"Three Monkeys" von Nuri Bilge Ceylan

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Was ist nur mit diesen Menschen los? Ein Familienvater, der ohne mit der Wimper zu zucken für seinen Chef ins Gefängnis geht. Eine Frau, die sich so offensichtlich selbst belügt, dass sie immer wieder laut darüber lachen muss. Ein Sohn, der eine besondere Form der Rebellion lebt, indem er den Großteil des Tages schlafend im Bett verbringt und ansonsten todtraurig in die Welt schaut. Das Reden wird nicht groß geschrieben in dieser Familie. Das Nicht-Reden über bestimmte Dinge dagegen schon – ebenso wie das Nicht-Hören und Nicht-Sehen von allem, was schmerzhaft, kompliziert oder unangenehm sein könnte. Der türkische Regisseur Nuri Bilge Ceylan erzählt in Three Monkeys die Geschichte von drei Menschen, die wie jene berühmten drei Affen nach dem Prinzip „See no evil, hear no evil, speak no evil“ handeln. Und sich dabei immer tiefer in ihre Hilflosigkeit verstricken.

Ceylan hat zuletzt mit Iklimler Furore gemacht, der rasiermesserscharfen Analyse einer zerrütteten Beziehung. Auf der Berlinale war er mehrere Male zu Gast, und in Cannes wurde er mehrfach prämiert – zuletzt 2008 mit dem Regiepreis für Three Monkeys. Der läuft auf dem "Around the World in 14 Films" Festival in Berlin und hat inzwischen einen deutschen Verleih – wird also auch demnächst im Kino zu sehen sein. Die perfekt inszenierte Bildersprache, die emotionale Wucht seiner Geschichten, die erschütternde Tragik und gleichzeitig die bodenlose Erbärmlichkeit seiner Figuren – also letztlich ihre tiefe Menschlichkeit: all das sind Markenzeichen seiner Filme. In Three Monkeys befindet man sich vom ersten Augenblick an in einer anderen Welt, mit einer anderen – sehr viel langsameren – Geschwindigkeit, und einer beeindruckenden Konzentration auf das Wesentliche.

Ein Auto fährt durch die Nacht, dem Mann am Steuer fallen fast die Augen zu vor Müdigkeit. Dann sieht man den Wagen von hinten langsam in die Dunkelheit entschwinden – Stille, Dunkelheit, Schnitt. Das nächste Bild zeigt einen bewegungslosen Körper auf der Straße liegen, das Fahrzeug, das wir eben noch beobachtet haben, steht mitten auf dem Weg. Der Mann, der bei seinem Kampf gegen das Einnicken all unsere Sympathie hatte, versteckt sich hektisch, als sich ein zweites Auto nähert. Der Fahrer dieses Autos will zunächst anhalten und nachsehen, wie es um den Verletzten steht, die Frau drängt ihn weiterzufahren und später die Polizei zu rufen. Diesen Dialog hören wir nur als Stimmen aus dem Off – was die Brutalität dieser Szene nur noch steigert. Als der Wagen sich entfernt hat, fängt der Mann, der offenbar den Unfall verursacht hat, an zu weinen.

Diese Szene ist der Auslöser für die Geschichte der Entfremdung und Sprachlosigkeit, die sich zwischen Vater, Mutter und Sohn entwickelt. Der Unfallverursacher ist ein Politiker, der kurz vor einer wichtigen Wahl steht. Ercan Kesal spielt ihn als sanften Gentleman, dessen Kaltschnäuzigkeit und Härte man beinahe übersieht. Einen Skandal kann er sich nicht erlauben. Also überredet er seinen Chauffeur – den Vater – für ihn ins Gefängnis zu gehen. Dafür soll es Geld geben. Dieses Gespräch verläuft so einseitig, der Chauffeur fügt sich so willenlos in sein Schicksal, dass man sich unwillkürlich fragt, wie jemandem so komplett der Widerspruchsgeist und Überlebenswille abhanden gekommen sein kann. Yavuz Bingol gibt diesem Vater eine spürbare Erschöpfung als markantesten Charakterzug: ein stattlicher Mann mit müden Augen, der sich und seine Gefühle zumeist hinter seinem buschigen Schnauzer versteckt. Erst viel später gibt der Film eine vorsichtige Erklärungshilfe für die seltsame Verfasstheit der Familie, und des Vaters insbesondere. Das nun einsetzende Drama, so erkennt man am Schluss, muss in Bezug gesetzt werden zu einer viel früheren Katastrophe – die der Film aber wie seine Protagonisten erst einmal ignoriert, bis sie in Form eines Geisterbildes an die Oberfläche drängt.

