"Fireworks Wednesday" von Ashgar Farhadi

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Frauenpower und verstörte Männer im Iran

Ach, wieder so symbolisches iranisches Kino, konnte man denken in den ersten Minuten: Ein junges Paar auf dem Moped in den Bergen (um die westlichen Zuschauer zu überraschen „Ach, da gibt es Schnee??“), dann bleibt der Tschador der Frau in der Kette hängen, die beiden stürzen. Was das wohl bedeutet? Dann hat es sich auch schon mit Symbolkino. Die Szene war allerdings symbolisch genug für die Zensoren im Iran - dort durfte sie nicht gezeigt werden - zu politisch.

Fireworks Wednesday gehörte zu den Kassenschlagern der letzten Jahre im Iran und ist zugleich auf vielen Festivals im Rest der Welt gut angekommen. Aus gutem Grund: er gewährt Einblick in einen Teil der iranischen Gesellschaft, den man selten im Kino vorgeführt bekommt: den eher „westlichen“ und weltlichen Norden von Teheran. Und damit Figuren, bei denen wir nicht einfachen Leuten vom Land bei ihrem Ringen mit der Welt in einer lyrisch-symbolischen Filmsprache zuschauen. In diesem Film geht es um kaputte Ehen, Lügen und Sex mit der Nachbarin. Allerweltsthemen.

Die Fahrt des jungen Paares vom Dorf in die Stadt ist also doppelt symbolisch: der Regisseur will sich auch von den berühmten iranischen Filmemachern wegbewegen, deren Geschichten fast immer auf dem Dorf spielen. Nach dem Prolog treffen wir auf Stadtbewohner und ihre Probleme, wie man sie wohl überall findet, wo Männer und Frauen versuchen Ehen zu führen.

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Die junge Iranerin (Taraneh Alidoosti) aus dem Dorf, findet für einen Tag Arbeit als Putzfrau bei einer Familie im reicheren Norden von Teheran. Zunächst wissen wir nicht, warum das Apartment so verwüstet aussieht, eine Scheibe kaputt ist, warum die Ehefrau (toll: Hedye Tehrani) aufgelöst durch die Wohnung rennt, nah an der Hysterie scheint, warum der Mann (Hamid Farokhnezhad) so fertig aussieht und was die beiden besprechen wollen, worum sie streiten, wovor er zur Arbeit flüchtet. Eine Reise nach Dubai steht an. Ehekrise.
Die Putzfrau wird allmählich zum stummen und später agierenden Zeugen dieses Ehedramas. Sie ist am Ende die Einzige, die alles über alle weiß und man wünscht sich fast, sie möge ihre Unbekümmertheit bewahren in diesem von Intrigen und Lügen und Halbwahrheiten und Gerüchten bestimmten Umfeld in dem Mietshaus und der kaputten Ehe.
Die Ehefrau wirft ihrem Mann vor mit der alleinstehenden Frau von Nebenan (ohnehin im Iran eine moralisch fragwürdige Position) ein Verhältnis zu haben. Auf unglaublich geschickte Art und Weise, mit schnellen, klaren Dialogen gelingt es Asghar Farhadi uns mal für die eine, dann wieder für die andere Seite einzunehmen. Geht er fremd? Oder ist sie krankhaft eifersüchtig? Sagt die Nachbarin die Wahrheit? Welche Gerüchte sind wahr oder ist es alles Klatsch und Tratsch einer Hausgemeinschaft. Eine kaputte Klingel, ein Feuerzeug das Melodien beim Entzünden macht und der Tschador vom Anfang spielen eine Rolle, während die junge Frau versucht die Puzzleteile zusammenzusetzen und zwischen die verschiedenen Parteien gerät, sich wie der Zuschauer mal auf die eine, dann auf die andere Seite schlägt.

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Spezialeinheit der iranischen Polizei - Frauen spielen im Iran eine starke Rolle - die Klamottenfrage vestellt im Westen oft den Blick auf diese Tatsache

Auch wenn der Film vielleicht 20 Minuten zu lang geraten ist und wie seine Figuren kein Ende zu finden scheint, ist er insgesamt spannend, witzig, traurig und dabei sehr klar. Er moralisiert nicht und will nicht überzeugen, sondern bietet an, selbst zu urteilen. Kein Kulturkampf zwischen Stadt und Land, religiös oder weltlich, arm und reicht wird dort ausgetragen, sondern der Urkampf zwischen Männern und Frauen. Wobei es in diesem Film die Frauen sind, die selbstbewusst und entschieden reagieren und handeln, während die Männer nicht wissen was sie tun sollen, weglaufen, heulen oder am liebsten Böller anzünden (der Film spielt an Neujahr). Männer kommen in der ersten Hälfte überhaupt nur am Rande vor und es ist die Welt der Frauen, die wir gezeigt bekommen.

Ein schöner Film, bei dem es wie in einem guten Agatha Christie Krimi mehrere überraschende Wendungen gibt und am Ende alles anders ist, als es am Anfang schien. Und auch wieder nicht.

Schließlich kehrt die junge Frau zurück aufs Land, weg von dem verdorbenen Leben der Städter - so könnte man es sehen. Sie kehrt zurück in die Illusion, der Tschador schütze sie vor den Wirrnissen des Ehelebens - so könnte man es sehen. Der Mann hat die Frau betrogen - so könnte man es sehen. Die Frau hat den Mann in die Arme der anderen getrieben - so könnte man es sehen. Am Ende leiden die Kinder - das ist das einzig Sichere.

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Titel

Orignaltitel

Chahar shanbe souri

Englischer Titel

Fireworks Wednesday

Credits

Regisseur

Asghar Farhadi

Schauspieler

Taraneh Alidousti

Hamid Farokh-Nejad

Hedieh Tehrani

Drehbuch

Produzent

Jamal Sadatian

Kamera

Hossein Djafarian

Schnitt

Haydeh Safi-Yari

Land

Flagge Islamische Republik IranIslamische Republik Iran

Dauer

104 min.

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