Hof 2009: „Der Deutschland-Komplex“ von Alexander Kluge und Stefan Aust

Die Rote Sonne ist ein Münchner Elekrtro-Club mit sehr jungem Publikum. Im Mai 2008 gibt Eva Jantschitsch mit ihrer Band Gustav in der Roten Sonne ein Konzert. Unter den Zuhörern einer ihrer größten Fans: der inzwischen 77-jährige Multimedia Künstler Alexander Kluge. Bemerkenswert ist nicht nur seine Anwesenheit. Seine Begeisterung ist so groß, dass er die Musik zum zentralen Thema des Films "Der Deutschland-Komplex" macht, den er zusammen mit Co-Regisseur Stefan Aust in Hof vor ausverkauftem Kinosaal vorstellt. Es ist nicht die erste Zusammenarbeit zwischen den Beiden. Kluge und Aust haben bereits bei „Krieg und Frieden“ (1982) und „Der Kandidat“ (1980) sich die Regie geteilt. Zwischen der Zusammenarbeit von damals und heute liegen inzwischen fast 30 Jahre, in denen sich bei beiden viel getan hat. Das zeigt auch der „Deutschland-Komplex“.

Auf die Frage, ob dieser Film ein Kinofilm sei, zögert Kluge einen Moment. Dann sagt er mit Überzeugung: "Solange Sie nicht aus dem Film herausgegangen sind: Ja!"" Er hat sich damit listig aus der Affäre gezogen. Alexander Kluge hat, wie Stefan Aust nach der Vorstellung richtig angemerkt hat, im Laufe seines Schaffens mit seinen Zusammenschnitt aus Dokumentaraufnahmen, Interviews, und Schrifteinblendungen eine ganz eigene visuelle Ästhetik kreiert. Der Deutschlandkomplex ist eine Fortführung dieser künstlerischen Entwicklung und hat daher sehr viel mehr mit Kluges Produktionen fürs Fernsehen als mit Kinofilmen wie "Der Kandidat" gemeinsam.

Auch die Zusammenarbeit zwischen Kluge und Aust ist eine andere wie 1980. Man darf annehmen, dass Stefan Aust an diesen Film in erster Linie als Interviewpartner beteiligt war. Die Mitarbeit war eher unfreiwillig, denn Aust hat mehrmals versucht zu verhindern, das die Interviewsequenzen, die eigentlich zu einer Kluge Produktion mit dem Namen "Requiem für eine Glühbirne" gedreht wurden, veröffentlicht werden. Es ist schließlich der langen vertrauensvollen Freundschaft mit Kluge zu verdanken, das Stefan Aust den eigenwilligen Filmemacher Kluge gewähren ließ.

Das Gespräch mit Aust legt sich wie ein Subtext über die audiovisuellen Sekundensplitter zum Thema "60 Jahre Bundesrepublik Deutschland". Aust Kommentare sind scharfsichtig und, wie er selbst erschreckt bemerkt hat, von einer gewissen Altersweisheit geprägt. Kluge hat dazu größtenteils bereits vorhandenes Material in neue Kontexte geschnitten. Wir sehen Bölls Auftritt der Bonner Demo gegen den Nato-Doppelbeschluss, tumultartigen Diskussionen auf dem letzten Kongress der SDS, die Beerdigung von Rudi Dutschke oder wie Oskar Lafontaine auf einem SPD- Parteitag als Teil des linken Lagers am Stuhl des damaligen Kanzlers Helmut Schmidt sägt. "Der Deutschland-Komplex" ist eine andere Art der Auseinandersetzung mit der Geschichte der BRD. Kluge will kein Gesamtsicht auf 60 Jahre BR Deutschland. Es können nur Momente sein, die dem Zuschauer wieder einen Schlüssel zu individuell Erlebten zurückgeben. Bewusst hat Kluge als Untertitel „21.915 Tage Bundesrepublik“ gewählt. Jahre sind nach seiner Meinung nicht fassbar, Tage dagegen schon. 21915 Tage heißt nach Kluge 21915 mal aufstehen und Zähne putzen.

Nicht jedem in Hofer Publikum gefällt Kluges Ansatz, aber das ist auch nicht seine Motivation. Kluge will nicht die Gunst der Zuschauer gewinnen. Er will, dass Bilder hängen bleiben. Er will Bilder schaffen, die unterbewusst arbeiten und vielleicht erst Jahre später wieder erinnert werden. Ohne Zweifel kann „Der Deutschland-Komplex“ seine bildliche Kraft auf der großen Leinwand viel wirkungsvoller entfalten als auf einem Wohnzimmerfernseher. In diesem Sinne er tatsächlich ein Kinofilm. Eigentlich ist es auch weniger die Frage, ob „Der Deutschland-Komplex“ ins Kino gehört, sondern eher ob Kluges Fernsehproduktionen nicht schon zu lange darauf warten in einem großem Kinosaal gezeigt zu werden.

Kommentare ( 1 )

hört sich sehr interessant an.

ich bin sehr neugierig.

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Titel

Orignaltitel

Der Deutschland-Komplex

Credits

Regisseur

Stefan Aust

Alexander Kluge

Land

Flagge DeutschlandDeutschland

Jahr

2009

Dauer

93 min.

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