Der loyale Chauffeur, der für seinen Herrn die Schuld auf sich nimmt – und dafür reich belohnt werden soll. Eine Geschichte wie aus alten Zeiten, eine Geschichte, in der eigentlich das Gute belohnt werden sollte. Aber man ahnt es schon. Das kann nicht gut gehen. Und tatsächlich geht es nicht gut. Was heldenhaft sein sollte, wirkt berechnend. Wo Dankbarkeit sein sollte, nimmt man nur das Gefühl von Verpflichtung wahr. Und in diesem Kosmos der falschen Gefühle und Erwartungen wirken alle beteiligten Personen komplett überfordert. Das Erwartbare geschieht und keiner sieht hin. Am Ende dieser Geschichte, die durch die Illusion einer Win-Win-Situation in Gang gesetzt wurde, sind alle Verlierer. Als der Sohn den Vater das erste Mal im Gefängnis besucht stehen dicke Gitterstäbe zwischen ihnen. Und dies ist nur der Anfang der wachsenden Entfremdung zwischen den drei Familienmitgliedern. Immer wieder fängt Ceylan diese Distanz in „sprechenden“ Bildern ein: Da hält etwa die Kamera auf Mutter und Sohn (Rifat Sungar) in der Wohnung, getrennt durch die Zimmertüren, und noch stärker getrennt durch die Dinge, die sie voreinander verheimlichen. Die falschen Freunde des milchbärtigen Sohnes, zum Beispiel, oder die Affäre der Mutter mit dem Chef. Hatice Aslan spielt diese Mutter sehr beeindruckend als immer noch schöne Frau, die sich zwischen ihren verschiedenen Rollen als Frau und Mutter, als Trauernde und Liebende, als Fels in der Brandung und Verräterin, verliert. Rifat Sungar als Sohn zeigt Facetten juveniler Depression, Verletzlichkeit und Verwirrung, die weit über die sonst so gezeigten klischeehaften Muster hinausgehen.

Wo nicht geredet wird, entfalten andere Gegenstände plötzlich ein Eigenleben, das sehr viel beredter ist, als die Menschen, denen diese gehören. Da plärrt das Handy der Mutter in den (un)passendsten Momenten eine sehnsuchtsvolle Liebesschnulze, da springt einen auf einmal ein Messer auf der Anrichte förmlich an, weil es da genau im richtigen – oder falschen, je nachdem – Augenblick liegt. Augen, die nicht sehen, und Ohren, die nicht hören, werden von der Kamera herangezoomt. Das Drama schwelt weiter unter der Oberfläche, Ansätze der Eskalation laufen auf halber Strecke ins Leere – bis es dann doch noch einen weiteren Toten gibt.

Schließlich – und das ist vielleicht das Ernüchterndste an dem ganzen Film – erweitert der Vater den Kreis der Verlierer um eine weitere Person. Und gerade in dieser Nüchternheit inmitten des dunkelsten Dramas beweist Three Monkeys seine wahre Besonderheit und Größe.

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Titel

Orignaltitel

Üc Maymun

Englischer Titel

Three Monkeys

Credits

Regisseur

Nuri Bilge Ceylan

Schauspieler

Hatice Aslan

Yavuz Bingöl

Ercan Kesal

Ahmet Rifat Sungar

Drehbuch

Kamera

Gökhan Tiryaki

Schnitt

Nuri Bilge Ceylan

Ayhan Ergürsel

Bora Göksingöl

Land

Flagge TürkeiTürkei

Dauer

109 min.

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