Die „Fliegende Bank“ am Boden

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“Grounding – Die letzten Tage der Swissair“ von Michael Steiner, Schweiz 2006


Am Dienstag, dem 2. Oktober 2001, konnte man rund um den Globus Schweizer weinen sehen – auf Flughäfen. Männer und Frauen standen fassungslos in den Abfertigungshallen oder mussten die Flugzeuge wieder verlassen: Die Swissair, von den Eidgenossen selbstbewusst die „Fliegende Bank“ genannt, war zahlungsunfähig. Weil die Fluglinie weder das Benzin noch die Flughafengebühren zahlen konnte, blieben die Maschinen am Boden. Die Passagiere halfen zum Teil den Crews sogar, das Gepäck wieder auszuladen, weil das Flughafenpersonal ohne vorherige Bezahlung den Service verweigerte. Der Schweizer Regisseur Michael Steiner hat aus dem Wirtschaftsdrama einen dokumentarischen Spielfilm gemacht, der auch beleuchtet, wie ein Unternehmenszusammenbruch zum privaten Drama für die Mitarbeiter wird.

„Grounding“ funktioniert hervorragend als Wirtschaftskrimi, denn wer hätte das gedacht? Ausgerechnet die Schweiz, Sinnbild für solides, verlässliches und vor allem ungeheuer einträgliches Unternehmertum, ist der Nährboden für eine der katastrophalsten und vor allem spannendsten europäischen Unternehmenspleiten. Die Schweizer stürzte diese Pleite vor sechs Jahren sogar in eine Identitätskrise, so stark war die Identifikation mit der Fluglinie, die nicht umsonst das Schweizerkreuz auf der „Heckflosse“ ihrer Maschinen trug. Steiner inszeniert seine Geschichte um die letzten Tage der Airline gekonnt und ungeheuer dicht. Er montiert in seinen Spielfilm immer wieder Fernsehausschnitte, die Interviews mit den echten Handelnden zeigen. Als Zuschauer fliegen einem die Details im verkrüppelten Wirtschaftsenglisch der heutigen Managerkaste nur so um die Ohren: Da wechselt die „Phoenix-Strategie“ die „Hunter-Strategie“ ab und Berater säuseln beseelt von Synergien. Auch wer nicht jede Einzelheit versteht, begreift schnell: Die Zahlen der „refreshing airline“ sehen nicht gut aus.

Das Monetäre ist in dieser Geschichte jedoch nicht das wirklich Spannende. Interessant sind die Intrige, der Skandal und der Kampf von (meistens) Mann gegen Mann. Steiner personalisiert und polarisiert stark: Auf der einen Seite steht Mario Corti, den der neue Verwaltungsrat als Retter installiert, nachdem der alte Verwaltungsrat zurückgetreten ist, weil sich Swissair im Sturzflug befindet. Corti verlässt seinen sicheren Job als Finanzchef bei Nestlé und hängt sich von der ersten Sekunde an voll rein. Er will es ehrlich schaffen für die Mitarbeiter, für das Unternehmen und die ganze Schweiz. Allein die roten Zahlen sind noch dicker als gedacht, wie Corti feststellt, nachdem er eine realistische Bilanz aus seinen bockigen Managern herausgepresst hat. Corti spart, spart und spart, verkauft Gesellschaften und entlässt Mitarbeiter, kann aber im Jahr 2001 nicht das reinholen, was die Jagd nach Airlines seit 1995 gekostet hat. Als Gegenspieler fungieren die Chefs der Schweizer Vorzeigebanken UBS und Credit Suisse und diverse Bundespolitiker, die sich im September 2001 nicht darauf einigen können, wer mit welchem Anteil die Restrukturierung finanzieren und die Swissair flüssig halten soll.

Steiner konzentriert sich nach einer knappen Darstellung der Vorgeschichte auf die Amtszeit Cortis von März 2001 und besonders auf die Tage unmittelbar vor dem ominösen 2. Oktober 2001. So beschleunigt er den Film ungemein und kann trotzdem nach die Parallelhandlung der privaten Nöte dreier Swissair-Mitarbeiter einbauen, die aus den jahrelangem Missmanagement entstehen. Dieser Erzählstrang ist an einigen Stellen etwas zu pathetisch, aber zwei Dinge werden nur zu deutlich: Die Motivation der Mitarbeiter ist bis zuletzt ungebrochen und doch sind sie dem Desaster des Zusammenbruchs „ihrer“ Fluglinie hilflos ausgeliefert.

„Grounding“ reißt auch kurz an, was nach dem Oktober 2001 geschah. Zunächst wurde die Swissair über eine Nachfolgegesellschaft mit insgesamt 4,3 Milliarden Franken von den Banken und dem Schweizer Staat, der einen Kredit von sF 1,45 Milliarden beisteuerte und eine Beteiligung von 600 Millionen beisteuerte, wieder flüssig gemacht. „So wurde die klinisch tote Swissair zum Zombie Swiss“, wie die Weltwoche im März 2003 schrieb. Diesem Zombie geht es jetzt wieder bestens, nachdem er von der Lufthansa für die vergleichsweise geringe Summe von 310 Millionen Euro übernommen wurde, was die Schweizer erneut erzürnte. Der Film führt es vor Augen: Pleiten sind für Manager selten teuer, für Mitarbeiter und Steuerzahler aber meistens. Immerhin – das Schweizerkreuz auf dem hinteren Leitwerk ist auch der Swiss geblieben.

Kommentare ( 1 )

Weinende Schweizer am Flughafen. Interessant, dass aus dieser Ausgangssituation ein spannender Film entsteht;-)
Wenn ich mal Lust auf einen Wirtschaftskrimi der anderen Art habe musst du mir die DVD mal ausleihen. Wäre ja auch was für Emilio. Dann machen wir einen Swissair-Gedenkabend und halten die Taschentücher bereit - hast du welche mit passendem Emblem, Milo?

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