Das gewalttätige Folkhemmet

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“När Mörkret Faller“ von Anders Nilsson (Panorama)

Es gibt viele Formen von Gewalt: Die Ohrfeige, den Faustschlag ins Gesicht, eine Frau mit dem Kopf gegen die Wand zu schlagen, den Schuss, die eigene Tochter auf der dunklen Landstraße vor einen fahrenden LKW hetzen zu lassen. Der schwedische Regisseur Anders Nilsson zeigt in seinem Film „Bei Einbruch der Dunkelheit“ („När Mörkret Faller“) alle diese Formen der Gewalt und noch einige mehr. Der Film erzählt drei parallele Geschichten, in denen Menschen der Gewalt ausgeliefert sind, gegen die Recht und Gesetz nur wenig Schutz bieten. „Bei Einbruch der Dunkelheit“ ist ein düsterer Sozialkommentar, den Nilsson als Krimi inszeniert.

Im Mittelpunkt einer der drei Geschichten stehen die beiden Mädchen Leyla und Nina. Sie wachsen in einer Einwandererfamilie auf, die in einer anonymen schwedischen Vorstadt wohnt. Nina ist 19, Leyla wenig jünger. Die Familie verdächtigt Nina, sich mit Jungs zu treffen. Die Situation eskaliert, als Nina bei einer Familienfeier eine SMS und etwas später die Nachricht eines Jungen auf der Mailbox erhält. Für die Familie ist es eindeutig: Nina ist eine „Hure“. Schläge sind nur die erste Reaktion. Wenig später versuchen der Vater und andere männliche Verwandte sie zum Selbstmord zu zwingen. Nina und Leyla können sich in ihrem Zimmer verbarrikadieren, von wo Nina aus dem Fenster flieht. Nina wendet sich an die schwedischen Sozialbehörden und wird in einer sicheren Wohnung untergebracht.

Doch nicht nur für Einwanderer ist familiäre Gewalt ein Problem, sie grassiert auch in der Oberschicht des sonst so sozialbewussten schwedischen Folkhemmet. Carina, eine der erfolgreichsten Journalisten des Landes, wird seit Jahren von ihrem krankhaft eifersüchtigen Mann geschlagen. Als sie einen Journalistenpreis erhält, gerät er völlig außer Kontrolle, weil er seinen eigenen Beitrag zum Erfolg nicht ausreichend gewürdigt sieht. Er demütigt und schlägt sie jetzt sogar vor den Kindern. Carina ruft die Polizei und klagt ihren eigenen Mann an.

Nina hält unterdessen die Einsamkeit in der staatlichen Wohnung nicht mehr aus. Sie nimmt zu Leyla und dann auch zu ihrer Mutter Kontakt auf. Plötzlich ist eine Lösung da: Nina soll heiraten, einen Mann aus der Heimat, den sie noch nie gesehen hat. Sie willigt ein. Die Familie fährt nach Deutschland. Dort führt die Sippe bei einem Zwischenstop einen mörderischen Plan aus: Auf der vielbefahrenen Landstraße unweit des Motels hetzen Onkel und Cousins die junge Frau solange in der Dunkelheit hin und her, bis sie von einem LKW überfahren wird. So ist die „Familienehre“ gerettet. Für die Polizei ist es ein Unfall, die Leiche wird in die Heimat gebracht. Einige Zeit später liest der Vater der Familie am Frühstückstisch ein angebliches ärztliches Attest vor. Das Ergebnis: Nina sei keine Jungfrau mehr gewesen, deshalb hätten alle richtig gehandelt.

Nur Leyla wehrt sich gegen die Lüge. Sie hat den Mord beobachtet und geht zur Polizei, die die Ermittlungen aufnimmt. Auch Leyla wird von den Behörden in einem sicheren Appartement untergebracht. Aber auch sie nimmt wieder Kontakt zu ihrer Mutter auf. Als sie sich heimlich mit ihr in einem Kaffee trifft, wird ihr auf einmal schwindlig. Kurz bevor sie ohnmächtig wird, wird ihr klar, dass ihre Mutter ihr Schlafmittel gegeben hat und genauso in den Mordplan eingeweiht war. Auch Leyla wird nach Deutschland verfrachtet, aber in letztem Moment von ihren Brüdern gerettet. Die hatten unter den Familientraditionen auch zu leiden: Wenn sich die Schwestern nicht „anständig“ verhalten, werden sie dafür verantwortlich gemacht. Schließlich werden die am Mord beteiligten verhaftet. Leyla muss jetzt auf eigenen Füßen stehen, ihrer Geschwister kommen in Pflegefamilien.

