Foto und Film - aus 1 wird 24 pro Sekunde - Sonderreihe Magnum in Motion

Man kann kaum ermessen, wie umfassend die Fotografie der Agentur Magnum in den letzten sechs Jahrzehnten unser kollektives Bildbewusstsein und unseren internen Bildspeicher geprägt hat.
Jeder, der schon mal in einer Fotoausstellung der ganz großen dieser berühmten Fotoagentur gewesen ist, Henri Cartier-Bresson, Robert Capa oder Elliott Erwitt, wird vor einem der Fotos gestanden und gedacht haben: „Ach, von dem ist das!" So z.B. das wohl berühmteste aller Kriegsfotos: der getroffene, nach hinten stürzende Soldat aus dem Spanischen Bürgerkrieg, das in so manchem 80er Jahre Jugendzimmer als Poster mit der Überschrift „Why?" hing. Oder Giacometti wie er zwischen seinen Skulpturen hindurch huscht, das Knittergesicht von Samuel Beckett oder.....

das verwackelte Foto eines Soldaten am Strand der Normandie bei der Invasion; später dann Bilder aus dem Vietnam Krieg, die den Blick der Amerikaner auf diesen ihren Krieg maßgeblich veränderten.

Wo sind solche Fotoreportagen heute, z.B. aus dem Irak oder aus China oder aus dem Sudan? Hier hat der Dokumentarfilm große Anteile übernommen, die früher den klassischen Fotoreportagen gehörte. Insofern scheint die Berlinale Sonderreihe konsequent, die neben zwei Fotoaustellung (in der Galerie Camera Works und im Newton Museum) vor allem Filme von und über Magnum Fotografen zeigt.

Wer den Dokumentarfilm „War Fotographer" über und mit James Nachtwey gesehen hat (welcher seltsamer Weise nicht gezeigt werden wird), der ahnt, dass es allerdings mehr braucht als eine Kamera und ein Auge, um Fotos wie Capa oder Cartier-Bresson zu machen. Fotografie in Kriegen und Katastrophen ist immer eine Gratwanderung zwischen Voyeurismus auf der einen und erschütternde Dokumentation des Grauens auf der anderen Seite, die nur den besten Fotografen gelingt.

Heutzutage klagen Fotografen, dass ihnen so gut wie keine Zeitschrift noch Raum für Fotoreportagen über Krieg, Elend, Gewalt, Revolutionen oder Umweltkatastrophen einräumt. Der Grund: Glamour und Promifotos verkaufen sich besser, genau wie Modestrecken oder hübsche Tierfotografie, ganz abgesehen von Titten&Ärschen, die immer gehen. Darüber hinaus wollen viele Werbekunden in Zeitschriften ihre Produkte nicht zusammen mit Bildern von verstümmelten Kindern, von verreckenden Soldaten oder apokalyptischen Kriegslandschaften erscheinen lassen - ebenso verständlich wie erbärmlich.
Der Stern war einmal wie in den USA das Time Magazin DAS Organ für Fotoreportagen: beide machen heute fast nur noch banale Magazinfotografie ohne Charakter und Stil, bebildern so lediglich ihre mediokren Texte passend. Das fällt besonders auf, wenn man sich ältere Magazintitel vornimmt und auf die zum Teil acht- oder zehnseitigen Fotostrecken achtet. Der Kontrast könnte kaum größer sein: Zwischen Fotografen wie Cartier-Bresson und den Ruck-Zuck Fotografen von Stern, Bunte und Max liegen nicht nur Welten, sondern sie trennt der Anspruch nach einem authentischen Moment über der Zeit (Magnum) auf der einen und der Wunsch nach einem im themenverheizenden medialen Werbeumfeld verkäuflichen Foto (heutige Magazinfotografie) auf der anderen Seite.

Die Sonderreihe der Berlinale kommt einer Retrospektive über die Magnum Agentur also scheinbar nur um wenige Jahre zuvor. Die Zukunft sind nicht Fotoreporter wie die Magnum Fotografen, sondern der Handyreporter (siehe Saddams Hinrichtung, die Bildzeitungs-Leserreporter oder jene, die sich mit Unten-Ohne Britney Spears beschäftigen) --- könnte man denken ---
Aber vielleicht kommt alles auch anders, denn wo im Kino im letzten Jahr wieder die politischen Stoffe entdeckt wurden und nach wie vor produziert werden (Blood Diamonds, Der Al Gore Film, Darwins Nightmare, Syriana usw) könnte es durchaus auch zu einer Renaissance der klassischen Fotoreportage kommen, wenn, ja wenn, die Medienkonzerne es zulassen und sich Umsatz von schwierigen Themen und ihrer bildlichen Dokumentation versprechen. Wenn also statt der Weltflucht, der Wunsch nach "Wirklichkeit" und Information wieder Auflage macht, dann hätte die Berlinale in diesem Jahr ein Näschen bewiesen.

In der Berlinale Reihe wird es Filme von Fotografen und Dokumentationen über sie zu entdecken geben. Einige der Damen und Herren werden auch als Gäste zugegen sein und ich bin sicher, das Thema "Reportage Fotografie gestern und heute", wird häufig diskutiert werden.
Das ganze Programm hier.

Kommentiere den Film oder den Eintrag

Impressum