Caos Calmo (Stilles Chaos) von Antonello Grimaldi

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Die wartende Sphinx auf der Parkbank

Nach den Pleiten der letzten Jahre, endlich ein italienischer Film, der bewegt. Und da er erst eine halbe Stunde vor Mitternacht begann und mich die ganze Zeit wachhalten konnte, gilt das Kompliment doppelt.
Nanni Moretti spielt einen Mann, der plötzlich (im Film nach etwa drei Minuten!) seine Frau verliert. Unfähig zu trauern, geht er nicht mehr zur Arbeit als Chef in einen römischen Großkonzern, sondern verbringt nun die Tage auf einer Bank vor der Schule seiner kleinen Tochter. Er bringt sie hin, wartet bis die Schule aus ist, fährt mit ihr Heim, liest ihr vor. Während er wartet entwickelt sich in dem kleinen Park, in einem Café nebenan ein neuer Alltag, bestimmt von Begegnungen mit der Nachbarschaft beim Warten und Besuchen seiner Freunde und Familie in diesem, ja, Außenbüro. Das ist charmant, witzig und melancholisch in einer sehr gelungenen Mischung.

Das Paradox zu Anfang des Films ist die Tatsache, dass während seine Frau starb (sich wohl aus dem Fenster stürzte, so klar sagt das niemand) Pietro am Strand mit seinem Bruder zwei Frauen vor dem Ertrinken rettete. Er war nicht da, um seine Frau zu retten, aber hat gleichzeitig einer anderen das Leben gerettet. Dieser Frau wird er später begegnen und die wilde, lange Sexszene, nachdem der Film 90 Minuten nur Gespräch, Schweigen und Diskussionen gezeigt hat, ist der Beginn seiner Rückkehr in die normale Welt, jedenfalls das Ende des Wartens. Pietro wartet ein Jahr lang auf seine Tochter, aber eigentlich auf ein Gefühl. Irgendeines. Zwischendurch fertigt er wie im Film High Fidelity allerhand Listen in seinem Kopf an, von Dingen, die er gemacht hat oder machen will oder nie wieder machen will.

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Pietros Blick von der Parkbank auf die Leben der anderen hat ihn verändert und in nur einigen Gesprächen klingt durch, dass der ruhige, nette Vater, der gute Bruder und Schwager VOR dieser Zeit offenbar nicht immer das Richtige tat. Die Gespräche Pietros mit seinem Bruder, einem Jeansdesigner sind immer witzig, die Gespräche mit seiner kleinen Tochter voller Esprit und Liebe, gleichzeitig versuchen die Kollegen aus der Firma ihn in ein Ränkespiel zu ziehen und sehen in ihm einen Partner für ihre Pläne oder eine Art Sphinx, die ihre Fragen beantworten kann. Vorgeblich kommen sie, um ihn zu trösten, reden dann aber doch meist über sich selbst. Seine Schwägerin baggert ihn an, er macht jeden Tag ein Kind glücklich und flirtet mit einer Frau, ohne je mit ihr zu sprechen - alles in dem kleinen Kosmos des Parks und einigen Ausflügen in Rom. Und am Ende gibt es noch eine Art Cameo Auftritt von Roman Polanski als amerikanischer Firmenboss und wir Zuschauer und auch Pietros Freunde werden feststellen, dass wir nicht ahnen konnten, was er tun wird.
Großartige Musik u.a. von Rufus Wainwright und Radiohead, eine beobachtende, ruhige Kamera, treffsichere Dialoge, kein bisschen Pathos, sondern sanfte Melancholie und Humor. Ein wirklich schöner Film über Trauer, Verlust und die Zeit.


Kommentare ( 2 )

sehr schöne kritik. von der stimmung her anscheinend ein echter "moretti"

Habe leider nur die erste Stunde davon gesehen, und dadurch leider auch die wilde Sexszene verpasst, über die sich jetzt alle streiten. Hmpf.
Was ich allerdings gesehen habe, hat mir gut gefallen. War vor allem nicht kitschig, was bei dem Thema eine Kunst ist.
Endlich ma ein italienischer Wezttbewerbsfilm, bei demich mich nicht in Grund und Boden schämen muss. Grazie mille, Signor Grimaldi!

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Titel

Orignaltitel

Caos calmo

Englischer Titel

Quiet Chaos

Credits

Regisseur

Antonello Grimaldi

Schauspieler

Isabella Ferrari

Alessandro Gassman

Valeria Golino

Nanni Moretti

Blu Yoshimi

Land

Flagge ItalienItalien

Jahr

2008

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