Zwei Filme übers Sterben - also das Leben!

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"Dans le villes" von Catherine Martin (Forum)

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"Chrigu" von Jan Gassmann & Christian Ziörjen (Forum)

In „Dans le Villes“ ist Herbst und es wird Winter. Drei Frauen unterschiedlichen Alters sind einsam - nicht nur allein, sondern wirklich einsam. Das Leben fühlt sich für sie nur noch an, wie eine Last, ein Schmerz. Der blinde Mann im Film ist auch allein, aber scheint einen Weg gefunden zu haben, die Einsamkeit, die bei ihm sogar noch Dunkelheit ist, zu bannen.
„Chrigu“, der auf den ersten Blick ein Dokumentarfilm über Krebstod eines lebensfrohen jungen Mannes ist, befasst sich doch vielmehr mit dem Leben, als „Dans le villes“. Dieser junge Mann ist nicht allein, will gerade nicht sterben, weil er das Leben liebt.

Stille dominiert „Dans le Villes“. Da ist die Stille, in der Fanny nachts weinend in ihrem Bett erwacht, die Stille, wenn die alte Dame Joséphine nachmittags vor sich hinstarrend im Ohrensessel sitzt, die Uhr tickt und der Staub tanzt im Sonnenstrahl, der durch die zugezogenen Vorhänge fällt; und da ist die Stille, welche die junge, depressive Carol in sich selbst spürt und zum totalen Schweigen veranlasst und zu keiner einzigen Regung ihres Gesichts. Der blinde Jean-Luc fotografiert, weil er die flüchtigen Momente bannen will, egal ob er sich die Fotos auch wird ansehen können – auch er ist allein, aber scheint einen Weg gefunden zu haben, damit zu leben.

Fanny kommt mit all den Figuren in Kontakt, und weil sie auch beruflich Baumdoktor ist, sich also um immobile Geschöpfe aller Art kümmert, nimmt sie sich auch der anderen beiden Frauen an, rettet die jung vor dem Sprung von der Brücke und versucht mit der einsamen alten Dame ins Gespräch zu kommen, die nur noch durch ihre Routinen und exakte Einteilung ihrer Tage, am Leben gehalten wird.

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Großstadt-Existenzen, sagt die Regisseurin, seien die Ausgangsidee gewesen: Also die Tatsache, dass man manchmal jahrelang neben jemanden wohnt, ihn jeden Tag auf der Strasse sieht, aber nicht miteinander spricht und nichts übereinander weiß. Und so begegnet man in der Stadt am Tag hunderten von Menschen, blickt ihnen vielleicht sogar kurz in die Augen, ohne zu ahnen, dass sie sich schon an diesem Abend das Leben nehmen werden, weil sie trotz oder gerade der vielen Menschen um sich, sehr allein sind.
So ist der Film auch inszeniert: sehr langsam, spartanische Dialoge. Wir bekommen die Gefühle der Figuren nicht vorgesagt, sondern sehen sie. Die Stille, die die Figuren ertragen, müssen auch wir Zuschauer aushalten. Das gelang im Kino einigen nicht, die bei den minutenlangen stillen, ruhigen Einstellungen Einstellungen psycho-hüstelten, was die Hälse hergaben.
Am Ende überleben dieses Leben in Einsamkeit nur zwei Menschen und lauschen den Nonnen in einem Kloster, die jeden Tag für die Rettung der Welt beten. Zwei Leben haben sie so retten können scheint es.

In „Chrigu“ lernen wir Christian kennen, dem passiert, was nicht passieren darf: Mit Anfang 20 wird bei ihm ein sehr seltener Krebs diagnostiziert. Er hat zuvor schon viel gefilmt, u.a. Musikclips für die befreundete Band „Mundartisten“, auf einer Indienreise und Werbefilme. Nun filmt er sich selbst, während der letzten Phase seiner Chemomtherapie und dann als diese vorüber ist, und er wieder unter Leute darf, auf einer extra veranstalteten „Chemo is over“-Party, wo es u.a. in den Biergläsern kleine Gummikrebse liegen: symbolisch wird der Krebs im Bier ersäuft.
Der Mann hat Hoffnung, hat noch unheimlich viel vor und reflektiert ungemein präzise in jeder Phase seiner Krankheit, was sie mit ihm, seinen Plänen, seinen Freunden, seiner Familie gemacht hat.
Dann der Schocker: er hat einen Rückfall, die Ärzte geben ihn auf. Von da an beginnt ein Kampf für’s Leben, für die Momente der Freiheit, die darin bestehen können, endlich einen Schlauch aus dem Arm genommen zu bekommen, oder in der Sonne liegen. Er will sich nicht unterkriegen lassen.

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Der Film zeigt immer wieder ältere Aufnahmen von und mit Christian, auf der Indienreise, bei Konzerten und Parties, ausgelassen in seinem Freundeskreis. Diese Gleichzeitigkeit der Bilder vermittelt am deutlichsten, wie diese bekackte Krankheit von heut auf morgen alles ändert.
Nur zwei dutzend Monate liegen zwischen dem unbändigen Lebenswillen, der Vorstellung, alles noch vor sich zu haben und dem Moment als Christian mit geschwollenen Händen, aufgedunsenem Gesicht, müden Augen verkündet: „Das war’s.“

Als es ihm immer schlechter geht, übernimmt Christians Freund Jan die Aufnahmen und dokumentiert den allmählichen Verfall, die Konflikte, die es gibt zwischen der sehr klaren Erkenntnis des Kranken über seinen Zustand und den Hoffnungen der Eltern, oder weil einige Freunde nicht wissen, wie sie sich verhalten sollen ihm gegenüber.
Auch über dieses Material selbst diskutiert Christian mit seinem Freund Jan bis zu letzt: er ist immer noch Filmemacher und dann erst Kranker.

Am Ende siegt der Krebs, aber es bleibt ein bewegendes, beeindruckendes Dokument über Freundschaft, Familie, Lebenswillen und einen jungen Mann, der in einer beängstigenden Klarheit, ja Weisheit, darüber spricht, wie das Leben ist. Weil er erkannt, hat, was für jeden Menschen wohl nur schwer vorstellbar ist: dass er bald nicht mehr existieren wird.

Ein positiver, ein schöner Film, nicht rührselig oder gar belehrend, sondern so, dass man auch als Zuschauer, der diesem Menschen nie begegnet ist, Christian am Ende vermisst, wenn Freunde und Familie seine Asche vor Alpenpanorama in einen Fluss streuen.
Hier hat einer sein Leben als das begriffen was es ist: unglaublich wertvoll und doch nur ein flüchtiger Hauch.

Kommentare ( 1 )

der Film atmet langsam, sehr langsam, zu langsam um zu überleben.

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Titel

Orignaltitel

Chrigu

Credits

Regisseur

Jan Gassmann

Christian Ziörjen

Land

Flagge SchweizSchweiz

Jahr

2007

Dauer

87 min.

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