Die Wettbewerbsfilme der 62. Filmfestspiele von Cannes

Am kommenden Mittwoch den 13. Mai ist es wieder so weit: der rote Teppich wird ausgerollt, unter dem Blitzlichtstaccato der Fotografen tänzelt die Filmprominenz in das Grand Théâtre Lumière und endlich wird Gilles Jacob die 62. Filmfestspiele von Cannes für eröffnet erklären. Auch wenn wir nicht vor Ort sind, gestatten wir uns dennoch einen kurzen Blick auf das diesjährige Programm des Wettbewerbs.

Die Auswahl der Filme ist nicht wirklich überraschend, zumindest wenn man sich die Namen der Regisseure anschaut. Nur ein einziger unter ihnen konnte noch nie in Cannes einen Film von sich platzieren und es ist jemand, von dem man es eigentlich gar nicht erwartet hätte.

Obwohl Isabel Coixet sich längst einen Platz in der ersten Riege der europäischen Regisseure erfilmt hat, ist die katalanische Regisseurin mit "Map of the Sounds of Tokyo" in diesem Jahr als Frischling in Cannes. Ihr Thema passt gut zur gegenwärtigen KRISE, in der man mit einem Job allein nicht mehr genug Geld zum Leben verdienen kann. So muss sich Ryu neben ihrer Arbeit auf dem Tokioter Fischmarkt noch ein paar Yen als Vertragskillerin dazuverdienen. Die Doppelverdienerin wird gespielt von Rinko Kikuchi welche uns durch ihre Rolle als taubstummes Mädchen in der japanischen Episode von Iñárritus Babel noch gut in Erinnerung ist.

Coixet ist nicht die einzige, die es in die japanische Megacity verschlagen hat. Die Filmstills des Wettbewerbsbeitrags "Enter the void" lassen darauf schließen, dass auch Gasper Noe, der 2002 mit dem rückwärts erzählten Filme "Irreversibel" in Cannes für einen kleinen Eklat, sich dem grellbunten Farbspiel der Tokioter Nacht nicht entziehen konnte.

Überhaupt liegt der regionale Schwerpunkt des Wettbewerbs in Cannes dieses Jahr klar auf Südostasien.

Mit Lou Ye, Park Chan-Wook und Tsai Ming-liang kann man sich gleich durch drei Enfant Terribles des asiatischen Films verwirren lassen.

Den größten Wirbel verursachte 2006 in Cannes der chinesische Regisseur Lou Ye mit seinem Film Summerpalace. Obwohl die chinesische Regierung kein grünes Licht gegeben hatte, war der Film für den Wettbewerb angemeldet. Es kam zu Spannungen und Cannes musste sich schließlich beugen. Der Film wurde zwar gezeigt, aber aus dem offiziellen Wettbewerb zurückgezogen. "Summer Palace" erhielt nicht sonderlich gute Kritiken, war durch die Publicity aber zumindest in den USA dann doch noch recht erfolgreich. Hierzulande ist Lou Ye eher durch seinen Film "Suzhou he" (Shuzou River) bekannt geworden. Über den Inhalt seines neuen Films „Spring Fever“ schweigt man sich aus. Auch diesmal scheint nicht klar zu sein, ob die chinesischen Offiziellen ihr OK gegeben haben.

Der in Taiwan lebende malayische Regisseur Tsai Ming-liang ist in Deutschland ebenfalls durch einen Flussfilm bekannt. 2002 erhielt sein düster melancholischer Film "The River" auf der Berlinale den Silbernen Bären. Er hat einen Teil seines neuen Films "Visages" (unter großem Aufsehen) in Paris gedreht. Darüber bürgen die Schauspiellegenden Jeanne Moreau und Fanny Ardant für den französischen Charme des Beitrags aus Taiwan.