Die Journalistin Carina ist in einer wesentlich besseren Situation, um sich zu wehren. Sie entschließt sich nicht nur sich von ihrem Mann zu trennen, sondern auch Gewalt gegen Frauen zu einem öffentlichen Thema zu machen. Dabei erhält sie außer von ihrer Schwester und ihrer Schwiegermutter nur wenig Unterstützung, Ihre Redaktionskollegen fragen sich, ob sie an ihrer Situation nicht doch selbst Schuld ist. Carina lässt sich nicht abschrecken. Sie hat das Angebot bekommen, für das europäische Parlament zu kandidieren und macht ihre Gewalterfahrung mit Erfolg zum Wahlkampfthema.

In einem dritten Handlungsstrang, der überflüssig wirkt, geht es um den Fall eines Restaurantbesitzers und des Türstehers, die rein zufällig in das Visier von Kriminellen geraten. Diese Story funktioniert schlicht nicht. Formal dient sie dazu, einen Krimiplot als Rahmen zur Verfügung zu stellen, der oberflächliche Spannung und noch einige Actionsequenzen liefert. Das ist schade, weil in den beiden anderen Geschichten genug Spannung liegt. Offensichtlich hat Anders Nilsson, der in den vergangenen Jahren eine in Schweden sehr erfolgreich Thriller-Trilogie gemacht hat, in die beiden familiären Geschichten nicht genug Vertrauen gehabt.

Das Fazit von „Bei Einbruch der Dunkelheit“ fällt zwiespältig aus. Zwei der drei Geschichten sind dramaturgisch hervorragend und emotional sehr eindringlich. Problematisch sind allerdings die vielen Gewaltszenen. Gewalt ist abstoßend und sollte auch so dargestellt werden. Deshalb ist eine realistische Darstellung von Gewalt notwendig, wenn Gewalt ein Teil der gesellschaftlichen Realität ist. Trotzdem bleibt fraglich, ob die Fülle der Gewaltszenen der Intention des Filmes nützt. Nach mehr als zwei Stunden geht man mit einer Menge Wut im Bauch aus dem Kino. Wut behindert bekanntlich das Denken und das vernünftige Handeln – und das ist zur Verhinderung von Gewalt eben unverzichtbar.

Kommentare ( 4 )

Danke für diesen sehr fein formulierten Beitrag, der mir einen guten Vorgeschmack auf die Vorführung gibt!

Lieber A.,

ich muss Dich korrigieren. Im Laufe des Films stellt sich heraus, dass das eine christliche Familie ist und dass sie, so Leyla im Film, nicht mal besonders gläubig ist.

Im Fall der Journalistin ist der Mann auch Schwede.

Und im dritten Filmstrang, den ich nicht ausführlich behandelt habe, werden Schweden gegen Einwanderer gewalttätig.

Vielleicht liegt das Problem eher beim Zuschauer, der Einwanderer automatisch mit Muslim gleichsetzt.

nun ja, die Frage bleibt: welche Assoziationen werden beim gemeinen Publikum hervorgerufen; dass jene ehrenmordende Familie nun ausgerechnet christlich ist und nicht etwas muslimisch (was ja tasaechlich passieren KANN) ist eher ein bemuehtes und wirkunsgloses Element, Stereotype zu vermeiden, wo man sie voll auswetzt. Es liegt auf der Hand, dass solche Geschichten in aehnlicher Wesie fast taeglich passieren und passierten, nur einen Thriller daraus zu machen und entsprechende Motive, die ja im wesentlichen der eigenen Phantasie entspringen (kleines Maedchen-LASTWAGEN), als Schock- und Gruselmoment zu benutzen, ist mal wieder ein Ausbund an Duemmlichkeit, wie man ihn nur im bigotten Kino findet. Aehnliches gilt sicherlich auch für den Film 'Bordertown', denn interessant und unterhaltsam sind Vergewaltigungen und bestialische Morde ja zweifellos, hier wird nicht an die abstrahierende Ratio appelliert, sondern an das dumpfe in uns allen, das es ja gleichwohl angeblich zu ueberwinden gelte. Dass so ein wenig Blutrausch in den Sexualmoerdern Mexikos den im Grunde selben Motiven folgt wie der 'Grusel der Sublimation' beim Kinozuschauer, scheint niemand zu bemerken, ausser ein paar kritische Intellektuelle, die ohnehin nie ins Kino gehen, weil sie davon zu angewidert sind. Ist 'Hakan' eigentlich ein schwedischer Name, entschuldigt wenn ich mich dadurch 'irritieren' liess.

Was die Schockmomente angeht, gebe ich Dir vollkommen Recht.

Hakan (mit so einem komischen Ball auf dem a, auch Haakon)
ist sehr schwedisch oder norwegisch.

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Titel

Orignaltitel

När Mörkret Faller

Englischer Titel

When Darkness Falls

Credits

Regisseur

Anders Nilsson

Schauspieler

Lia Boysen

Per Graffman

Oldoz Javidi

Bahar Pars

Reuben Sallmander

Land

Flagge DeutschlandDeutschland

Flagge SchwedenSchweden

Dauer

133 min.

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