Cannes kanns!

dies vorweg: ich muss meine Kritik, Cannes sei doch nicht deutlich besser besetzt, als die Berlinale wohl revidieren. Vielleicht lag die Verteidigung unserer Berlinale in dem fast traditionellen Berlinalebashing begründet, das einfach nervt. Wenn es aber stimmt, was man so hört und liest, dann gibt es im Wettbewerb in Cannes in diesem Jahr hoch anspruchsvolle, wirklich politische (nicht welche, die laut Festivalleiter den Anspruch erheben), ungewöhnliche und ästhetisch herausragende Filme – also so ziemlich das Gegenteil von dem, was im Wettbewerb der Berlinale los war...Aber ich will nicht vorgreifen:

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Als Favorit auf die goldene Palme sehen schon jetzt viele Ulrich Seidel „Import/Export“. Ähnlich wie in seinem beklemmenden, bis zum Ekel gehenden Film „Hundstage“ über einen heißen Sommertag irgendwo in Österreich ist auch sein neuer Film mit Laien gedreht und an Orginalschauplätzen in Österreich und der Ukraine. Diesmal offenbar eine Art negative Globalisierungsgeschichte, die vor allem zwei Charakteren folgt: zum einen Olga, die aus der Ukraine nach Österreich zum Arbeiten geht. In die andere Richtung geht Paul, der mit seinem Stiefvater in der Ukraine Kaugummiautomaten aufstellt. Eine düstere Kommödie, bei der den Kritikern das Lachen im Halse stecken blieb, ....

...die Kontroversen über die Grenze des „guten Geschmacks“ und der Zuschaustellung von Laien (also eine doppelte Ausbeutung der Globalisierungsverlierer) wachrief, womit Kritiker aber oft versuchen, die notwendige Debatte über die gezeigten sozialen Zustände, das Elend der Unterschicht auf eine ästethische bzw. moralische Ebene umzulenken. Bei Seidels Filmen geht es aber nie um Weltflucht, sondern um die Kollision mit ihr. Und das tut weh.

Als fast klassisch dokumentarisch und zugleich typisch für diesen Regisseur wird der neue Film von Michael Moore beschrieben: "Sicko". Er potraitiert das amerikanische Gesundheitssystem und vergleicht es mit einigen in Europa und dem in Cuba (weshalb irgendein Idiot ihn jetzt wegen Bruch des Embargos verklagen will). Auch ohne seine berüchtigte Methode die Verantwortlichen vor laufender Kamera mit Fragen zu konfrontieren, scheint "Sicko" wieder eine erfreulich links-propagandistische Arbeit zu sein, wie Moores vorherige Filme, allen voran der Cannes Gewinner „Fahrenheit 451“.
Aber gerade Englands Gesundheitssystem, eines der lang verkorktesten in Westeuropa (inzwischen improved), als vorbildlich darzustellen oder Kubas Gesundheitssystem ganz unschuldig isoliert zu betrachten, ohne den Preis, den die Kubaner dafür bezahlen: nämlich diktatorisch und mit regelmäßigen Menschenrechtsverletzungen regiert zu werden – nun das ist eben Vereinfachung a la Moore. Aber ohne Provokation und Propaganda keine Bewegung – das scheint ihm auch diesmal gelungen zu sein. Denn die Frage ist ja berechtigt: wie und warum kann eine von den ärmeren Nationen wie Cuba ein exzellentes Gesundheitssystem schaffen, wenn die reichste und mächtigste Nation der Erde seine Bürger regelrecht auf der Straße verrotten lässt, und Menschen für eine Operation Haus und Hof verpfänden.

Ebenfalls mit Laien, die der Regissseur Gus van Sant über das Internetportal „myspace“ rekrutiert hat, arbeitet "Paranoid Park". Van Sant entwickelt sich offenbar allmählich zum Seismographen der Jugendszene in den USA. Nach seiner Todestrilogie: Gerry, Elephant und Last Days ist dies ein Film über die Skaterzene in Portland Oregon. Die Stadt, in der sein My Private Idaho spielte. Back to the Roots gewissermaßen. Was man hört verfolgt die Kamera die Jungs in ihrem Alltag irgendwo zwischen Pubertät, existenziellen Konflikten, Leere und Lust. Erwachsen erscheinen fast wie in den alten Peanuts Cartoons nur als quakende Kolosse, deren Gesicht man nicht sieht. Die jungen Menschen haben ihre eigene Welt geschaffen. Die Gewissensbisse der Hauptfigur über den Tod eines Mannes werden dann offenbar ganz jugendgerecht nicht in Sprache, sondern in Handlung und Stille übersetzt. Auch darauf darf man sehr gespannt sein.

Den üblichen Medien-Fuzz gab es um den Besuch von Brangelina (Brad Pitt und Angelina Jolie). Sovie „Uffrejung“, dass der Regisseur des Films, Michael Winterbottom dahinter verschwand, was schade ist, weil so mal wieder der Celbrity Kult die Ernsthaftigkeit des Anliegens gekapert hat. Oder ihm Öffentlichkeit verleiht, könnte man natürlich auch argumentieren.
Jolie spielt die Frau des in Pakistan von Terroristen enhaupteten Journalisten Daniel Pearl, Mariane Pearl, Brad Pitt hat den Film produziert. Beide bemühten sich sichtlich alles Stargetue zu unterlassen, als sie neben Mariane Pearl saßen. Gedreht wurde wie in Winterbottoms „Road to Guantanamo“ größtenteils an Orginalschauplätzen (das scheint Trend zu sein!). Der Film "A mighty Heart" befasst sich offenbar nahe an einen Thriller gelehnt mit den letztlich fehlgeschlagenen Versuchen Daniel Pearl zu finden, nachdem man ihn entführt hatte.

Sehr sympathisch und direkt von Cannes berichtete Fatih Akin, dessen Wettbewerbsbeitrag am Mittwoch lief und sehr wohlwollend aufgenommen wurde, von seinen Festival Erlebnissen. Da hat man das Gefühl, hier ist ein Regisseur, der weiß, wo er herkommt, was er mag und der sich traut, laut von Dingen zu träumen. Der es selbst kaum fassen kann, was da mit ihm alles passiert ist in den letzten Jahren. Jemand, der noch immer staunt wenn er an einem Tisch zusammen mit Amos Gitai, Jim Jarmusch, Alfonso Cuarón, Guillermo del Toro, Alejandro Gonzalez Inarritu, Jerry Schatzberg und Festspielchef Thierry Frémaux sitzt, und sich freut, dass er von Scorcese gebeten wird, Kopien von „Gegen die Wand“ für ihn zu organisieren. Akin ist jemand, der im Gegensatz zu unserem nassforschen Oscarburschen Florian Henckel von Donnersmarck nie nach Beverly Hills ziehen würde für den nächsten Film. Er will in Amerika nur drehen und freut sich ansonsten, dass Hollywood anklopft. Der Mann macht angenehm wenig Trara um sich selbst, trotz des Festivaltrara und Namedropping-Abenden. Hier der ganze Text.

Und jetzt warten wir auf die große Abrechnung am Wochenende. Sicher ist eins: Dieses Mal wäre sich sehr sehr gern in Cannes gewesen. Ach was rede ich, man sollte da immer sein wollen...


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