"Rückblickend ist es ja fast irrelevant, ob es eine glückliche oder eine unglückliche Reise war"

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Ein Interview mit Sonja Heiss, Regisseurin von "Hotel Very Welcome" (Perspektive deutsches Kino)

Festivalblog: Ein junger Künstler soll sich ja in seinem Erstling angeblich am besten mit Dingen beschäftigen, die er gut kennt. Wie kommt man also darauf, seinen ersten Spielfilm in Indien und Thailand zu drehen?

Sonja Heiss: Ich bin selbst viel gereist und der Co-Autor und Kameramann, der auch mein Freund ist, wir sind auch zusammen viel gereist. Auf einer Reise ist dann die Idee entstanden, dass man doch mal einen Film über Traveller in Asien machen müsste. Das sollte ein Film werden, der den Traveller nicht mehr so heroisiert. Es geht ja nicht mehr darum, Abenteuer zu bestehen. Mit dem Lonely Planet in der Tasche ist das alles nicht mehr so schwierig. Das Abenteuer ist oft nur man selbst.

fb: Gab es Probleme bei der Finanzierung? Ich stelle mir vor, wenn man dem ZDF oder dem Filmfond Bayern sagt: „Ich will ein paar Monate mit Schauspielern durch Indien und Thailand reisen und einen Film machen“, sagen die da nicht, „Aha, wir sollen Euch also eine schöne Reise finanzieren?“

S.H.: An der Filmhochschule gab es da nicht das geringste Zögern, denn ich habe in der Dokumentarfilmabteilung studiert, war also nicht die Erste, die einen Film im Ausland gemacht hat. Ich habe auch schon mal zusammen mit einer Kommilitonin einen Film in den USA gedreht. Der Redakteur beim ZDF fand das ein extrem interessantes Thema, weshalb er da auch keine Sorgen hatte. Die Leute kannten ja auch schon andere Filme von mir.

fb: Wie viele Leute waren vor Ort beim Drehen?

S.H: Wir waren meist zu viert, Ton, Kamera, Regie-/Produktionsassistentin und ich selbst. In Indien war noch ein „Serviceproducer“ dabei. Ein sehr kleines Team jedenfalls. Die Schauspieler bzw. Darsteller kamen einzeln dazu, jeden Monat ein anderer. Wir waren insgesamt 4 Monate dort, aber weil wir ja auch noch die Drehorte finden mussten und viel herumgereist sind, war es eigentlich Vorbereitungsreise und Dreh in einem. Dadurch war das gar nicht so viel Zeit, wie es sich anhört.

fb: Die Schauspieler kamen also an, und ihr wusstet bereits, wo gedreht werden soll?

S.H. Nein, nur die Städte bzw. großen Locations waren klar, alles andere haben wir auf der Reise gesucht. Hotelzimmer, Cafés, Bungalows, Strände, Wasserfälle ......

fb: Gab es ein Drehbuch oder nur grobe Ideen von den Figuren?

S.H. Es gab die Geschichte der Figuren und der Charakter war klar ausgearbeitet. Manche Szenen waren detailliert ausgearbeitet, wie z.B. die Telefonszene, in der Liam in Irland anruft und nicht weiß, was er sagen soll oder die mit seinem Kamelführer, in der er über das Kind erzählt. Andere Szenen waren stark improvisiert oder auch spontan entstanden. Bei vielen Szenen war es dann aber eine Mischung aus Improvisation und diesen schon bestehenden Ideen. Z.B. die Szene der beiden Engländer am Strand. Hier gab es Fixpunkte an denen sich die beiden entlang arbeiten konnten wie: Josh bringt etwas mit, was Adam gar nicht haben wollte, weil es billiger war. Er teilt sein Geld ein. Adam wird ihn daraufhin als Faschisten bezeichnen. All die kleinen Wortspiele sind dann in der Improvisation entstanden.
Manchmal haben wir geprobt, meist aber die Proben gleich mitgedreht. Bei Video geht das ja. Und dann hat man auch nicht dieses Pech was man so oft hat, dass die Szene in der Probe am Besten war, man es aber natürlich nicht aufgenommen hat.

fb: Woher kanntest du die Schauspieler aus England?

