"Standard Operating Procedure" von Errol Morris

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Wo bleibt die Menschenwürde im Krieg und auf der Leinwand?

„Standard Operating Procedure“ wurde im Vorfeld der Berlinale von Dieter Kosslick mit großer Begeisterung als „wichtiger Film und erste Dokumentation im Wettbewerb“ angekündigt. Nach der Premiere sind große Zweifel daran angebracht, ob es sich bei „Standard Operating Procedure“, der die Misshandlungen von Gefangenen im U.S.-Millitärgefängnis Abu Ghraib im Irak behandelt, um eine Dokumentation handelt. Errol Morris vermischt klassische Interviewpassagen vor neutralem Hintergrund mit Dramaturgieelementen aus dem „Horrorfilm“ – so Morris eigene Wortwahl. Die Würde der Opfer spielt bei der ausführlichen Ausstellung der bereits bekannten Folterbilder im Riesenformat auf der Leinwand offensichtlich keine Rolle. Errol Morris wollte einen investigativen Film machen, der das Zustandekommen der Fotos detailliert nachzeichnet. Der aufklärerische Mehrwert bleibt jedoch äußerst gering.

Die Verhältnisse im amerikanischen Militärgefängnis von Abu Ghraib wurden am 28. April 2004 zu einem öffentlichen Skandal, als von Soldaten aufgenommene Fotos von Misshandlungen im U.S.-Nachrichtenmagazin 60 Minutes gezeigt wurden. Am 10. Mai veröffentlichte Seymour M. Hersh in der Zeitschrift New Yorker einen Artikel, der die Taten detailliert darstellte. Hersh zog sein Wissen unter anderem aus einen 53seitigen internen Bericht der U.S.-Armee zu den Vorgängen in dem Militärgefängnis. Der Bericht befasst sich insbesondere mit Ereignissen, die von Oktober bis Dezember 2003 stattfanden, es werden mehrere „sadistische, eklatante und mutwillige kriminelle Misshandlungen“ festgestellt, darunter Vergewaltigung eines männlichen Gefangenen durch anale Penetration mit Gegenständen, das Hetzen von Hunden auf einen Gefangenen, wobei es zu Bisswunden kam, das nackte Vorführen von Gefangenen, das Schlagen von Gefangenen. Täter waren sowohl Soldaten der U.S.-Militärpolizei als auch Angehörige anderer U.S.-Militärorganisationen. Mehrere Soldaten dokumentierten diese Taten mit Digitalkameras.

Die Geschichte hinter den Bildern

Diese Fotos nimmt Errol Morris als Ausgangsmaterial für „Standard Operating Procedure“. Zu Beginn sehen wir sie zu Dutzenden, wie sie digital animiert über die Leinwand fliegen. Ein erster Schock für den Zuschauer ist, wie vertraut diese Bilder sind. Man kennt einen guten Teil davon: der Mann mit dem über den Kopf gezogenen Sack und dem Umhang auf einer Kiste, der Mann an der Hundeleine, die Pyramide aus nackten Menschen – Folterbilder als Teil eines internationalen, öffentlichen Gedächtnisses, die teilweise Medienikonen sind. Oft sind lachende Soldaten Teil dieser inszenierten Bilder. Morris hat sich die Aufgabe gestellt, die Geschichten zu diesen Bildern zu erzählen, die aus den Kameras dreier unterschiedlicher Soldaten stammen.

Dabei lässt er einige Täter ausführlich in Interviews zu Wort kommen – unter anderem die Angehörigen der Militärpolizei Javal Davis, Lynndie England und Sabrina Harman und Angehörige des Militärgeheimdienstes. Ergänzt wird dies durch Aussagen eines Ermittlers der Armee, der die Bilder detailliert auswertete und vor allem die zeitliche Abfolge der Aufnahmen genau nachverfolgte. Wenn die Täter die allgemeine Situation in Abu Ghraib beschreiben, wird sichtbar, wie überfordert sie mit den Zuständen in dem Militärgefängnis waren, das regelmäßig von irakischen Aufständischen beschossen wurde. Die Militärpolizisten, die zu Aussagen bereit waren, waren im Jahr 2003 ohne Ausnahme Anfang oder Mitte zwanzig. Gleichzeitig wird deutlich und nachvollziehbar, wie in einer militärischen Organisation – im Nebeneinander von regulärer Armee und Geheimdienstorganisationen, deren Auftrag, Befehlsgewalt und Verantwortlichkeit keiner der regulären Soldaten kennt - ein Netz aus persönlichen und hierarchiebedingten Abhängigkeiten entsteht, in der schließlich alle internen Kontrollmechanismen, der gesunde Menschenverstand und der moralische Anstand außer Kraft gesetzt werden. Dies zu zeigen ist der eine große Verdienst von Errol Morris’ Film.

