"Jesus Christus Erlöser" von Peter Geyer

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Vielleicht isser das, der Berlinale 08 Remember Film. Hatte die Wahl zwischen James Bennings „RR“, 37 Güterzüge, die an verschiedenen Orten der USA durchs Bild fahren (no shit!) oder „Jesus Christus Erlöser“ von und mit Klaus Kinski.
Ich hab mich gegen das Meditative und für den den Monolog des Egomanen entschieden. Grandios! Und er hat mich offenbar so sehr verstört, dass ich im Kino noch meine Akkreditierung verlor, auf der Heimfahrt geblitzt wurde - naja und falsch geparkt hatte ich natürlich auch. Sei‘s drum. Die Ausgaben und Mühen habe sich gelohnt. Was für ein Abend mit Kinski!

Es beginnt als Soloperformance und endet im Gerangel mit dem Publikum, schimpfend und brüllend. Dann wieder Vortrag über Frieden, Liebe, Vergebung und Großzügigkeit und die Verkommenheit des Establishments und der Macht. Jesus als ein Utopist und Vordenker, Jesus als Philosoph und Aufklärer, als Revolutionär und Arbeiter, als Hippie, Kommunarde und Rumtreiber, Jesus als das Licht der Welt und als Gefallener. Davon handeln die 30 Seiten Text die er frei spricht: eine Mischung aus Bibelzitaten, eigenen Interpretationen und biblisch anmutender Zeitkritik, die Kinski an diesem Abend zum Vortrag bringt. Oder bringen will. Dreimal bricht er ab, weil es Tumult, Zwischenrufer und dann Ausraster von ihm gibt. Der Film zeigt zum ersten Mal alles, was er auf der Bühne sagte damals. Das Material stammt von Kinski selbst, er hat den Abend aufzeichnen lassen von mehreren Kameras, es wurde aber noch nie gezeigt. Um so größer waren die Mythen um diesen Abend in der Deutschlandhalle. Peter Geyer hat das Material montiert und den Ton überarbeitet. Es ist ein Abend mit Kinski. Nicht mehr und nicht weniger.

Stattgefunden hat das alles 1971, meinem Geburtsjahr, drei Jahre nach 68, die Zeit des Aufbruchs, des Protestes, der Sit-Ins und Happenings, Aktionen, es wird geraucht in der Deutschlandhalle nach Herzenslust, die Kartenabreißer tragen Uniform.

Und den Film über frage ich mich, da soll ich gelebt haben, in einem Jahrzehnt, in dem ein Künstler beschimpft wird, weil die Leute nicht zwischen dem unterscheiden, was er sagt, also dem Text und dem Mann, der spricht, die ihm zum Vorwurf machen, er habe Geld und rede über Jesus, der die Armut predige. Die einem Schauspieler vorwerfen, er solle nicht so viele Pausen zwischen den Worten machen, die Kinski also das vorhalten, was ihn zu einem der Größten gemacht hat - sein Timing, die Pausen. Er soll reden und seine 10 Mark verdienen, brüllen die. Das soll die Zeit gewesen sein, in der ich aufgewachsen bin, wo ein kleiner Mob, der sich selbst als „aufgeklärte Erwachsene“ bezeichnet, Faschist!Faschist! ruft, weil ein Störer von der Bühne komplimentiert wird und dann Kinski angehen, weil er in dem Text nicht spricht „wie die Leute heute sprechen“, sondern es wagt, lyrisch, biblisch in Bildern und Gleichnissen zu sprechen. Nix von sozialistischem Realismus.

