großer Schritt und sehr mutig von ihr, dass sie das gemacht hat. Luzie war auch schon für „Das weiße Band“ gecastet worden. Aber weil sie vom Alter her nicht so gut gepasst hat, hatte sie nur eine sehr kleine Rolle. Aber eine Casterin in Wien hat sie uns schließlich empfohlen, obwohl Luzie bei keiner Agentur war. Sie war nur mit ihrer Schwester mitgegangen zum Casting. Die Jessi ist ihre erste Sprechrolle.

Ich war vor allem beeindruckt, wie sie nur mit Blicken und Gesten spielen konnte. Denn sie war beim Dreh ja erst elf Jahre alt.
Ja das ist ihre Präsenz und wie sie das spielt. Sie ist die Hauptdarstellerin und in 90 Prozent des Films zu sehen. Wenn wir Luzie nicht gefunden, hätten, hätte das ganze Projekt auch noch kippen können. Denn Sie war ein ganz großer Glücksgriff.

Wie hast Du Luzie Hilfestellung gegeben durch Deine Regie? War da viel Erklärung nötig?
Erklären muss man eigentlich nicht viel. Ihr Präsenz hat vollkommen gereicht. Sie ist sehr cool vor der Kamera. Das Drumherum stört sie gar nicht. Wenn ich erkläre, geht es vor allem um Abläufe. Luzie war technisch sehr penibel. Sie mag auch überhaupt nicht improvisieren. Sie wollte einen festen Text haben. Das hatte ich gar nicht so erwartet. Wir haben geübt, wie wir während des Drehs Kontakt aufnehmen. So konnte sie auf Dinge reagieren, die ich ihr mitteile, ohne dass es sie aus dem Konzept bringt – z.B. das Timing oder so etwas. Am wichtigsten war, deutlich zu machen, dass sie nichts falsch machen kann und dass es normal ist, wenn wir eine Szene nochmal drehen. Denn das ist das Schlimmste, was einem vor der Kamera passieren kann, das Gefühl etwas falsch zu machen. Am Ende waren solche Zeichen dann gar nicht mehr notwendig. Am Ende war sie der Profi. Sie wusste immer genau, warum wir eine Szene wiederholt haben.

Was mir aufgefallen ist: In den Credits ist Jenny Lou Ziegel nicht für die „Kamera“, sondern die „Bildgestaltung“ zuständig. Was heißt das?
Sie ist sehr genau. Sie will auf keinen Fall etwas machen, was sie in der Zukunft nicht so schön findet. Das, was entsteht, soll Bestand für die Ewigkeit haben. Es ist eine sehr intensive Zusammenarbeit. Schonungslos (lacht), aber das ist gut. Das war jetzt das dritte Mal, dass wir uns zusammen die Köpfe zerbrochen haben (lacht noch lauter), aber ich möchte nicht anders arbeiten. Das Buch war von Anfang an sehr visuell angelegt.

Hast Du schon Pläne für weitere Filme?
Erstmal muss der Film aus meinem Computer raus. Ich bin noch ganz woanders. Ich brauche jetzt erstmal wieder eine Schreibphase. Es gibt außerdem noch einen Kurzfilm, der auf Förderung wartet.

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Titel

Orignaltitel

Jessi

Credits

Regisseur

Marie Josephine Schneider

Land

Flagge DeutschlandDeutschland

Jahr

2010

Dauer

30 min.

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