S.H.: Wir haben in London ein Casting gemacht und für Ricky Champ, der den Josh spielt, war das die erste Film-Rolle überhaupt, Gareth Llewelyn hat vorher auch nur ein Mal vor der Kamera gestanden. In einer kurzen Szene als Liftboy in dem Film „Wimbledon“. Sie haben aber beide eine Schauspielausbildung. Der Ire (Chris O’Dowd) dagegen hat schon sehr viele Film gemacht und spielt in England gerade eine Hauptrolle in einer Channel 4 Serie namens „The IT Crowd“.

fb: Was hat dich denn eigentlich als Dokumentarfilmerin zum Spielfilm gebracht?

S.H. Ich glaube, man kann in dem Film ja auch die dokumentarische Seite ganz klar erkennen. Viele reale Elemente, authentische Orte und auch manch reales Gespräch. Und vor allem die teilweise dokumentarische Drehweise. Dennoch, klar, ist es kein Dokumentarfilm.

fb: Du machst also diese Trennung nicht so scharf zwischen Dokumentar und Spielfilm?

S.H: Doch, schon. Das Ganze mit dem Spielfilm hat so angefangen: Zu Beginn meines Studiums haben wir drei Rollen Material bekommen und sollten einen Kurzfilm drehen. Da hab ich mich gefragt, wie soll denn das gehen? Man kann ja nicht mit ein bisschen mehr als einer halben Stunde Material einen Dokumentarfilm machen, der aus Beobachtungen besteht. Dann mach ich eben einen Kurz-Spielfilm! Damit fing das an.

FB: Was denkst Du, wie beeinflusst der Ort die Figuren in dem Film? Die beiden Engländer und die Deutsche im Hotel verschließen sich ja ihrer Umgebung – die Szenen in dem Partycamp und im Hotel – das hätte ja auch sonst wo gedreht werden können, auf Ibiza oder den Kanaren etc., oder?

S.H.: Bei den beiden Engländern geht es ja gerade darum, dass das überall sein könnte, dass Thailand gar keine große Rolle spielt. Aber dennoch hat die Umgebung die Geschichten beeinflusst und verändert. Man schaut sich an, was man dort findet, beobachtet Dinge und das mischt sich dann mit den vorbereiteten Ideen und Vorstellungen.

fb: Bei der Svenja (Svenja Steinfelder) in dem Hotel war das von vornherein so geplant, dass ihre Figur eher immobil ist, ihr Hotel eigentlich nur einziges Mal verlässt?

SH.: Es war geplant, dass sie in Bangkok festhängt, dass sie kaum rausgeht, war nicht so geplant. Wir haben noch viel Material, richtig gutes Material, in dem sie durch Bangkok irrt und geht, von dem wir uns dann auch nur schweren Herzens getrennt haben. Aber wir haben beim Schneiden eben festgestellt, dass ihre Episode am besten funktioniert, wenn man sich auf diesen Teil, die Gespräche mit dem Thai am Telefon konzentriert. Da sich die anderen so viel bewegen und umherreisen, war es auch ganz gut, eine Figur zu haben, die völlig immobil ist.

fb: Ein Thema das für die Länder, vor allem wohl Thailand, eine Rolle spielt ist Prostitution. Das wird in dem Film nicht angesprochen.

S.H. In Indien ist Prostitution ja nicht so offensichtlich, man kommt damit kaum in Berührung. Wir sind ein Mal zufällig in eine Art Club gegangen, der als „Disco“ bezeichnet war und waren dann plötzlich umlagert von uns antanzenden Frauen, ansonsten wird man in Indien damit kaum konfrontiert. In Thailand dagegen ist das ja sehr deutlich, vor allem in Bangkok ist es allgegenwärtig. Bei den beiden Engländern hatten wir kurz darüber nachgedacht, das einzubauen. Aber die Geschichte spielte ja zum einen in Koh Phangan und nicht in Bangkok. Und irgendwie musste es für ihre Geschichte auch nicht sein.
Zudem hat man da im Rahmen einer dokumentarischen Drehweise kaum Möglichkeiten reinzukommen. So etwas wäre wohl ein eigenständiges Filmprojekt über längere Zeit, allein um den Zugang zu schaffen.
Dennoch ist Prostitution auch in der Khao San Road, der bekanntesten Backpacker-Straße Asiens, in Bangkok allgegenwärtig. Es ist also nicht so, dass der Backpacker so etwas nicht tut, sondern nur die Pauschaltouristen.

fb: Extremsituationen, wie die Konfrontation mit einer fremden Kultur, der Stress, die Probleme, schweißen ja entweder zusammen oder schaffen ordentlich Konflikte unter den Reisenden: Wie war das bei Euch?

