Und noch ein Fussball-WM-Film – aber ohne Fussball

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"Subsitute" von Fred Poulet und Vikash Dhorasoo (Forum)

Kurz gesagt, dieser Film ist der maximale Gegen-Wortmann, kein Frankreich ein Sommermärchen oder so was. Es geht um Vikash Dhorasoo der in der Quali fast jedes Spiel bestritt, Spezel von Domenech war, dann aber bei der WM nur 16 Minuten spielte und beinah, ja leider nur beinah und damit kein Tor geschossen hat. So kennen heute nicht mal eingefleischte Le Bleu Fans seinen Namen. Der Film zeigt auch keine Fußballer beim rumhängen und Karten spielen, keine Spaßbilder aus den Entmüdungsbecken, keine Kabinenromantik, kein Training und auch nur vom Finale ein paar wackelige Bilder von der Tribüne.

Die eine Hälfte des Films hat der äußerst sympathische Dhorassoo aufgenommen, ein reflektierter wortgewandter Metzelder Typ. Ob er Fußball spielen kann, erfahren wir in dem Film ebenfalls nicht, weil es alles in allem 30 Sekunden Fußball zu sehen gibt. Alles sind schön nostalgische Super8 Aufnahmen, die Dhorassoo selbst während der WM aufgenommen hat. Dhorassoo kommt ins Hotel, Dhorassoo auf seinem Zimmer, Dhorassoo filmt aus dem Mannschaftsquartier in den Garten, Dhorassoo filmt den Gang und den Essensraum im Hotel wo irgendwelche anderen Spieler oder Offizielle oder Sicherheitsleute (Armadas von Helfern überall!) unterwegs sind. Die andere Hälfte von "Substitute" filmt Fred Poulet Dhorassoo dabei, wie er im Stadion auf der Bank sitzt, in den Bus steigt, aus dem Bus steigt, wie er am Flughafen ankommt und Autogramme gibt und wie es nur unter größtem Aufwand gelingt, an die streng abgeschirmte Mannschaft für 2 Minuten ranzukommen. Selbst Dhorassoos Frau darf nur mal kurz vorbeischauen, die beiden treffen sich auf der Terrasse des Schlosshotels in Niedersachsen, kurz vorm Training – das klingt gar nicht nach dem Land der Liebe und Lebenslust.

Überhaupt lernt man viel über die Tristesse, ja die Tristesse einer WM, wenn man nicht Zuschauer, sondern Spieler und noch schlimmer ERSATZspieler ist. So rutscht Dhorassoo dann auch in eine gepflegt Depression. Seine Gedanken hält er auf einem Band fest, das über die Filmspur montiert ist. Er versucht sich immer und immer wieder einzureden, dass es doch eine Ehre ist, zu den 23 besten Franzosen zu gehören, zur WM zu fahren und all das, aber dann spürt man den Frust und die Traurigkeit, dass, wie er es nennt, der „Trainer ihn verraten hat“ und philosophiert über die Sinnlosigkeit an einer WM teilzunehmen, wenn man nicht spielt. Der Jung WILL Fußballspielen, nach sicher.

Auch schön die anthroposophischen Beobachtungen des französischen Regisseurs Poulet, der irgendwo bei einem netten Rentnerpärchen in einem Haus am Stadtrand von Hannover oder sonstwo untergekommen ist: teilnehmende Beobachtung pur: Vatti repariert im Werkraum eine Kamera von Poulet und seine Frau stellt Fragen, Poulet steht deutschen Sommerabend am Jägerzaun und raucht Gauloise, wirft dann seine Zigarette brav in den Gulli.

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Der Ton zu den Bildern besteht also aus Musik sowie den Monologen von Dhorassoo und aufgezeichneten Telefonsgesprächen mit Poulet (sie konnten sich ja nur zwei mal sehen in den vier Wochen). Am Anfang filmt er noch alles ab in seinem Zimmer oder auf dem Flur, wie jeder, der zum ersten Mal eine Kamera in der Hand hat. Im Verlauf der WM werden die Bilder rarer, es gibt nichts zu filmen, weil er nichts erlebt und weil er sich eben nicht traut seine Kollegen zu filmen. Gut, ein gekonnter Film sieht anders aus, das hier ist manchmal wie ein mißratenes Urlaubsvideo, verwackelt unscharf und manchmal ohne einen Sinn für Motivwahl. Amateurvideo von Profifußballer.
Erst am Ende im WM Finale und kurz davor traut sich Dhorassoo Bilder in der Kabine zu machen und anderen die Kamera zu geben. Im Finale ist dann egal: das ist eben ein historischer Moment, da gelten die Regeln nicht mehr.

Und dann sehen wir, was wir auch schon bei Wortmann sahen: Nach der Niederlage traurige Männer in der Kabine (aber Trezeget steht vorm Spiegel und zupft sein Hemd schön, Zizou taucht gar nicht auf) und dann geht Dhorassoo aus der Kabine durch die langen Gänge des Olympiastadions in Berlin, man hört Jubel, überall stehen Hostessen und Sicherheitsleute und Serviceleute und Fahrer und Leute in Anzügen und dutzenden Pässen am Hals und alle nicken gespielt geknickt in die Kamera und er geht weiter den Gang entlang und dann ein kurzer Schwenk nach rechts, da steht einen Spaltbreit eine Tür offen: drin Männer in Unterhosen, trinkend, hüpfen, feiernd - ohne Ton: Die italienische Kabine, zwei Sekunden, kein Kommentar, dann geht er ungerührt weiter.

Noch ein Auftritt auf dem Balkon in Paris und dann sieht man Dhorassoo seine Taschen in die Wohnung schleppen, die WM ist vorbei und er setzt sich als erstes an den Tisch und den Stapel Post, der sich nach seinem „Urlaub“ angesammelt hat – genau so wie jeder von uns. Das ist schön

(Notiz Dhorassoo spielt inzwischen nicht mehr in der Nationalmannschaft und bei St. Germain hat man ihn offenbar aufgrund des Films auch rausgeschmissen. Aber er sagt immer noch: Ich bin Fußballer)

Kommentare ( 3 )

Offenbar war bzw. ist Dhorasoo schon auch ein ganz guter Fußballer. Bin beim Googeln auf die Infos gestoßen, daß er u.a. mit Olympique Lyon 2x Meister wurde und auch eine Saison beim AC Milan gespielt hat; dort hat's ihm wohl nicht gefallen (ist ihm nicht zu verdenken) und auch dort saß er phasenweise auf der Bank! Gilt als Fußball-Intellektueller und war daher im französischen Funk und Fernsehen gern gesehener Gast. Doch hat das alles nichts geholfen, um Zizou den Platz streitig machen zu können...

Ich hab den Film auch gesehen. Er ist für mich bis jetzt der beste von bisher 14 Berlinale-Filmen. Hier meine Kritik: http://www.filmcheck.org/index.php/2007/02/12/substitute_forum_dokument_eines_scheiter_2006

Korrektur: In PSG ist Dhorasoo rausgeflogen, weil er den Trainer kritisiert hat. Nach 32 Jahren ist zum ersten Mal in der franz. Profiliga wieder ein Spieler vorzeitig rausgeflogen. Nu ist der Mann 33 und wenn er nicht nach Dubai geht, dann war es da wohl mit der Karriere...Schade, netter Bursche.

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Titel

Orignaltitel

Substitute

Credits

Regisseur

Vikash Dhorasoo

Fred Poulet

Land

Flagge FrankreichFrankreich

Jahr

2006

Dauer

72 min.

Impressum