Park Chan-Wook wurde 2004 in Cannes für die Bildersprache von „Old Boy“ gefeiert und gewann den Jury Award. Auf der Berlinale 2007 konnten die Kritiker dagegen mit „I'm a Cyborg but that's ok“ nicht viel anfangen. Auch in dem neuesten Film des koreanischen Regisseurs geht es nicht mit rechten Dingen zu. Nicht durch den legendären Biss des Grafen wird ein Mann zum Vampir, sondern durch ein Operationsfehler in einem Krankenhaus.

Sehr viel länger als die drei letztgenannten Regisseure prägt Johnny To das Gesicht des asiatischen Kinos.

Nachdem To auf der Berlinale des letzten Jahres mit „Sparrows“ eine leichte Gaunerkomödie abgeliefert hat, mischt er in seinem neuesten Film "Vengeance" wieder eine klassische Melange aus Killer, Rache und Hong Kong. Wie Tsai Ming-liang vertraut auch Johnny To auf französische Schauspieler. Neben Sylvi Testud spielt die französische Schauspiel und Sänger Legende Johnny Halliday die Hauptrolle.

Der Independent Regisseur Brillante Mendoza ist in der philipinischen Filmlandschaft bereits eine fest Größe. Über seinen Wettbewerbsbeitrag "Kinatay" ist noch wenig bekannt.

Obwohl Ang Lee in Taiwan aufgewachsen ist, zählt er nicht wirklich zu den Vertretern des asiatischen Kinos. Aufgrund der Vielfältigkeit seiner Filme (u.a. Sinn und Sinnlichkeit, Hulk und Brokeback Mountain) lässt sich Ang Lee nur schwer einordnen. Diesmal beschäftigt er sich mit einem Thema, dass die Gesellschaft und Popkultur Amerikas prägte. "Taking Woodstock" basiert auf der Autobiografie Elliot Tibers, der maßgeblich dabei mithalf, das Festival zu organisieren. Wie es der Zufall so will kommt "Taking Woodstock" zum 40. Jubiläum des legendären Festivals heraus. (Damit wir auch in diesem Artikel einmal "Web 2.0" unterbringen dürfen: Hauptdarsteller Demetri Martin wurde über YouTube gecastet.)

Mit einem nationalen Liedgut der ganz anderen Art hat sich Xavier Giannoli in seinem letzten Film beschäftigt. Gerard Depardieu spielt in "Chanson d'amour" einen alternden Sänger, der sich seine Croissants in Nachtklubs und auf Tanztees verdient. In Cannes tritt Giannoli diesmal mit „L’Origine“ an.


Es ist klar, dass Cannes die jungen französischen Talente nicht hängen lässt. Neben Giannoli ist auch Jacques Audiard unter den Auserwählten. Audiard gewann mit dem intensiven Drama "The Beat That My Heart Skipped" 2005 auf der Berlinale den Preis für die beste Filmmusik. "Un prophète "erzählt vom Aufstieg eines jungen Franzosen zum Mafia König.

Alain Renais hat in seinen 87 Lebensjahren schon mehr Filme gemacht als Giannoli und Audiard zusammen (trotzdem hat ihn Cannes aber bisher nur dreimal eingeladen). Im hohen Alter beschäftigt sich Renais weiter mit ungewöhnlichen Themen. In "Les herbes folles" beginnt der Zufall eine Romanze, die sich in 8 an die Regeln des Fliegens angelehnten Phasen entwickelt. Renais Werk basiert übrigens auf dem Buch des Psychoanalytiker und Jazz-Saxofonisten Christian Gailly.

Ken Loach ist noch keine 87 war aber trotzdem schon zehnmal in Cannes mit dabei. Der begeisterte Fußballfan Loach hat mit "Looking for Eric" einen Fußballfilm gemacht, natürlich auf seine Art. Nach einen Herzinfarkt und Problemen in der Familie gerät das Leben des Fußballfans und Postboten Erik ins Schlingern. Doch Hilfe naht durch die ehemalige Fußballlegende von Manchester United Eric Cantona gespielt von Eric Cantona himself.

