"The Countess" von July Delpy

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The Dark Knightin zu progressiv fürs Mittelalter

Das mal vorgweg: der Film könnte noch gewinnen, wenn er erst synchronisiert ist. In dieser Fassung, wo fast alle Hauptrollen von Nicht-Muttersprachlern in Englisch gespielt werden, geht so viel Seele verloren, dass der ohnehin gestelzte Sprachstil, in manchen Momente wie Schultheater wirkt. Paradox, dass gerade William Hurt, der einen ungarischen Akzent mimt, am besten rüberkommt.
Aber auch ansonsten ist July Delpys dritte Regiearbeit nicht so richtig rund. Eine Mischung aus Liebestragödie, Draculas Braut und feministischem Manifest. Eine Spukgeschichte inklusive Folterkammer und wallenden Köstümen, die in manchen Szenen ein wenig blutleer wirkt - wie die Jungfrauen, die geschlachtet werden.

Es geht um die Fürstin Erzebet Bathory (July Delpy), deren Geschichte seit hunderten von Jahren (wie die von Fürst Vlad aus Rumänien - DER Dracula) als Vorlage für zahlreiche, meist üble Filme und Schauergeschichten diente. Sie soll, um sich ewige Jugend zu erhalten, im 16. Jahrhundert in Ungarn hunderte jungfräuliche Bauernmädel regelrecht „kosher“ gemacht haben, indem sie sie ausbluten ließ und sich aus dem Blut Faltencremes rührte. Sie wurde irgendwann eingemauert für ihre abscheulichen Taten, ist aber wohl einer politischen Intrige zum Opfer gefallen, weil sie als Chefin eines Herrscherhauses zu mächtig und reicher als der ungarische König wurde. Und vielleicht auch, weil sie eine Frau war.
Niemand kann heute sagen, ob die Geschichten stimmen, deren makabres Zentrum aber die Jahrhunderte überlebte - die schöne Fürstin, die Frauen wie Orangen in ihrer Eisernen Jungfrau im Keller ausquetscht, eine lesbische Liebhaberin hatte, der Hexerei zugetan war und noch dazu unglücklich verliebt in einen viel jüngeren Mann. Das wäre wohl schon heute zu viel für eine Promi-Frau, aber vor 500 Jahren...

Der Film beginnt mit einem historischen Abriss, der alles birgt, was an diffusen Vorstellungen vom „finsteren Mittelalter“ in unserem Kopf rumspukt: blutrünstige Kriegsherren, rollende Köpfe Köpfe, die Türken vor der Zugbrücke Europas, der siegreiche Feldherr sitzt auf einem Berg Leichen und strahlt, wie der Wärter in Abu Graib auf seinem Leiberhaufen. Es werden Liebhaber gerädert und arrangierte Ehen geschlossen, man wohnt in Burgen und die Welt wird von super-heterosexuellen Männer regiert (ich erlaube mir dieses Adjektiv, weil ich gerade aus Milk komme, wo eine ganz andere Welt geträumt wurde).

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In dieser Welt wird die schöne Fürstin Erzebet Bathory Herrscherin, weil ihr Ehemann dahinscheidet. Sie ist verliebt in einen viel jüngeren Mann (Daniel Brühl), mit dem sie eine wilde Nacht verbringt, der dann aber von seinem Vater, einem intriganten, gierigen Händler, nach Dänemark zum Heiraten deportiert wird. Die Fürstin nimmt es sich sehr zu Herzen, fühlt sich plötzlich alt und versteigt sich allmählich in die Idee, das Blut von Jungfrauen, könne sie für ihren Liebhaber, auf dessen Rückkehr sie immer wartet, jung halten. Inzwischen taucht ein dunkler Fürst auf (Sebastian Blomberg), der auf SM-Sex steht und die dunkle Seite der Fürstin noch schürt. Irgendwann geraten die Dinge außer Kontrolle, und weil es auch finanziell für alle Seiten von Vorteil ist, wird die Fürstin von ihrem Geliebten verraten und hernach von ihren männlichen Gegnern abserviert und eingemauert. Dann beißt sie sich die Pulsadern durch und liegt wunderschön im Kerker in ihrem Blut, bis der nunmehr geläuterte Liebhaber an ihrem Grab trauert.

