Max Ophüls Festival: "Allein in vier Wänden" von Alexandra Westermeier

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Eine sehr starke Dokumentation über ein Jugendgefängnis im russischen Ural. Ganz im Sinne von Roland Koch werden hier Kinder zwischen 11 und 15 nach Straftaten, die bis zu Mord gehen für drei Jahre weggesperrt. Doch das Lager ist weniger ein Knast als ein Militärcamp mit viel Unterricht und Arbeit. Dieser Film dokumentiert den erbärmlichen staatlichen Versuch, eine militärische Drillantwort auf eine soziale Frage zu geben. Ganz wie beim Militär werden daher den Jungs zuerst die Haare abrasiert und dann erzählen diese ältesten 12 Jährigen, die ich im Kino je gesehen habe, von einem elenden Leben. Einige Jungs erhalten erst in diesem Camp regelmäßig zu Essen gehen, in die Schule lernen und lesen, finden echte Freunde und einen Alltag ohne Drogen, Alkohol und Gewalt. Da wird mancher im Sinne solider 50er Jahre Pädagogik denken, Orrrrrrdnung und Dissssziplin haben noch niemandem geschadet! Erst ganz am Ende des Films, nachdem wir all diese tragischen Geschichten von Kindern gehört haben, die nie Kinder sein konnten, erst dann die lapidare Zeile: 91% der Jugendlichen, die in diesem für russische Verhältnisse sehr progressiven Lager eingesperrt werden, landen wieder im Gefängnis......

Das Problem - ob in seiner wegen Armut, Verwahrlosung, Gewalt und zerstörten Familien in Russland besonders extremen Fall oder in den dagegen fast harmlos wirkenden deutschen Verhältnissen - Jugendkriminaltiät ist nicht im Nachhinein lösbar, egal ob mit Straflager oder Reformknast. Die Probleme fangen vorher an, in den Familien, in den schlechten, von Verwahrlosung und Perspektivlosigkeit gezeichneten Lebensverhältnissen der Menschen in den sowjetischen Trabantenstädten. Und da müssen sie auch gelöst werden.

Der Film wirft besonderes Augenmerk auf einen Jungen, der betrunken einen anderen Jungen erschlagen hat. Er ist intelligent und folgsam, er scheint fast einsichtig und bekehrt. Dann berichtet er emotionslos, von dem Mord, davon, dass er seinen Vater vermisst, einen armen Bauern auf einem verlotterten Hof den wir auch kennenlernen. Der Jung hat keine Ahnung, was aus ihm wird, wenn er rauskommt. Und so ahnt man, was aus ihm wird. Alle erzählen auch von Toten, Mördern und Verschwundenen in ihrem Umfeld, einer von seiner Mutter die gleich nebenan im Frauenknast sitzt und einer Schwester, die vor einem halben Jahr erschlagen wurde - und das mit einer Selbstverständlichkeit, die erschütternd ist.
Alle Jungen berichten von Gewalt, trinkenden, schlagenden oder nicht vorhandenen Eltern, von Armut, alle haben mal auf der Straße gelebt. Einige werden vor der Kamera wieder zu Kindern, wenn sie bibbernd auf einem Zahnarztstuhl sitzen, sich jeden Abend in den Schlaf weinen oder sehnsüchtige Briefe an Mama schreiben und genau den Tag wissen, wann sie Besuch bekommen haben und wie viele Briefe sie in zwei Jahren erhielten. Dann werden diese verhärteten Jungen, die mehr Mist in ihrem Leben erlebt und gemacht haben, als man in 60 Jahren ertragen kann, dann werden sie wieder kurz zu Kindern, die nur eines sich Wünschen: Halt und Zuneigung. Ein Junge, der aussieht wie die geschrumpfte Version des Milliardärs Abramowitsch, erzählt dann unter Tränen, wie sein Papa auf „Dienstreise“ ging und nie zurückkehrte und er noch heute weiß, wie das Nummernschild des wegfahrenden Wagens aussah, so hat es sich in seine Seele eingebrannt. Ein anderer erzählt voller Wehmut von den schrumpeligen, harten Händen seiner Mutter und ihren Bratkartoffeln.