„Standard Operating Procedure“ wird an dem Punkt zu einem dokumentarisch fragwürdigen Unterfangen, an dem er auf eine dramatisierende Rekonstruktion der Ereignisse setzt. Die bekannten Bilder der Misshandlungen werden zum Teil in Filmszenen umgesetzt, die auch das davor und danach zeigen. Zu dieser Art der Umsetzung gehören ein opulenter Soundtrack, der in Verbindung mit dem Gezeigten eine ästhetische Monstrosität ist und Bilder, die eben dem Genre Horrorfilm entlehnt sind. Ein blutender Mann wird aus der Zelle geschleift, eine Leiche in Eis gepackt, ein Hund fletscht die Zähne und bellt dem Zuschauer überlebensgroß direkt ins Gesicht. Er wolle den Albtraum Abu Ghraib auch für den Zuschauer erfahrbar machen, sagte der Regisseur nach dem Film. Das ist ein beängstigendes Statement. Zeugt es von Naivität oder von Größenwahn?

Auf jeden Fall ist es dem investigativen und dokumentarischen Anspruch und den Sachverhalten unangemessen aber vor allem – und das ist das wichtigste – lässt es den Gesichtspunkt der Würde der Opfer außer acht. Wer das Leid in Filmszenen dramatisiert oder Originalfotos in maximaler Vergrößerung immer wieder auf die Leinwand wirft, auf denen die Genitalien und die Gesichter von angeketteten Menschen zu sehen sind oder Menschen sexuell entwürdigt werden, der ist als Anprangerer von Verletzungen der Menschenwürde absolut unglaubwürdig. Dabei spielt es überhaupt keine Rolle, dass diese Fotos schon öffentlich bekannt sind. Durch die Darstellung auf der Leinwand un den ästhetischen Kontext von Sound und Effekten erhalten sie eine neue, grausame Qualität.

Die Ethik des Filmens

Was aber haben wir durch den Film Neues über Abu Ghraib erfahren? Nichts. Wir haben lediglich einen Eindruck davon bekommen, dass die Täter zunächst selbst von den Verhältnissen in Abu Ghraib geschockt waren und dann in ihrem Verständnis nur Befehle befolgt haben: Es sei die Aufgabe gewesen, den Widerstand von Gefangenen zu brechen, manche hätte ihnen leid getan, manche Taten seien falsch gewesen. Alle betonen immer wieder, dass eigentlich nie etwas Ernstes passiert sei. (Der eine im Kontext der Ermittlungen bekannte Todesfall wurde durch ein Verhör von Angehörigen eines nicht eindeutig identifizierbaren U.S.-Geheimdienstes verursacht.) Diese Armut an neuen Fakten macht es umso verwunderlicher, dass Morris die Opfer nie zu Wort kommen lässt. Nach eigenen Angaben hat er zwei von ihnen interviewt. Andererseits bin ich froh, dass es ihnen erspart geblieben ist, Teil dieses Films zu sein, der die Opfer durch seine Machart immer wieder entwürdigt. Es gibt auch eine Ethik des Filmens, gerade bei einer Dokumentation. Offensichtlich hat sie weder für Errol Morris noch für das Auswahlkomitee des Berlinale-Wettbewerbs eine Rolle gespielt.

Kommentare ( 1 )

Bin mit der kritischen Sicht einverstanden. Ich verstehe nicht, dass viele Rezensenten (SZ u.a.) angesichts der gottgleiche Stellung von Errol Morris sich vor Lob kaum halten können, ohne die offensichtlichen Probleme dieses Films anzusprechen. Filmisch mag vieles innovativ sein (ob's gefällt, wie die aufwendig nachgestellten Szenen, ist Geschmackssache), auch die Mischung aus Horrorfilm und Gefängnis-Doku ist eigentlich interessant - aber die Art und Weise, wie der Zuschauer zum Voyeur der bestialischen Handlungen gemacht wird, ist absolut inakzetabel. Die selbstimmanenten Un-Reflektionen der SoldatInnen erklären wenig; ihre Monologe der Selbstentlastung und Vrharmlosung wirken abstoßend angesichts der Monströsität der Misshandlungen. Die irakischen Opfer 2 Stunden in Großaufnahme auf Fotos und Filmmaterial der Täter zu präsentieren ohne jede moralische Rücksicht auf ihre Menschenwürde kann nicht anders als kopflos, wenn nicht inhuman bezeichnet werden. Würden die betroffenen Iraker oder ihre Familien, denen Morris im Film keine Stimmme gibt, diesen Film je sehen, müssten sie die entwürdigenden Szenen wie eine zweite Entehrung erleben. Dass andererseits die vorgeführten US-SoldatInnen in der Weltöffentlichkeit als Sündenböcke einer bankrotten politischen und militärischen Führung der Bush-Administration an den Pranger gestellt wurden, stimmt. Aber der Film, den Morris nach der Premiere ausdrücklich als "investigativ" verstehn will, entlarvt in dieser Hinsicht gar nichts. Der Film hat keinen Preis verdient - wie nah er auch am Puls des Dokumentarfilmens sein mag.

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Titel

Orignaltitel

Standard Operating Procedure

Credits

Regisseur

Errol Morris

Land

Flagge Vereinigte StaatenVereinigte Staaten

Jahr

2008

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