Forum: Sobhi Digar (Another Morning) von Nasser Refaie

Traurig in Teheran

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Der Berlinale-Moderator ist irritiert: Was? Keine Iran-Kritik? Der ganze Film kein einziger Aufschrei des Protests gegen ein Unterdrückungsregime, den „Gottesstaat“? Am Ende vielleicht sogar Kunst? Skandalös! Dreimal formuliert der Moderator nach der Vorstellung die Frage um, aber Regisseur Refaie beharrt auf seiner Antwort. Ein universal gültiger Film solle es sein, einer der eigentlich überall auf der Welt spielen könnte: Herr Kamali ist Mitte vierzig und gerade Witwer geworden. Die Trauer beherrscht ihn so sehr, dass er wie ferngesteuert durch Teheran stolpert...

Er versucht alles mögliche, um zurück ins Leben zu finden: Er tauscht das schwarz-weiße Bild seiner Frau mit dem Trauerflor gegen ein Buntes aus fröhlichen Tagen, legt es später ganz in die Schublade. Er kauft Lotteriescheine, er versucht seinen Alltag zu meistern in der Wohnung, die früher die Wohnung eines Paares war. Er fährt mit seinem kleinen Auto durch die Gegend, geht jeden Tag zur Arbeit ins Büro: Und spricht dabei kein Wort. Im ganzen Film spricht er überhaupt kein Wort – hat man das schon einmal gesehen, ein Film in dem die Hauptfigur kein Wort spricht, keine einzige Silbe?

Herr Kamali ist die Apathie in Person. Die Trauer hat ihn in einen Autisten verwandelt, und seine Umwelt in die Kulisse seiner Trauer. Auch das moderne Teheran, dessen alltägliche Probleme angedeutet werden: Alltägliche Gewalt, Drogenkonsum, die allseits präsente Doppelmoral der islamischen Republik. Nur wenn Herr Kamali alleine ist, weint er bitterlich – und wenn er die trauernden Verwandten trifft, empfindet er gar nichts. In einer Szene kommt er auf den Friedhof und betrachtet die wehklagende Familie seiner Frau am Grab. Er schaut sie an, aus der Ferne, verständnislos. Herr Kamali ist mit seiner Trauer ganz allein: Kein Ritual, kein Mitgefühl hilft ihm aus seiner Isolation. Das Gefühl der Trauer, das natürlich ein universales ist, beschwört der Film eindringlich und überzeugend.

Dass es zugleich ein Film ist über die innerste Befindlichkeit der iranischen Gesellschaft liegt auf der Hand. Die Metaphorik ist so stark, so eindeutig, dass sie sich der Regisseur nach Filmende nicht aus der Nase ziehen lassen will. Viele Iraner sind 26 Jahre nach der islamischen Revolution ähnlich erstarrt wie Herr Kamali. Die Folge ist der Rückzug aus der Öffentlichkeit und der Rückbezug auf sich selbst, die Flucht ins private. Viele Iraner, besonders die Künstler, trauern um ihr Land, und wissen nach allerlei Reformansätzen und Protestversuchen nicht mehr weiter. Die Zukunft ist ungewiss, und was der nächste Aufbruch bringt weiß niemand: Herr Kamali packt am Ende seinen Koffer und geht.

Kommentare ( 4 )

Packender Film, packende Besprechung : )

Toll geschrieben! So ärgerlich: diese Reduzierung aufs Politische. Das war bei "Gegen die Wand" schon so und wird bei "Knallhart" nicht anders laufen. Bei Filmen, die in brisanten Kontexten spielen, scheint ein ästhetischer Blick zu überfordern. Die Amerikanisierung des Films, die letztendlich zu der ebenso normativen wie bescheuerten Frage führt: darf man das? Man sollte sich überlegen, wo diese manchmal kompletto überforderten Berlinale-Moderatoren herkommen.

guck mal einer ist immmer dagegen: der spiegel: http://www.spiegel.de/kultur/kino/0,1518,400003,00.html

Besonders beeindruckend an diesem Film fand ich auch das Buster-Keaton-Gesicht von Majid Jalilian. Diese Assoziation kommt nicht nur daher, dass er den ganzen Film über kein Wort sagt - dieser Schauspieler hat eine unglaubliche, wirkungsvoll reduzierte Mimik. Und: es muss - trotz des traurigen Themas - auch der Sinn für feine Komik sein, der immer wieder an Keaton denken lässt. z.B. die Szene, in der er die Zigaretten so liebevoll drapiert.
Der Film macht das mit dem Nicht-Reden übrigens sehr klug: es wird nie darüber geredet, dass die Hauptfigur nicht redet. Das ist einfach so gesetzt und wird akzeptiert.

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Titel

Orignaltitel

Sobhi Digar

Englischer Titel

Another Morning

Credits

Regisseur

Nasser Refaie

Schauspieler

Majid Jalilian

Nezam Manouchehri

Manoucher Mobasser

Raya Nasiri

Land

Flagge Islamische Republik IranIslamische Republik Iran

Jahr

2006

Dauer

90 min.

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