S.H.: Natürlich gab es viele Stresssituationen und schwierige Momente. Und Enttäuschungen ebenso. Der Kameramann hatte auch einen extrem schwierigen Job, in den teilweise chaotischen Situationen auf der Strasse in Indien oder auf dem Full Moon Rave, spielfilmische Bilder zu machen. Wir waren alle mal krank und hatten Lebensmittelvergiftungen. Auch die Schauspieler waren fast alle mal krank, Chris O’Dowd, der den Liam spielt, war sogar im Krankenhaus am Tropf.
Aber wir haben uns alle sehr gut verstanden, und „zusammen gehalten“.
Da wir so viel unterwegs waren und nur für den Teil mit den beiden Engländern am Strand länger an einem Ort, gab es da auch wenig Raum für Frust und Lagerkoller.

fb: Viele junge Backpacker wollen das Reisen benutzen, zu „sich selbst zu finden“. Glaubst Du, dass man vor der Realität zu Haus fliehen kann? Kann das, was man auf so einer Reise raus findet, vor der Wirklichkeit zu Hause überhaupt standhält?

S.H.: Ich denke, man kann seinen Problemen mit einer Reise nicht entfliehen, man kann sie auf einer Reise im Normalfall eben auch nicht lösen. Im Idealfall kann man sie für eine Weile vergessen, weil man abgelenkt wird. Findet man sich jedoch alleine in einem Hotelzimmer wieder, so kehren sie doch ständig zu einem zurück. Und wenn man dann zurückkommt haben sie sich meist auch nicht aufgelöst. Man kann sich durch eine Reise aber sicherlich persönlich weiterentwickeln und auch manchmal erkennen, dass das Problem, das man hat, viel kleiner ist, als man es lange Zeit empfunden hat. Oder auf einmal eine gedankliche oder emotionale Kehrtwende machen und wie die Marion im Film, jemanden wieder haben wollen, den man vorher nicht mehr haben wollte. Weil die Vorstellung der Person von weitem schöner und besser ist als es in der Realität war. So wie die Reise rückblickend auch meist schöner wird.
Und ich bin mir sicher, dass eine Reise immer auch gut ist, man nimmt immer etwas von ihr mit nach Hause, was auf lange Zeit gesehen, das Leben bereichern wird. Rückblickend ja manchmal sogar fast irrelevant, ob es eine glückliche oder eine unglückliche Reise war.

fb: Wird der Film untertitelt werden fürs Fernsehen – kann mir kaum vorstellen, wie man den Humor der beiden Briten und des Iren oder den sprachlichen Amoklauf des Thais am Telefon sonst rüberbringen kann.

S.H. Für das Fernsehen werden wir den Film natürlich Deutsch untertiteln. Gerade die ganzen sprachlichen Missverständnisse und unterschiedlichen Arten der englischen Sprache spielen ja eine große Rolle.

fb: Und das nächste Filmprojekt, schon was im Kopf? Wird es wieder so etwas wie dieser Film, also eine Art „Dokufiction“?

S.H. Ich habe nur ein paar vage Ideen, ich hatte so immens viel Arbeit mit dem Film, dass ich gar keine Zeit hatte, mir über was Neues Gedanken zu machen. Aber es wird eher was ganz anderes - man soll ja immer was Neues ausprobieren. Auch wenn die Dinge natürlich nie ganz anders werden, denn man hat ja nun Mal den Geschmack und den Humor und die Sicht auf die Welt, die man hat.

fb: Sonja, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Christian Westheide

Kommentare ( 2 )

super interview, interessant zu lesen, gute Fragen, Respekt!


Konnte Ihr gestern nach der Vorstellung noch 2 Fragen stellen. Sie hatte 170(!) Stunden Material und hat rund ein Jahr geschnitten.

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Titel

Orignaltitel

Hotel Very Welcome

Credits

Regisseur

Sonja Heiss

Schauspieler

Ricky Champ

Gareth Llewelyn

Eva Löbau

Chris O’Dowd

Sevenja Steinfelder

Land

Flagge DeutschlandDeutschland

Jahr

2007

Dauer

90 min.

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