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Damals haben offenbar alle die ganze Zeit nur gequasselt, gelabert, erzählt, geredet, agitiert, diskutiert, dabattiert, skandiert in den Seminaren, den WG-Küchen, den Debattenabenden und Kneipen und scheinbar auch den Theatern, eine verbale Diarhoe um sich den bürgerlich-faschistischen Geist wie bei einem Exorzismus auszutreiben. Gefaselt von der Revolution, vom System und der Wahrheit, von Ich, vom Sex, vom Faschisten, vom Pig, vom Arbeiter (den gab‘s damals noch als quasi moralische Instanz für das wahre Leben), vom Establishment.
Und dann zahlt man Eintritt für einen Vortag, nur ums selber vorm Mikro was aufsagen zu können. GEGEN! GEGEN! die da Oben, den Bonzen Kinski. Den Text, den er vortrug konnte keine einordnen. Nicht nur weil sie nicht zuhörten. Findet der Kinski den Jesus gut, und das in Zeiten der Befreiung von Religion und Muff? Oder stilisiert er sich selbst zum Jesus, wenn er ich sagt? Leute, möchte man rufen, das ist ein Text, ein Schauspieler eine Bühne!
Und da oben, auf der Bühne, das ist an dem Abend der Künstler Kinski, dem man den Vortrag versaut, weil er DA OBEN steht. Da soll aber keiner stehen, über einem, und einen Text aufsagen, wenn er und der Text nicht identisch sind, wenn er nicht 100%ig das IST, was er im Text sagt. Und weil ihnen nicht passt, was Kinsik sagt, wie er es sagt, brüllen sie halt. So ist das 1971 und man nennt es Aufbruch. Den gab es bestimmt auch, aber an dem Abend zeigte er sein selbstgerechtes, überhebliches, halbgebildetes, einfach selten dämliches Gesicht in Form von Geschrei, Kill the Pigs! Rufen, Scheiß Millionär usw.

Ein Typ versucht das Mikro zu erobern mit den Worten „Ich will auch mal was sagen!“. Das war die Zeit. Einfach mal raufgehen auf die Bühne und seine Meinung sagen. Und wenn man das nicht darf, sind die anderen Faschisten. Was sonst?
Aber nicht mit Kinski:
Gott konnte der Mann brüllen. Aus Kinskis Mund klingt das Wort „Arschloch“ oder „dumme Sau“ oder „Gesindel“ wirklich, wirklich böse, dazu dieser Blick, da nutzt die Schlaghose und das Harlekin Hemd nix, der würde einem richtig was auf die Schnauze geben. Und Sau, Drecksau, Schwein, Gesindel das sagt er so einige Male, geht das Publikum richtig an. 1971, wo die Leute keine 10 Minuten ihre „Fresse halten können“ (Kinski), sondern für die Redepausen ihre 10 Mark wiederhaben wollen. Oder weil er nicht modern genug redet, oder weil er Kinski, nicht der Jesus ist, den er im Text beschreibt. Oh Mann.

Wunderbar paradox, wie Kinski von Frieden und Vergebung spricht und dann einem der Störer fast vermöbelt. Und am Ende eine tolle Wendung. Die Veranstaltung wird nach einer Stunde abgebrochen, aber, und auch das ist 1971 etwa 100 Leute gehen nicht nach Hause, haben sich vor der Bühne versammelt und bleiben hocken. Ein Sit-in. Bis weit nach Mitternacht. Und dann kommt er nochmal. Zu ihnen herab steigt er und beginnt den Vortrag von neuem. Erst Unruhe, dann siegt doch die Kunst. Kurz nach 2 Uhr früh sitzen da etwa hundert schweigende, ergriffene Menschen, ein Kinski in der Mitte, dem die Tränen die Wangen herunterlaufen, als er seinen Vortrag beendet. Ein Moment der Theatergeschichte - vielleicht wie Jimi Hendrix brennende Gitarre. Nur dass weniger Leute da waren. Durch diesen Film werden es ein paar mehr werden.

Kommentare ( 4 )

hört sich toll an. furios. und toll beschrieben! hoffentlich kann man das auch bald nach der berlinale bestaunen.

Ja, ja. Sie diskutierten und sie diskutieren gerne, die Möchtegernsozialisten und aufgeklärten Erwachsenen. Kunst hat sie schon immer verschreckt. Deswegen haben sie die Kunst abgeschafft und den "Sozialistischen Realismus" erfunden.

