Von Brandstiftern und Kindern

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"Jesus Camp" von Heidi Ewing und Rachel Grady, USA 2006

Eines vorweg: „Jesus Camp“ ist eine Tortur. Kinder, die in Weinkrämpfen zusammenbrechen, sich in Zuckungen am Boden winden, in Zungen Reden und von Erwachsenen solange in hysterische Zustände getrieben werden, bis sie alles nachbeten, was ihnen vorgesagt wird, sind kein schöner Anblick. Dennoch sollte man diesen Dokumentarfilm, der nicht nur im Rahmen des ueber morgen-Festivals in Berlin gezeigt wird, sondern am 1. November in ganz Deutschland anläuft, auf jeden Fall sehen. In „Jesus Camp“ zeigt sich die radikale christliche Bewegung der USA der Evangelikalen, so wie sie ist: selbstbewusst als selbsternannte Krieger in einem politisch-ideologischen „culture war“, für den sie eine neue Generation von wahren Christen erziehen wollen. Die Filmemacherinnen Heidi Ewing und Rachel Grady entlarven die Evangelikalen nicht. Das ist nicht notwendig. Becky Fischer und die anderen Prediger, die das Feriencamp „Kids on Fire“ organisieren, sind stolz auf ihren Radikalismus. Als Mike Papantino, der Moderator einer eher gemäßigten christlichen Radio-Talkshow, sie der „Indoktrination“ bezichtigt, kann Fischer an diesem Begriff nichts Negatives finden.

„Jesus Camp“ ist vor dem Hintergrund einer politischen Auseinandersetzung in den USA entstanden. Die äußerste religiöse Rechte hatte in den Präsidentenwahlen vom November 2004 den überwiegenden Teil ihrer Anhänger in einer beispiellos effektiven Kampagne zur Wahl von George W. Bush mobilisiert. Im Jahr 2005 starben dann in kurzer Zeit zwei der auf Lebenszeit vom Präsidenten ernannten Richter des Supreme Court, der höchsten juristischen Instanz der USA. Das war für die religiöse Rechte das Signal, die politischen Zinsen für ihren Einsatz im Wahlkampf zu fordern: Bush sollte zwei möglichst konservative Richter benennen und der Senat sollte die Nominierungen bestätigen. Durch diese Personaldebatte rückten in der öffentlichen Diskussion verschiedene gesellschaftliche Fragen noch stärker in den Fokus, insbesondere das Recht auf Abtreibung und die Rechte von Homosexuellen. Diese Debatten wurden mit großer Schärfe ausgetragen und gerade von den radikalen Christen weiter zur Mobilisierung genutzt.

Im Zentrum der Dokumentation steht Becky Fischer. Fischer wirkt, wie wir uns eine Durchschnittsamerikanerin vorstellen: Freundlich, gemütlich, bieder und irgendwie solide. Sie ist Predigerin der „Christ Triumphant Church“ in Missouri und veranstaltet Ferienlager für Kinder zwischen fünf und zwölf Jahren. Ihr Ziel formuliert sie vor laufender Kamera: „Ich will, dass die jungen Leute genauso radikal ihr Leben hergeben für die Bibel, wie das junge Muslime in Pakistan, Palästina und in anderen Gegenden der Welt tun.“ Diese Aussage kann man nicht missinterpretieren. Zwei Sätze zuvor hat sie fast bewundernd über die „Feinde“ gesprochen, die ihre Kinder so ausbildeten, dass sie bereit seien, sich für die „Sache des Islam“ umzubringen.

Mit diesen Zitaten hat „Jesus Camp“, der 2007 eine Oscar-Nominierung als bester Dokumentarfilm erhielt, das Terrain abgesteckt und führt uns in die Welt des „Kids on Fire“-Camp. In dieser Welt sind alle Werte außer Kraft gesetzt, die eine aufgeklärte Gesellschaft kennt. Es zählt nur noch „der perfekte Wille Gottes“, wie ihn die Prediger interpretieren. Die Techniken, die sie nutzen, sind die der Manipulation. Der Kamera zeigt im Close-up gnadenlos wie die Kinder so stark emotional aufgewühlt werden, dass sie einerseits in ständiger Angst aufgrund der eigenen „Sündhaftigkeit“ leben und andererseits stolz darauf sind, zu den Ausgewählten der neuen Generation zu gehören. Man kann darüber streiten, ob die beiden Regisseurinnen nicht auch Grenzen überschreiten, weil sie die Gefühlswelt der Kinder mit der Kamera offenlegen. Dabei sollte man jedoch immer im Blick behalten, dass die Kamera ganz klar nicht der Auslöser für diese psychischen Ausnahmezustände ist – das sind eindeutig die Leiter des Camps: Brandstifter im religiösen Wahn.

Die Methode der emotionalen Überwältigung ist ebenso effektiv wie perfide. Den Teilnehmern des Camps wird jede Möglichkeit genommen, selbst über etwas nachzudenken oder sich ein eigenes Urteil zu bilden. Das wird besonders in dem Moment deutlich, wenn sich religiöse und politische Inhalte der sogenannten Predigten vermischen. Schließlich sollen die Kinder Kämpfer in dem von den wiedergeborenen Christen erklärten „culture war“ werden. Es wird für George W. Bush und seinen Kandidaten als Richter am Supreme Court und gegen die Abtreibung gebetet, Global Warming und Darwins Evolutionstheorie werden als gefährliche Irrlehren gebrandmarkt. Die Agenda der radikalen Christen ist politisch. Die Kinder sollen als Missionare wirken und dabei neben der Heiligen Schrift auch noch politische Botschaften verkünden. Das ist auch das, was sie in ihren Familien zu hören bekommen, wie der Film in einigen Szenen zeigt: So folgt er zum Beispiel der neunjährigen Rachael und dem zwölfjährigen Levi nach Hause. Die Kinder werden nicht in der Schule, sondern von den eigenen Eltern unterrichtet. Für sie gibt es nur ein Weltbild und keine Zweifel.

Ewing und Grady ist ein journalistisch herausragender und überwältigender Dokumentarfilm gelungen, weil sie die Dinge zeigen, wie sie sind - ohne zu kommentieren oder vordergründig zu inszenieren. Am Ende von „Jesus Camp“ ist man ebenso erschöpft wie ratlos. Wie kann so etwas in einem Land passieren, was nicht zuletzt gegründet wurde, um religiöse Freiheit zu garantieren und das schon 1791 in der ersten Verfassungsänderung die strikte Trennung zwischen Staat und Kirche festschrieb? Ein Star der religiösen Rechten, der Prediger Ted Haggard, der im zweiten Teil des Films zu Wort kommt, sagt: „Wir wachsen schnell genug, um den Ausgang jeder Wahl zu entscheiden, wenn die Evangelikalen zur Wahl gehen.“ – Gott steh’ uns bei.

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