Zurück ins Mittelalter

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"Moskva. Pride '06" ("Moscow Gay Pride Festival") von Vladimir Ivanov (Panorama)

“Kann ihr mal bitte in ihre Tasche sehen?” Zivilpolizisten erkennt man sofort. Klar, denke ich, die wollen checken, ob ich eine Kamera dabei habe. Schließlich habe ich erst heute morgen in einem Branchenblatt gelesen, dass bei den Vorführungen inzwischen Nachtsichtgeräte eingesetzt werden, um die Festival-Filme vor Piraterie zu schützen. Erst später kommt mir in den Sinn, dass solche Maßnahmen bei einen Doku-Film über die Gay Parade in Moskau etwas unangemessen sind. Die Zweifel verstärken sich, als mir beim nochmaligen Herausgehen aus dem Saal vier Uniformierte in Grün auffallen.

Der Veranstalter wünscht es so“, antwortet einer der Polizisten auf meine Nachfrage. Wieland Speck, der Leiter des Panorama, nennt am Ende Vorführung schließlich den Grund für die Sicherheitsmaßnahmen. Die Einschüchterungsversuche der Nationalisten in Russland machen nicht an nationalen Grenze halt. Nicht nur die Organisatoren der Gay Parade, auch die Berlinale hat anlässlich der Vorführung von „Moskva.Pride’06“ Drohungen erhalten.


Die „Moskva Pride“ sollte der erste Christopher Street Day Russlands werden, wurde aber von Juri Luschkov, Bürgermeister von Moskaus, verboten. Aktivisten und Sympathisanten beschlossen darauf hin trotzdem wie geplant am 27. Mai 2006 zu demonstrieren.

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Der Film „Moskva.Pride’06“ rekonstruiert die drei Tage vor dem 27. Mai. Es wird gezeigt wie internationale Aktivisten und Sympathisanten sich zu einem Kongress in Moskau treffen und den Moskauer CSD in internationale Aktionen gegen Homophobie einbinden. Die unzähligen Solidaritäts-Bekundungen auf diesen Kongress, vom Schwulenmagazin in Dänemark, über die französischen Grünen bis zum Enkel von Oscar Wild Merlin Holland, erscheinen zweifellos sehr wichtig, nehmen aber in der Dokumentation einen zu großen Platz ein. Erschwerend kommt hinzu, dass die Ereignisse narrativ nur sehr oberflächlich verbunden werden. Auch fehlt jegliche Herausstellung von einzelnen Personen, die dem Zuschauer das Verständnis erleichtert hätten.

Nur ein kleiner Teil des Films widmet sich den eigentlichen Ausschreitungen gegen die Teilnehmer der Aktion „Moskva Pride“. Dies sind dann allerdings auch die eindrucksvollsten bzw. die erschreckendsten Bilder. Fassungslos schaut man zu, wie der nationalistische Mob „Moskau ist nicht Sodom“ und „Schwule raus“ skandiert, später die Demonstranten tätlich angreift und dem Bundestagsabgeordneten der Grünen Volker Beck als einer der Sympathisanten des CSD, nur ungenügend geschützt durch die russische Polizei, eine Wunde zufügt. Selbst im sicheren Kinosessel rutscht man angesichts der Lynch-Stimmung unruhig hin und her.

Den Organisatoren des Moskauer CSD und den Sympathisanten wie z.B. Volker Beck ist ihr Engagement für das Recht auf Versammlungsfreiheit aller sozialen Gruppen nicht hoch genug anzurechnen. Dies zu zeigen, um für mehr Publicity und Solidarität zu sorgen, ist auch eine wichtige Aufgabe eines Filmfestivals. Die Aufnahme in das Berlinale-Programm hat daher auch stärker eine politische Symbolik. Es ist ein Akt der Solidarität und der Gewährung von Public Space. Allerdings wünschte man sich, der Film würde über die Aneinanderreihung von Archivaufnahmen hinausgehen und durch eine Strukturierung entlang der Erzählkonvention des Dokumentarfilms Moskva.Pride’06“ einem breiteren Publikum zugänglich.

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Titel

Orignaltitel

Moskva. Pride

Englischer Titel

Moscow Gay Pride Festival

Credits

Regisseur

Vladimir Ivanov

Land

Flagge Russische FöderationRussische Föderation

Jahr

2000

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