Der Film lässt aber einige Punkte offen, die zum Verständnis in diesem Lager wichtig wären: Was passiert mit den Jungen, die die strengen Regeln zwischen Unterricht, Putzen, Arbeit an Maschinen zum Kartonherstellung, ein bisschen Sport und dann 9 Uhr Licht aus im Schlafsaal brechen? Gibt es Gewalt im Lager? Man kann kaum glauben, dass an einem Ort wo 120 Gewalttäter und Diebe zusammen, immer alles glatt läuft. Davon erfährt man aber leider gar nichts, wiewohl die Konzentration des Films allein auf die Aussagen der Jungen und einige Ausflüge zu den Eltern der Kinder sehr gelungen sind.
Am Ende lässt der Film mich irritiert zurück. Ist dieses Lager die Antwort, diesen Kindern das zu geben, was sie brauchen (so wirkt es)? Aber dann erfahren die Zuschauer, dass 90% eben doch rückfällig werden, entgegen ihren Beteuerungen, die Lektion gelernt zu haben.

In der Schlussszene singen die Jungen dann ein russisches Soldatenlied von Heldentum und Mut: "Der russische Junge weicht nie den Kugeln aus!".Dazu stecken diese Burschen, die alles andere als Chorknaben sind, in kratzigen Anzügen, engen Hemden mit silbernen Fliegen, schick und ordentlich, sie sehen alle aus wie Mamas Liebling. Sie sehen so aus - mehr nicht. Dazu das martialische Lied. Toll!

So lässt der beeindruckende, bedrückende, tragische und aufwühlende Film einen zurück, ohne den Versuch zu unternehmen, einfache Antworten zu geben. In der absurden Diskussion, die im Moment in Deutschland läuft, kann im Prinzip jede Seite in ihm Argumente für die eigene Haltung finden. Nur eines ist sicher: Für diese Kinder hat schon 11 oder 13 Jahren der Weg in die Dunkelheit begonnen. Ein Lager wird die wenigsten dabei aufhalten.

Kommentare ( 7 )

Die Fragen bei solchen Filmen ist natürlich auch, wie frei gefilmt werden konnte in solchen Lagern. Die habe bestimmt die Drehgenehmigung nicht ohne Auflagen bekommen.

Ja, vielleicht der Höhepunkt des Festivals. Viele Bilder wirken noch in mir nach: Hoffnungslosigkeit, Stumpfsinn und Arbeitslosigkeit zuhause, Heimweh, Sehnsucht und ein bisschen Halt im Lager. Was mich am stärksten berührt hat, war die Aussage des jungen Mörders, dass er sich, kaum entlassen, erstmal volllaufen lassen wolle. Das zeigt für mich auf besonders einleuchtende Weise die Aussichtslosigkeit dieser kleinen, zarten Menschen. Ein ganz besonderer Film!

wo kan man dan film ankuken ??

ich glaube, dass diese menschen einfach eine schlimme vergangenheit hinter sich haben und deshalb so agressiv geworden sind.

Der ilm wurde letzten Samstag, 26.11.2011 (Sender, weiß ich leider nicht mehr) ausgestrahlt. Der Film hinterlässt einen wirklich ohne Aussicht auf Hoffnung; das bringt einen fast zum Weinen; die Frage mit der man zurückbleibt ist wirklich die: was macht dieses Land (hier war es im Ural) mit seinen Menschen; wieviel solcher Gegenden in dem Riesenreich gibt es noch? das Militär hat dankbaren Zulauf, was bleibt ist den Kindern der Ausblick auf "Kanonenfutter"; viel mehr wohl nicht; wie war es eigentlich vorher in diesem Riesenreich? wie wurden da die Kinder und Familien versorgt? ging es ihnen nun besser? das Analphabetentum wurde im ausgeprägten Kommunismus beinahe abgeschafft, wenn ich mich da nicht täusche und jetzt? wie geht dieses Land in die Zukunft? reich an schlauen Köpfen und Bodenschätzen? und dann das? genau, wie in den USA, in ihren Camps, aber das hier ist noch eine Nummer härter, wenn man das gesehen hat; schonungslos; und sicher scheppert es auch in diesem Heim; wer weiß, wieviel "Kaspar Hausers" es da gibt in den Heimen, die keiner sieht und das Dreh-Team auch nicht gesehen hat; jedenfalls, jedes Kind tut mir in der Seele leid, und ich bete und hoffe, daß sich die Zahl der Kinder, die das erleben müssen, eines Tages reduziert auf 0 %, denn jedes Prozent ist zuviel, im übrigen -weltweit-.

Der Film ist gut, kann man auch auf youtube Anschauen!

Den Film kann man auf Youtube schauen.
man findet ihn unter -> Kinder hinter Gitter

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