Wie schrieb Oscar Wilde? "On the whole, an artist gains something by being attacked." Lustigerweise in seinem Essay "The Soul of Man under Socialism". Aber wenn ich Herrn Wilde in Schutz nehmen darf: Er verstand unter Sozialismus etwas Anderes als die geistig doch etwas limitierte Mehrheit der Faschistenkeulenschwinger in der Deutschlandhalle. Wildes Version des Sozialismus führt auf direktem Weg zum Individualismus. Das ist den deutschen 68ern wahrscheinlich neu.

Ich habe jetzt Ausschnitte bei youtube gesehen. Kinski ist dabei meisterlich und zeigt sein Herz für die Menschen , die man verachten wollte. Er macht sich selbst zum schwarzen Schaf, wobei viele Richter und Henker seine Parabelln gar nicht verstehen. Der Hochmut und die Arroganz der Zuschauer ist erstaunlich aber er lockt sie alle hervor, durch seine provokativen Worte. Gerade diese Menschen, die auch das ganze Elend und Menschenverachtung in der Welt sehen, sind nicht imstande ihren Mund für ihren Nächsten aufzumachen, sondern wollten stattdessen Kinski verteufeln.

Er ist ein wahrer Meister des gedanklichen Ausdrucks und ist ein Mensch der tatsächlich die Mißstände dieser Welt anspricht.

Jedes vollgefressene Arschloch welches die tiefe Implikation Kinkis Worte nicht versteht, hat noch nicht mal angefangen für den Nächsten zu fühlen.

Ich schäme mich, in einer Gesellschaft zu leben, wo man immer so tut als würde man für den Nächsten fühlen wollen, wobei das eigene leibliche Wohl immer im Vordergrund steht.

Ich finde es schade, daß Kinski scheinbar selbst manchmal die tiefe Implikation seines Wesens nie begriffen hat, wodurch er öfters von außen als Geisteskranker dargestellt wird.

Ich wünsche allen Wesen, die tiefe Implikation der Erscheinung aller Wesen im eigenen Geist und die Untrennbarkeit tief in sich selbst zu spüren.

Das Morden und die Verachtung von Tier, Natur und Mensch muß endlich aufhören, denn sonst sind Wir nur wirtschaftliche Kannibalen.

Nur wenn uns das Glück und Wohlergehen des Nächsten an erster Stelle steht, dürften Wir behaupten ein gottesfürchtiges Leben führen zu wollen.

Alles andere sind nur Lippenbekenntnisse und ich glaube meinen Halbpostulanten heutzutage gar nichts mehr.

Es soll endlich wahrgemacht werden in Gottes Namen, und nicht nur LÜgen, Dreck, Täuschung und Umweltverbrechen in der Welt verbreitet werden.

Ich wollte lieber vor Appetitlosigkeit verrecken als mich noch eine Sekunde einer lügenhaften Demagogie hinzugeben.

Ich wollte vor mir selbst ehrlich wirken, wobei ich scheinbar in einem eigenartigen Strudel von Verstrickungen gefangen zu sein scheine.

Ich bin aber nicht gefangen, weil in meinem Geist schon heute alle Implikationen enthalten sind.

Ich sterbe in Freude und Fülle und Schweigen, aber ich habe nochmal Luft geholt um einem gedanklichen Postulat, Ausdruck verliehen zu haben.

Ich wollte fühlen und dabei auch weinen.

Ich danke Kinski von ganzem Herzen für seine Zivilcourage, denn die Anderen haben keine.

Lebt wohl .....im Versuch des Versuchs....

danke danke Herr geyer für den tollen Bericht! 1971 da wäre ich sehr sehr gerne dabei gewesen!

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Titel

Orignaltitel

Jesus Christus Erlöser

Englischer Titel

Jesus Christ Saviour

Credits

Regisseur

Peter Geyer

Schauspieler

Klaus Kinski

Land

Flagge DeutschlandDeutschland

Jahr

2008

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