Der Film erinnert mal an Name der Rose, dann wieder an Marie Antoinette von Coppola, wenn die Fürstin schlagfertig progressiv und mit einer Geliebten wie als Domina ein sehr modernes Frauenbild im mittelalterlichen Kostüm gibt. Das gelingt wie ich finde nicht schlecht (aber ich muss zugeben, dass ich auch Coppolas It-Girl Film Marie Antoinette mit diesen Gegenwartsreferenzen klasse fand). In den schlechten Momenten ist der Film Draculas Braut B-Movie mit deutschen Schauspielern in Theaterkostümen, die schwerblütige Ungarn spielen und Englisch sprechen dabei.

Weiß auch nicht...kein schlechter Film, aber ein guter auch nicht. Der Stoff irgendwie interessant, aber so richtig auch nicht. Was bringt dieses SM / Vanitas Kostümdrama, warum dieser Stoff heute? Was soll mir das sagen? Wegen der Frauen-Power Anklänge, die bei der Regisseurin sicher vorhanden sind, geamacht?
Auch wenn es unfair ist: nachdem ich mich letztes Jahr in Two Days in Paris weggeschmissen habe vor Lachen, war ich jetzt gelangweilt. Dem Film fehlt die Ironie und der Humor, den July Delpy verstrahlt, wenn man ihre anderen Filme oder sie selbst auf einem Podium sieht.
Vielleicht ist dieser Film ja Ausdruck ihrer dunkle Seite, die Männer an Frauen ja angeblich (siehe Charlotte Roches Erklärung für ihr Buch) nicht gern sehen. Düstere Blutbraut mit genug Power für fünf Männer - von mir aus - aber der Film nimmt sich ein wenig zu ernst und wirkt deswegen in den entscheidendsten Momenten - wenn die beiden sich verlieben, wenn er ihr Herz bricht, wenn sie sich vor dem Spiegel betrachtet und wenn sie eingemauert wird wie eine Karikatur eines Schauermärchens für Erwachsene.

Kommentare ( 6 )

"Was bringt dieses SM / Vanitas Kostümdrama, warum dieser Stoff heute? Wegen der Frauen-Power Anklänge, die bei der Regisseurin sicher vorhanden sind?"

Sorry, Christian. Aber wer eine Antwort mit dieser Frage fordert: "Warum dieser Stoff heute?", der sollte besser gar nicht mehr ins Kino gehen. Die Aktualität eines Stoffes liegt in seiner universellen Metapher. Wenn es dir nur ums 1 zu 1 geht, dann lass es doch bitte, so unverhältnismäßige und stumpf reflektierte Kritiken auf der Berlinale von dir zu lassen. Hast du dir diese Frage auch bei "Two Days in Paris" gestellt? Wozu ist dieser Stoff gut? Hätte er nicht auch in den 60ern gedreht werden können? Hätte er nicht auch in New York spielen können? Die Antwort auf diese Fragen behaupten seine Aktualität. Nur wer keine Antwort weiß,...


Mal ehrlich: "Beim letzten Film von July Delpy hab ich gelacht. Nun ist es nicht mehr lustig." Was ist denn das für eine Kindergartenkritik? Bitte schreib lieber nichts mehr über Filme die du hier schaust, sonst nimmt dich noch jemand beim Wort. Oder stell dein Dogma einer notwendigen Aktualität eines Films in Frage und forme es um auf eine weniger engstirnig anmutende Weltanschauung.

Nu ma ganz ruuuuuhig Karsten. Ein Film hat Heute oder Morgen Relevanz, wenn er was zu sagen hat. Über die jeweilige Gegenwart. Egal in welcher Zeit der Film spielt (ich hab da kein Dogma, du solltest nicht nur den letzten Absatz vom Text lesen).

Kunst hat immer drei Möglichkeiten: man entdeckt ihre Tiefe, ihren Gehalt und Sinn, ihre Kraft und Schönheit A. Heute B. in der Zukunft C. Nie. Delpys Film ist für mich entweder B oder C.