Neben England schicken auch Spanien, Dänemark und Österreich mit Pedro Almodóva, Lars von Trier und Michael Haneke ihre profiliertesten Regisseure ins Rennen.

In Almodóvars "Los Abrazos rotos" verliert ein Regisseur nicht nur sein Augenlicht sondern auch seine Geliebte (Penélope Cruz). Mit seinen Künstlernamen legt er daraufhin auch seine Identität als Regisseur ab und zieht sich in das Private zurück. "Los Abrazos rotos" wurde mal nicht in Madrid sondern auf Lanzarote gedreht und ist bereits in den spanischen Kinos angelaufen.

Bei Lars von Triers „Antichrist“ geht es ebenfalls um Verlust. Willem Dafoe und Charlotte Gainsbourg spielen ein Ehepaar, das sich fremd geworden ist. Dass ein Waldurlaub nicht die gewünschte Harmonie bringt, versteht sich bei Lars von Trier von selbst.

Vieles an Michael Hanekes Werk "Das weiße Band" ist weniger österreichisch als vielmehr deutsch: der Film trägt den Untertitel "Eine deutsche Kindergeschichte", er spielt im protestantischen Norden Deutschlands und hat mit Josef Bierbichler, Ulrich Tukur, Burghart Klaußner und Susanne Lothar herausragende deutsche Schauspieler.

Vielleicht erinnern sich einige noch an den Skandal um die Liebesszenen mit Maruschka Detmers in "Teufel im Leib" (1986). Marco Bellocchio hat sicherlich bessere Filme gedreht (wie z. B. „Die Verurteilung“, für den er in Cannes die Goldene Palme bekam). Wer italienisch kann, hat die Gelegenheit sich anhand des Trailer schon einmal einen Eindruck von seinem Wettbewerbsbeitrag "Vincere" zu verschaffen.

Jane Campion ("Das Piano") ist diesmal mit einem Biopic am Start. In "Bright Star" geht es um die Liebe des englischen Dichters John Keats zu Fanny Brawne.

Auch der palästinensische Regisseur Elia Suleiman widmet sich einen historischen Themas, anders als Campion allerdings aus einer sehr persönlichen Perspektive. „The Time that Remains“ ist ein semibiografischer Film, inspiriert durch die Tagebücher von Suleiman Vater und nähert sich der Identität der israelischen Palästinenser über die Geschichte des Staates Israel.

Obwohl Andrea Arnold bereits einen Kurzfilm-Oscar gewonnen hat, hat man bisher noch wenig von ihr gehört. In "Fish Tank" bringt die Mutter einer 15-jährigen einen geheimnisvollen Fremden mit nach Hause, der ihrer beiden Leben verändern wird. Die Hauptrolle spielt Michael Fassbender, der für seine schauspielerische Leistung in "Hunger" sehr gelobt wurde.

Tarantino braucht man nicht mehr vorzustellen. Ich weiß auch nicht, ob über einen seiner Filme im Vorfeld mehr berichtet wurde als über "Inglourious Basterds ". Mir reicht es jedenfalls und deshalb an dieser Stelle nur die kurze Info: er ist auch mit dabei.

Ein Tipp zum Schluss: Wer nicht in Cannes sein darf, und das werden sicherlich die meisten sein, die dieses lesen, der kann sich täglich um 20h auf dem Fernsehsender Arte von Annette Gerlach und Marie Labory über den Festivalalltag informieren lassen.

Kommentare ( 2 )

Gefühlt bin ich jetzt dabei. Und weil ich ja total borniert nicht so auf asiatisches Kino stehe, hab ich das Gefühl auch nicht viel zu verpassen - außer die Croisette, von Trier, Tarrantino, Suleiman, Haneke, Almodovar, Loach..... (oh Mann!)

...der startbericht von tobias kniebe in der sz brachte heute noch ein paar gründe mehr, warum es sich nicht lohnt nach cannes zu fahren: azurblauer himmel, palmen, croissant....

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