Ruhrpottcharme allein reicht nicht immer

"Autopiloten" von Bastian Günther (Perspektive Deutsches Kino)

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Ein Episodenfilm-Roadmovie im Ruhrpott, das klingt für einen, der „von da wech“ kommt wie mich sehr reizvoll. Ein bisschen Heimweh bekomm ich ja schon, wenn es im Deutschlandfunk heißt: „Und nun die Staus ab 5 Kilometer: Auf der A 45 Westhofener Kreuz Richtung Dortmund und auf der A 2 Kamener Kreuz Richtung Dortmund 12 Kilometer stockender Verkehr...“
Stockender Verkehr ist auch ein Begriff, den man auf die Leben der vier Protagonisten anwenden kann: ihr Leben ist ins Stocken geraten und schon im Sinkflug. Der Crash droht, was im Film auch etwas zu plakativ mit einem entführten Flugzeug symbolisiert wird, das über dem ruhpöttischen Luftraum kreist. Alle vier Figuren bekommen das irgendwann mit und wie die Gallier, die nur Angst haben, dass ihnen der Himmel auf den Kopf fällt, scheinen diese Männer eine ganze Weile vor nichts Angst zu haben und meinen: „Dat wird schon werden!“ Wird’ aber nicht.

Da ist zum einen Dieter (Wolfram Koch), der Reporter mit echter Reporter-Weste, der seinen Sohn zwingt, mit ihm „auf Tour“ zu gehen, die darin besteht, unter einem Autobahnkreuz den Polizeifunk abzuhören, ob was passiert. Dann ist da Georg (Walter Kreye), Trainer auf Schalke und kurz vor dem Rauswurf, der mit der PR-Frau des Vereins poppt und am Abend ein wichtiges Pokalspiel hat. Der Dritte Mann On the Road ist Jörg (Charly Hübner) Vertreter für Wannenlifte, der wie ein Seemann das ein oder andere Mädel unterwegs beglückt; und schließlich Heinz (Manfred Zapatka) ein abgehalfterter Schlagersänger, der inzwischen auf Baumarkteröffnungen auftritt.

Sie alle haben Methoden gegen die Erkenntnis ihrer tragischen, in jedem Fall unsichereren Lage entwickelt: Ignorieren und einfach weiter machen; eine gewisse Sturheit, die man den Leuten aus dem Ruhrgebiet ja auch nachsagt.
Im Verlauf gleitet aber die Reaktion in Resignation oder Gewalt ab oder in verzweifelte Strampelei wie beim Vertreter Jörg, der unbedingt eine für die Nacht abschleppen will, und wenn sie 16 ist und bei KFC hockt. Oder den Schlagersänger, der erst eine Romanze mit einem weiblichen Fan unterm Gummibaum inzeniert, ein Autogrammkärtchen zurücklässt und sich dann ganz als Großkotz in einer Eckkneipe aufführt - aber da wenigstens eins auf die Mappe bekommt.

Der WDR monierte in einem Interview mit dem Regisseur, dass er vor allem Ruhrpott Klischees zeige: öde Viertel, Autobahnen, Einkaufszentren, gesichtslose Städte. Aber als Heimatsender muss der WDR das wohl kritisieren. Und viele Ecken dort sehen noch immer so aus. Viele andere, ich würde sogar sagen der viel größere Teil, zwar nicht, aber in dem Film geht es ja nicht um Stadtmarketing, sondern um die Weite und Sehnsucht, die aus den schieren Möglichkeiten im Ballungsraum Ruhrgebiet entsteht. Zum Beispiel aus der Möglichkeiten - wie der Reporter Dieter es formuliert - von einem Ausgangspunkt auf vier verschiedene Autobahnen gelangen zu können und dann weiter, immer weiter und egal in welche Richtung zu fahren.

Auch diese Männer müssen immer weiter und doch scheint es nicht einfach immer weiter zu gehen. Ob beim Vertreter, der immer verzweifelter und aggressiver verkaufen will, weil die Illusion platzt, der Laden laufe gut, oder der Sänger, der weiter glauben will, er sein eine große Nummer und sich diese Illusion mit den älteren Damen verschafft, die ihm im Einkaufszentrum zuhören und die dann nachher in seinen 80er Jahre 500er Benz (ein schönes Symbol vergeangenen Wohlstands) zu ihnen nach Haus kutschiert.
Der einzige, der am Ende auch etwas erreicht, ist der, den man gleich am Anfang als Verlierer abgeschrieben hatte: Dieter der Reporter, denn er schafft es zumindest seinem Sohn nahe zu kommen. Alle anderen wissen am Ende um ihr Scheitern, aber fügen sich oder sind zumindest ins Nachdenken gekommen.

Trotz der redlichen Bemühungen den Figuren Tiefe und mit dem Ruhrgebie den passenden Hintergrund zu geben, funktioniert der Film nicht richtig, weil die Sprache häufig nicht zu den Figuren passt und die Dialoge einfach zu geschrieben wirken, besonders für Typen, die doch so natürlich und handfest sein sollen.

Am Besten und schlüssigsten ist noch die Figur des Schlagersängers und auch toll gespielt von Manfred Zapatka. Die Trainerepisode ist ein wenig belanglos und wirkt eher, als habe aus jedem sozialen Milieu ein Vertreter eingebaut werden müssen: Der Trainer im feinen Anzug aus der Oberschicht, der Badewannenlift-Vertreter aus dem Reihenhaus und der Reporter-Tagelöhner von unten.
Aber besonders die Krise dieses Schalker Trainers packt einen nicht (und das nicht, weil ich Borussen Fan bin) - was hat er schon zu verlieren, fragt man sich. Auch der Wannenvertreter Jörg, schwitzend, aber immer um Freundlichkeit und Optimismus bemüht wird schön von Charly Hübner gespielt, aber die Wandlung der Figur vom Ich-hab-alles-im-Griff zum aggressiven Teenageraufreisser und Discoschläger ist ein wenig zu rasant und bleibt seltsam unbegründet und konsequenzlos.

Der Film leidet trotz der fast „amerikanischen“ Bilder nächtlicher Weite, von Autobahnen und leuchtenden Raststätten an „stockenden Gefühlen“ zwischen A2 und A45. Denn die Sehnsucht oder die Lust an der Bewegung (außer ganz am Anfang in Jörgs Gesicht, als er von zu Haus aufbricht) können den Figuren genug Leben geben oder dem Film genug Atmosphäre verleihen.
Vielleicht liegt es ja daran, dass sich der Regisseur zu sehr auf diese Ruhrpott "Atmo" verlassen hat, oder dass er sich beim Setting und den Figuren mit den bekannten Klischees und dem stereotypen Habitus (besonders bei Reporter und Trainer) der Figuren zufrieden gegeben hat.

Letztes Jahr lief der Film „Lebensversicherer“ von Bülent Akinci auf der Berlinale. Auch ein Film über Rastlosigkeit und ein Leben im Auto, der an nächtlichen Autobahnrasstätten spielt und einen Mann kurz vorm Fall zeigt. "Der Lebensversicher" hatte, was diesem Film fehlt und spielt noch nicht Mal im Ruhrgebiet. Was das genau ist kann ich nur mit „Soul“ umschreiben.

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Titel

Orignaltitel

Autopiloten

Credits

Regisseur

Bastian Günther

Schauspieler

Charlotte Bohning

Charly Hübner

Wolfram Koch

Walter Kreye

Regine Schröder

Susanne-Marie Wrage

Manfred Zapatka

Land

Flagge DeutschlandDeutschland

Jahr

2007

Dauer

106 min.