Jede Entscheidung in einem Film hat Bedeutung und Judy Delpy hat bewusst entschieden, sie will Kostüme, sie will ein Schauermärchen, sie will es so erzählen, sie will genau DAS erzählen. Und ich versteh es nicht, weil ich nicht weiß, was das HEUTE, jetzt, hier bringen soll in dieser Weise, wie sie es gemacht hat. Ich hab nichts gegen Historienfilme, sollen sie so viele Kostüme anziehen, wie sie wollen, aber nur weil man Leute versucht Mittelalter mimen zu lassen, ist der Film deswegen nicht metaphorisch. "Universelle Metapher" - my ass. Was soll denn das bitte sein? Worthülsen.

Manche Filme wollen nichts, haben nichts zu sagen, sind nett zu sehen und faden dann aus dem Kopf. Nix Metapher für gar nix.

Keine Angst Karsten, wenn mich einer beim Wort nimmt - was immer das auch bedeuten mag - macht July Delpy trotzdem die Filme, die sie will. Das ist gut so. Und ich find sie vielleicht doof. Und das ist auch gut. So läuft das eben...

P.S. Morgen geh ich in einen Kostümfilm, weil ich alte Schinken mag.

Nun, was ist mit dem Wunsch nach ewiger Jugend? Die damit verbundene dunkle Manier?
Heute aktueller dennje: Anti-Aging, Methusalem-Mouse-Prize, der Beweis der Telomer-Funktionen. Hinzu eine stetig wachsende Zahl, auch prominenter, Frauen, die sich jüngere Männer suchen und regelmäßig unters Messer legen. Könnte "the Countess" nicht eine Überspitzung des Jugendwahns kommentieren. Das Schauermärchen über die Intoleranz gegenüber dem Altern? Ob die böse Königin bei Schneewittchen oder eben "The Countess" - vor allem Frauen leiden mehr noch als Männer schon seit Jahrhunderten an den Folgen des Alterns. Und jetzt sind wir zu Beginn des 21. Jh. in einer Zeit angelangt, in der es technisch möglich wäre, den Körper 150 Jahre lang langsamer Altern zu lassen, wenn man bereit ist, dafür über Leichen zu gehen (Stammzellenforschung, Embryonal-Ausbeutung, Tierversuche).
Wahrscheinlich hast du Recht, Christian, und dieser Film bedeutet den meisten Leuten nichts. Ich muss aber auch gestehen, dass mein Groll über deinen Verriss daher kommt, weil ich selbst vor einem Jahr über die Geschichte der Fürsten gestolpert bin und mit der Idee gesppielt habe, einen Film draus zu machen. Bis ich eben July Delpys Vorhaben erfahren habe. Unabhängig davon, wie sie ihren film realisiert hat, halte ich als Bewertungskriterium die Infragestellung der aktuellen Notwendigkeit eines Films für ein zumeist allzu subjektives Pflaster. Es tut mir Leid, wenn meine Wortwahl bisweilen sehr aufbrausen wirkte. Ich hoffe, mein sehr persönliches Interesse an dem Stoff kann das Entschuldigen.

P.S.: Viel Spaß beim Kostümfilm. Vielleicht sieht man sich ja...

So klingt es wirklich plausibel. Vanitas, Schönheit, diese Fragen sind in jedem Fall hochaktuelle, siehe die Abziehmodelle von Schönheit in der Regenbogen Presse oder die von dir erwähnten Praktiken. Ich fand das in dem Film nicht so wichtig, hab mich wohl mehr für die Liebesgeschichte und seltsame SM-Nummer so nicht erwärmen können. Schön/Jung bleiben ist so, nunja, selbstverständlich. Seis drum.
Finde deinen Kommentar jedenfalls erhellend und im Übereifer der Filmbegeisterung (oder Empörung über einen Verisse) haben ich auch schon mal nicht die richtigen Ton getroffen. ;-)

Heute Abend: Meuterei auf der Bounty!

Lieber karsten P.,
was sollen die Kritiken sonst sein: außer eben persönlich, mal unverhältnismäßig, begeisternd und begeistert, oder eben nicht? Schon darüber nachgedacht, warum das ganze Blog heißt?

Ja.

Kommentiere den Film oder den Eintrag

Titel

Orignaltitel

The Countess

Deutscher Titel

Die Gräfin

Credits

Regisseur

Julie Delpy

Schauspieler

Daniel Brühl

Julie Delpy

William Hurt

Land

Flagge DeutschlandDeutschland

Flagge FrankreichFrankreich

Jahr

2008

Dauer

94 min.

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