"Sweetgrass" von Lucien Castaing-Taylor und Ilisa Barbash

Das Blöken der Schafe

Das Schaf hat es nicht einfach. Es muss mit dem Klischee leben ziemlich verblödet zu sein. Dabei stimmt das gar nicht. Schafe sind nicht dumm. Wissenschaftler haben herausgefunden, dass sie die gleichen Hirnstrukturen besitzen wie Menschen. Mit „Sweetgrass“ bringen uns die Regisseure Lucien Castaing-Taylor und Ilisa Barbasheine eine weitere unbekannte Seite des Schafs näher. Nach zwei Stunden ihres Films, sind wir auch von der Ästhetik unser wolligen Freunde begeistert.

Regisseur Lucien Castaing-Taylor ist Filmemacher und Anthropologe. Es geht daher in „Sweetgrass“ nicht nur um die Schafe. Es geht auch um die Schafhirten, die seit eh und je in einem wochenlangen Trail ihre Herden auf die hochgelegenen Wiesen in die Berge Montanas treiben, damit sie dort den Sommer über weiden können.

„Sweetgrass“ beobachtet die alltägliche Arbeit dieser mit Colt und Gewehr bewaffneten Schaf-Cowboys, ohne sie zu romantisieren. Manchmal entdecken wir sie nur als kleinen Punkt, wie sie vor atemberaubender Kulisse versuchen, die Herde zusammenzuhalten. Dank der Tonsender hören wir aber sehr deutlich, wie sie sich beschweren, was diese Scheißarbeit eigentlich soll und was zum Teufel sie hier oben verloren haben. Besonders im Gedächtnis bleibt die Szene, wenn ein gestandener, kräftiger Cowboy hoch auf einen Berg seine Mutter anruft und zu weinen beginnt. Die Schafherde ist ihm davongelaufen, die Wachhunde tun nicht was sie sollen und seine Knie sind kaputt.

Fernab jeder Zivilisation verschwimmen die Grenzen zwischen Mensch und Tier. Die Cowboys sind hier genauso wie Wachhunde oder Schafe auf ihre natürlichen Bedürfnisse zurückgeworfen und wenn ein Schaf blökend in Kamera schaut, dann glauben wir zu verstehen, worüber es sich beschwert.

„Sweetgrass“ ist ein Naturerlebnis, das sich wohltuend von dramatisierten Tier-Epen wie „Deep Blue“ abhebt. Durch den Verzicht auf jeglichen Off-Kommentar können die Bilder ihre ganze Wirkung entfalten. Das schafft überraschende Einsichten. Wenn z. B. 3000 Schafe über eine Straße getrieben werden, dann wird uns das Phänomen Masse so deutlich wie in „Panzerkreuzer Potemkin“.

Was die Regisseure bei ihrer dreijährigen Filmarbeit nicht wussten ist, dass sie den letzten Trail filmen sollten. Auch das macht „Sweetgrass“ zu einem einzigartigen Dokument.

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Titel

Orignaltitel

Sweetgrass

Credits

Regisseur

Ilisa Barbash

Lucien Castaing-Taylor

Land

Flagge Vereinigte StaatenVereinigte Staaten

Jahr

2009

Dauer

115 min.

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