Narben im Beton von Juliane Engelmann


Der Zuschauer hat keine Wahl

Anna (Carmen Birk) ist 23 Jahre alt. Ihr Leben ist eine einzige Überforderung: Sie hat drei Kinder, das jüngste noch ein Kleinkind, das älteste geht schon in die Schule. Ihr Mann ist so stumpf wie das Programm auf der ewig flimmernden Mattscheibe. Er betrügt sie auf der Wohnzimmercouch und macht sich nicht einmal die Mühe, das zu verbergen. Anna ist schon wieder schwanger, aber sie hat sich entschlossen, das einfach zu ignorieren.

Juliane Engelmann hat mit Narben im Beton einen Film gemacht, der schwer zu verkraften ist. Das ist nicht abwertend gemeint. Verwahrloste Kinder, tote Kinder, getötete Kinder das sind Themen bei denen die Medien gewöhnlich zum einem großen Empörungswettkampf auflaufen: Wer macht sich lauter Luft? Wer fordert die schärfsten Konsequenzen? Rabenmütter! Asoziale! Monster! Seine Werturteile schießt der Boulevard dann aus der Hüfte ab, das Hirn ist eher nicht beteiligt.

In Narben im Beton wird nicht geurteilt, sondern nur beobachtet. Das ist beunruhigend. Am Ende wird ein Neugeborenes sterben, das ist dem Zuschauer schon nach wenigen Minuten klar. Wie kann das passieren? Es muss doch jemand Schuld haben? Der Film muss doch wenigstens eine Haltung haben, Stellung beziehen. Muss er? „So kann man's ja auch nicht machen“, empörte sich ein Kollege nach der Pressevorführung. Warum eigentlich nicht?

Juliane Engelmann hat einen Film gemacht, der eine junge Frau in einer extremen Situation beschreibt. Aber traut sich wirklich jemand zu behaupten, dass diese Situation grundlegend unrealistisch ist? Der Film mündet in einer Katastrophe, die kaum größer sein könnte. Doch irgendwo im Hinterkopf verschafft sich der Gedanke Platz, dass diese Katastrophe auch eine Erleichterung ist – ein monströser Gedanke. Die Katastrophe hat wenigstens etwas von Annas Verzweiflung in Wut verwandelt und sie hat den widerwärtigen Typen nicht wieder in die Wohnung gelassen. Entsteht Hoffnung aus der Katastrophe? Aber das darf man nicht denken. Allein solche Gedanken wird man nach diesem Film nicht mehr los, weil das Gefühl des eigenen Unbehagens immer größer wird. Als Zuschauer muss man innerlich schon Stellung beziehen, da lässt der Film keine Wahl. Gut so.

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Titel

Orignaltitel

Narben im Beton

Credits

Regisseur

Juliane Engelmann

Schauspieler

Lisa Altenpohl

Carmen Simone Birk

Stefan Riedner

Drehbuch

Land

Flagge DeutschlandDeutschland

Jahr

2010

Dauer

30 min.

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